Über Bibliotheksstatistiken im DACH-Raum

In diesem Post möchte ich einmal über die Bibliotheksstatistiken aus dem DACH-Raum schreiben. Fast alle Bibliotheken in diesem Raum füllen Jahr für Jahr – mal mehr, mal weniger, auch mit Lücken, aber doch kontinuierlich – die jeweiligen Statistiken aus, aber damit scheint das Thema oft schon wieder vorbei zu sein. Sie kommen sonst kaum in der bibliothekarischen Literatur, Ausbildung oder Diskussion vor. Manchmal, aber auch nicht mehr regelmässig, gibt es auf den bibliothekarischen Konferenzen Sessions zur Bibliotheksstatistik und in vielen Verbänden gibt es auch Arbeitsgruppen zum Thema. Aber deren Arbeit scheint oft kaum wahrgenommen zu werden.

Und das ist schade. Die Statistiken, die wir haben, hätten eigentlich ein grosses Potential sowohl für die einzelnen Bibliotheken als auch die Bibliothekswesen der einzelnen Ländern und im gesamten DACH-Raum. Zumal sie, wie ich gleich darstellen werde, etwas Besonderes sind – die meisten Bibliotheken und Bibliothekswesen können offenbar nicht auf solche Statistiken zurückgreifen.

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Kurz warum ich auf das Thema gekommen bin: Ich habe mich letztens mit diesen Bibliotheksstatistiken befasst. Ausgangspunkt war ein Text über britische Public Libraries und deren Entwicklungen im Jahr 2020 (oder genauer im Fiscial Year 2020/21 im Vergleich zu 2018/19 und 2019/20 – aber das ist hier nicht so wichtig), also in der Covid-19 Pandemie. (McMenemy et al. 2022) In dem Text werden statistische Daten analysiert. Die wurden nicht aus der nationalen Bibliotheksstatistik genommen, sondern per Freedom of Information Requests von den einzelnen Kommunen angefragt – was ich beim ersten Lesen sehr komisch fand, aber ich dachte, vielleicht konnten die Autor*innen einfach nicht warten, um an die Daten zu gelangen. Wichtiger: Als ich den Text las, dachte ich: Wie ist das eigentlich im DACH-Raum? Kann man nicht einfach die Zahlen aus den Bibliotheksstatistiken mit denen aus diesem britischen Text vergleichen? How hard could that be? Wozu gibt es denn sonst die Bibliotheksstatistiken, wenn nicht dafür?

(Hinzu kommt, dass ich weiter üben wollte, mit der Statistiksprache R zu arbeiten und die Situation eigentlich sehr gut dafür schien: Schon klare Fragen im britischen Text – die waren am Ende nicht ganz so klar formuliert, aber es ging –, vorhandene Daten und am Ende als Ziel, die Ergebnisse dieser Auswertung zu berichten. Und dann, wenn man das schon mit R-Skripten macht, könnte man es einfach auf noch mehr Länder erweitern, also die Daten aus Bibliotheksstatistiken weiterer Länder hinzunehmen, um zu sehen, ob es allgemeine Entwicklungen in der Nutzung von Bibliotheken gibt oder zum Beispiel welche, die für den DACH-Raum spezifisch sind.)

Das war der Ausgangspunkt, um mich wieder einmal mit den Bibliotheksstatistiken zu beschäftigen. Die Auswertung für den DACH-Raum ist jetzt fertig, eine Publikation dazu eingereicht. Darum soll es hier also nicht gehen. Ich will lieber kurz darüber reden, was ich so währenddessen über die Statistiken selber gelernt habe.

Kontinuierliche Bibliotheksstatistiken: Eine Besonderheit des DACH-Raumes

Eine erste Sache, die ich vorher nicht wusste: Das wir im DACH-Raum im Allgemeinen umfassende, jährlich aktualisierte Bibliotheksstatistiken haben, ist eine Besonderheit. Viele Länder haben das offenbar nicht. Im DACH-Raum hingegen gibt es schon lange etabliert die deutsche Bibliotheksstatistik, in der die Öffentlichen und Wissenschaftlichen Bibliotheken (inklusive, seit 2008, denen aus Österreich) teilnehmen. (https://www.bibliotheksstatistik.de, https://www.bibliotheksstatistik.at) Die Büchereien / öffentlichen Bibliotheken in Österreich haben eine eigene Bibliotheksstatistik, welche vom Büchereiverband gepflegt wird. (https://www.bvoe.at/oeffentliche_bibliotheken/statistik_und_leistungsdaten) Zuletzt hat die Schweiz nachgezogen: Seit 2011 gibt es eine kontinuierlich mit Daten ausgestattet Bibliotheksstatistik, an der zuerst die Wissenschaftlichen Bibliotheken und die grossen Öffentlichen Bibliotheken (die in Gemeinden über 10.000 Einwohner*innen) teilnahmen. Dann wurde sie Schritt für Schritt ausgebaut und seit 2021 (also mit den Daten ab 2020) ist sie eine «Vollerhebung». Einzig für das Fürstentum Liechtenstein scheint es keine solche Statistik zu geben. (Das dortige «Amt für Statistik» hat leider noch nicht geantwortet, vielleicht wissen die mehr.) Es wäre als nicht falsch zu denken, dass das normal ist, das solche Statistiken gesammelt werden. Zumal es eine eigene ISO-Norm (International Organization for Standardization 2013) für Bibliotheksstatistiken gibt (auch wenn die in der Überarbeitung hinterherhinkt).

Aber – das stimmt offenbar nicht. Es ist nicht einfach, einen Überblick zu gewinnen. Bislang scheint es keine Sammlung der nationalen Bibliotheksstatistiken zu geben. Es gibt bei der IFLA eine «Statistics and Evaluation Section» (https://www.ifla.org/units/statistics-and-evaluation/), die Projekte hat und Verlautbarungen dazu erlässt, wie wichtig Open Library Data wäre – aber auch keine solche Sammlung betreibt.

  • Man hat meiner Erfahrung nach beim Recherchieren auch immer das Gefühl, dass man in den verschiedenen Ländern nur nicht an den richtigen Orten oder bei den falschen Organisationen schaut. Und / oder das man mal wieder zu wenig von der jeweiligen Sprache versteht, die im jeweiligen Land gesprochen wird. Aber ich habe, bevor ich es aufgegeben habe, erst in Liechtenstein gesucht und nichts gefunden (die Daten sind auch nicht, wie man vermuten könnte, in der schweizerisches Statistik enthalten).
  • Dann in Irland (weil die Daten gut mit denen aus Grossbritannien hätten verglichen werden können – als Land mit einer ähnlichen bibliothekarischen Tradition, der gleichen Hauptsprache, ähnlicher Gesellschaft und so weiter) – aber da scheint es nur von Zeit zu Zeit Erhebungen zu geben, nicht jährlich und nicht immer mit den gleichen Variablen. Die letzten Daten scheinen zu Jahr 2017 veröffentlicht, annual reports gab es von 2002 bis 2011 (https://www.askaboutireland.ie/libraries/public-libraries/publications/public-library-statistics/).
  • In Frankreich scheinen die Bibliotheksstatistiken zumindest nicht regelmässig berichtet, sondern von Zeit zu Zeit vom Minstère de la Culture in Zusammenfassung publiziert zu werden. (Ich weigere mich ein wenig zu glauben, dass gerade im zentralisierten Frankreich nicht regelmässig solche Zahlen erhoben werden, in einer möglichst komplizierten Weise – das würde meinem Bild von Frankreich vollkommen widersprechen.) Wenn, dann passieren solche Publikationen offenbar oft im Zusammenhang mit Themen wie Literatur, Lesen, Kampf gegen Analphabetismus im Allgemeinen. (Z.B. Ministère de la Culture 2021) Die Einrichtung, welche die Daten dann zu liefern scheint, ist auch das Observatoire de la Lecture Publique, das auch zum Beispiel Daten zu Buchhandlungen oder Verlagen publiziert.
  • In Luxemburg bin ich gar nicht fündig geworden (ich spreche kein Luxemburgisch, dachte aber, dass ich in Deutsch oder Französisch etwas finden würde).
  • Dann habe ich aufgeben, aber ich glaube nicht, dass ich zufällig die paar Länder ausgesucht habe, die keine Bibliotheksstatistik haben, sondern das das symptomatisch ist.
  • In Fundfamentals of Planning and Assessment for Libraries schreiben Rachel A. Fleming-May und Regina Mays dann auch zum Beispiel explizit – das ist mir gerade untergekommen –, dass es auch in den USA keine solche Statistik für alle Bibliotheken gibt, sondern nur solche, die von einigen Verbänden über die jeweils eigenen Mitgliedsbibliotheken erhoben werden.
  • Und es gibt eine «Library Map of the World», die einmal von der IFLA erstellt wurde – als es dafür Mittel der Gates Foundation gab, die Bibliotheken unterstützen wollte – und die offenbar weiter betrieben wird (https://librarymap.ifla.org/map). Wenn man aber die in, offen vorliegenden, Daten schaut, merkt man auch schnell, dass (a) für viele Länder des globalen Südens gar keine Daten vorliegen und (b) die Daten, die vorliegen, oft Jahre alt sind (Peru zum Beispiel von 2008 und Italien von 2010). Andere Daten sind erst dieses Jahr aktualisiert worden. Insoweit – es gibt offenbar auch anderswo kontinuierlich geführte Bibliotheksstatistiken (irgendwo müssen die Daten für diese Map ja herkommen), aber nicht viele.

Das erklärt wohl aber, warum im britischen Text nicht mit Daten aus der nationalen Bibliotheksstatistik gearbeitet wurde – weil sie nicht so einfach verfügbar ist, falls es sie überhaupt gibt.

Inhalt und Governance Bibliotheksstatistiken DACH-Raum

Ob es nationale Bibliotheksstatistiken gibt und wie ihre Daten berichtet werden, ist also offenbar das Ergebnis von politischen Entscheidungen, die dazu führen, ob und wenn ja welche Infrastrukturen für diese Statistiken aufgebaut werden. Wie gesagt: Beim Beispiel Frankreich kann ich mir gut vorstellen, dass es sehr wohl in Paris eine Stelle gibt, an die alle Bibliotheken nach einem vorgegeben Plan jährlich Daten abzuliefern haben (aber – Frankreich – bestimmt nicht direkt und unkompliziert, sondern in mehreren Runden, die durch verschiedene Bürokratien gehen und zwar nur zu vorgeschriebenen Tagen oder so; und nur nicht in der Mittagspause), aber das es die politische Entscheidung gibt, diese nicht jährlich oder gar offen zu publizieren. Das gleiche gilt auch für die Variablen, die überhaupt abgefragt werden, und die Definitionen derselben. Die sind bei Weitem nicht gleich, trotz der ISO-Norm. Und auch, ob Bibliotheken diese Daten liefern und wenn ja, wie genau und wie sehr an den Definitionen orientiert, scheint das Ergebnis von politischen Entscheidungen in den Bibliotheken zu sein. (Und vielleicht, zum Teil, auch der Kapazitäten – die aber ja auch Ergebnis von Entscheidungen sind, wofür Ressourcen genutzt werden.)

Schauen wir uns aber einmal an, was nach all diesen politischen Entscheidungen, die irgendwann einmal getroffen wurden, in den Bibliotheksstatistiken im DACH-Raum steht und wie die Governance hinter diesen ist.

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Zuerst zur Governance. Es fällt schnell auf, dass jede der drei Statistiken eine andere Struktur – also wer sammelt die Daten, wie werden sie aufbereitet, wie werden sie angeboten – hinter sich hat. Das sieht man in der folgenden Tabelle.


Deutsche BibliotheksstatistikBibliotheksstatistik ÖsterreichSchweizerische Bibliotheksstatistik
Betreibende EinrichtungDBS-Redaktion c/o Hochschulbibliothekszentrum des Landes Nordrhein-Westfalen (HBZ) (plus ÖBS-Redaktion für die österreichischen Wissenschaftlichen Bibliotheken)Büchereiverband ÖsterreichBundesamt für Statistik (in Zusammenarbeit mit der Kommission Statistik von bibliosuisse)
Erhebung der DatenEingabe durch Bibliotheken, https://service-wiki.hbz-nrw.de/display/DBS/Online-EingabeEingabe durch Bibliotheken, https://jahresmeldung.bvoe.atEingabe durch Bibliotheken, https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/kultur-medien-informationsgesellschaft-sport/erhebungen/chbs.html
Publikationshäufigkeitjährlichjährlichjährlich
Aufbereitung der DatenFrei zugängliche Datenbank, inklusive Variabler Auswahl.Keine Veröffentlichung aller Daten, sondern jährlich erscheinende Artikel (in der Zeitschrift Büchereiperspektiven) sowie Zusammenfassungen (auf der Homepage).Daten als Excel-Tabellen, frei zugänglich. Einzelne Auswertung der Daten als weitere Tabellen.
Zugang zu den DatenDaten stehen frei zur Verfügung. (Man kann aber, so meine Erfahrung, den Server überlasten, wenn man zu viele Daten auf einmal abfragt.)Daten werden auf Anfrage zur Verfügung gestellt. (Nach meiner Erfahrung problemlos.)Daten stehen frei zur Verfügung, die Daten vor 2020 müssen aber (aktuell) gesondert gesucht werden.
LizenzKeine AngabeKeine AngabeKeine Angabe (aber vom Staat erhobene Daten)
Homepagehttps://www.bibliotheksstatistik.de, http://www.bibliotheksstatistik.athttps://www.bvoe.at/oeffentliche_bibliotheken/statistik_und_leistungsdatenhttps://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/kultur-medien-informationsgesellschaft-sport/kultur/bibliotheken.html, https://bibliosuisse.ch/%C3%9Cber-uns/Kommissionen/Statistik

Man sieht schnell Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede. Zuerst sind es sehr unterschiedliche Einrichtungen, die die Daten sammeln. Das HBZ handelt im Auftrag der Kultusministerkonferenz – also der Bildungsministerien der deutschen Bundesländer –, aber als bibliothekarische Infrastruktur. Der Büchereiverband Österreich hat, so scheint es zumindest, den Auftrag vom Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlicher Dienst und Sport (zumindest ist dieses immer mit wieder auf den Publikationen mit genannt). Das Amt für Statistik in Bern handelt offenbar als Teil des eigenen Auftrags zur Pflege von nationalen Statistiken. Insoweit ist irgendwie immer der Staat als Akteur im Hintergrund dabei – aber immer auch in einer anderen, jeweils den nationalen Strukturen entsprechenden Weise (siehe zum Beispiel die nicht klar definierte, aber irgendwie funktionierende Einbeziehung einer Kommission des Bibliotheksverbandes in der Schweiz in die staatliche Aufgabe der Datensammlung).

Gemeinsam ist allen drei Statistiken, dass sie jährlich erhoben werden, indem Bibliotheken selber die jeweils eigenen Daten elektronisch erfassen und dass sie auch wieder jährlich publiziert werden. Wie sie publiziert werden, ist unterschiedlich (und wird auch immer wieder einmal verändert – aber bleiben wir beim heutigen Stand): Die Daten für die deutschen und schweizerischen Bibliotheken sowie die österreichischen Wissenschaftlichen Bibliotheken stehen frei zur Verfügung, die für die österreichischen Büchereien muss man anfragen (was aber funktioniert). Die schweizerischen Daten kriegt man in einer Excel-Datei mit Datenblättern pro Jahr, bei den deutschen kann man mehr wählen. (Die österreichischen kommen auch als Excel-Datei, aber vielleicht kann man auch andere Formate erbitten.) Dafür werden die Büchereien in Österreich regelmässig in der betreffenden Zeitschrift über die Daten informiert, was in Deutschland und der Schweiz so nicht passiert. Auffällig ist auch, dass alle diese Daten ohne Lizenzangabe veröffentlicht werden. Man kann mehr oder minder hoffen, dass man sie frei für weitere Auswertungen nutzen kann – in Österreich werden Bibliotheken sogar direkt auf der Homepage aufgefordert, dies für Leistungsvergleiche zu tun. Denn immerhin werden die Daten zur Verfügung gestellt und entweder direkt von einer staatlichen Stelle oder aber im Auftrag des Staates gesammelt – sollten also eigentlich «öffentliche Daten» sein. Aber in Zeiten, in denen Wissenschaftliche Bibliotheken auf Forschungsdatenmanagement als Thema setzen und dann immer wieder betonen, wie wichtig offene Lizenzen sind, ist es auffällig, dass gerade bei diesen Statistiken keine Lizenzen genannt werden.

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Was steht nun in den Daten? Wie vertrauenswürdig sind sie?

Für alle Statistiken existieren Definitionen, die alle spätestens bei der Eingabe angezeigt werden (aber es gibt immer auch Dokumente, in denen sie niedergelegt sind). Diese folgen nicht immer dem ISO-Standard – die für die deutschen und österreichischen Wissenschaftlichen Bibliotheken erheben diesen Anspruch schon, aber die anderen nicht. Die schweizerischen Definitionen wurden zum Beispiel für die Daten 2020 – als dann auch die erste «Vollerhebung» durchgeführt wurde – verändert. Und wenn man die Variablen, die für die drei Statistiken abgefragt werden, nebeneinander legt, merkt man auch, dass sie sich schon im Umfang unterscheiden – in Deutschland wird viel mehr abgefragt, als in den beiden anderen Ländern. In der Schweiz werden zum Beispiel Lizenzkosten gesondert abgefragt, in Österreich nicht. Zu 100% lassen sich die Daten also nicht vergleichen, zumindest nicht für alle Werte.

Folgen die Bibliotheken alle diesen Definitionen? Geben sie alle jährlich Daten ab?

Das ist nicht mit einem klaren Ja oder Nein zu beantworten. Schaut man in die Daten selber, fällt immer wieder auf, dass nicht alle Bibliotheken alle Werte ausfüllen und das eine Anzahl der Werte nicht immer überzeugend sind. Das hat bestimmt unterschiedliche Gründe, aber es gibt Tendenzen. Je kleiner eine Bibliothek ist, umso eher scheinen Daten zu fehlen – manchmal alle Daten, manchmal einige. Bei letzteren kann es immer gut sein, dass eine Bibliothek einfach gar keine Angaben machen kann. Wenn Sie zum Beispiel keine Lizenzen hat, sollte sie das Feld zu Lizenzkosten leer lassen – oder, je nach Definition, wenn sie anteilig von einer Lizenz profitiert, die zum Beispiel der Kanton oder eine andere Einrichtung übernimmt (hier kann man an die Onleihe) denken, dann sollte hier zumindest in der schweizerischen Statistik der Wert für diesen Anteil eingetragen sein. Wissen von dieser Regelung alle Bibliotheken? Es scheint nicht so. Es finden sich doch auch eine ganze Anzahl, die «0» eintragen (was heissen würde, dass die Lizenzen haben oder von solche profitieren, aber diese nichts kosten).

Es gibt aber auch das Phänomen, dass in grösseren Bibliotheken die Daten für einige Jahre fehlen oder weniger werden. Warum das so ist, müssten man tiefergehend untersuchen. Aber mir ist aufgefallen, dass man in einer ganzen Anzahl von Fällen einen Zusammenhang mit mehr oder minder bekannten internen Krisen herstellen kann – grössere Bibliotheken, die einige Jahre lang keine (vollständigen) Daten an die Bibliotheksstatistik lieferten, sind auch offenbar oft die Bibliotheken, die zu dieser Zeit Probleme damit hatten, Leitungspositionen zu besetzen.

Und dann fällt auf, dass eine ganzen Anzahl von Bibliotheken keine genauen Angaben macht, sondern eher Schätzwerte zu liefern scheint. Das wird wohl vor allem daran liegen, dass die genauen Daten gar nicht vorliegen. Aber man findet nicht selten Angaben mit «runden Zahlen» (also Mehrfache von 10 oder 100), die sich dann auch oft über Jahre nicht verändern: Bibliotheken, die immer wieder genau 500 Veranstaltungen pro Jahr haben oder 7000 Medieneinheiten. Sicherlich kann das auch das Ergebnis guter Planungen sein – oder wahrscheinlich ist eher, dass es ungefähre Angaben sind.

Gleichzeitig aber sind alle Statistiken jetzt darauf ausgerichtet, auch wirklich alle Bibliotheken in den jeweiligen Ländern zu umfassen. Wie gesagt – in der Schweiz war man da etwas langsamer. Erst hat man die Wissenschaftlichen Bibliotheken integriert (was auch nicht so einfach ist, weil die Bibliothekssysteme einiger, historisch gewachsener Universitäten… barock sind, im Gegensatz zu den recht neuen Fachhochschulen und Pädagogischen Hochschulen), dann die Öffentlichen Bibliotheken der grossen Gemeinden. Und dann, nach und nach, die anderen Bibliotheken einzelner Kantone, bis es dann 2021 theoretisch alle Bibliotheken sind, die erfasst werden. Aber stimmt das? Sind es wirklich alle Bibliotheken? Gibt es nicht vielleicht in ganz kleinen Gemeinden ganz weit auf dem Land, Bibliotheken, die nicht dabei sind? Oder in grossen Schulen Bibliotheken, die auch für das Quartier / den Kiez da sind, aber nicht in der Statistik auftauchen? Oder neue Bibliotheken in staatlichen Einrichtungen, die eine Filiale in «abgelegenen Regionen» gerade ausbauten, die bislang nicht für die Statistik gemeldet wurden? Vielleicht – das kann immer sein. Eine hundertprozentige Abdeckung ist wohl nie zu erreichen (zumal Bibliotheken, die von privater Hand finanziert werden, weil sie beispielsweise in Firmen oder Klöstern angesiedelt sind, nicht in diesen Statistiken enthalten sind – mit Ausnahmen, immer und immer wieder mit neuen Ausnahmen). Aber grundsätzlich möglichst viele und vor allem die grossen Bibliotheken, die für die Öffentlichkeit zugänglich sind – die finden sich schon in diesen Statistiken.

Weiter oben hatte ich gesagt, dass die Kontinuität, mit der im DACH-Raum Daten für Bibliotheksstatistiken erhoben werden, eine ihre Besonderheiten darstellen. Man muss dies aber eingrenzen: Für die gesamten Statistiken gilt das, für alle Bibliotheken gilt das nicht. Aber auch hier für die meisten die meiste Zeit.

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Insoweit muss man die Daten jeweils vorsichtig interpretieren: Sie sind Annäherungen an die Realität. Aber wenn man zum Beispiel aus einer der Statistiken die Zahl der aktiven Nutzer*innen aller Bibliotheken in einem Jahr errechnet und diese dann mit der Zahl der aktiven Nutzer*innen aller Bibliotheken eines anderen Jahres vergleicht, muss man bedenken, dass das immer eine leicht unterschiedliche Anzahl von Bibliotheken sind, die da Daten gemeldet haben. (Wie man das in die jeweilige Auswertung integriert hängt dann wohl davon ab, was man wissen will. In dem Vergleich von Daten 2018 bis 2020, den ich gemacht habe, habe ich jeweils nur Bibliotheken betrachtet, die auch vollständig für diese drei Jahre Daten geliefert haben – R hat dafür die Funktion complete.cases –, aber das wird keine Lösung sein, wenn man zum Beispiel Daten über zehn Jahre hinweg betrachten will. Dann wird man besser mit Durchschnittswerten pro Jahr rechnen.) Wie gesagt: Das ist alles eine viel bessere Datenlage als in anderen Ländern, aber doch niemals eine perfekte.

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Schauen wir nochmal die Variablen an, dann fällt, wie schon gesagt, auf, dass in Deutschland (und Österreich für die Wissenschaftlichen Bibliotheken) die meisten Variablen erhoben werden, in Österreich (für die Büchereien) weniger und in der Schweiz noch weniger. Einige dieser Variablen deuten auf ältere Diskussionen hin. Wenn in der deutschen Statistik explizit gefragt wird, ob eine Öffentliche Bibliothek «Soziale Bibliotheksarbeit» anbietet, dann ist das ein Thema, dass zuletzt Anfang der 1980er Jahre gross diskutiert wurde. Ebenso gibt es in der deutschen Statistik Variablen zu unterschiedlichen Formen von Krankenhausbibliotheken, was vielleicht Anfang der 1990er Jahre das letzte Mal breiter diskutiert wurde. Zudem finden sich zum Beispiel Fragen nach der Anzahl von Vinyl-Platten im Bestand.

Eine andere Anzahl von Variablen findet sich aber in allen drei oder zumindest zwei der Statistiken. Beispiele dafür sind die Zahl der aktiven Nutzer*innen (immer gleich definiert als solche, die mindestens einmal in den letzten zwölf Monaten ein Medium entliehen haben, inklusive elektronischen Medien), die Zahl der Medien, die Zahl der Ausleihen und Angaben zu Etat und Personal (aber beim Personal in unterschiedlichen Ausprägungen und beim Etat selbstverständlich mal in Euro und mal in Franken).

Will mal also Daten über die drei Ländern hinweg vergleichen, geht das für einige Variablen einfach nicht und für andere wieder muss man sie erst «normalisieren», also in ein einheitliches Format bringen. (Letzteres ist aber nicht so schwer, da die Daten jeweils pro Land strukturiert geliefert werden und man solche Transformationen der Daten gut automatisieren kann.)

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Beachtet man das aber, kann man relativ gut und relativ schnell einfache Vergleiche anstellen und Plots zeichnen, wie die drei hier. (Alle mit jeweils allen Daten aller Öffentlichen Bibliotheken, die im jeweiligen Jahr Daten gemeldet haben – die Daten lagen schon bearbeitet aus meinem oben erwähnten Artikel vor, aber die Plots zeichnen dauerte keine drei Stunden und das auch vor allem, weil ich Anfänger mit R bin und die Chance nutzen wollte, mal mit den erweiterten graphischen Möglichkeiten zu spielen. Einfache Plots hätten vielleicht eine viertel Stunde gedauert.) Und selbstverständlich – wer sich darin vertiefen will, kann dann noch mehr, noch genauer, noch theoriegeleiteter vorgehen und beispielsweise Hypothesen über die Entwicklung der Nutzung von Bibliotheken im DACH-Raum testen.

Zur Nutzung

Was mich an Bibliotheksstatistiken immer wieder erstaunt hat und weiter erstaunt, ist, wie wenig sie tatsächlich genutzt zu werden scheinen. Sie kommen in der Lehre, soweit ich das sehe, nicht vor. (Ich bin da selber mit verantwortlich, ich weiss – aber auch zum Beispiel nicht in meiner eigenen Ausbildung.) Auch werden sie fast nie an Orten, an denen man sie erwarten würde, angeführt: Fast nie in Studien, Abschlussarbeiten, Präsentationen oder auch Artikeln. Die einzige wirklich Ausnahme davon scheint der Büchereiverband Österreich zu sein, der – wie schon gesagt –, kontinuierlich Zusammenfassungen für «seine» Bibliotheken publiziert. Ansonsten scheint das immer nur ansatzweise zu passieren, vielleicht gebunden an die Interessen einzelner Personen.

Jetzt, nachdem ich gelernt habe, wie besonders und – im Vergleich mit anderen Ländern – gut die Bibliotheksstatistiken im DACH-Raum sind, erstaunt mich das nur noch mehr.

Man könnte vermuten, dass die Statistiken einfach an anderen Stellen benutzt werden, beispielsweise bei internen strategischen Planungen von Bibliotheken. Maybe. Wie gesagt fordert der Büchereiverband Österreich die öffentlichen Bibliotheken im Land immer wieder dazu auf, die Statistik für Kennzahlenvergleiche zu nutzen. Ähnliches hört man, aber nicht so oft, von Fachstellen und vergleichbaren Einrichtungen. Aber auch dann würde man erwarten, das darüber lauter und öfter berichtet wird. Es wäre doch sinnvoll, wenn Bibliotheken sich darüber austauschen würden, wie diese Daten im Alltag und bei der längerfristigen Planung genutzt werden.

Meine Erfahrung ist aber, dass man bei Nachfragen eher ausweichende Antworten erhält. Oft wird von Kolleg*innen erst behauptet, dass man selbstverständlich auch mit den Daten den Bibliotheksstatistik etwas macht, aber dann auf Nachfrage hin nicht gesagt, was genau.

Es ist ein erstaunliches Thema, immer wieder: Wir haben im DACH-Raum eigentlich so eine gute Datenlage. Nicht perfekt, aber soviel besser als in vielen anderen Regionen. Und wir – sowohl die Bibliothekswissenschaft als auch die Bibliotheken und zum Bibliothekswesen gehörigen Einrichtungen als auch die Ausbildung – wissen nicht so richtig, was damit anfangen.

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Nur ein schnelles Beispiel, wofür man die Daten benutzen kann, ist der nächste Plot, welcher die Kosten pro Ausleihe in den Öffentlichen Bibliotheken 2018-2020 in den drei Ländern vergleicht – also eine recht beliebte Kennzahl für die Effizienz des Bestandsmanagements. Sicherlich: Man könnte hier noch einen Wert für die Preisunterschiede einführen – aber auch so sieht man die Entwicklung: In der Schweiz waren die Bibliotheken 2020 offenbar effizienter als in den Vorjahren, in Österreich nicht ganz so, und in Deutschland noch etwas weniger. Man kann jetzt diskutieren, warum und was man daraus lernen kann und so weiter. Aber: Es ist recht einfach, diese Angaben aus den Daten zu ziehen. Ich habe das mit einem Rechner und etwas Arbeitszeit gemacht. Wir, als «die Bibliotheken, das Bibliothekswesen», sollten das öfter machen.

Wünsche

Wie gesagt habe ich gelernt, dass die Situation bei den Bibliotheksstatistiken im DACH-Raum sehr gut ist, wenn man sie mit anderen Ländern vergleicht. Während meiner Recherche hatte ich auch Kontakt mit Verantwortlichen für alle drei Statistiken und auch da gute Erfahrungen mit schnellen Rückmeldungen gemacht. Und dennoch haben sich ein paar Wünsche ergeben – Dinge, die das Ganze noch einen Ticken besser machen würden.

  • Erstens wäre es gut, wenn die Daten zu den Bibliotheksstatistiken nicht einfach nur verfügbar wären, sondern, wenn sie als Offene Daten mit einer Offenen Lizenz (wegen meiner gerne mit CC BY-NC) ausgestattet wären. Oder, wenn schon nicht offen, dann so, dass klar ist, was man mit denen machen darf und was nicht. Die jetzige «graue» Situation ist nicht mehr wirklich zeitgemäss.
  • Jetzt muss beziehungsweise kann man die Daten relativ einfach herunterladen oder auf Nachfrage erhalten – wie gesagt ist das schon weit besser als anderswo. Aber das Non-plus-Ultra wäre selbstverständlich, wenn es per API direkt aus einer Datenbank abgefragt werden könnte (und, für die Schweiz, wenn in der Datenbank dann auch die «alten» Daten von 2011 bis 2019 enthalten wären). Dann liessen sich Skripte bauen, mit denen man jeweils automatisiert jährlich die Daten abfragen und analysieren könnte. Das wäre eine kleine, aber sichtbare Verbesserung.
  • Für weitere Analysen hilfreich wäre, wenn in allen Bibliotheksstatistiken nicht nur die Namen der Gemeinden / Kommunen verzeichnet wären, in denen die jeweiligen Bibliotheken angesiedelt sind, sondern (a) auch, für welche Gemeinden / Kommunen sie zuständig sind (das ist in der Schweiz zum Beispiel nicht selten, dass eine Bibliothek mehrere Gemeinden versorgt) und (b) diese Gemeinden / Kommunen nicht nur mit Namen, sondern auch mit Postleitzahlen ausgezeichnet würden. Bislang mache ich mir noch einen Kopf, wie man beispielsweise Daten über sozio-ökonomische Zusammenhänge mit denen der Bibliotheksstatistiken verbinden könnte. Die meisten anderen Daten, die auf Gemeinde-/Kommunenebene vorliegen – beispielsweise Grösse der Gemeinden, Steueraufkommen, Ergebnisse von Wahlen und Abstimmung –, sind mit Postleitzahlen ausgezeichnet. Wären es die der Bibliotheksstatistik auch, könnte man sie einfacher verbinden. (Auch hier gibt es in R einen Standardbefehl.) Und wer will nicht wissen, ob die Bibliotheken in sozio-ökonomisch herausfordernderen Kommunen mehr Nutzer*innen erreichen als in anderen (nur als Beispiel was dann einfach möglich wäre)?
  • Grundsätzlich sollten – das habe ich jetzt auch schon angedeutet – die Daten, die wir schon haben, mehr und offener (also sichtbarer) genutzt werden. Es ist einfach erstaunlich, wie viel Arbeit Jahr für Jahr in die Daten hineingesteckt wird, im Vergleich dazu, wie wenig damit später offenbar gemacht wird.
  • Über die Bibliotheksstatistiken im DACH-Raum hinaus fände ich es interessant, mehr darüber zu erfahren, wie es in anderen Ländern gehandhabt wird – und jeweils wieso. Die Karte der IFLA vermittelt kein richtig befriedigendes Bild, auch die Section zu Bibliotheksstatistiken in der IFLA ist bestimmt so engagiert, wie es geht – aber auch nicht wirklich hilfreich, wenn es um solche Fragen geht. Aber mich würde schon interessieren, warum der DACH-Raum so gut aufgestellt ist und andere nicht.

Literatur

Fleming-May, Rachel A. ; Mays, Regina (2021). Fundamentals of Planning and Assessment for Libraries. (ALA Fundamentals Series) Chicago : Neal-Schuman, 2021

International Organization for Standardization (2013). ISO 2789:2013 Information and documentation — International library statistics. Vernier: ISO, 2013

McMenemy, David ; Robinson, Elaine ; Ruthven, Ian (2022). The Impact of COVID-19 Lockdowns on Public Libraries in the UK: Findings from a National Study. In: Public Library Quarterly (Latest Articles), https://doi.org/10.1080/01616846.2022.2058860

Ministère de la Culture (2021). Bibliothèques municipals et intercommunales: Données dʹactivités 2017. Paris cedex: Ministère de la Culture, 2021, https://www.culture.gouv.fr/Thematiques/Livre-et-lecture/Les-bibliotheques-publiques/Observatoire-de-la-lecture-publique/Syntheses-annuelles/Synthese-des-donnees-d-activite-des-bibliotheques-municipales-et-intercommunales/Synthese-nationale-des-donnees-d-activite-2017-des-bibliotheques-municipales-et-intercommunales-editee-en-2021-par-le-Ministere-de-la-Culture

Schulbibliotheken in der Bibliotheksstatistik – Wird die Realität in den Schulen pfadabhängig übergangen?

Letztens bin ich fast vom Stuhl gefallen, als eine Nachricht des Deutschen Bibliotheksverbandes über die üblichen Kanäle verbreitet wurde. Die Nachricht: Schulbibliotheken sollen ab demnächst in der Bibliotheksstatistik vertreten sein (https://www.bibliotheksverband.de/dbv/presse/presse-details/archive/2021/january/article/deutsche-bibliotheksstatistik-dbs-erfasst-ab-2021-daten-zu-schulbibliotheken-in-deutschland.html?tx_ttnews%5Bday%5D=15&cHash=84ee7046e7eeef7861ab5ddd1d98e4c6). Das ist so falsch, ich habe erst geglaubt, es wäre ein schlechter Scherz. Aber offenbar ist das ernst gemeint.

Ich möchte hier gerne erklären, warum das keine gute Idee ist. Das Bibliothekswesen in Deutschland ist seit 1970 auf einem falschen Pfad was Schulbibliotheken betrifft.1 Dieser Schritt ist nur ein weiterer auf diesem Pfad, der in den meisten existierenden Schulbibliotheken auch gar nichts verändern wird. Das Erstaunliche ist aber, dass das Bibliothekswesen den immer weiter geht.

Ich habe eine ganze Anzahl von Jahren über Schulbibliotheken in Deutschland geforscht: Angefangen von meiner Magisterarbeit über ein Praxisbuch (nicht alleine geschrieben) bis hin zu einer Langzeitstudie (zehn Jahre) über die Entwicklung der Schulbibliotheken in Berlin. Danach habe ich das Thema aufgegeben, weil alle meine Fragen beantwortet waren. (Und ich zu diesem Zeitpunkt auch gar nicht mehr in Deutschland, sondern der Schweiz arbeitete; aber auch in der Schweiz bin ich vom Thema Schulbibliotheken nicht unberührt geblieben.)

Es war auch nicht so, dass ich je ein engagierter Vertreter von Schulbibliotheken gewesen wäre. Ich habe das Thema für meine Magisterarbeit gewählt, weil ich einigen Abstand zu ihm hatte. Interessiert hat es mich, weil Schulbibliotheken gerade nicht einfach Bibliotheken sind, sondern Einrichtungen, deren Realität in der jeweiligen Schule selber von verschiedenen Personen mit sehr unterschiedlichen Vorstellungen ausgehandelt werden. Bei vielen Personen, die sich sonst mit Schulbibliotheken beschäftigen, ist das anders. Die meisten Studien werden von Personen durchgeführt, die oft stark in Schulbibliotheken engagiert sind. Ebenso werden meisten Projekte von Engagierten aufgesetzt und auch die meisten Texte von ihnen geschrieben. Eventuell ist das ein Grund, warum ich einen anderen Blick auf die Entscheidung habe, Schulbibliotheken in den Bibliotheksstatistik aufzunehmen als andere, die diese Meldung begeistert retweetet haben. Mir interessiert die Geschichte, die Denkweisen über Schulbibliotheken, die Realität in Schulbibliotheken und die Strukturen hinter diesen. Aber eine Schulbibliothek gründen oder gar Schulbibliotheken sagen, wie sie zu sein hätten, das wollte ich nie. Das ist bei Engagierten anders (mit gutem Grund, sonst wären sie nicht engagiert).

Und eigentlich wollte ich auch gar nichts mehr zu Schulbibliotheken sagen, aber dieses Presseerklärung hat mich doch so erstaunt, dass ich mich nicht zurückhalten konnte. Es ist eine falsche Entwicklung und das Bibliothekswesen sollte endlich aufhören, immer nur diesen Weg weiterzugehen.

Das Bibliothekswesen will bestimmen, was Schulbibliotheken sind

Das Öffentliche Bibliothekswesen in Deutschland nimmt für sich in Anspruch, über Schulbibliotheken entscheiden und für Schulbibliotheken sprechen zu können. Es nimmt auch für sich in Anspruch, sagen zu können (und zu wissen), wie Schulbibliotheken sein sollten, also wie sie funktionieren sollten, welche Aufgaben sie übernehmen sollten, welche Wirkungen sie haben würden, wenn sie nur so wären, wie das Bibliothekswesen sich das vorstellt. Aber: Das ist schlicht und ergreifend falsch.

Schulbibliotheken sind keine kleinen, spezialisierten Öffentlichen Bibliotheken. Sie sind nicht Teil des Bibliothekswesens. Die Vorstellungen darüber, wie Schulbibliotheken sein sollen und welche Wirkungen sie haben sollen, die im Bibliothekswesen verbreitet werden, sind weder alternativlos – es gibt immer auch andere Vorstellungen, die in der Praxis in den konkreten Schulen oft eine viel grössere Bedeutung haben als die aus dem Bibliothekswesen – noch sind sie irgendwie besser begründet (oder gar mit empirischen Daten untermauert) als die anderen Vorstellungen. Und dennoch wird im Bibliothekswesen so gehandelt, als wären die Öffentlichen Bibliotheken die Leiteinrichtung für Schulbibliotheken.

Die reale Situation

Wie sieht die reale Situation aus? (Hier verweise ich gerne darauf: Während meiner «aktiven Jahre» zu diesem Thema war ich in ungezählten Schulbibliotheken in Deutschland, habe viele Interviews geführt – die ersten für meine Magisterarbeit – und habe Daten gesammelt, vor allem für meine Langzeitstudie in Berlin. Das Folgende sind also nicht reine Behauptung. Und auch, wenn ich vor einigen Jahren damit aufgehört habe und sich seitdem bestimmt einiges geändert hat: Soviel wird es nicht sein.)

  1. Schulbibliotheken sind deshalb interessante Einrichtungen, weil sie aus Aktionen verschiedener Stakeholder (in Mangel eines besseres Wortes) entstehen. Die wichtigsten sind dabei die Schulen selber, welche Schulbibliotheken unterhalten und in diesen die Personen, die konkret die Schulbibliothek betreiben sowie die Schulleitungen. Wie die sich vorstellen, was die Aufgabe einer Schulbibliothek ist, prägt am meisten, wie die Schulbibliothek dann tatsächlich aussieht. Und das ist in den Schulen sehr, sehr unterschiedlich.2 Oft, aber nicht so oft, wie man vielleicht vermuten würde, sind es Lehrpersonen, die für die Schulbibliotheken zuständig sind. Werden Schulbibliotheken von Ehrenamtlichen (oder manchmal auch geringfügig Beschäftigten) betrieben, sind auch diese Stakeholder, was vor allem dann relevant ist, wenn ihre Vorstellungen nicht – wie bei Lehrpersonen – durch pädagogische Ausbildungen geprägt sind. Da viele Schulbibliotheken von Schulvereinen unterstützt werden, sind auch die Eltern und anderen Engagierten in diesen Vereinen, Stakeholder. Wichtig sind oft, aber nicht immer, die anderen Lehrpersonen einer Schule – es gibt Schulbibliotheken, die so abgetrennt vom Unterricht existieren, dass es egal ist, was die anderen Lehrpersonen denken und solche, die sehr in den Unterricht integriert sind und in denen es dann relevant ist, was diese Lehrpersonen denken. Ob die Schüler*innen selber Stakeholder sind, ist von Fall zu Fall unterschiedlich. In konkreten Schulbibliotheken ist auffällig, dass einige explizit Schüler*innen einbinden (einige Schulbibliotheken werden sogar ganz von Schüler*innen betrieben), andere aber direkt über sie hinweg entscheiden.
  2. Öffentliche Bibliotheken und das Bibliothekswesen im Allgemeinen sind nur der geringste unter diesen Stakeholdern. Um sicherzugehen: Es gibt Schulbibliotheken, die sind als Zweigstellen Teil Öffentlicher Bibliotheken. Es gibt Städte und Gemeinden, in denen Öffentliche Bibliotheken unterschiedliche Infrastrukturen aufgebaut haben, um mit Schulen zusammen Schulbibliotheken zu betreiben oder Schulen beim Betrieb ihrer Bibliotheken zu unterstützen. Für all das gibt es Beispiele. Aber das sind alles Ausnahmen. Und zwar nicht erst seit Öffentliche Bibliotheken durch Sparmassnahmen seit den 1980ern Zweigstellen in Schulen, die einmal (seit den 1970ern) eingerichtet wurden, wieder schlossen, sondern schon weit davor. Die ganze Zeit über waren die Schulbibliotheken, die von Öffentlichen Bibliotheken oder mit Hilfe Öffentlichen Bibliotheken betrieben wurde, viel weniger als die Schulbibliotheken, die anders und ohne Kontakt mit den Öffentlichen Bibliotheken betrieben wurden. Lokal ist das manchmal anders (wie gesagt: Es gibt Städte, wo in allen Schulen eine Zweigstelle der Öffentlichen Bibliothek zu finden ist oder gut ausfinanzierte und aktive «Schulbibliothekarische Arbeitsstellen»), aber alle breiteren Datensammlungen, die seit den 1970ern durchgeführt wurden, zeigen das gleiche: Die Schulbibliotheken mit irgendeinem feststellbaren Kontakt zu Öffentlichen Bibliotheken sind immer in der krassen Minderzahl.
  3. In vielen Schulbibliotheken interessiert sich deshalb niemand dafür, was für Vorstellungen von Schulbibliotheken (oder anderen Bibliotheken) im Bibliothekswesen vertreten werden. Oft denkt niemand überhaupt daran, dass das Öffentliche Bibliothekswesen überhaupt solche Vorstellungen haben könnte. Vielmehr gibt es immer unterschiedliche andere Vorstellungen in den Schulen. Ich habe einmal fünf unterschiedliche Modelle von Schulbibliotheken aufgestellt, die ich in Berlin real vorgefunden habe (also nicht theoretisch formuliert, sondern aus den Daten, die ich gesammelt hatte, herausgezogen), aber es gibt weitere. Aber auch dabei war auffällig: Die Idee, eine Schulbibliothek müsste wie eine kleine Öffentliche Bibliothek funktionieren, war eine Randerscheinung. Die meisten Schulbibliotheken wollten Orte sein, wo Schüler*innen in Ruhe – oft abgetrennt vom anderen Schulalltag – lesen konnten und auf der Basis dieser Vorstellung waren sie auch aufgebaut. Gerade kein Unterrichtsraum, kein Katalog (auch weil es vor allem um Belletristik ging, die nicht tief erschlossen wurde), kein Ort für Hausaufgaben, sondern Platz, um sich anders zu fühlen als in der restlichen Schule. Was man in Interviews mit den Aktiven in solchen Schulbibliotheken oft feststellt, ist, dass sie ihre Bibliothek auch als eine Einrichtung sehen, die ganz andere Aufgaben hat als eine Öffentliche Bibliothek. Und vor allem, dass die Engagierten vor Ort ihre Bibliothek, so wie sie ist, gut finden. Nicht zuletzt sind auch fast alle diese unterschiedlichen Schulbibliotheken recht gut benutzt – es kann also so falsch nicht sein, was sie machen.
  4. Aber selbst in den Schulbibliotheken, die eine Zusammenarbeit mit Öffentlichen Bibliotheken betreiben, bringen immer andere Vorstellungen ein. Sie sehen immer wieder anders aus und haben andere Aufgaben, selbst in Städten, in denen eine starke Schulbibliothekarische Arbeitsstelle existiert und Beratungen anbietet. Auch dort finden sich viele Schulbibliotheken, die sehr an Leseförderung und «ausserschulischen Räumen in der Schule» interessiert sind und andere, die sich als Ort für das selbstständige Lernen der Schüler*innen verstehen. Es ist einfach nie so einheitlich, wie das im Bibliothekswesen typisch ist, wo trotz aller konkreten Unterschiede ähnliche, durch die berufliche Sozialisation erworbene, Vorstellungen davon, was eine Öffentliche Bibliothek für Aufgaben hat und wie sie organisiert sein soll, die Arbeit in den unterschiedlichen Bibliotheken vorgeben.
  5. Auffällig ist auch, dass sich die meisten Schulbibliotheken als Teil ihrer Schule verstehen und auch versuchen, im Rahmen ihrer Schule zu funktionieren. Nur wenige schauen über diesen Bezugsrahmen hinaus, nur wenige organisieren sich mit anderen Schulbibliotheken (und dann bezeichnenderweise oft in «Landesarbeitsgemeinschaften» von Schulbibliotheken, die weder Teil bibliothekarischer noch pädagogischer Verbände sind). Immer wieder gibt es Engagierte, die ein Zusammengehen von Schulbibliotheken anstossen wollen, aber immer wieder stossen diese auch auf Probleme, andere zu diesem Zusammengehen zu motivieren. Die meisten Schulbibliotheken funktionieren gut in ihrer Schule und versuchen gar nicht erst, darüber hinaus zu gehen. Somit bildet sich auch kein gemeinsames Verständnis davon aus, wie solche Einrichtungen funktionieren sollten.
  6. In konkreten Schulbibliotheken – die als solche, um das nochmal zu sagen, in ihrer Schule immer wieder gut und oft auch über längere Zeiträume funktionieren – finden sich auch immer wieder explizite Unterschiede zu Öffentlichen Bibliotheken. Einige Beispiele:
    1. Öffentliche Bibliotheken streben einen inhaltlich breiten Bestand an, da sie auch für unterschiedliche Funktionen genutzt werden wollen. In vielen Schulbibliotheken ist eine inhaltliche Breite (oder eine Breite von Medienformen) gar nicht gewünscht. Das ist auch logisch: Wenn die Aufgabe die Leseförderung ist (nur als Beispiel) ist ein weitergehender Sachbuchbestand nicht nötig.
    2. Öffentliche Bibliotheken, insbesondere wenn sie Zweigbibliotheken in Schulen betreiben, betonen gerne die Funktion, dass sie den Unterricht, Hausaufgaben und das selbstständige Lernen von Schüler*innen unterstützen. In einigen Schulbibliotheken wird das auch als wichtige Funktion angesehen und dann beispielsweise der Bestand darauf ausgerichtet oder der Raum so eingerichtet, dass Unterricht und / oder selbstständiges Lernen möglich ist. Aber in vielen (viel mehr) Schulbibliotheken ist das explizit nicht das Ziel. Das ist in jeder Schulbibliothek anders. [Öffentliche Bibliotheken scheinen einfach davon auszugehen, dass die Bibliothek der perfekte Ort für solche Tätigkeiten ist. Aber selbst das ist nicht klar. Schulen haben immer auch andere Orte geschaffen, in denen das möglich ist.]
    3. Oft ist, wie gesagt, liegt Fokus einer Schulbibliothek auf dem Lesen an sich. Und das wird dann auch als ausreichend angesehen. Das muss noch nicht mal heissen, dass andere mögliche Funktionen von Bibliotheken als irrelevant angesehen werden – aber dann halt oft als Aufgabe der jeweiligen Öffentlichen Bibliothek vor Ort, nicht als Aufgabe der Schulbibliothek.
    4. Wirklich auffällig ist, wie die Katalogisierung in Schulbibliotheken gehandhabt wird. Meistens gar nicht. Bibliotheken versuchen auch seit Jahrzehnten immer wieder entweder Schulbibliotheken beizubringen, wie man richtig katalogisiert oder aber Kataloge für Schulbibliotheken – gerne mit Fernleihfunktion von einer Schulbibliothek in die nächste – aufzubauen. Der Katalog steht sehr oft im Mittelpunkt des Denkens des Öffentlichen Bibliothekswesens über Schulbibliotheken. In konkreten Schulbibliotheken ist das ganz anders: Oft gibt es keinen Katalog, sondern der Bestand ist durch Aufstellung erschlossen. Oft ist der Katalog ein reiner Nachweis, der für die Ausleihverbuchung benutzt wird, aber in dem Medien nicht inhaltlich erschlossen sind. (Oft findet sich der eine Rechner in einer solchen Bibliothek mit dem Katalog auf dem Pult der Bibliothekar*in, ohne das die Schüler*innen diesen je selbst für Recherchen benutzen.) Und auch das ist nachvollziehbar: Wenn der Bestand klein ist (einfach so überblickt werden kann) und der Fokus nicht auf die Vermittlung der Medien, warum sollte sich dann jemand die ganze Arbeit machen, einen Katalog à jour zu halten?
    5. In den meisten Schulbibliotheken ist nichts darüber bekannt, was das Öffentliche Bibliothekswesen über Schulbibliotheken denkt und es besteht auch kein Interesse, dass irgendwie zu wissen. Sie sehen sich als Teil der eigenen Schule und sie funktionieren in der Schule. Sie sehen sich nicht als Teil des Bibliothekswesens.

Bibliothekarische Ansprüche

In der oben angeführten Pressemitteilung des dbv, welcher die Eingliederung der Schulbibliotheken in die Bibliotheksstatistik angekündigt, heisst es:

Das Schulbibliothekswesen in Deutschland ist sehr heterogen. So gibt es die Schulbibliothek als Zweigstelle einer Öffentlichen Bibliothek, als Schulbibliotheks-Verbund mit unterschiedlichen organisierenden Institutionen, als kombinierte Öffentliche Bibliothek und Schulbibliothek, oder als selbständige Schulbibliothek, bei der die Schule die Bibliothek eigenständig betreibt.

Auf den ersten Blick scheint es, als würde hier die Vielgestaltigkeit der Schulbibliotheken akzeptiert, aber genau das passiert nicht. Die Passage erscheint so oder so ähnlich seit Jahrzehnten immer wieder, wenn im Bibliothekswesen über Schulbibliotheken berichtet wird und sie vermittelt ein Denken, das falsch ist. Interessant ist, dass es – pfadabhängig – immer und immer wieder reproduziert wird, obwohl es – was noch diskutiert wird – immer und immer wieder scheitert.

Was ist falsch an diesem Zitat? Zuerst geht es von einem «Schulbibliothekswesen» aus. Das gibt es nicht. Die Öffentlichen Bibliotheken in Deutschland arbeiten so eng zusammen, dass man von einem Bibliothekswesen reden kann. In diesem werden Vorstellungen über die Funktion von Bibliotheken geteilt und diskutiert (über den Bibliotheksverband, die Fachpresse, die Konferenzen, die Gremienarbeit, die Ausbildung und so weiter). Die Wissenschaftlichen Bibliotheken in Deutschland arbeiten sogar noch enger zusammen (beispielsweise regelmässig in Projekten) und prägen gemeinsame Vorstellungen aus. Bei ihnen kann man auch gut von einem Bibliothekswesen reden. Schulbibliotheken sind nicht so: Sie arbeiten nicht zusammen. Die meisten Versuche, sie zu organisieren und sie dazu zu bringen, gemeinsame Vorstellungen, Richtlinien und so weiter zu entwickeln, waren seit den 1970er Jahren kurzlebig; meistens blieben sie in der Anfangsphase stecken. (Und selbst die, wie die Landesarbeitsgemeinschaft in Hessen, die lange aktiv blieben, taten dies ausserhalb des Bibliothekswesens.) Schulbibliotheken bilden in Deutschland kein «Schulbibliothekswesen», dass irgendwie gemeinsam handeln würde oder gemeinsame Interessen hätte. Dies zu behaupten, heisst einfach nur, Denken aus dem Öffentlichen Bibliothekswesen auf Schulbibliotheken übertragen zu wollen.

Schlimmer ist aber, was in dem Zitat – und, wie gesagt, seit Jahrzehnten immer wieder neu – als «heterogen» aufgezählt wird. Im Bibliothekswesen werden Schulbibliotheken seit den 1970er Jahren immer wieder in die gleiche Reihenfolge gebracht, die eine Wertigkeit vermittelt:

  1. Zuerst die «richtigen» Bibliotheken, die als Zweigstellen von Öffentlichen Bibliotheken so wie Öffentliche Bibliotheken funktionieren.
  2. Dann die Schulbibliotheken, die zwar von mehreren Einrichtungen betrieben werden, aber die dann – idealtypisch – von Öffentlichen Bibliotheken angeleitet werden. Also Netzwerke, in denen andere Einrichtungen akzeptiert werden – beispielsweise Schulen, die Etat geben und inhaltlich einbringen, welche Medien sie benötigen –, aber die von Öffentlichen Bibliotheken dominiert werden.
  3. Dann die weniger akzeptablen «kombinierten» Schulbibliotheken, wo die jeweiligen Schulen einen grossen Einfluss haben. Nicht in dieser Presseerklärung, aber anderswo oft schon, wird das als Kompromisslösung dargestellt, die eigentlich nur als Übergang zu akzeptieren sei.
  4. Und dann erst die selbstständigen Schulbibliotheken, die gar nicht so richtig als Bibliotheken akzeptiert werden. Deshalb stehen sie immer am Ende dieser Aufzählungen. Gerade in älteren Texten werden sie sogar als Notlösung bezeichnet, die es aufzuheben gälte.

Wie gesagt: Die Reihenfolge ist kein Zufall, sie findet sich immer wieder. Die Realität sieht, wie gesagt, ganz anders aus. Die «selbstständige Schulbibliothek» ist der Normalfall und zwar schon «immer». Sie sind sehr divers, aber im Denken des Bibliothekswesens werden sie immer als eine «Anderes»-Kategorie zusammengefasst, über die nur nicht zu viel nachgedacht wird. In älteren Texten wurde sie auch mit solchen Worten wie «noch» als abzuschaffende Form von Schulbibliotheken bezeichnet, die zu ersetzen sei. Die anderen drei Formen von Schulbibliotheken sind die Ausnahme. Aber das bibliothekarische Denken zu Schulbibliotheken beschäftigt sich eigentlich nur mit diesen drei Formen. Als richtige Schulbibliothek wird immer nur die Bibliothek angesehen, die direkt in das Öffentliche Bibliothekswesen eingebunden ist. Je mehr sie davon entfernt scheint – wenn beispielsweise die Schulen ein grosses eigenes Mitspracherecht nutzen –, je weniger wird sie akzeptiert. Es ist ein absonderlicher Blick, bei dem sich im Bibliothekswesen das Recht und das Wissen zugesprochen wird, über Schulbibliotheken entscheiden zu dürfen und zu können und gleichzeitig den anderen Stakeholdern dieses Wissen und Recht tendenziell abgesprochen wird.

Das erstaunliche ist, dass dies seit 1970 immer wieder passiert und auch Projekte, wie jetzt die Eingliederung von Schulbibliotheken in die Bibliotheksstatistik, leitet, die immer wieder scheitern. So, als gäbe es keinen Lerneffekt, sondern immer nur diesen einen Pfad, den das Bibliothekswesen immer weiter geht.

Erfahrungen

Das alles ist nicht erst seit Gestern so, sondern schon lange Jahrzehnte. Und seit langen Jahrzehnten gibt es auch Versuche von Seiten des Bibliothekswesens, das zu ändern. Viele sind schon wieder vergessen worden, aber man sollte nicht denken, dass nicht schon alles mögliche versucht wurde. Einige Beispiele:

  • Am Deutschen Bibliotheksinstitut gab es eine Arbeitsgruppe zu Schulbibliotheken, die – übernommen aus einem Vorgängerprojekt – bis 2000 sogar eine eigene Zeitschrift schulbibliothek aktuell publizierte.
  • In verschiedenen Projekten wurden Schulbibliotheken mit Hilfe von Öffentlichen Bibliotheken eingerichtet, komplett mit Weiterbildungen für Lehrkräfte, die lernen sollten, wie die Bibliothek zu managen und wie sie zu nutzen seien.
  • Es wurden immer wieder neue Broschüren darüber aufgelegt, wozu Schulbibliotheken genutzt werden können. Mindestens ein Lehrfilm wurde gedreht (aber er scheint verschollen).
  • Es wurden «Lehrbriefe Schulbibliothek» herausgegeben, die im Selbststudium und in Lehrgängen genutzt werden sollten, um Schulbibliothekspersonal auszubilden.
  • Immer wieder wurden politische Vorstösse unternommen, um in Schulen gut ausgestattete Bibliotheken einzurichten. Und nicht erfolglos: Gerade in Schulen, die für irgendwelche Reformen gegründet wurden, wurden diese auch tatsächlich eingerichtet. Und dann meistens wieder irgendwann geschlossen.3 Einen «Leuchtturmeffekt», der sich oft davon erhofft wurde, scheint nirgends eingetreten zu sein.
  • Ungezählt sind auch die Zweigstellen von Öffentlichen Bibliotheken, die tatsächlich irgendwann einmal in den letzten Jahrzehnten in deutschen Schulen eingerichtet, dann aber auch wieder geschlossen wurden. Niemand hat die gezählt, aber es ist wirklich nicht ungewöhnlich, in eine Schule zu kommen, in der eine Lehrkraft eine Schulbibliothek betreibt, die irgendwann mal Zweigstelle war, aber jetzt mit anderen Zielen geführt wird.4 Es würde mich nicht wundern, wenn es heute mehr solcher ehemaligen Zweigstellen gibt als aktive Zweigstellen von Öffentlichen Bibliotheken in Schulen.
  • Es ist auch ganz normal, dass Schulbibliotheken zu Schwerpunkten in solchen bibliothekarischen Zeitschriften wie der BuB werden (in zwei Monaten ist das nächste solcher Hefte angekündigt). Es gäbe also eine Ort, wo sich über die Fortentwicklung von Schulbibliotheken Gedanken gemacht werden könnte, aber immer wieder im Bibliothekswesen, nicht im Schulwesen.
  • Auch endlos oft wurden in Öffentlichen Bibliotheken Schulbibliothekarische Arbeitsstellen oder ähnliche Institutionen eingerichtet oder angedacht, solche einzurichten. Die Hinweise darauf sind verstreut, aber es ist nicht ungewöhnlich, beispielsweise in Bibliotheksentwicklungsplänen oder -strategien von solchen Plänen (die dann oft nicht umgesetzt wurden) zu lesen. Was genau diese tun sollten oder sollen ist (wieder) sehr unterschiedlich. Viel öfter aber sind sie, wenn sie je eingerichtet wurden, heute auch schon wieder geschlossen (und oft vergessen) als das sie weiterbestehen.
  • Auch unzählbar sind die Versuche, Personen, die mit Schulbibliotheken zu tun haben, irgendwie zusammenzubringen, ob jetzt unter dem Dach von Öffentlichen Bibliotheken und Schulbibliothekarischen Arbeitsstellen oder anderswie. Viele diese Versuche haben bestimmt keine sichtbaren Spuren in Dokumenten oder Artikeln hinterlassen. Aber die, es taten, sind über Jahrzehnte verstreut. (Auffällig ist aber, dass die, die über einen längerem Zeitraum bestanden haben, das oft gerade nicht in Verbindung mit dem Öffentlichen Bibliothekswesen taten.)
  • Vollkommen unüberblickbar sind die Abschluss- und Studienarbeiten zum Thema, die an bibliothekarischen Ausbildungsstellen geschrieben wurden, oft mit dem Ziel, zu klären, wie eine gute Schulbibliothek aussehen soll. Hinzu kommen zahllose Seminare im Studium, die manchmal über das Studium hinaus wirkten.

All das ist ohne grössere Probleme zu recherchieren. Die meisten Dokumente dazu liegen mehrfach in Bibliotheken, beispielsweise die gesamte schulbibliothek aktuell. Als Start dieser Entwicklung ist das Jahr 1970 zu nennen, als das Buch «Die moderne Schulbibliothek: Bestandsaufnahme und Modell ; Untersuchung zur Situation der Schulbibliotheksverhältnisse in der Bundesrepublik und in West-Berlin. Vorschläge zu ihrer Verbesserung» (Doderer et al.) erschien. Dieses war Teilergebnis eines Projektes – nicht mal im Bibliothekswesens – des Instituts für Jugendbuchforschung an der Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt am Main. Im gleichen Projekt wurde auch die Zeitschrift gegründet, die dann die schulbibliothek aktuell wurde, und die Grundlage für die Arbeitsgruppe gelegt, die dann im Deutschen Bibliotheksinstitut aktiv war. Was das Buch ausmacht, ist, dass hier der Pfad angelegt wurde, auf dem das deutsche Bibliothekswesen bis heute wandelt, wenn es um Schulbibliotheken geht. Die Vorstellung, dass die Schulbibliothek den Konzepten Öffentlicher Bibliotheken folgen soll – und nicht etwa einer eigenen Entwicklung – wurden hier zuerst öffentlich formuliert. Alle Argumente, die seitdem im Bibliothekswesen vorgebracht werden, wenn es darum geht, diese Vorstellung zu untermauern, finden sich in diesem Buch das erste Mal zusammengefasst. Auch die tendenzielle Geringachtung anderer Formen von Schulbibliotheken und die Staffelung von «richtiger» Schulbibliothek (die wie eine Öffentliche Bibliothek funktioniert) bis hinab zu «selbstständigen Schulbibliotheken», die tendenziell abgeschafft werden müssten, ist in diesem Buch angelegt. Das Bibliothekswesen hat seitdem praktisch diesen Pfad immer nur weiter beschritten und ausgetreten, aber die Grundstruktur nicht mehr verlassen. (Zurückgelassen wurde der Kontext der Bildungsreform, in welchem dieses Projekt durchgeführt wurde.)

Im Buch wird zum Beispiel postuliert,

  1. dass die Bibliothek zentral sein soll, das heisst einerseits eine Einrichtung in der Schulen (und nicht verteilt in Klassenräumen) und andererseits ein zentrale Einrichtung in der Schulen, am Besten zentral gelegen.
  2. dass sie eine Einrichtung sein muss, in der Unterricht und selbstständiges Lernen stattfindet und dass sie auf den Unterricht ausgerichtet sein muss.
  3. dass sie von ausgebildetem Personal geleitet werden muss (im Buch heisst es «sachkundig vorgebildeten Schulbibliothekaren»; aber da es diese Ausbildung in Deutschland gar nicht gibt, wurden daraus in der bibliothekarischen Literatur schnell ausgebildete Bibliothekar*innen).
  4. dass der Bestand modern und auf den Unterricht ausgerichtet sein soll (das schliesst dann auch die je aktuellen Medienformen ein) und dass eine Schulbibliothek relevant mehr Medien pro Schüler*in vorhalten müsse als eine Öffentliche Bibliothek pro potentielle*r Nutzer*in.
  5. dass die Katalogisierung und Aufstellung einheitlich sein soll, damit alle Schulbibliotheken ein Netzwerk bilden können.

Das sind alles Argumente, die seit 1970 immer und immer wieder vorgebracht werden, wenn auch manchmal umformuliert. Wenn in der oben angeführten Presseerklärung des dbv die Rede davon ist, dass Schulbibliotheken durch die Eingabe ihrer Daten in die Bibliotheksstatistik «ihr Bildungspotential sichtbar» machen können sollen, ist das nur eine aktuelle Fassung der Idee, dass sie vor allem für Bildung (und im Schulbereich dann Unterricht und Selbstbildung) zuständig seien. Auch die Vorstellung, dass man die Arbeit von Schulbibliotheken durch bibliothekarische Kennzahlen – selbst wenn diese, wie das wohl der Fall sein wird, angepasst werden – ausgedrückt werden kann, ist nur eine Fortschreibung der Idee, dass sei von ausgebildeten Schulbibliothekar*innen auf die immer gleiche Weise geführt werden müssten, um richtige Schulbibliotheken zu sein.

Das ist alles nicht durch die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte untermauert. (Aber: Auch das ist ein Teil dieses Pfades. Schon im Buch wurden die Aussagen nicht theoretisch oder mit Daten untermauert. Vielmehr wurde gesagt, dass müsste so sein; ausserdem gäbe es andere Ländern, in denen es so wäre und es wäre schlimm, dass in Deutschland nicht so sei.)

  • Eine Erfahrung, die sich durch die ganzen Jahrzehnte zieht, ist, dass das Bibliothekswesen schon in der Lage ist, Bibliotheken nach eigenen Vorstellungen in Schulen einzurichten, solange es die dafür notwendigen Mittel (Etat und Personal) mitbringt. Dann werden sie oft (nicht immer) in Schulen akzeptiert. Aber wenn diese Mittel nicht mehr da sind (weil das Projekt zu Ende ist oder wenn der Etat der Bibliotheken gekürzt wird), dann führen die Schulen die Bibliotheken nicht so weiter, wie das Öffentliche Bibliotheken machen. In vielen Schulen werden die Bibliotheken dann geschlossen, was bedauert wird, aber nicht so sehr, dass sich so eingesetzt wird, dass sie doch irgendwie weiterlaufen. (Das passiert auch: Bibliothekar*innen sind mehrfach aus dem Bibliothekswesen ausgeschieden und vollständig aus einem Schuletat finanziert worden, um Bibliotheken fortführen zu können. Aber immer nur in Ausnahmefällen.) In anderen Schulen werden die Schulbibliotheken weitergeführt, aber verändert. Kataloge werden nicht weitergeführt, der Bestand wird verändert (oder nicht verändert, sondern über Jahre einfach weitergenutzt, aber nicht ergänzt).
  • Alle Beratung durch das Bibliothekswesen, alle Projekte und so weiter führen nicht dazu, dass Schulen ihre Bibliotheken einfach so nach den Vorstellungen des Bibliothekswesens umgestalten. So oft auch Bibliotheken davon schreiben, dass Bibliotheken Unterrichtsort werden oder Plätze für Hausaufgaben und selbstgesteuertes Lernen einrichten sollen, so oft wird das von Schulen nicht wahrgenommen oder wahrgenommen, aber ablehnt. Der einzige überzeugende Weg ist in den letzten Jahrzehnten immer nur der gewesen, dass das Bibliothekswesen selber Mittel zum Betrieb einer Schulbibliothek zur Verfügung stellt.
  • Die Behauptungen über Schulbibliotheken, die im Bibliothekswesen gemacht werden, wandeln sich kaum. Sie werden immer wieder einmal neu formuliert (und der Aspekt der Demokratisierung, welcher im genannten Buch von 1970 wichtig war, wurde fallengelassen). Aber es bleibt immer bei diesen Behauptungen. Zu erwarten wäre, dass das Bibliothekswesen losgeht und die Zusammenhänge, die es behauptet – beispielsweise das gut ausgestattete Schulbibliotheken zu besserem Lernen führen würden – untersucht (und dann aus diesen Untersuchungen lernt). Aber das passiert nicht. Stattdessen werden die gleichen Argumente, die schon vorher keinen Erfolg hatten, wiederholt. Das sie offenbar nicht überzeugen (was ein Hinweis darauf sein könnte, dass sie nicht stimmen), ändert dies nicht.5 Stattdessen werden neue Projekte aufgelegt, um Schulen dazu zu bringen, ihre Bibliotheken nach bibliothekarischen Vorstellungen zu gestalten.
  • Immer weiter findet das meisten «Leben» von Schulbibliotheken ausserhalb des Bibliothekswesens in den Schulen selber statt. Aber – das eine weitere Erfahrung über die letzten Jahrzehnte – die Erfahrungen aus diesen Schulbibliotheken werden gar nicht erst gesucht, auch das Wissen aus Schulen interessiert im Bibliothekswesen nicht.6 Die Erfahrung ist, dass das Bibliothekswesen die anderen Stakeholder immer wieder disqualifiziert oder ganz ignoriert.

Die Bibliotheksstatistik als weiterer Schritt auf dem gleichen Pfad

Die Entscheidung, Schulbibliotheken in der Bibliotheksstatistik aufzunehmen, ist nur ein weiterer Schritt auf diesem Pfad. Wieder wird so getan, als sei es die Aufgabe des Bibliothekswesens – des kleinsten und unerfolgreichsten Stakeholder – über die Schulbibliotheken zu bestimmen und ihre Entwicklung vorzugeben. Die bibliothekarische Wertigkeit – eine richtige Schulbibliothek ist nur eine, die bibliothekarischen Vorstellungen folgt, alle anderen sind Kompromisse – wird so wieder einmal hergestellt.

Weil, was wird wohl passieren? Ersteinmal sind die Schulbibliotheken, die Zweigstellen Öffentlicher Bibliotheken sind, schon in der Bibliotheksstatistik enthalten. Für die ist dieser Schritt nichts. Die anderen Schulbibliotheken, die sich die Arbeit machen werden, sich in die Bibliotheksstatistik einzutragen, werden die sein, die ansonsten sehr nahe an der Öffentlichen Bibliothek sind – vielleicht einige der «aufgegebenen» Zweigbibliotheken, die vollständig von Schulen übernommen wurden.

Aber die anderen Bibliotheken? Mal abgesehen davon, dass die mit hoher Wahrscheinlichkeit nie von dieser Statistik hören werden, würden sie gar nichts davon haben, sich diese Arbeit zu machen. Öffentliche Bibliotheken, die ihre Daten an die Bibliotheksstatistik abliefern, haben den Vorteil, dass sie so in ihrer Identität als Öffentliche Bibliothek bestätigt werden (und theoretisch die Daten nutzen können, um sich zu vergleichen und so weiter, aber ob das passiert, ist eine andere Frage) – eine richtige Öffentliche Bibliothek führt eine Statistik und nimmt an der Bibliotheksstatistik teil. Doch Schulbibliotheken, die gar nicht der Vorstellung folgen, dass sie wie eine kleine Öffentliche Bibliothek funktionieren sollten, würden ihre Realität gar nicht in einer solchen Statistik abbilden können – und selber wenn, gar keinen Mehrwert daraus ziehen können. Müssen sie auch nicht, weil sie gar nicht Teil eines «Schulbibliothekswesens» sind, das über solche gemeinsamen, geteilten Strukturen zusammengehalten wird.

Man darf nicht glauben, dass das diesmal anders gemacht wurde, als bei den anderen Projekten der letzten Jahrzehnte: Wieder wurde vom Bibliothekswesen aus definiert, was eine Schulbibliothek sein soll und damit auch, was sie nicht sein darf. Man muss in der Presseerklärung des dbv nur nach den Vertreter*innen suchen, die eine andere Position hätten einbringen können, beispielsweise solche aus Schulen oder Landesarbeitsgemeinschaften:

An der Arbeitsgruppe der dbv-Kommission Bibliothek & Schule zur Einrichtung der entsprechenden statistischen Abfrage waren beteiligt: Irene Säckel von der Stadtbücherei Frankfurt am Main, Frank Raumel vom Medien- und Informationszentrum Biberach, Ira Foltin, Gaby Heugen-Ecker und Therese Nap von der DBS-Redaktion des Hochschulbibliothekszentrums des Landes NRW sowie Dr. Ulla Wimmer von der Humboldt Universität zu Berlin.

Es gab sie nicht – wieder einmal. Hier haben wieder einmal Bibliothekar*innen, eine Bibliothekswissenschaftlerin und Vertreter*innen das Anbieters der Bibliotheksstatistik über Einrichtungen entschieden, die zumeist gar keinen Kontakt zum Bibliothekswesen haben. Deshalb werden in der Statistik bestimmt Werte abgefragt, die im Alltag der Schulbibliothek gar keine Rolle spielen. (Das Beispiel mit dem Katalog weiter oben ist da nur das sichtbarste. Die Anzahl der Medien ist beispielsweise für eine Schulbibliothek nicht unbedingt wichtig, wenn ihr Hauptfokus der ist, dass die Schüler*innen sich aus dem Schulalltag zurückziehen können. Aber die Statistik wird verlangen, dass die vorhandenen Medien gezählt werden, nicht wie viele Schüler*innen sich in den Raum Schulbibliothek zurückziehen.)

Wieder wird versucht, der Realität ein bibliothekarisches Verständnis von Schulbibliotheken überzustülpen. Das wird genauso wenig funktionieren, wie alle anderen dieser Versuche. Was mich verwundert ist, dass es immer noch passiert. Das Bibliothekswesen betrügt sich einfach selbst und tut so, als könnte es über Schulbibliotheken bestimmen, während die Schulen weiter an ihm vorbei handeln werden. (Was heisst, es ist eher ein Problem des Bibliothekswesens und man könnte es dabei belassen. Wäre es nicht gleichzeitig so unverschämt gegenüber all den Aktiven in den Schulbibliotheken, die vom Bibliothekswesen als «nicht so richtig schulbibliothekarisch arbeitend» disqualifiziert werden.)

Ein besserer Pfad

Ich hatte oben gesagt, dass ich das Thema Schulbibliotheken hinter mir gelassen habe. Nie wollte ich Schulbibliotheken oder anderen Personen sagen, was sie zu tun haben (ausser sie fragen), sondern ich wollte diese wunderbar amorphe Einrichtung «Schulbibliothek» verstehen. Aber wenn ich schon so geschockt bin, dass ich doch nochmal auf das Thema zurückkomme, vielleicht doch einige Worte. Das Bibliothekswesen könnte anders handeln und sollte es auch. Ansonsten wird es nur noch weiter Projekte dieser Art aufsetzen, die es dann nur weiter bestätigen werden, dass «auch mal was für die Schulbibliotheken getan werden muss».7

  1. Das Bibliothekswesen muss endlich von seinem hohen Ross absteigen (und den eingetretenen Pfad verlassen): Schulbibliotheken sind nicht Teil des Bibliothekswesens, sondern eine eigene Form von Einrichtungen, über deren Aufgaben, Arbeit und Entwicklung nicht das Bibliothekswesen entscheiden kann. Sie sind keine kleinen Öffentlichen Bibliotheken, ausser dann, wenn das Bibliothekswesen die dafür notwendigen Ressourcen stellt. Anstatt die Schulbibliotheken zwanghaft in das Bibliothekswesen integrieren zu wollen, sollten sie als eigene Bibliotheksform verstanden und behandelt werden. (Öffentliche Bibliotheken wollen ja auch den Gefängnisbibliotheken, Museumsbibliotheken, Gerichtsbibliotheken und so weiter nicht vorschreiben, was ihre Aufgaben sein sollen. So müsste es auch mit Schulbibliotheken sein.)
  2. Das Bibliothekswesen weiss nicht, was eine richtige und funktionierende Schulbibliothek ist. Es weiss noch nicht mal, ob und wie die Schulbibliotheken, die es selber betreibt, eigentlich wirklich funktionieren. Das sollte akzeptiert und dann davon aus weitergegangen werden. Auf der einen Seite wäre es sinnvoll, die ganzen Argumente, die immer wieder gemacht werden, ernsthaft zu untersuchen: Sind diese kleinen Öffentlichen Bibliotheken in Schulen wirklich für einen besseren Unterricht, selbstgesteuertes Lernen, Hausaufgaben und so weiter relevant? Wie soll das funktionieren? Welche Daten gibt es dazu (Daten, nicht Behauptungen oder hübsche Bilder)? Oder übernehmen sie ganz andere Aufgaben? Das wäre die einfache Seite. Die schwierige wäre für das Bibliothekswesen wohl zu akzeptieren, dass in den meisten Schulen mit Bibliotheken diese Schulbibliotheken andere Aufgaben haben, als sich die Öffentlichen Bibliotheken vorstellen und das sie deshalb auf diese Aufgaben ausgerichtet arbeiten – und das das okay ist. (Eine Kleinigkeit, die mich auch früher schon immer irritiert hat, und die man leicht ändern könnte: Das die Kommission im dbv «Bibliothek & Schule» heisst, also die Bibliothek nach vorne stellt, obwohl Schulbibliotheken viel eher von Schulen bestimmt werden und das in ihr überhaupt keine Vertreter*innen aus Schulen zu finden sind. Wäre ich Schulleiter, ich würde das nicht ernst nehmen können. Der Namen sollte geändert und der ständige Kontakt zu Vertreter*innen von Schulen gesucht werden.)
  3. Das Bibliothekswesen muss akzeptieren, dass es nur ein Stakeholder – und dann auch noch nicht der wichtigste – ist, wenn es um Schulbibliotheken geht. Insbesondere dann, wenn es (wie in den meisten Fällen) gar keine Ressourcen für Schulbibliotheken mitbringt. Es mag sein, dass man das ändern will, weil man gehört hat, dass dies in anderen Ländern anders wäre8 – aber das wäre eine Entscheidung auf Ebene der Bildungspolitik und lässt sich nicht erwirken, indem man immer so tut, als wäre man selber wichtiger als die anderen Stakeholder.
  4. Das Bibliothekswesen sollte aus den vergangenen Projekten lernen: Schulen sind nicht mit den immer gleichen Argumenten zu überzeugen, Bibliotheken nach Vorstellungen des Bibliothekswesens einzurichten. Die Bildungspolitik ist so auch nicht zu überzeugen, dass Schulwesen so zu ändern, dass Schulbibliotheken in jeder Schule notwendig werden. (Die lokale Politik manchmal schon.) Die Engagierten in den Schulbibliotheken sind so auch nicht zu überzeugen.
  5. Was auch auffällt, weil immer nur der gleiche Pfad weitergegangen wird, ist, dass bei den ganzen Texten, Vorträgen und so weiter im Bibliothekswesen über Schulbibliotheken die konkreten Schulen und die Entwicklungen, die in ihnen in den letzten Jahrzehnten stattgefunden haben, praktisch nicht auftauchen. Es ist eine von der schulischen Praxis (und der Erziehungswissenschaft) oft ganz losgelöste Debatte. Das sollte aufhören. Schulen haben sich verändert und es ist – nur ein Beispiel – heute normal, das Unterricht als Arbeit in Laboren und Projekten stattfindet. Es gibt in vielen Schulhäusern zahlreiche Lernorte, an denen Schüler*innen selbstbestimmt arbeiten, inklusive der Umstellung des Unterrichts von Wissensvermittlung zu Kompetenzentwicklung. Aber man wüsste es nicht, wenn man bibliothekarische Texte über Schulbibliotheken liest. Da sieht es so aus, als wäre die Schulbibliothek der einzige Ort, wo selbstbestimmtes Lernen stattfindet. Das muss sich ändern, so oder so. Das Bibliothekswesen muss wahrnehmen, wie Schulen heute funktionieren, wenn es irgendwelche Aussagen über Schulbibliotheken machen will.

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Fussnoten

1 Ich sage hier Deutschland, um es abzukürzen. Aber historisch ist es selbstverständlich so: Von 1970 bis 1990 meint das die BRD, danach tendenziell Deutschland inklusive der «neuen Bundesländer», obwohl es immer auch Traditionen aus der DDR gab, die länger vorhielten, auch im Bibliothekswesen. Anderswo habe ich auch dargestellt, wie die Vorstellungen über Schulbibliotheken aus der BRD einige Jahre später in der Schweiz rezipiert wurden. Aber dort sind sie wieder auf andere Traditionen und Realitäten getroffen, hatten dann auch eine andere Wirkung. Wie immer bei der Entwicklung von Bibliothekswesens gilt auch hier: Es gibt gegenseitige Beeinflussungen, aber grundsätzlich ist die Entwicklung doch je Land unterschiedlich. Insoweit geht es in diesem Beitrag nicht um den DACH-Raum, sondern um Deutschland.

2 Es gibt, wie ich in der Schweiz gelernt habe, auch Traditionen dabei, was als Aufgaben einer Schulbibliothek angesehen wird, die lange existieren können.

3 Mein Lieblingsbeispiel ist immer noch, dass in alle Oberstufenzentren, die in den späten 1970ern in Berlin gegründet wurden, eine Bibliothek inklusive Personalstelle eingerichtet wurde und dann, als ich 2005/2006 meine Magisterarbeit schrieb, gerade noch die letzte Bibliothekarin in der letzten dieser Bibliotheken «erwischte», die gerade in Rente ging und deren Bibliothek dann, als letzte, auch geschlossen wurde.

4 Solche Bibliotheken haben dann oft noch Bibliothekstechnik aus den Jahren, in denen sie zuletzt Teil der Öffentliche Bibliothek waren, in der Ecke stehen. Sie wird dann nicht mehr benutzt, aber weggeworfen wird sie auch nicht.

5 Eine Zeit lang wurden auch in der deutschen bibliothekarischen Literatur sogenannte «school library impact studies» aus den USA zitiert, in den angeblich gezeigt worden wäre, dass Schulbibliotheken eine positive Wirkung auf die Noten der Schüler*innen in den jeweiligen Schulen hätten. Aber einerseits stimmte das so nie – nicht nur ist das Schulwesen in den USA anders als in Deutschland, auch nannten die meisten Studien für gut ausgestattete Schulbibliotheken Minimalwerte, die in Deutschland nirgends erreicht werden und waren die Studien selber nicht frei von Bias – und überzeugte auch nicht gross ausserhalb des Bibliothekswesens. Andererseits ist das verstummt, jetzt, wo es auch in den USA immer mehr Schulen ohne Schulbibliothek und ohne Schulbibliothekspersonal gibt (obwohl es die Studien weiterhin gibt).

6 Immer wieder kann man von Engagierten aus Schulbibliotheken und Landesarbeitsgemeinschaften Geschichten hören, wie sie von Vertreter*innen des Bibliothekswesens von Beratungen ausgeschlossen oder so behandelt wurden, als hätten sie keine Ahnung von Schulbibliotheken – nicht immer und von allen, aber doch regelmässig. Erstaunlich ist auch, dass die schulbibliothek aktuell zwar in der Vorgängerzeitschrift der heutigen kjl&m aufgegangen ist, die bis heute deshalb den Untertitel forschung.schule.bibliothek führt, aber das es keinen Kontakt mehr zwischen der Redaktion dieser Zeitschrift und den Vertreter*innen im dbv gibt, welche die Eingliederung der Schulbibliotheken in die Bibliotheksstatistik vorangetrieben haben.

7 Ein Satz, den ich so oft in meiner «aktiven» Zeit gehört habe: Immer wieder wird sich im Bibliothekswesen – auch von Kolleg*innen, die schon lange dabei sind – vorgestellt, man würde am Anfang einer Entwicklung von Schulbibliotheken stehen, man hätte mit dem Projekt XYZ Neuland betreten, obwohl es immer wieder die gleiche Geschichte ist und immer wieder das gleiche Ergebnis schon zu Beginn angelegt ist. So, als hätte es die ganzen Projekte seit 1970 nicht gegeben.

8 Wobei das oft auch so nicht stimmt, wenn man genau schaut. In meiner aktiven Zeit habe ich oft gehört, in den USA wären die Schulbibliotheken Teil des Öffentlichen Bibliothekswesens – aber, plot twist, in der Realität bilden sie dort ein eigenes (schrumpfendes) Schulbibliothekswesen mit eigener Ausbildung, eigenen Medien, eigenen Verbänden und Strukturen. Sie arbeiten mit den Öffentlichen Bibliotheken zusammen, aber Teil des Öffentlichen Bibliothekswesens sind sie gerade nicht.

Schulbibliotheken in Berlin 2017: Nur leichte Entwicklung, etwas gerechter. Erfahrungen nach 10 Jahren Recherche

Seit jetzt zehn Jahren wird hier in diesem Blog – erhoben nach immer der gleich Methodik – die Anzahl der Schulbibliotheken, die sich in Berlin über die Homepages aller Schulen (Quelle: offizielles Schulverzeichnis) finden lassen, berichtet. Erhoben werden diese Zahlen immer im April, d.h. zu einer Zeit, in welcher der Schulalltag für das jeweilige Schuljahr schon etabliert ist und auch zu erwarten ist, dass die Homepages mindestens für das Schuljahr aktualisiert worden sind.

Die Grenzen und Potentiale dieser Erhebung sind in den letzten Jahren schon dargestellt worden; grundsätzlich aber gilt, dass es bislang keine andere Form der systematischen Erhebung dieser Zahl gibt. Die Daten sind als ungefähre Angaben zu verstehen, da die Homepages der Schulen als Präsentation dieser an die Öffentlichkeit, aber nicht immer als vollständig mit der Schulrealität übereinstimmend zu verstehen sind. Es ist möglich, dass Bibliotheken in Schulen existieren, die im Schulalltag aber so wenig Relevanz haben, dass sie nicht nach außen präsentiert werden. Ebenso ist es möglich, dass Bibliotheken geschlossen sind, aber noch auf der Homepage einer Bibliothek auftauchen (die bei dieser langjährigen Recherche angesammelte Erfahrung zeigt, dass eine ganze Anzahl von Schulen in Berlin ihre Homepage nur langsam updaten).

Am Beginn dieser Recherche (2008) wurden Thesen und Fragen über die Entwicklung der Schulbibliotheken in Berlin aufgestellt, die nun überprüft beziehungsweise besser beantwortet werden können. Ein Publikation dazu ist in Vorbereitung. In diesem Beitrag hier sollen kurz, zur Informationen, die Daten für dieses Jahr präsentiert werden.

Kaum Entwicklung

Die reinen Zahlen über die vorhandenen Schulbibliotheken in Berlin zeigen seit einigen Jahren ein ganz leichtes Wachstum und nur leichte Veränderungen bei der Verteilung nach Schultypen. Während die Veränderungen von 2008 bis 2012 massiv waren, scheint sich die Zahl seit damals zwar langsam zu erhöhen, aber bei der Verteilung ungefähr gleich zu bleiben. Auffällig ist, dass sich diese praktisch parallel zu den Veränderungen im Berliner Schulsystem entwickeln. Während die Reformen des letztens Jahrzehnts die Schullandschaft in Berlin massiv veränderten (tendenzieller Abbau reiner Schulen für Kinder und Jugendliche mit Beeinträchtigungen bei gleichzeitiger Erhöhung der Inklusion – d.h. oft Umwandlung in inklusive Schulen –, die Schaffung der neuen Schulform „Integrierte Sekundarschule“, in die Haupt-, Real- und Gesamtschulen zusammengeführt wurden, was oft mit einem Zusammenlegen von Haupt- und Realschulen umgesetzt wurde, die Schaffung von Gemeinschaftsschulen, die durchgängig von der ersten Klasse bis zur Sekundarstufe geführt werden und die Etablierung von gemeinsamen JüL-Klassen für die Jahrgangsstufen eins bis drei als Normalfall in Grundschulen), veränderte sich z.B. die Zahl der Schulen in den letzten Jahren kaum noch. Die wenigen Änderungen lassen sich eher mit Schulneubauten oder den normalen Schwankungen aufgrund sich verändernder demographischer Zusammensetzung der Wohnbevölkerung in den Berliner Kiezen (mehr oder weniger Kinder und Jugendliche im Schulalter) erklären. Eine ähnliche Entwicklung scheint sich auch bei den Schulbibliotheken zu zeigen (was der These, dass diese eher von den Schulen und weniger von bibliothekarischen Vorstellungen abhängen, zu entsprechen scheint), mit einem massiven Wachstum zur Zeiten der konkreten Änderungen in der Schullandschaft bis 2011, 2012 und einer langsamen Entwicklung danach.

Die folgende Tabelle zeigt die Zusammensetzung, die im April 2017 vorgefunden wurde.

(Für eine besser Bildqualität der Tabellen siehe die PDF-Datei am Ende des Beitrags.)

Weiterhin finden sich in den meisten Schulen in Berlin keine Schulbibliotheken, aber in einer großen Minderheit schon. Die Zahl der Grundschulen, welche eine Schulbibliothek führen, hat sich leicht erhöht, dies gilt auch für die Integrierten Sekundarschulen und die Schulen mit Förderschwerpunkten (jene, die nicht zu inklusiven Schulen umgebaut wurden), nachgelassen hat sie leicht in den Gymnasien und den Freien Walddorfschulen (wobei sie hier von drei auf zwei zurückging, was nur wegen der wenigen Schulen eine Relevanz hat). Grundsätzlich hat sich die Verteilung über die Schultypen hinweg nicht geändert.

Immer noch ist die Wahrscheinlichkeit, eine Schulbibliothek vorzufinden, in Grundschulen (d.h. den Klassen eins bis sechs) wahrscheinlicher, als in den anderen Schulen. Schülerinnen und Schüler, die das Gymnasium besuchen, haben mit höherer Wahrscheinlichkeit die Chance, eine Schulbibliothek zu nutzen als in den anderen Schultypen mit Sekundarstufe. In diesem Zusammenhang fand allerdings die größte Änderung zum Vorjahr statt: Die Differenz zwischen Integrierten Sekundarschulen und Gymnasien mit Schulbibliotheken, die sich in den letzten Jahren wieder – entgegen dem Anspruch der Schulreform, mit der neuen Schulform zu mehr Chancengerechtigkeit beizutragen – vergrößert hatte, ist in diesem Jahr kleiner geworden. (In der folgenden Graphik, welche die Prozente der Schulen mit Schulbibliothek angibt, in schwarz dargestellt.)

Überblickt man die Entwicklung der letzten zehn Jahre in Prozenten (folgende Graphik) und konkreten Zahlen (darauffolgende Graphik) zeigt sich, wie schon gesagt, eine langsame Aufwärtsentwicklung in den Gesamtzahlen.

 

In den letzten Jahren wurde hier in diesem Blog postuliert, dass mit 30% bis 35% der Schulen in Berlin, die eine Schulbibliothek unterhalten, vielleicht eine Sättigung eingetreten sei. In diesem Jahr stiegt die Zahl leicht über 35%, insoweit wäre die These zu revidieren auf einen Korridor von 30% bis 40%. Trotzdem scheint kein massives Wachstum und auch kein massiver Rückgang der Zahl der Schulbibliotheken bevorzustehen.

Zu den konkreten Schulbibliotheken

Auffällig sind die konkreten Schulbibliotheken selber. Weiterhin sind die Angaben zu den meisten dieser Einrichtungen sehr knapp gehalten, teilweise werden sie auf den Homepages nur unter „Ausstattung“ oder im Schulprogramm einfach einmal erwähnt, ohne das klar würde, was genau mit „Bibliothek“ gemeint ist. Immer wieder finden sich auch Einrichtungen, die als „Bücherei“ bezeichnet werden, aber offensichtlich die Schulbuchsammlungen meinen. (Diese werden nicht gezählt.)

Bei den Schulbibliotheken, die ausführlicher dargestellt werden, finden sich sehr unterschiedliche Typen. „Leseecken“, die offenbar der reinen Freizeitunterhaltung dienen ebenso wie ausgebaute Bibliotheken, die sich am Modell Öffentlicher Bibliotheken orientieren. Es finden sich Bibliotheken, die in den Unterricht – vor allem als Leseorte, z.B. zum Freien Lesen – eingebaut sind, ebenso wie Einrichtungen, die nur einmal in der Woche geöffnet haben. Die Betreuung der Schulbibliotheken wird weiterhin vor allem von den Schulen selber und von Ehrenamtlichen getragen. Schulische Arbeitsgemeinschaften, bei denen Schülerinnen und Schüler die Bibliothek betreiben, scheinen sich hingegen zu den Vorjahren kaum noch zu finden. Von einer direkten Trägerschaft von Öffentlichen Bibliotheken ist nirgends mehr die Rede, in den Bezirken Spandau und Reinickendorf finden sich Bibliotheken, die in Zusammenarbeit mit Öffentlichen Bibliotheken betrieben werden. Grundsätzlich scheinen die Formen der Schulbibliotheken weiterhin sehr gemischt zu sein.

Auffällig sind einige Veränderungen in konkreten Schulen selber. So werden einige Schulbibliotheken, die in den letzten Jahren beständig gefunden wurden, nicht mehr erwähnt (und scheinen geschlossen), in einem Fall (Trelleborg Grundschule) wird sogar explizit angegeben, dass die Schulbibliothek aktuell geschlossen sei. Die zwei Bibliotheken des Canisius-Kolleges, die in den letzten Jahren extensiv auf der Homepage der Schule dargestellt wurden, sind jetzt in der Außendarstellung reduziert worden auf Orte, die im Zusammenhang mit der Hausaufgabenbetreuung genannt werden. Offenbar verändert sich mit der Zeit die Haltung zu den Bibliotheken in den Schulen selber. Das Vorhandensein einer Schulbibliothek überzeugt die Schulen nicht durchgängig, diese auch kontinuierlich zu unterhalten.

Gleichzeitig gab es eine ganze Reihe von Neugründungen, beispielsweise (relativ gut dokumentiert) in der Spartacus-Grundschule, die im März 2016 den Plan verkündete, eine Bibliothek zu gründen und im Januar 2017 schon die Eröffnung derselben feierte. Die Gesamtzahl der Schulbibliotheken, die eine so klare Entwicklung zu nehmen scheint, setzt sich also aus sehr unterschiedlichen Situationen zusammen, bei denen Neugründungen (oder auch Wiedereröffnungen) die Schließungen „ausgleichen“. (Eine Datenbank mit Berliner Schulen, die in den letzten zehn Jahren mindestens einmal eine Schulbibliothek auf ihrer Homepage angaben, welche im Rahmen der hier dargestellten Recherche geführt wird, hat aktuell immerhin 532 Datensätze (einer je Schule), bei jetzt etwas mehr als 700 Schulen in Berlin; allerdings enthält die Datenbank auch Schulen, die heute geschlossen oder mit anderen zusammengeführt sind. Die Zahl zeigt aber doch, dass eine große Zahl an Berliner Schulen Erfahrungen mit Schulbibliotheken gesammelt hat, diese Erfahrung aber oft auch dazu führt, dass die Bibliotheken wieder geschlossen werden.)

Überprüft man, wie viele Schulen in den letzten Jahren kontinuierlich eine Schulbibliothek betrieben haben (wobei bei der Auszählung davon ausgegangen wurde, dass die einmalige Nichterwähnung einer Schulbibliothek heißt, dass sie wohl doch existierte, aber nicht dargestellt wurde, die zweimalige Nichterwähnung, dass sie wohl geschlossen war; gleichzeitig, das eine „kontinuierlich betriebene“ Schulbibliothek an mindestens drei aufeinander folgenden Jahren nachgewiesen sein muss), kommt man auf folgende Zahlen.


Anders ausgedrückt: von den 260 Schulbibliotheken, die sich 2017 in Berlin nachweisen lassen, werden 141 (54,3%) schon seit mindestens drei Jahren betrieben, wobei in den letzten Jahren eher weniger dieser „kontinuierlichen“ Schulbibliotheken gegründet wurden. Es kristallisiert sich also eine Anzahl von langfristig etablierten Schulbibliotheken heraus, denen eine ganze Anzahl von kurzfristig (nur einige Jahren lang) betriebenen Schulbibliotheken gegenüberstehen. Nicht sichtbar ist in dieser Recherche, warum Schulbibliotheken wieder geschlossen werden. (Nur bei einigen finden sich öffentlich verbreitete oder in Protokollen z.B. von Elternvertretung oder Fördervereinen dokumentierte Hilferufe nach neuem oder mehr Personal, die nicht immer erfolgreich zu sein scheinen.)

Dies ist relevant, nicht nur in Bezug darauf, wie verankert oder projekthaft die Schulbibliotheken in den Schulen sind. Es hat auch eine Auswirkung darauf, ob die Schulbibliotheken, also das jeweilige Team, welche sie betreiben, genügend Zeit hat, eigene Alltagspraktiken zu entwickeln, die sich aus Erfahrungen speisen können, oder ob sie im Projektstatus, also dem ersten Ausprobieren, verbleiben. (Es heißt auch, dass sich in vielen Schulen in Berlin Räume finden, in denen einst eine Schulbibliothek vorhanden war, teilweise wohl noch mit den alten, nicht mehr weiter betreuten Beständen.)

Insoweit zeichnet sich die Schulbibliothekslandschaft in Berlin – obwohl es offenbar nicht ganz richtig ist, von einer Landschaft, also einem System von Einrichtungen, die sich aufeinander beziehen, zu sprechen – durch einen ständigen Wandel, mit einigen festen Punkten, aus. Das ständige Neu- und Wiedergründen von Schulbibliotheken lässt aber auch daran zweifeln, ob ein Wissenstransfer zwischen diesen stattfindet oder überhaupt stattfinden kann. Sicherlich gäbe es einige Einrichtungen, die ihre Erfahrungen berichten könnten. Die Arbeitsgemeinschaft Schulbibliotheken Berlin-Brandenburg bietet dafür auch eine Infrastruktur. Aber die Wandelbarkeit deutet eher darauf hin – positiv gedeutet –. dass immer wieder neu Menschen in Berlin auf die Idee kommen, einen Schulbibliothek zu gründen, insbesondere Lehrpersonen und Schulen, dabei aber oft auch eigenen Vorstellungen folgen.1 Dies zeigt aber auch, dass bibliothekarische Vorstellungen von Schulbibliotheken, die von Zeit zu Zeit publiziert werden, offenbar wenig Einfluss auf den Schulalltag in Berlin haben.

Dateien

Beiträge zur Anzahl der Schulbibliotheken in Berlin aus den letzten Jahren

Fußnote

1 Die GutsMuth-Grundschule schreibt zum Beispiel zu ihrer Bibliothek: „Die Idee [der Schulbibliothek, KS] ist angelehnt an eine Bibliothek, aber es soll mehr sein, als nur ein Ort zum Lesen.“ (http://www.gutsmuths-grundschule.de/content/unterricht/sprachfoerderung/index.html) Diese Aussage deutet auf ein Bild von Öffentlichen Bibliotheken hin, das diese von sich selber gar nicht (mehr) haben. Die Abgrenzung ist eigentlich unnötig, zeigt aber, wie sehr Lehrpersonen von ihren eigenen Vorstellungen – und eben nicht von bibliothekarischer Literatur, die darüber aufklären würde, dass Bibliotheken heute soziale Orte sein wollen und dass auch Schulbibliotheken das sein sollen – ausgehen.

Schulbibliotheken in Berlin, 2016. Langsames Wachstum?

Jeden April seit 2008 findet eine Zählung der Schulbibliotheken in Berlin statt, über die jeweils in diesem Blog berichtet wird. Ziel ist es dabei, mindestens zehn Jahre lang deren Entwicklung zu beobachten, um Aussagen über deren Entwicklungen über eine Momentaufnahme hinaus zu treffen. Die Methodik und deren Grenzen wurden in früheren Beiträgen geschildert (siehe unten); Basis der Recherche sind immer die Homepages der Berliner Schulen. Dies schränkt die Aussagekraft ein, da nur Schulbibliotheken „gefunden“ werden können, die auch auf diesen Homepages dargestellt sind. Allerdings sind Homepages heute, da praktisch eine freie Schulwahl existiert und sich Eltern eine zumeist unnötige grosse Entscheidungsarbeit machen, um ihre Kinder an „passenden“ Schulen anzumelden, das Hauptmedium, mit dem die meisten Schulen um neue Schülerinnen und Schülern (beziehungsweise um das Vertrauen der Eltern) werben. Insoweit ist zu erwarten, dass Schulbibliotheken, wenn sie von der jeweiligen Schulgemeinschaft als wichtig angesehen werden, auch auf den Homepages dargestellt werden.

Zum Teil finden sich deshalb in Berlin auch sehr umfassende Homepages, teilweise von Schulbibliotheken selber, teilweise als Teil des Angebotes von Schulhomepages. Ein Problem, dass sich eher zu stellen scheint, ist, dass nicht alle Schulhomepages aktuell gehalten werden. Insbesondere wenn Schulbibliotheken geschlossen werden, scheint es teilweise Jahre zu dauern, bis sich dies in der Darstellung auf der Homepage niederschlägt. Insoweit müssen bei dieser Statistik immer wieder auch Entscheidungen darüber getroffen werden, ob bestimmte Schulbibliotheken noch existieren oder nicht. Gleichzeitig müssen Entscheidungen darüber oft der Grundlagen weniger Daten – zum Beispiel die Erwähnung einer Bibliothek unter der Rubrik „Ausstattung“ getroffen werden. Insoweit sollten die Daten nicht als vollständig gesichert angesehen werden.

Gleichzeitig soll durch die Kontinuität der Recherche – bislang neun Jahre – eine grössere Annäherung an die reale Situation der Schulbibliotheken in Berlin stattfinden. Wie schon in den Jahren zuvor dargestellt werden dabei Schulbibliotheken als Einrichtungen verstanden, die dann entstehen und über einen längeren Zeitraum betrieben werden, wenn die jeweilige Schulgemeinschaft sie als sinnvoll ansieht.

Eine tiefergehende Auswertung ist für das nächste Jahr, wenn Daten aus zehn Jahren vorliegen, geplant. Hier soll nur kurz über die Ergebnisse dieses Jahres berichtet werden. (Die Rechercheergebnisse finden sich hier.)

Mehr Bibliotheken in Horthäusern

Dabei zeigt sich in der Recherche, dass immer mehr Schulbibliotheken genauer beschrieben werden. Dies ermöglicht auch, verschiedene Formen von Schul-bibliotheken zu unterscheiden. Auffällig ist dabei dieses Jahr, dass eine ganze Anzahl von Schulbibliotheken in den Freizeit-/Horthäusern, also den Orten der nach-unterrichtlichen Betreuung eingerichtet werden. Diese sind zum Teil von den Schulhäusern räumlich getrennt. Diese „Freizeit-Schulbibliotheken“ sind dann im Rahmen der Betreuung nutzbar, aber es scheint zum Beispiel zweifelhaft, ob sie auch – wie das in der bibliothekarischen Literatur zu Schulbibliotheken immer wieder vorgeschlagen wird – als Orte des Unterrichts oder der Nutzung während der Unterrichtszeit dienen. Interessant wäre, in ausgewählten Schulen die Motive für die Situierung der Schulbibliotheken zu erfragen.

Leicht steigende Zahl von Schulbibliotheken

schulbibliotheken_2016_auswertung
Tabelle 1 stellt die Zahl der Schulen und der gefundenen Schulbibliotheken im April 2016 (01.-03.04.2016) dar. Sichtbar ist, dass in keinem der Schultypen 50% oder mehr der Schulen eine Schulbibliothek betreiben. Sichtbar ist aber auch, dass sich die Schultypen in der Zahl der Schulbibliotheken unterscheiden. Dies hat sich über die Jahre verstärkt.

Dargestellt in Prozenten von Schulen mit Schulbibliothek sieht die Entwicklung wie folgt aus (zu Bedenken ist, dass bis 2010 Haupt-, Real- und Gesamtschulen sowie Gymnasien existierten, die dann 2011 in die neue Schulform Integrierte Sekundarschule aufgingen):

diagramm_gesamt_2016_prozente
Sichtbar ist als eine allgemeine Entwicklung in Richtung mehr Schulbibliotheken, wobei der Höhepunkt des Wachstums zwischen 2008 und 2011 stattgefunden hat und sich seitdem stark verlangsamt hat. Dies sagt noch nichts über die genaue Ausstattung oder Verankerung der jeweiligen Schulbibliotheken aus. Stellt man diese Entwicklungen in reinen Zahlen dar, sieht sie wie folgt aus:

diagramm_gesamt_2016_zahlen
Anhand beider Graphiken lässt sich, bei aller Vorsicht mit den konkreten Daten, sehen, dass das Wachstum vor allem in den Schulen mit den oberen Klassenstufen stattfindet, wobei die Gymnasien weit mehr Schulbibliotheken „gewinnen“, als die Integrierten Sekundarschulen (an denen alle Schulabschlüsse gemacht werden können). Die Differenz zwischen beiden Schulformen ist in den letzten Jahren massiv gewachsen. Heute haben Gymnasien doppelt so oft Schulbibliotheken, wie die Integrierten Sekundarschulen (dargestellt in Prozent).

diagramm_sekundar_2016
Letztere wurden geschaffen, um für mehr Bildungsgerechtigkeit zu sorgen. Geht man davon aus, dass zur Bildungsgerechtigkeit auch die gleiche Chance gehört, eine Schulbibliothek zu benutzen, sind diese Entwicklungen bedenklich. Sie könnten aber auch darauf hindeuten, dass Schulbibliotheken in den beiden Schulformen unterschiedliche Aufgaben haben.

Die Zahl der Grundschulen mit Schulbibliothek hält sich in den letzten Jahren relativ kontinuierlich.

Kontinuität und Diskontinuität

Eine Auswertung über die Jahre ergibt, dass ein Grossteil der Schulbibliotheken über einen längeren Zeitraum kontinuierlich betrieben werden. Von den 257 Schulbibliotheken, die aktuell in Berlin über die Schulhomepages zu finden sind, sind 191 auch mindestens drei Jahre hintereinander gefunden worden. (Auch diese Zahl ist vorsichtig zu bewerten. Zur Zählweise siehe den Beitrag des letzten Jahres, weiter unten.) Dies deutet darauf hin, dass die gewisse Kontinuität in den jährlichen Zahlen mit einer hohen Kontinuität in den Schulen einhergeht.

Gleichzeitig lässt sich auch zeigen, dass Schulbibliotheken über die Jahre geschlossen werden. In einigen, wenigen Fällen, wird dies von den Schulen selber auf der jeweiligen Homepage verkündet, in anderen Fällen sind die Schulbibliotheken über Jahre nicht mehr auf den Homepages zu finden. Die Datenbank, die alle Schulenbibliotheken, die in letzten neun Jahren gefunden wurden, enthält jetzt (allerdings mit heute geschlossenen Schulen) über 450 Einträge. Anders ausgedrückt, scheinen in Berlin über 50% der Schulen in den letzten Jahren Schulbibliotheken gehabt zu haben, aber zum Teil sich auch dazu entschlossen zu haben (aus unterschiedlichen Gründen), diese wieder zu schliessen. Dieses Phänomen wird in der bibliothekarischen Literatur zu Schulbibliotheken quasi nicht thematisiert.

Interessant sind Schulen, in denen sich über die neun Jahre, in denen diese Statistik bislang betrieben wird, ganz ohne System mal Schulbibliotheken finden und dann wieder nicht. Sie scheinen immer wieder neu belebt zu werden, aber dann auch wieder geschlossen zu werden oder zumindest an Bedeutung zu verlieren, aber gleichzeitig immer wieder neu angestrebt zu werden. Dies kann damit zu tun haben, dass sie teilweise als AG oder Lehrfirma betrieben werden, also Jahr für Jahr vom Interesse der Schülerinnen und Schüler abhängen. In diesem Fall entscheiden sich Schulen dann nicht, die Bibliotheken selbstständig zu „verstetigen“. Es kann aber auch Ausdruck eine Unsicherheit der Schulen sein, ob sie sich für die Bibliotheken engagieren sollen oder nicht und wenn ja, wie viel. Bei einer kleinen Zahl von Schulen finden sich auch Hinweise auf Projekte, Schulbibliotheken einzurichten, die dann nicht umgesetzt werden. Der Wille allein scheint also nicht auszureichen.

Gleichzeitig finden sich in Berlin Schulen, die sich entweder sehr für ihre Schulbibliothek einsetzen und diese auch präsentieren und gleichzeitig Schulen, die keine Schulbibliotheken einrichten.

Beiträge zur Anzahl der Schulbibliotheken in Berlin aus den letzten Jahren

Schulbibliotheken in Berlin, 2014. Leichter, aber bemerkbarer Abwärtstrend?

Anbei die Auswertung der Recherche zu den Schulbibliotheken in Berlin, welche ich seit 2008 jährlich im April durchführe. Die Methodik dazu wurde an anderer Stelle schon geschildert, insbesondere ihre Grenzen. Die Recherche wurde zwischen am 01. und dem 04. April 2014 durchgeführt. Grundsätzlich basiert die Recherche auf den Selbstdarstellungen der Schulen auf ihren Homepages, was immer auch heisst, dass das, was sie nicht einstellen, nicht sichtbar ist. Ebenso ist das, was sie einmal einstellen, aber nie verändern, sichtbar, auch wenn es nicht mehr der Realität in der Schule entspricht. Insoweit sind die Zahlen als ungefähre Aussagen zu verstehen. Nicht jede Schulbibliothek, die in Berlin existiert, wird verzeichnet sein; ebenso werden einige Schulbibliotheken, die geschlossen wurden, weiter als existent geführt werden. Es sind aber immer noch die besten Daten, die wir haben. (Die Angaben im offiziellen Schulverzeichnis der Stadt Berlin zu den Infrastrukturen in den Schulen sind noch weniger zuverlässig.) Zudem kann man immer fragen, ob eine Schulbibliothek, die nicht auf der Homepage ihrer Schule auftaucht, überhaupt eine wirkliche Bedeutung im Schulbetrieb hat.

Auffälligkeiten im Bezug auf die Schulen

Auffällig war in diesem Jahr:

  • Die Schulen haben die Schulprogramme, welche sie seit 2006 erstellen und beständig (eigentlich in einem schulweiten Prozess) neu schreiben müssen, zu grossen Teilen wieder von den Homepages genommen. In den letzten Jahren fanden sich Hinweise auf Schulbibliotheken oft nur in diesen, schnell überholten, Schulprogrammen. Der Fakt, dass viele Schulen ihr Programm nicht mehr offen präsentieren, obwohl sie von der Schulverwaltung als Teil der Strukturreform konzipiert wurden, ist interessant. Für die Recherche nach Schulbibliotheken heisst dies vor allem, dass sich die Datenlage ändert.

  • Die Strukturreform im Berliner Schulwesen ist weit vorangeschritten. Es gibt in diesem Jahr schon weit weniger Schulen als noch im letzten. Die Zweigliedrigkeit in der Sekundarstufe (Gymnasium / Integrierte Sekundarschule) ist durchgesetzt; nur noch sehr wenige Schulen existieren, die nicht inklusiv (also sowohl Grundschule / Sekundarschule und Schule mit besonderem Förderbedarf) sind; ebenso sind eine ganze Anzahl von Gemeinschaftsschulen (also Schulen, die durchgängig von der ersten bis zur zehnten bzw. zwölften/dreizehnten Klasse besucht werden können) eingerichtet worden, deshalb ist insbesondere die Zahl der Grundschulen, die jetzt in diesen Gemeinschaftsschulen aufgegangen sind, gesunken. Gleichzeitig ist das Schulwesen in Berlin weiter in Bewegung. Neue Schulen wurden gegründet, andere scheinen geschlossen oder mit anderen zusammengelegt zu sein, gleichzeitig sind einzelne Filialen (wieder) zu eigenständigen Schulen geworden. So beweglich wie die Stadt und die Stadtbevölkerung ist, ist dem folgend auch das Schulwesen Berlins.

  • Der Mangel an Lehrerinnen und Lehren scheint in Berlin – das ansonsten immer damit wuchten konnte, das es Berlin ist und allein deshalb viele Menschen in der Stadt arbeiten wollen – angekommen zu sein. Eine ganze Reihe von Schulen, insbesondere Grundschulen, ist dazu übergegangen, auf ihren Homepages Stellen auszuschreiben. Dies gilt nicht nur für Privatschulen (staatlich anerkannte Ersatzschulen), die das schon immer taten, sondern auch für staatliche Schule. Gesucht werden dort Lehrerinnen und Lehrer (beziehungsweise Lernbegleiterinnen und Lernbegleiter) sowie Erzieherinnen und Erzieher, nicht aber anderes Personal, wie solches für Schulbibliotheken, Mensen und so weiter.

  • Die Breite der Qualität der Schulhomepages ist weiterhin sehr gross. Das Angebot von Content Management-Systemen ist nicht von allen Schulen genutzt worden. Dies ist nicht nur eine ästhetische Frage (obgleich einige der Homepages immer noch als Beispiel für das Webdesign der späten 1990er Jahre gelten können), sondern auch eine inhaltliche. Schulen, die selten aktualisierte, schlecht gestaltete Homepages einsetzen – obwohl sie dies nicht mehr müssten, da sie zum Beispiel von Verein cids (Computer in Schulen) dabei kostenfrei unterstützt werden, ihre Homepage mit einem CMS zu betreiben – können diese Homepage weniger zur Kommunikation mit der Aussenwelt einsetzen. Sicherlich ist dies nicht die Hauptaufgabe der Schulen, die immer noch vorrangig Kinder und Jugendliche auf ihrem Lebens- und Lernweg begleiten sollen, aber doch eine immer wichtiger werdende Herausforderung. Dies ist auf einigen der besser gestalteten Homepage zu sehen, die nicht nur aktuell gehalten sind und damit das Schulleben dokumentieren, sondern auch als Kommunikationsmittel benutzt werden. Für die Recherche nach Schulbibliotheken ist dies relevant, da weiterhin vor allem kleine Schulen und Grundschulen keine oder selten aktualisierte Homepages einsetzen und zudem zumindest der Eindruck entsteht, dass Schulen mit vielen Problemlagen eher weniger gute Homepages aufweisen, was im Umkehrschluss heisst, dass offenbar Sekundarschulen, grössere Schulen und Schulen mit wenigen Problemlagen ihren Schulalltag besser dokumentieren und deshalb ihre schulischen Einrichtungen, wie auch Schulbibliotheken sichtbarer sind.

Entwicklung der Schulbibliotheken in Berlin, 2008-2014

Ein erster Blick auf die Ergebnisse ist in folgender Tabelle gegeben.

Auswertung, Teil 1
Auswertung, Teil 1 (Klick für grössere Darstellung)

Sichtbar ist hier, dass Schulbibliotheken vor allem in Grundschulen und Gymnasien betrieben werden. Dass ist noch keine Aussage über die Form und Qualität der Schulbibliotheken. Es gibt zahlreiche gut ausgestattete Einrichtungen mit zahlreichem Personal, aber auch solche, die eher klein scheinen. Bei einigen Schulbibliotheken ist zu fragen, ob sie nicht eher freie Bücherecken darstellen. Ein Grossteil der hier gezählten Schulbibliotheken wird einfach unter solchen Kategorien wie „Ausstattung unserer Schule“ oder „Infrastruktur“ angeführt, was auf ihr Vorhandensein hindeutet, aber keine weiteren Aussagen zulässt.

Sichtbar ist auch, dass Schulbibliotheken in einer grossen Minderheit der Schulen in Berlin betrieben werden, im Umkehrschluss also die meisten Schulen in Berlin ohne Schulbibliotheken arbeiten. Dies gilt trotz der aus dem Bibliothekswesen, in Berlin aber vor allem aus der Arbeitsgemeinschaft Schulbibliotheken Berlin-Brandenburg e.V., vorgetragenen Argumentation für Schulbibliotheken. Gleichzeitig zeigen die Schulbibliotheken, bei denen dies zu erkennen ist, dass das Personal in den Schulbibliotheken – vor allem Ehrenamtliche sowie Schülerinnen und Schüler – sich stark engagieren.

Ein Vergleich mit den Daten der Jahre 2008 bis 2013, die mit der gleichen Methodik erhoben wurden, zeigt den Entwicklungstrend der Schulbibliotheken in Berlin auf. (Zu beachten ist dabei, dass die Integrierten Sekundarschulen im Schuljahr 2010/2011 aus Haupt- und Realschulen gebildet wurden, 2011/2012 aber noch einige dieser Haupt- und Realschulen existierten.)

Tabelle 2
Auswertung, Teil 2 (Klick für grössere Darstellung)

Eine graphische Darstellung dieser Entwicklung (nach Prozentzahlen) macht die Entwicklung deutlicher.

Darstellung der Entwicklung der Schulbibliotheken in Berlin, 2008-2014
Darstellung der Entwicklung der Schulbibliotheken in Berlin, 2008-2014 (Klick für grössere Darstellung)

Bis 2011 findet ein beachtliches Wachstum statt, anschliessend bewegt sich die Zahl der Schulen mit Schulbibliotheken in Berlin beständig zwischen 30% und 35%, wobei noch einmal daran erinnert werden muss, wie prekär die Datenlage ist. Im Jahr 2014 scheint es sogar zu einem gewissen Rückgang der aktiv betriebenen Schulbibliotheken gekommen zu sein. Dieser Rückgang ist nicht massiv, aber merklich. Es scheint keinen Zusammenbruch der Bemühungen um Schulbibliotheken anzudeuten, aber eine gewisse Abkühlung der Gründungsbemühungen. Dabei ist relevant, dass eine Reihe dieser Gründungen mit den Schulstrukturreformen in Berlin zusammenfiel.

Diese Tendenz wird in einer Zusammenschau der Schulhomepages genauer fassbar. Während weiterhin Schulbibliotheken gegründet wurden (z.B. in der PepperMont-Sekundarschule für ganzheitliches Lernen oder der Trelleborg Schule, Pankow. In der Bertolt Brecht Oberschule wurde 2014 die bis dato Öffentliche Bibliothek im Schulgebäude übernommen.), gibt es immer mehr Hinweise auf geschlossene Schulbibliotheken (Z.B. in der Bouché Schule, Treptow-Köpenick oder der Hauptmann von Köpenick Schule, Treptow-Köpenick) oder auch eventuell gescheiterte Projekte, welche eine Schulbibliothek gründen sollten, aber bei denen diese Bibliothek nicht zu finden ist. (Z.B. in der Paula Fürst Schule, Charlottenburg-Wilmersdorf und der Wilhelm von Humboldt Schule, Pankow)

Ob sich das Jahr 2013 als Höhepunkt der aktuellen Entwicklung in den Schulbibliotheken in Berlin darstellt und ob die Abkühlung dazu führen wird, dass Schulbibliotheken in Berlin wieder seltener werden, wird sich erst in den nächsten Jahren zeigen. Dann würde sich allerdings auch die Frage stellen, warum es zu diesem Wachstum der Schulbibliotheken kam. Ein Zusammenhang mit der Schulstrukturreform zumindest ist zu vermuten. Gleichzeitig ist in diesen Jahren die schon genannten Arbeitsgemeinschaft Schulbibliotheken Berlin Brandenburg aktiv geworden.

Letztlich muss aber darauf verwiesen werden, dass auch diese kleiner werdende Zahl noch 226 Bibliotheken darstellt, die allesamt von mehreren Personen betrieben werden und so von mehreren tausend Kindern und Jugendlichen genutzt werden können. Es gibt immer auch beachtlich langlebige und ausgebaute Einrichtungen.

Auffällig ist, dass die Namen, die in den Schulen für die Bibliotheken verwendet werden, immer mehr differenzieren. Es finden sich neben den „Bibliothek“ und „Bücherei“ (in mehreren Zusammensetzungen wie Schulbücherei oder Schülerbibliothek) auch „Leseraum“ (Stötzner Schule, Reinickendorf), „Bücherinsel“ (Evangelische Schule Pankow, Pankow, Wetzlar Schule, Neukölln), „Lesestübchen“ (Grundschule an den Buchen, Pankow), „Medienzentrum“ (Hannah Höch Grundschule, Reinickendorf), „Medienschatzinsel“ (Melli Beese Schule, Treptow-Köpenick), „Leseclub“ (Schule am Regenweiher, Neukölln), „Mediathek“ (Schule an der Victoriastadt, Lichtenberg, Gottfried-Keller-Oberschule, Charlottenburg-Wilmersdorf) und „Mediothek“ (Carl Friedrich von Siemens Oberschule, Spandau, Carl-von-Ossietzky-Schule, Friedrichshain-Kreuzberg). So divers, wie das Schulwesen (und anderes) in Berlin ist, so unterschiedlich sind offenbar auch die Schulbibliotheken und das Verständnis davon, was sie tun sollen. Anzumerken ist zudem, dass sich die meisten Einrichtungen auf das Medium Buch konzentrieren. Einige andere erwähnen Zeitungen und Zeitschriften, aber andere Medienformen, insbesondere elektronische, finden nur sehr selten eine Erwähnung, obgleich fast alle Schulen in Berlin heute „kreidefrei“ (also mit interaktiven Whiteboards ausgestattet) zu sein scheinen.

Karsten Schuldt, Zürich und Berlin

Recherche als PDF. Schulbibliotheken in Berlin, 2014 (Recherche)

Siehe auch

Schulbibliotheken in Berlin, 2013

Anbei die Ergebnisse einer Recherche zu Schulbibliotheken in Berlin, die ich jedes Jahr seit 2008 im April durchführe. Weiter unten finden sich die Verweise zu den Darstellungen der vergangenen Jahre, in denen auch auf die Methodik der Recherche und ihre Grenzen eingegangen wird. Die Recherche im Jahr 2013 war ein Zwischenschritt, Ziel ist es, eine mindestens zehnjährige Datenreihe zu erhalten.

Grundsätzlich ist die Zahl der Schulbibliotheken in Berlin leicht gestiegen, mit dem grössten Zuwachs bei den Grundschule, und moderate Zuwächsen in den anderen Schulformen. Nur in den Gymnasien scheint eine Stagnation eingetreten zu sein. Schulbibliotheken sind weiterhin in einer grossen Minderheit der Schulen in Berlin (34,7%) zu finden.

Bemerkenswert ist, dass die Sonderschulen in Berlin jetzt nahezu alle in inklusive Schulen umgewandelt wurden, was sich auch auf die Verfügbarkeit an Schulbibliotheken niederschlägt, die für Schülerinnen und Schüler dieser Schulen steigt. Zudem ist terminologisch zu beobachten, dass sich weiter unterschiedliche Bezeichnungen für Schulbibliotheken etabliert haben (u.a. Lernwerkstatt oder Lesezelt), allerdings kaum die in der bibliothekarischen Literatur der 1990er und 1980er als modern angepriesene Bezeichnung Mediothek, welche den Begriff Schulbibliothek ersetzen sollte.

Lausanne, 12. April 2013

Tabelle_2013
Auswertung Teil 1.

Auswertung, Teil 2
Auswertung Teil 2.

Darstellung der Entwicklung der Schulbibliotheken in Berlin, 2008-2013 (Die Schultypen Haupt-, Real- und Gesamtschule wurden im Untersuchungszeitraum aufgelöst und in den Schultyp 'Integrierte Gesamtschule' überführt).
Darstellung der Entwicklung der Schulbibliotheken in Berlin, 2008-2013 (Die Schultypen Haupt-, Real- und Gesamtschule wurden im Untersuchungszeitraum aufgelöst und in den Schultyp ‚Integrierte Gesamtschule‘ überführt).

Recherche als PDF. Schulbibliotheken in Berlin, 2013

Siehe auch

Schulbibliotheken in Berlin, 2012

Wie auch in den vergangene vier Jahren soll hier eine Übersicht zu den in Berlin nachzuweisenden Schulbibliotheken geliefert werden. Die Methodik dieser Statistik und ihre Grenzen wurde mehrfach berichtet (u.a. In: Schuldt, Karsten (2010) / Schulbibliotheken in Berlin 2008-2010 – Übersicht zu den grundsätzlichen Entwicklungen und der Anzahl der Schulbibliotheken in Berlin (Berliner Handreichungen zur Bibliotheks- und Informationswissenschaft ; 274). Berlin : Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft, Humboldt Universität zu Berlin, 2010). Der hier gegebene Bericht ist eine Fortschreibung der jeweils im April des Jahres publizierten Zahlen.

Die Recherche für die diesjährige Statistik wurde vom 01. bis zum 09. April 2012 durchgeführt. Zu beachten ist, dass in diesem Jahr die Schulreform in Berlin weiter gegriffen hat. Es existieren keine Haupt-, Real- oder Gesamtschulen mehr, die Schulen mit besonderem Förderbedarf sollen tendenziell abgebaut werden, sind aber noch in grosser Zahl (dafür oft als Einrichtung relativ klein) vorhanden. Die Schulform Integrierte Sekundarschule wurde hingegen flächendeckend durchgesetzt.

Die gesammelten Daten zu den nachweisbaren Schulbibliotheken in Berlin, 2012, im Zotero-RDF-Format: http://www.divshare.com/download/17391118-4ba.

Die wichtigsten Ergebnisse:

  • Es gibt 2012 leicht weniger Schulbibliotheken in Berlin als 2011, gleichzeitig ist aber auch die Zahl der Schulen gesunken (dies zum Teil durch Zusammenlegung kleinerer Schulen, nicht unbedingt durch die Schliessung von Schulgebäuden).
  • Prozentual hat sich die Gesamtzahl der Schulbibliotheken nicht gross geändert.
  • In den Grundschulen allerdings ist die Zahl der nachzuweisenden Schulbibliotheken massiv gesunken. Dies weisst wieder einmal darauf hin, dass die Gründung einer Schulbibliothek nicht unbedingt immer einhergeht mit dem längerfristigen Unterhalt derselben. (Hier würde eine wichtige Forschungsperspektive liegen, die versuchen könnte zu klären, unter welchen Voraussetzungen Schulbibliotheken schliessen oder weiter betrieben werden. Interessant wäre auch zu erfahren, ob die Einrichtungen räumlich in der Schule verbleiben, wenn sie geschlossen werden oder ob sie tatsächlich durch andere schulische Angebote ersetzt werden.)
  • Grundsätzlich scheint sich bisher die Schulbibliothek in Berlin als eine Einrichtung etabliert zu haben, die für alle Schulen denkbar ist, aber nur in einer, wenn auch grossen, Minderzahl der Schulen tatsächlich umgesetzt wird. Gleichwohl finden sich auch in den Schulprogrammen anderen Schulen Hinweise auf Diskussionen um die Einrichtung von Schulbibliotheken.

Tabelle 1: Schulbibliotheken in Berlin, 2012
Tabelle 1: Schulbibliotheken in Berlin, 2012

Tabelle 2: Schulbibliotheken in Berlin, Anzahl 2008-2012

Tabelle 3: Schulbibliotheken in Berlin, prozentuale Verteilung, 2008-2012

Diagramm 1: Schulbibliotheken in Berlin, Prozentuale Verteilung, 2008-2012
Diagramm 1: Schulbibliotheken in Berlin, Prozentuale Verteilung, 2008-2012

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