[Vorbemerkung: Dieser Artikel war der Zeitschrift, für die er gedacht war, zu speziell. Ich finde ihn spannend genug, um ihn nicht „in der Schublade“ zu lassen.]
Artikel 25 des Volksschulgesetzes des schweizerischen Kantons St. Gallen beschäftigt sich explizit mit Bibliotheken:
“Art. 25 Bibliothek
1 Die Schulgemeinde unterhält eine Bibliothek für Schülerinnen und Schüler sowie eine Bibliothek für Lehrpersonen.
2 Die Bibliothek für Schülerinnen und Schüler kann zusammen mit anderen Institutionen geführt werden.”
Seit der Einführung des Gesetzes 1983 ist dieser Artikel – im Gegensatz zu zahlreichen anderen – nicht verändert worden, insoweit regt er im Kanton offenbar nicht zu Widersprüchen an. Ein solcher Artikel ist für die Schweiz allerdings auch nicht ungewöhnlich. In Schulgesetzen von 20 Kantonen sowie zusätzlich in Bibliotheksgesetzen zwei weiterer Kantone werden Schulbibliotheken erwähnt. Weiterhin verfügen drei Kantone über spezielle Erlasse zu Schulbibliotheken. In den Kantonen St. Gallen und Luzern erwähnen sowohl Schul- als auch Bibliotheksgesetze Schulbibliotheken. Nur vier der 26 Kantone regeln das Vorhandensein von Schulbibliotheken nicht rechtlich.
Zum Artikel im St. Galler Volksschulgesetz haben sich zudem im Staatsarchiv St. Gallen (StaatsA SG) Unterlagen aus den Diskussionen, die zum Gesetz führten, erhalten. Anhand dieser Unterlagen lässt sich insbesondere für die Jahre 1976 bis 1978 nachvollziehen, wie sich die Diskussionen um diesen Artikel gestaltete. Sie bieten einen seltenen Einblick in die unterschiedlichen Zugänge politischer Akteurinnen und Akteure zu Schulbibliotheken im deutschsprachigen Raum. Der vorliegende Text zeichnet diese anhand der in den Unterlagen vorhandenen Vorschlägen für den jetzigen Artikel 25 nach und versucht, die Wahrnehmung von Schulbibliotheken darzustellen.
1. Das Volksschulgesetz von 1983 und die Vernehmlassung als Prinzip der schweizerischen Gesetzgebungsverfahren
1952 wurde im Kanton St. Gallen ein Erziehungsgesetz erlassen, welches versuchte, im damals noch stark von konfessionellen Differenzen sowie den Unterschieden von Stadt und Land geprägten Kanton einheitlich alle Fragen des Erziehungswesens zu regeln. Dieses Gesetz war selbstverständlich ein Kompromiss, welches insbesondere die unterschiedlichen Interessen der damals bestimmenden Parteien des Kantons sowie der durch sie vertretenen Bevölkerungsgruppen zu beachten hatte. Bis zum Ende der 1970er Jahre hatte sich die politische und gesellschaftliche Struktur im Kanton, genauso wie in der gesamten Schweiz und Westeuropa, grundlegend geändert. Konfessionelle Unterschiede hatten viel weniger Bedeutung, die Bindung der Milieus an einzelne Parteien war zurückgegangen, gleichzeitig waren neue Parteien und Bewegungen entstanden. Vor allem aber bestimmte die Überzeugung den öffentlichen Diskurs, dass die Gesellschaft, und damit auch das Bildungswesen, grundlegend reformiert werden müsste. Trotz radikaleren Vorbildern in anderen Kantonen und dem Ausland geschah diese Reform in St. Gallen eher spät, am Ende der 1970er Jahre, und in einem kompromissfördernden Prozess.
Im Jahr 1976 unternahm das Erziehungsdepartement (EZD) die ersten Vorstösse, das Erziehungsgesetz, welches in den vorhergehenden Jahren von weiteren Gesetzen und Reglementen ergänzt worden war, einer Totalrevision zu unterziehen. Schon zu Beginn dieses Prozesses scheint die Idee gestanden zu haben, das Erziehungsgesetz in drei Gesetze zu unterteilen: das Volksschulgesetz (welches damals die erste bis zehnte Klasse, inklusive der sechsjährige Primarschule umfasste, dann im Laufe der Diskussion noch um den heute zweijährigen Kindergarten ergänzt wurde), das Mittelschulgesetz (elfte bis dreizehnte Klasse) sowie das Gesetz über die Pädagogische Hochschule. Im Folgenden wird sich mit dem Volksschulgesetz auseinandergesetzt, zu dessen Entstehungsprozess im Rahmen eines grösseren Projektes zu den Schulbibliotheken des Kantons St. Gallen Unterlagen ausgewertet werden konnten.
Gesetze und andere weiterreichende Bestimmung werden in der Schweiz gemeinhin in einem “Vernehmlassung” genannten Verfahren vorbereitet. Dieses Verfahren soll die Einbindung möglichst aller betroffenen Gruppen und Institutionen bewerkstelligen und einen Ausgleich der unterschiedlichen Interessen ermöglichen. Vorversionen von Gesetzestexten oder ähnlichen Regelungen werden an alle möglicherweise interessierten Gruppierungen verschickt. Wenn es sich um gewichtige Gesetze handelt, kann auch versucht werden, eine repräsentative Auswahl von Einzelpersonen anzuschreiben. Die so in die Vernehmlassung Einbezogenen haben dann die Möglichkeit, Rückmeldungen zu geben, Änderungen vorzuschlagen beziehungsweise einzufordern oder auch Ablehung zu formulieren. Diese Rückmeldungen werden in eine weitere Version des Gesetzestextes eingearbeitet. Erst diese wird schliesslich zur Abstimmung gestellt. Grundsätzlich können alle Gruppen und Personen auch ohne Einladung an einer Vernehmlassung teilnehmen, solange sie über die Existenz des jeweiligen Vernehmlassungsverfahrens informiert sind. Im Falle der Totalrevision des Erziehungsgesetzes veranstaltete die Kantonsregierung eine öffentliche Veranstaltung und publizierte die dort gehaltenen Vorträge sowie den Entwurf der drei neuen Gesetze. Dies ist allerdings selten der Fall. Schwachstelle des Verfahrens ist, dass die Auswahl der potentiell beteiligten Gruppen intransparent ist. Gleichzeitig ist das Verfahren eingespielt, weithin akzeptiert und der Gesetzgeber im Allgemeinen bemüht, einen Ausgleich zu schaffen und beispielsweise wirklich alle relevanten Parteien und Organisationen zur Vernehmlassung einzuladen.
Im Fall des Volksschulgesetzes existierte damals eine Kantonale Kommission für Schulbibliotheken (KKS), die vom EZD beauftragt war, Schulbibliotheken bei der Bestandsauswahl anzuleiten. Die Kommission war 1906 als „Jugendschriftenkommission“ mit dem Ziel gegründet worden, damals als gefährlich angesehener Literatur durch die Förderung von Schulbibliotheken mit subventionierter „guter Literatur“ entgegenzuwirken. Im Laufe der Geschichte änderte sich Name, Kompetenzbereich und Aufgabenbeschreibung der Kommission, obwohl sie grundsätzlich immer eine Liste empfohlener Jugendliteratur für Schulbibliotheken publizierte. In den 1960er und 1970er Jahren nahm sie auch explizit Beratungsaufgaben für Schulbibliotheken wahr. Die Protokolle der Kommission sind im StaatsA SG erhalten. 1983 ging die Kommission in der Kantonalen Kommission für Schul- und Gemeindebibliotheken (KKSG) auf, wo sie eine eigene Fachgruppe bildet, welche bis 2012 bestand. Im Vernehmlassungsverfahren wurde die Kommission als Experteninstitution angeschrieben und äusserte sich auch umfangreich zum Schulbibliotheksartikel. Gleichzeitig war ihr Status nicht unangefochten. Ihre Vorschläge und Einwürfe wurden in der Ausgestaltung des Gesetzes nicht gesondert beachtet, zugleich äusserten sich unabhängig davon auch andere Gruppierungen und Personen zu diesem Artikel.
2. Archivbestand
Vernehmlassungen bringen, insbesondere bei umstrittenen Gesetzesentwürfen, eine ganze Anzahl von Aktivitäten und damit auch zahlreiche Dokumente hervor. Beispielsweise beauftragt die Freisinnig-Demokratische Partei (FDP) des Kantons für die Fragen der Totalrevision des Erziehungsgesetzes einen eigenen Ausschuss, welcher zudem noch einen Unterausschuss „Primarschule/Kindergarten“ bildete und im Laufe der Vernehmlassung eigene Texte produzierte. Ein Teil dieser Dokumente aus der Diskussion um das Volksschulgesetz liegt heute im StaatsA SG als Teil des Aktenbestandes des EZD.
Dabei sticht eine als Entscheidungshilfe erstellte Übersicht – “Verarbeitung der Vernehmlassungen Dezember 1978” – zu den eingereichten Vernehmlassungen hervor. Erstellt im Sekretariat des EZD, werden in dieser der Reihenfolge im ersten Entwurfs des Gesetzes folgend die Hauptaussagen der einzelnen Vernehmlassungen zu jedem Artikel versammelt. Vorangestellt ist dem je die Entwurfsversion des Artikels. Die Zusammenfassungen sind teilweise mehrere Dutzend Seiten lang, bei unumstrittenen Artikel bestehen sie zum Teil nur aus einem Blatt. An den Schluss der jeweiligen Zusammenfassung ist zum Teil eine neue Version des Artikels gestellt, der auf die eingeforderten oder vorgeschlagenen Änderungen reagiert. Oft ist dieser Platz aber auch freigelassen. Diese Zusammenfassung gibt die damalige Diskussion kondensiert wieder.
Die Rückmeldungen zum vorgeschlagenen Schulbibliotheksartikel wurden auf insgesamt zwei Blättern zusammengefasst, was eine leicht unterdurchschnittliche Anzahl darstellt. Verwiesen wird darin unter anderem auf den konkreten Vernehmlassungsbeitrag der KKS, der im Original den Vorschlag eines Reglements für Schulbibliotheken von fünf Seiten enthielt. Im Vergleich mit den anderen Artikeln hat der Schulbibliotheksartikel zwar zu einigen Anmerkungen geführt, war also nicht gänzlich unumstritten; diese Anmerkungen widersprechen sich aber nicht, sondern ergänzen einander. Im Gegensatz dazu waren die Anmerkungen zu den ersten Artikeln des vorgeschlagenen Gesetzes, den “Zweckartikeln”, weit umfangreicher. In diesen wurde über die grundsätzlichen Aspekte der Schulbildung, der Stellung von Staat, Gemeinde und Familie informiert, ebenso über die christlichen Grundsätze deVolksschule in St. Gallen. Diese Punkte führten zu intensiven Diskussionen, die auch noch nach dem Erlass des Gesetzes weitergeführt wurden und bei denen sich grundsätzliche Positionen gegenüberstanden. Im Vergleich dazu scheint allen an der Vernehmlassung beteiligten Gruppen eine Regelung zu Schulbibliotheken im Gesetz in der vorgeschlagenen Form im Prinzip akzeptabel erschienen zu sein.
Die einzelnen Vernehmlassungsbeiträge sind nur in Ausnahmefällen erhalten. Eine Reihe von Briefen, insbesondere von Parteien, existiert; aber andere Einlassungen, deren Existenz in der “Verarbeitung der Vernehmlassungen” angezeigt wird, sind nicht im Archiv vorhanden. Teilweise finden sie sich in anderen Akten, beispielsweise den Parteiarchiven, oder aber im Falle der KKS, in den erhaltenen Sitzungsprotokollen.
Im Konvolut zur Vernehmlassung finden sich weiter Zeitungsausschnitte zur Diskussion sowie die schon genannte Broschüre, welche die bei einer öffentlichen Veranstaltung zur geplanten Totalrevison des Erziehungsgesetzes 1978 gehaltenen Vorträgen dokumentiert.
Weiter erhalten hat sich im Amtsblatt des Kantons St. Gallen die offizielle Botschaft des zuständigen Regierungsrates über das Gesetz, in welcher er dem Grossen Rat – dem Kantonsparlament (heute Kantonsrat) – abschliessend über das Gesetz und das Verfahren, dass zu ihm führte, informierte.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Aktenlage zur Diskussion des Schulbibliotheksartikels des Volksschulgesetzes relativ gut und breit ist, aber auch nicht vollständig. Einige Einlassung zum Thema Schulbibliotheken – welches in der gesamten Diskussion eher ein wenig umstrittenes Nebenthema darstellte – sind gewiss nicht mehr erhalten. Gleichzeitig lässt sich eine gewisse Übersicht erstellen: Insgesamt fanden sich neun Fassungen des Schulgesetzartikels, die vor der endgültigen Version als Vorschläge unterbreitet wurden. Die Überlegungen, welche zu diesen unterschiedlichen Fassungen führten, sind allerdings nicht überliefert und müssen interpretiert werden. Einzig für die KKS finden sich in deren Protokollen einige Andeutungen.
3. Vorschläge für den Schulgesetzartikel im Volksschulgesetz des Kantons St. Gallen
Im folgenden werden die unterschiedlichen Versionen des Schulgesetzartikels für das damals gänzlich neu entworfene Volksschulgesetz des Kantons St. Gallen vorgestellt und diskutiert, da sich in diesen die meisten Hinweise darauf finden, wie unterschiedliche Institutionen Schulbibliotheken bewerteten.
3.1 Grundsätzliches
Festgestellt werden kann, dass ein Artikel zu Schulbibliotheken schon im ersten Entwurf des Gesetzes vorhanden war. Es fanden sich keine Beiträge, die eine Streichung desselben vorschlugen, sondern nur solche, die ihn leicht ändern wollten. Zuvor war die Frage der Schulbibliotheken in der kantonalen Schulordnung vom 08. Juli 1952, im Reglement über die Führung und Förderung von Schulbibliotheken von 1962 sowie im Lehrerbesoldungsgesetz vom 5. Januar 1947 und deren Fortschreibungen geregelt. Ersteres dekretierte, dass die Schulgemeinden für die Schülerinnen und Schüler Bibliotheken zu führen hätten, die vorrangig dem Sprachunterricht zu Gute kommen sollten, sowie Bibliotheken für Lehrpersonen; die beiden anderen legten fest, dass die Schulen für verschiedene Aufgaben eine finanzielle Unterstützung des Kantons erhalten würden. Dabei wurden Schulbibliotheken als ein Föderbereich von mehreren aufgeführt, allerdings blieb den Schulen überlassen, wie sie die Zuschüsse zwischen den einzelnen Bereichen verteilten.
Grundsätzlich postulierte das EZD, dass die Totalrevision die Aufgabe hätte, alle Bereiche der Schulen zu prüfen und neu zu bestimmen. Insoweit ist es relevant für die Bedeutung, die den Schulbibliotheken von verschiedenen Seiten zugeschrieben wurde, dass nicht deren Streichung gefordert, sondern sie von vielen Seiten nicht und von einigen positiv behandelt wurden.
Grundsätzlich fand sich der Artikel in allen Beiträgen und Vorschlägen zur Vernehmlassung an der heutige Stelle im Gesetz: Hinter den allgemeinen Bestimmungen zum Gesetz selber und dem Abschnitt zu den unterschiedlich Schultypen, eingebettet in die Regelungen der Infrastrukturfragen von Schulen. Die konkrete Nummer des Schulbibliotheksartikels änderte sich in den Vorschlägen immer wieder, dies aber aufgrund anderer Artikel, die eingefügt, gestrichen oder zusammengefasst wurden. Die Position des Artikels selber, an einer für die Ausgestaltung der Schulen relevanten, aber auch nicht bestimmenden Stelle, war offenbar von Beginn an Konsens.
Zudem ist zu erwähnen, dass die Grundsätze des Gesetzes von nahezu allen Beteiligten begrüsst oder zumindest akzeptiert wurden. Auch wenn es Auseinandersetzungen um einzelne Punkte gab, ist in den Unterlagen eine starker Wille zum Konsens festzustellen. Beispielsweise wurde der Vorschlag, das Erziehungsgesetz in drei Gesetze aufzuteilen, grundsätzlich von allen, die sich dazu äusserten, begrüsst.
3.2 Die Vorschläge für den Schulbibliotheksartikel
3.2.1 Kantonaler Lehrerverein St. Gallen (26. November 1976)
„16. Das Bestehen einer Schülerbibliothek soll erwähnt werden. (Art 31)“
Die erste Erwähnung einer Schulbibliothek findet sich in einem Schreiben des Kantonalen Lehrervereins (KLV), der 1976 im Rahmen einer Vorvernehmlassung – in der überprüft wurde, ob überhaupt ein Interesse für eine Totalrevision des Erziehungsgesetzes vorlag – vorschlägt, dass diese Einrichtungen erwähnt werden sollten. Der Lehrerverein betrieb in den 1960er und frühen 1970er Jahren auch eine Aktion „Das gute Buch“, die in einigen Protokollen der KKS und in den Jahresberichten der Kantonalen Kommission für Jugend- und Volksbibliotheken (KKJV) erwähnt wird. Im Rahmen dieser Aktion wurde unter anderem die Einrichtung von Schulbibliotheken, welche der Jugend „Gute Literatur“ anbieten und damit gegen die sogenannte „Schund“-Literatur wirken sollten, angestrebt. Obgleich dies als Ziel heute relativ rückständig erscheint, scheint die Aktion auch dazu beigetragen zu haben, für damalige Zeiten moderne Schulbibliotheken aufzubauen. Insoweit ist die Behandlung des Themas durch den Lehrerverein wenig überraschend. Interessant ist allerdings die Kürze des Vorschlags, die auf jede weitere Angabe, wozu die Schulbibliotheken genutzt werden und wie diese aussehen sollten, verzichtet. Auffällig ist auch, dass dieser frühe Vorschlag auf eine Bibliothek für Lehrpersonen verzichtet. Dies ist zwar deckungsgleich mit den Forderungen, die in der zeitgenössischen bibliothekarischen Literatur erhoben wurden, aber nicht mit der damaligen und heutigen Gesetzgebung im Kanton.
3.2.2 Sozialdemokratische Partei des Kantons St. Gallen (04. Januar 1977)
„Material
Die Schulhäuser aller Stufen müssen über ein bestimmtes Minimalinventar verfügen. Im neuen EG [Erziehungsgesetz] ist festzuhalten, dass dazu auch eine Schülerbibliothek gehört.“
Auch von der Sozialdemokratischen Partei (SP) des Kantons ist eine Stellungnahme zur Vorvernehmlassung erhalten, die grundsätzlich positiv ist, und Schulbibliotheken als Teil der minimalen Infrastruktur einer (zukünftigen) Schule bezeichnet. Auffällig ist hier, dass die SP noch von einem Erziehungsgesetz ausgeht, nicht von der Aufteilung in drei Gesetze, die wohl erst später konkretisiert wurde. Gleichzeitig verzichtet sie, wie der KLV, auf eine Konkretisierung der Forderung und auf eine Bibliothek für Lehrpersonen.
3.2.3 Freisinnig-Demokratische Partei des Kantons St. Gallen (23. Mai 1977)
„Sammlungen, Bibliothek
Der Erziehungsrat erlässt nach Rücksprache mit dem Schulgemeindeverband die Bestimmungen über das Normalinventar, Verbrauchsmaterial, Turnmaterial usw. Er bezeichnet empfohlene, technische Apparate und die jährlichen Verbrauchskredite [Etat, K.S.].“
Der Beitrag der FDP ist auf den ersten Blick widersprüchlich. Unter der Überschrift „Sammlung, Bibliothek“ beschäftigt er sich mit der Regelung von Bestimmungen über die notwendige Infrastruktur von Schulen. Aufgezählt werden nur einige Teile dieser Infrastruktur, allerdings gerade keine Bibliotheken. Dafür wird mit einem „usw.“ Raum für weitere Einrichtungen gelassen. Dabei scheinen, dem Titel des Artikels folgend, unter die minimale Infrastruktur doch auch Bibliotheken zu zählen, wobei nicht ersichtlich ist, welche Form von Bibliotheken und zu welchem Zweck. Zu vermuten ist, dass es der FDP mit ihrem Vorschlag vor allem darum ging, eine Regelung für das Erlassen von Richtlinien festzuschreiben. Diese sollten anpassbar sein und deshalb nicht im Gesetz geregelt werden, gleichzeitig sollten die Schulen über den Schulgemeindeverband direkten Einfluss auf diese Richtlinien erhalten.
3.2.4 Erziehungsrat des Kanton St. Gallen, Verhandlungsprotokoll (30. Juni 1977)
„16. [Tagesordnungspunkt, K.S.] Bibliotheken, Art.32
Die im Gesetz enthaltene Verpflichtung zur Führung einer Schüler- und Lehrerbibliothek gilt als Minimalverpflichtung. In Gemeinden mit mehreren Schulgemeinden sind in der Regel auch mehrere Bibliotheken notwendig. Einzelheiten sind der Verordnung zu regeln.“
Der Erziehungsrat ist bis heute die Bildungskommission des EZD Er wacht beispielsweise über die Schulqualität im Kanton und trifft Entscheidungen über alle Fragen des Erziehungswesen. In einer Sitzung am 30. Juni 1977, dessen Protokoll erhalten ist, beschäftigte er sich im Hinblick auf die Revision mit nahezu allen Artikeln des Erziehungsgesetzes. Im Protokoll enthalten ist oben zitierter Abschnitt zu Schulbibliotheken. Sichtbar ist hierbei, dass auch der Erziehungsrat eine grundsätzlich positive Haltung zu Schulbibliotheken hatte. Er kritisierte indirekt, dass die Regelung nicht ausreichend sei, sondern nur eine minimale Versorgung sicherstelle. Für grössere Gemeinden seien mehrere Bibliotheken notwendig. Gleichzeitig akzeptiert der Erziehungsrat offenbar die Trennung in Bibliotheken für Lernende und für Lehrende.
Wichtig ist der Verweis auf weitere Regelungen in Verordnungen. Bis zum Erlass des Volksschulgesetzes galt zuletzt das „Reglement über die Führung und Förderung der Schulbibliotheken“, erlassen 1962, welches sich vor allem mit der Stellung der KKS und der Notwendig „guter Literatur“ beschäftigte. Nach dem neuen Gesetz wurde aber keine neuen Reglements, Verordnungen oder ähnlichen Anweisungen mehr erlassen. Insoweit ist die Erwähnung im Protokoll des Erziehungsrates bedeutsam, da sie zeigt, wie sich Ansprüche und Vorstellungen in Gesetzgebungsprozessen auch nicht durchsetzen können.
3.2.5 Erziehungsrat St. Gallen, Erster Gesetzesentwurf (26. September 1977)
„Art. 29. Die Schulgemeinde unterhält eine Schüler- und Lehrerbibliothek.“
Auf der Grundlage der oben besprochen Beratung und gewiss auch den bis dahin eingegangenen Beiträgen zur Vernehmlassung und Vorvernehmlassung erarbeitete der Erziehungsrat einen ersten konkreten Gesetzesentwurf für das Volksschulgesetz. Sichtbar ist dies unter anderem am Datum des Entwurfes, erst drei Monate nach der betreffenden Sitzung, die offenbar für die Ausarbeitung genutzt wurden. Sowohl die Rückmeldungen als auch die eigene Diskussion scheinen einen Artikel zu Schulbibliotheken unterstützt zu haben.
Im Gegensatz zum im Protokoll festgehaltenen Einspruch, dass es sich in der bisherigen Regelung um einen Minimalversion handeln würde, entschied sich der Erziehungsrat dafür, den Artikel über Schulbibliotheken zusammenzuziehen. In diesem Entwurf ist die Verantwortung für die Bibliotheken den Schulgemeinden übertragen, Aufgaben und Minimalausstattung der Bibliotheken werden nicht festgelegt. Zudem ist die gewählte Formulierung uneindeutig. Sie kann dahingehend interpretiert werden, das eine Bibliothek, die gemeinsam für Lehrenden und Lernende genutzt würde, eingerichtet werden sollte, aber auch gegenteilig so, dass es weiter eine Trennung von Bibliotheken für beide Gruppen geben müsse.
Zu erklären ist diese Version eventuell durch die schon angesprochene Hoffnung des Erziehungsrates, weitere Fragen mittels Reglementen zu regeln.
3.2.6 Erziehungsrat St. Gallen, überarbeiteter Gesetzesentwurf (10. Januar 1978)
„Art.27.Die Schulgemeinde unterhält eine Schüler- und Lehrerbibliothek.“
Eine weitere Version des vorgeschlagenen Gesetzes wurde einige Monate später erstellt. Die Überarbeitung resultierte aus Beratungen des Regierungsrates. Protokolle der Beratungen sind nicht mehr vorhanden, einzig der überarbeitete Entwurf. Der Artikel zu Bibliotheken wurde im Rahmen dieser Beratungen nicht verändert, einzig die Nummer des Artikels wurde, aufgrund der Zusammenführung anderer Artikel, angepasst. An der Position innerhalb des Gesetzestextes änderte sich dadurch ebenfalls nichts. Zu vermuten ist also, dass der Vorschlag des Artikels zu diesem Zeitpunkt grundsätzlich akzeptiert wurde und kein weiteres Diskussionspotential bereithielt.
3.2.7 Erziehungsdepartement des Kantons St. Gallen (06. März 1978)
„Art. 27: Bibliotheken
Jede Schulgemeinde ist verpflichtet, für die Beschaffung und laufende Erneuerung einer Schüler- und einer Lehrerbibliothek besorgt zu sein. In der Beantwortung einer Interpellation hat der Regierungsrat kürzlich in Aussicht gestellt, unter den bestehenden Schul- und Volksbibliotheken eine Koordination anzustreben (51.76.22). Die Vorarbeiten dazu sind im Gang. Federführend ist das Departement des Innern.“
Im März des gleichen Jahres verschickte das EZD auf der Basis der letztgenannten Version des Gesetzes vom Januar 1978 eine längere Stellungsnahme an die Vernehmlassungsinstanzen. In dieser wurden kurz die Überlegungen, die hinter dem Gesetz und den einzelnen Artikeln standen, dargelegt sowie auf relevante Änderungen hingewiesen.
Dabei wurde der Schulbibliotheksartikel in seiner damaligen Version inhaltlich als gegeben dargestellt und weiterhin auf eine Anfrage im Parlament eingegangen. Interessant ist, dass auch in dieser Ausführung davon gesprochen wird, dass jede Schulgemeinde je eine Bibliothek für Lehrende und Lernende unterhalten müsse, obwohl Schulgemeinden mit mehreren Schulhäusern (bzw. weitere differenziert in Schuleinheiten oder Schulkreisen) existierten, wie aus mehreren Beiträgen zur Vernehmlassung hervorgeht. Ansonsten spricht der Text eine vorgesehene Koordination an, die in einer anderen Form erst 1983 – zeitgleich mit dem Inkrafttreten des Volksschulgesetzes – im Reglement für die von der Stadt St. Gallen übernommene und neu als Kantonsbibliothek gefasste Vadiana wirkungsvoll wurde. Mit der Übernahme kantonalbibliothekarischer Aufgaben wurde der Vadiana unter anderem die Beratung von Schulbibliotheken im gesamten Kanton übertragen. Diese Beratungsfunktion war allerdings keine Koordinationsfunktion. Vielmehr gingen die direkten Kompetenzen für Schulbibliotheken vollständig an die Schulgemeinden über, die Vadiana und die ihr dann angegliederte KKSG hatte keine Möglichkeit, in diese einzugreifen. Gleichzeitig gab das EZD, dass noch 1962 ein Reglement über Schulbibliotheken erlassen hatte, dieses – und damit auch den Anspruch, Anweisungen über Schulbibliotheken zu erlassen – im Rahmen der Neufassung der Erziehungsgesetze offenbar auf.
3.2.8 Kantonale Kommission für Schulbibliotheken (27. September 1978)
„Neuer Vorschlag
Die Schulgemeinde unterhält pro Schulanlage eine zeitgemäss ausgestattete Schüler- und Lehrerbibliothek.
Der Erziehungsrat erlässt die näheren Bestimmungen.“
Wie schon erwähnt, existierte zur Zeit der Vernehmlassung mit der KKS eine Institution, welche als anerkannte Gruppe von Expertinnen und Experten auf dem Gebiet der Schulbibliotheken des Kantons gelten konnte. In zwei Sitzungen (126. Sitzung am 16.08.1979 und 127. Sitzung am 27.09.1979) beschäftigte sie sich mit dem Gesetz. Die Protokolle dieser Sitzungen stellten die Ergebnisse der Besprechungen, aber keine etwaigen Diskussionen oder Auseinandersetzungen innerhalb der KKS dar. Gleichzeitig ist offensichtlich, dass in der ersten Sitzung offenbar kein eindeutiges Ergebnis erreicht wurde, sondern zeitnah ein weiteres Treffen notwendig war.
Das erste Mal erwähnt wurde das Gesetz im Protokoll der 125. Sitzung vom 26.04.1978, allerdings im Zusammenhang einer möglichen Fusion der KKS mit der KKJV. Dabei wurde darauf verwiesen, dass man zur Klärung dieser Möglichkeit auf die Bestimmungen des neuen Gesetzes warten müsse.
Vor der 126. Sitzung hatten schon drei Mitglieder der Kommission – L. Kleiner, Felix Brassel und Peter Ganz – einen Vorschlag für die Vernehmlassung erarbeitet, der dann diskutiert wurde. Wann und mit welchen Massgaben diese drei den Vorschlag geschrieben hatten, ist nicht mehr ersichtlich. Gleichwohl gab es zu diesem Zustimmung und eine Diskussion auf dessen Grundlage. Nur etwas mehr als einen Monat später traf sich die Kommission – welche sich damals sonst alle vier bis sechs Monate traf – zu einer weiteren Sitzung. Dies war nötig, da das EZD die Rückmeldungen bis Ende September 1978 erwartete. Insoweit reagierte die Kommission fast zum letztmöglichen Zeitpunkt. Zum Teil ist das damit zu erklären, dass die Kommission selber Auseinandersetzungen um die eigene Identität führte. Noch in der 125. Sitzung wurde betont, dass sie sich bislang vor allem mit der Erstellung der Liste von empfohlenen Jugendbüchern befasst hätte, jetzt aber mehr Beratungsaufgaben übernehmen könnte.
In der 127. Sitzung wurde dann die Vernehmlassung verabschiedet. Sie bestand zum ersten aus dem oben zitierten Entwurf für den Schulbibliotheksartikel und zum zweiten aus dem Entwurf eines Reglements für Schulbibliotheken im Kanton. Dieses war explizit als Ersatz für das bis dahin geltende Reglement von 1962 gedacht. Dabei schrieb die Kommission dem Erziehungsdepartement, welches das Reglement erlassen sollte, offenbar zu, das Recht zu haben, die Schulbibliotheken des Kantons zu regulieren. Gerade dieser Anspruch wurde aber vom EZD mit dem Volksschulgesetz, welches den Gemeinden mehr Autonomie zugestand, aufgegeben. Offenbar hatte die Kommission diesen Trend anders eingeschätzt.
Das Reglement hätte in vier Abschnitten Fragen zum Zweck und Aufbau von Schulbibliotheken, zu ihrer Organisation, zu Bibliotheken für Lehrkräfte und der Zentralisation von Schulbibliotheken sowie zu Beratungsstellen geklärt. Dabei waren die Vorstellungen sowohl umfassend als auch konkret. Schulbibliotheken sollten dem Vorschlag entsprechend Informations- und Begegnungszentren von Schulen sein, die Lernenden zum Lesen hinführen, moderne Unterrichtsformen ermöglichen und die Möglichkeit zu selbständiger Arbeit von Schülerinnen und Schülern anbieten. Über gedruckte Medien hinaus sollten sie andere moderne Medien enthalten. Gleichzeitig wurden Schlüssel für die Grösse des Buchbestandes (10 Bücher pro Lernende bei bis zu 50, 7 Bücher bei 50 bis 500 und 5 Bücher bei über 500 Schülerinnen und Schülern) und für die Finanzierung von Schulbibliotheken (8 bis 12 Franken pro Lernende) genannt. Die Schulbibliotheken sollten zentral gelegen sein, ihr Bestand als Freihand aufgestellt werden und Kataloge entsprechend der Öffentlichen Bibliotheken haben. Klassenbibliotheken sollten abgeschafft werden, gleichzeitig wurde weiter von gesonderten Bibliotheken für Lehrpersonen ausgegangen. Beraten werden sollten die Schulbibliotheken von drei Stellen: Der Kantonsbibliothek zum Auf- und Ausbau, der KKS zu Jugendbüchern und der KKJV zur Aus- und Weiterbildung des Personals.
Diese Vorstellungen scheinen weit über die Realität in Schulbibliotheken im Kanton hinausgegangen zu sein. Diese wurden im Protokoll zu den Sitzungen auch nicht erwähnt. Vermutlich ist die Basis der geäusserten Vorstellungen der KKS eher in zeitgenössischen Publikationen zu Schulbibliotheken zu suchen, die in der Schweiz, aber auch Deutschland, moderne Schulbibliotheken in einer Weise entwarfen, die an die Beschreibung im Reglementsentwurf erinnert. Wäre das Reglement erlassen worden, hätte dies zu einer starken Veränderung der Schulbibliotheken im Kanton geführt.
Hervorzuheben ist, dass die Kommission sich offenbar selber damit beauftragte, ein Reglement vorzuschlagen. Ein Auftrag dazu wird nirgends erwähnt. Im Vernehmlassungsprozess selber wurde sich nicht mit notwendigen Ausführungsbestimmungen oder Zusatzregeln beschäftigt, sondern ausnahmslos mit dem konkreten Volksschulgesetz. Insoweit ging der Vorschlag der KKS am Erwarteten vorbei. In der Verarbeitung der Vernehmlassungen ist dann zwar ein Hinweis auf das vorgeschlagenen Reglement zu finden, aber nicht dieses selber.
Nach der Vernehmlassung selber, aber vor der Veröffentlichung des Gesetzesvorschlags, führte die KKJV eine Umfrage unter den Schulen des Kantons zu deren Schulbibliotheken durch. Die Umfrage erfolgte 1976 mittels eines Fragebogens, der Rücklauf betrug rund einen Drittel. Publiziert wurden die Ergebnisse 1980 in einer Broschüre der Kommission. In dieser wurden die erhobenen Daten immer wieder aus dem Blickwinkel „moderner Schulbibliotheken“, wie sie auch im vorgeschlagenen Reglement beschrieben sind, heraus bewertet. Dabei wurde klar, dass ein Grossteil der Schulbibliotheken im Kanton dieser Vorstellungen nicht entsprach. In der Broschüre wird trotzdem der Eindruck erweckt, Schulbibliotheken würden sich dieser Vorstellung entsprechend entwickeln. Dies ist allerdings eine Aussage, die mit einer einmaligen Erhebung gar nicht zu treffen ist. Trotz dieser tendenziösen Darstellung zeigt die Broschüre, dass die Schulen im Kanton sich zu grossen Teilen für andere Schulbibliotheken entschieden hatten, als die, welche im vorgeschlagen Reglement beschrieben wurden. Es stellt sich die Frage, wieso die Kommission diese Realität – die ihr als Experteninstitution hätte bekannt sein müssen – in ihrem Vorschlag fast gar nicht einbezogen hat.
3.2.9 Erziehungsdepartement des Kantons St. Gallen (Dezember 1978)
„Vernehmlassungsentwurf
Art. 27. Die Schulgemeinde unterhält eine Schüler- Bibliothek [sic!] und Lehrerbibliothek.”
Im Laufe des Jahres 1978 überarbeitete das Erziehungsdepartement intern die einlaufenden Vernahmlassungsbeiträge. Im Dezember des Jahres wurde eine weiter oben schon angesprochene systematische Übersicht der Hauptargumente dieser Beiträge zu den jeweiligen Artikeln erstellt und diese zum Teil geändert. Die Zusammenstellung stellte offenbar die Grundlage für den später erschienen Entwurf des Volksschulgesetzes dar.
Der Schulbibliotheksartikel findet sich in diesem Dokument weiter als Artikel 27, eingefügt ist nur das Wort „Bibliothek“ direkt hinter „Schüler-“. Dies scheint aber aus Versehen geschehen zu sein, da es in dieser Version ersichtlich falsch ist. Relevant ist eher, dass in diesem Dokument keine weitere Überarbeitung des Artikels vorgenommen wurde. Die Zusammenfassung zum Artikel führt die Argumente der Rückmeldungen des Stadtrates St. Gallen, von „Berufsberatern“, der Gemeinde Wattwil, der KKS, des Vertreters des KLV aus Rorschacherberg, der SP Untertoggenburg sowie der Abteilungen „PK VII + KAHL V“ des EZD auf. Der Stadtrat St. Gallen, die KKS, die SP Untertoggenburg sowie für Lehrerbibliotheken auch der Vertreter des KLV forderten allesamt eine Bibliothek pro Schulhaus ein. Andere Beiträge wollten explizit die Möglichkeit im Gesetz enthalten wissen, dass die Schulbibliotheken auch mit anderen Einrichtungen zusammen geführt werden könnten. Auf all dies trat das Erziehungsdepartement aber nicht ein, sondern beliess es bei der Version vom Beginn des Jahres.
3.2.10 Regierungsrat St. Gallen (23. Juni 1981)
„Art. 29. Die Schulgemeinde unterhält eine Schüler- und eine Lehrerbibliothek.
Die Schülerbibliothek kann zusammen mit anderen Institutionen geführt werden.“
Zwischen der Verarbeitung der Vernehmlassungen und der Präsentation des Gesetzesentwurfes durch die Regierung vor dem Parlament vergingen weitere drei Jahre. Aus den Unterlagen, die sich erhalten haben, ist nicht ersichtlich, wie diese Zeitspanne zustande kam. Zu vermuten ist, dass sich Verhandlungen über einzelne Artikel weiter hinzogen. Das Interesse der Regierung war, einen Entwurf vorzulegen, der von möglichst vielen Fraktionen im Parlament getragen und auch die wahlberechtigte Bevölkerung bei einem möglichen Referendum überzeugen würde. Dies gelang offensichtlich, war dann aber das Ergebnis einer langen Suche nach Kompromissen. Eine andere Vermutung ist, dass sich die Verhandlungen über die beiden anderen Gesetze, die zusammen das Erziehungsgesetz ersetzen und deshalb gleichzeitig in Kraft treten sollten, länger hinzogen.
In der Botschaft des Regierungsrates an das Parlament, in welchem der Gesetzesentwurf vorgestellt wurde, findet sich eine zur Version im Dezember 1978 erweiterte Variante des Artikels. Zum einen wird der Artikel wieder, ohne das seine eigene Position verändert wurde, als Nummer 29 gezählt. Zum anderen wurde an den ersten Satz ein zweiter angehangen, welcher nun doch dem Vorschlag folgt, das gemeinsame Führen einer Schulbibliothek mit einer anderen Einrichtung zu ermöglichen. Es ist nicht ersichtlich, wieso dieser Satz aufgenommen wurde. Er findet sich als Vorschlag unter den verarbeiteten Vernehmlassungen, könnte aber auch aus einer anderen Quelle stammen. Der in den Vernehmlassungen viel öfter geäusserte Vorschlag, eine Bibliothek pro Schulhaus vorzuschreiben, wurde nicht aufgegriffen. Dies kann damit zusammenhängen, dass versucht wurde, Regelungen, die neue Kosten hervorrufen könnten, zu vermeiden. Interessant ist, dass schon in dieser Version nicht klar gesagt wird, mit welchen anderen Einrichtungen Schulbibliotheken zusammengeführt werden können. Obgleich sich in der Realität dafür Öffentliche Bibliotheken anbieten, schreibt das Gesetz dies in dieser Version nicht explizit vor.
3.2.11 Volksschulgesetz (13. Januar 1983)
Die nach den Beratungen durch das Parlament erlassene Regelung des Schulbibliotheksartikels, welche zu Beginn des Textes zitiert wurde, hat gegenüber der Botschaft des Regierungsrates wieder einige Änderungen erfahren, die sich allerdings inhaltlich kaum auswirken. Wieder ist die Nummerierung durch die Zusammenfassung anderer Artikel verändert. Der Artikel findet sich als 25. Artikel im Gesetz. Gleichzeitig sind die beiden Sätze getrennt und nummeriert worden. Zudem wurde eine geschlechtergerechte Spracheregelung gefunden, die statt der „Schülerbibliothek“ eine Bibliothek für Lernende beider Geschlechter und statt der „Lehrerbibliothek“ eine Bibliothek für geschlechtlich nicht spezifizierte Lehrpersonen nennt. Die Verwendung geschlechtergerechter Sprache wurde im gesamten Volksschulgesetz durchgeführt, in letzter Konsequenz wurde auch der Schulbibliotheksartikel dahingehend verändert.
Gleichzeitig zeigt die Beibehaltung des Inhalts noch einmal, dass zu den grundsätzlichen Aussagen des Artikels offenbar kein Diskussionsbedarf bestand. Sowohl das Parlament, das Veränderungen hätte einfordern können, als auch das Volk, das berechtigt gewesen wäre, dass Referendum gegen das Gesetz zu ergreifen, nahmen diese Möglichkeiten nicht wahr. Wenn auch nicht alle Anregungen aus den Vernehmlassungen beachtet wurden, scheint diese Version doch einen für alle Beteiligten tragbaren Kompromiss darzustellen.
4. Fazit: Schulbibliotheken anerkannt, aber den Schulgemeinden überlassen
Die im StaatsA SG überlieferten Unterlagen zur Vernehmlassung über die Totalrevision des kantonalen Erziehungsgesetzes von 1952, die in den späten 1970er Jahren stattfand und mit dem Inkrafttreten des Volksschulgesetzes sowie zweier anderer Gesetze 1983 ein Ende fanden, bieten einen selten Einblick in die Wahrnehmung von Schulbibliotheken durch unterschiedliche Akteurinnen und Akteure. Von Beginn an war im Erziehungsgesetz ein Artikel zu Schulbibliotheken vorgesehen, der auf einer älteren Regelung aufbaute. Im Laufe der Vernehmlassung wurde diesem Ziel nicht widersprochen. Vielmehr scheint im Bezug auf Schulbibliotheken eine grosse Einigkeit bestanden zu haben und eher über Detailfragen nachgedacht worden zu sein. Im Vergleich zu anderen Artikeln ist dieser relativ wenig besprochen oder im Laufe des Vernehmlassungsprozesses verändert worden. Viele an der Vernehmlassung teilnehmenden Einrichtungen nahmen die Möglichkeit, sich auch zu diesem Artikel zu äussern, gar nicht erst wahr.
Mit der KKS bestand eine Institution, die als Gruppe von Expertinnen und Experten zu den kantonalen Schulbibliotheken gelten konnte. Auch diese wurden eingeladen, an der Vernehmlassung teilzunehmen. Die Kommission äusserte sich nur zu diesem Artikel, dies allerdings sehr ausführlich. In Verkennung der Pläne des EZD erarbeitete sie sogar unaufgefordert ein neues Reglement für Schulbibliotheken. Obwohl sie angefragt und damit als Institution mit besonderen Kenntnissen zum Thema akzeptiert wurde, folgte das EZD den Vorschlägen der Kommission nicht.
Vielmehr übernahm das Gesetz praktisch eine frühere Regelung. Dabei wurde die Möglichkeit verpasst, vorzuschreiben, dass jede Schule eine Bibliothek führen müsse, obwohl genau dies mehrfach vorgeschlagen wurde. Vielmehr wurden die Schulgemeinden, die unterschiedlich viele Schulen betreiben können, zum Führen einer Schulbibliothek verpflichtet. Warum diese Entscheidung getroffen wurde, ist nicht ersichtlich. Nicht thematisiert wurde in den Vernehmlassungen die Trennung von Bibliotheken für Lernende und Lehrerende. Offenbar galt dies fast allen Beteiligten als sinnvoll. Zumindest in der bibliothekarischen Literatur der 1970er und 1980er Jahre findet sich hingegen die Forderung nach einer zentralen Bibliothek pro Schule.
Die aufgeführten Vorschläge scheinen darauf hinzudeuten, dass Schulbibliotheken im Kanton St. Gallen einerseits eine hohe Akzeptanz geniessen, sich aber ausserhalb spezifischer Kommissionen kaum über Details dieser Schulbibliotheken geäussert wird. Die differenzierteren Ausarbeitungen von bibliothekarischer oder ähnlicher Seite wurden trotz der positiven Haltung zu Schulbibliotheken selber eher ignoriert, wobei aus dem Material nicht hervorgeht, ob die Vorschläge der KKS zu sehr der Realität in den Schulen, die sich in einer zeitgleich durchgeführten Umfrage der KKJV ganz anders darstellte, enthoben waren, um sinnvoll umgesetzt werden zu können oder ob sie aus anderen Gründen nicht beachtet wurden.
Die Vernehmlassung von 1978 – welche selbstverständlich als historische Angelegenheit im spezifischen Kontext des Kantons St. Gallen zu sehen ist – scheint eine positive Position für Schulbibliotheken im Allgemeinen, aber ein gewisses laisser faire bei der Ausgestaltung der konkreten Schulbibliotheken von Seiten der Schulbehörde und der politischen Institutionen anzuzeigen. Grundsätzlich scheint die engere Regulierung der Schulbibliotheken von kantonaler Seite weder vom Kanton noch von anderen Akteurinnen und Akteuren, ausser der KKS selber, gewünscht worden zu sein. Schulgemeinden haben in dieser Hinsicht bis heute eine grosse Freiheit, bibliothekarische und ähnliche Einrichtungen werden offenbar angehört, aber ihren Forderungen wird nicht gefolgt. Zu vermuten ist, das von anderen Einrichtungen eher Schulen und Schulgemeinden die Kompetenzen zugeschrieben wurden, über die konkreten Schulbibliotheken, deren Ausstattung und Arbeit zu entscheiden, als der KKS. Hervorzuheben ist zudem noch einmal, dass der Artikel 25 des Volksschulgesetzes seit 1983 nicht mehr verändert wurde, was auch andeutet, dass sich die Schulen und Schulbibliotheken im Kanton mit diesem zumindest zurechtgefunden haben und ihm ein gewisses Funktionieren deshalb nicht abgesprochen werden kann.
Zu untersuchen wäre weiterhin, ob diese Haltung zu Schulbibliotheken spezifisch für St. Gallen, die Schweiz oder die historische Situation ist. Für die Schweiz bieten sich Recherchen in weiteren kantonalen Archiven zu den Entstehungsprozessen der jeweiligen rechtlichen Regelungen im Bezug auf Schulbibliotheken, die, wie erwähnt, in fast allen Kantone existieren, an. Für andere Staaten könnten Interviewstudien mit verschiedenen Stakeholdern sinnvoll sein. Sollte sich eine ähnlich unentschiedene Haltung zu Schulbibliotheken auch über den hier geschilderten Fall zeigen, würde dies einen Ansatzpunkt für bibliothekarische Vorstellung davon, wie Schulbibliotheken funktionieren und funktionieren sollten, darstellen. Das Beispiel des praktisch ignorierten Vernehmlassungsbeitrag der KKS zeigt, dass reine Darstellungen über bestimmte Minimalausstattungen und Aufgaben von Schulbibliotheken von bibliothekarischer Seite aus für andere Institutionen nicht überzeugend sind.
Fussnoten