Vorüberlegungen zu einem notwendigen Neuen Lehrbuch für das Bibliothekswesen: Teil 3

Teil 1: Kapitel 1-4

Teil 2: Kapitel 5.1-5.9

Teil 3: Kapitel 5.9-6

5.10 Projektarbeit und Drittmittel

Der Themenbereich Projektarbeit und Drittmittel wäre für mich einer, der zu einem Lehrbuch hinzukommen müsste. Das wäre eine Entwicklung, die meiner Überzeugung nach auch in Zukunft das Bibliothekswesen prägen wird – hier wäre ich also der Meinung, dass es nicht ein Trend ist, der in zehn Jahren schon wieder einigermassen vorbei sein wird – und die gleichzeitig bislang wenig thematisiert wird. Sowohl in «Bibliothekarisches Grundwissen» als auch in «Le Métier de Bibliothécaire» ist sie bislang, soweit ich das sehe, nicht ausreichend behandelt worden.

Was ich mit dem Thema meine, ist nicht einfach die Arbeit an Projekten. Heute werden in Bibliotheken zahlreiche Arbeiten als «Projekte» durchgeführt (und hier müsste, wie ich gerade beim Schreiben merke, gewiss auch ein Kapitel zum Projektmanagement in das Lehrbuch integriert werden, schon, weil es in vielen Bibliotheken bislang nicht immer optimal organisiert ist) und Kolleg*innen müssen dies in ihren Arbeitsalltag integrieren. Das ist der eine Teil. Aber der andere, der mit wichtig scheint, ist, dass klar sein muss, dass immer Entwicklungen in Bibliotheken über Drittmittel finanziert werden. Das gilt für Wissenschaftliche Bibliotheken noch mehr, aber auch in Öffentlichen Bibliotheken ist dies der Fall.

Angehende Kolleg*innen sollten wissen, was es heisst, Drittmittel zu organisieren (im Idealfall auch mit der Nennung der wichtigsten Drittmittelgeber, wieder für den ganzen DACH-Raum und das gesamte Bibliothekswesen), inklusive der Arbeit an Anträgen. Thematisiert werden sollte aber auch, was es dann heisst, wenn Drittmittel eingeworben sind. Insbesondere sollte diskutiert werden, dass es immer die Gefahr gibt, dass die Arbeit in solchen Projekten «neben der eigentlichen Bibliothek» läuft, von Personen gemacht wird, die in den Bibliotheksalltag nicht integriert sind und dass dann nach dem Ende der Projektzeitlauf die Projekte selber in der Bibliothek nichts hinterlassen wird. Es muss also auch angesprochen werden, dass es Aufgabe der Bibliotheksleitungen ist, die Ergebnisse von Projekten in die Bibliotheksarbeit zu überführen.

Gleichzeitig wird es eine Aufgabe sein, die Kritik an dieser Struktur (also zum Beispiel, dass in solchen Strukturen Personen «verbraucht» werden und nach Jahren der Projektarbeit oft wieder anderswohin in das nächste Projekt müssen, was für die Personen, aber auch die Bibliotheken, die von ihrem Wissen profitieren könnten, negativ ist) zwar anzusprechen, aber auf der anderen Seite die reale Situation zu schildern. Ein Lehrbuch soll nicht politischer Aufruf sein, sondern Einführung in das Thema. (Und dann wird es auch noch wichtig, die Unterschiede in den Ländern des DACH-Raumes anzusprechen.¨Das Wissenschaftsteilzeitgesetz gibt es zum Beispiel nicht in allen dieser Länder.)

5.11 Kooperationen, Verbünde und Konsortien

Ein Thema, welches meiner Meinung nach in den beiden Lehrbüchern, die ich immer als Beispiel anführe, noch immer zu kurz kommt und welches ich in einem neuen Lehrbuch ausgeweitet sehen wollen würde, ist der gesamte Bereich von Kooperationen und Zusammenarbeit in Bibliotheken. Dabei würde es sowohl um bibliothekarische Infrastrukturen wie Verbünden und (institutionalisierte) Konsortien gehen als auch um weniger formalisierte Kooperationen. Angehenden potentiellen Kolleg*innen muss gleich am Anfang klar vermittelt werden, dass sie nicht in einer Bibliothek arbeiten werden, sondern in einem untereinander vernetzten Bibliothekswesen. Man muss das dann noch einmal für verschiedene Bibliothekstypen und -grössen differenzieren, aber grundsätzlich muss klar sein, dass (a) das Bibliothekswesen dazu tendiert, sich intern (also zwischen den Bibliotheken) weiter über die einzelnen Bibliotheken hinaus zu organisieren (beispielsweise in Arbeitsgruppen, Kommissionen, mehr oder minder losen Verbindungen), (b) das Bibliotheken Infrastrukturen wie Verbünde und Konsortien etablieren oder aber (das eher bei Öffentlichen Bibliotheken mit den Fachstellen) staatlicherseits etabliert bekommen, (c) dass Bibliotheken auch dazu tendieren, diese Verbindungen zum Beispiel innerhalb eines Bibliothekstyps immer wieder neu zu knüpfen, selbst wenn sie einmal zerbrechen (ich denke da an die juristischen Bibliotheken, aber es gibt so viele andere Beispiele). Es muss klar sein, dass Bibliothekar*in sein, heute praktisch immer heisst, nicht nur in einem «Haus» tätig zu sein, sondern weiter ständig mit anderen Kolleg*innen in anderen «Häusern» zu kommunizieren.

  • Es sollte zudem – vielleicht anhand von Beispielen, aber immer mit Vorsicht – klar werden, was diese Zusammenarbeit bedeuten kann. Ich denke da an lose Kontakte, «wo man sich halt kennt», als ein Extrem, über Strukturen, die regelmässige Treffen und Vorträge organisieren, bis hin zu offiziellen Kommissionen von Verbänden oder Bibliotheksstrukturen. Was klar werden muss, ist, dass es nicht nur erwartet wird, dass sich Bibliothekar*innen in solche Strukturen einbringen, sondern das es auch für alle Bibliothekar*innen möglich und sinnvoll ist, dies zu tun. (Und für die Kolleg*innen, die einmal in die Leitungsebene wechseln werden, muss auch klar sein, warum es sinnvoll und für die eigene Bibliothek vorteilhaft ist, wenn für solche Kooperationen Arbeitszeit aufgewendet wird.) Vielleicht muss es dann nochmal betont werden, aber ohne Frage ist die Aufgabe der Kooperationen immer, die Arbeit der Bibliotheken bezogen auf ihre jeweiligen Aufgaben effizient zu organisieren.
  • Was so ein Lehrbuch selbstverständlich auch enthalten muss, ist ein Überblick zu den vorhandenen Strukturen, insbesondere den Verbünden, Fachstellen und anderen bibliothekarischen Infrastruktureinrichtungen sowie Konsortien, aber auch den wichtigsten Kommissionen an den Nationalbibliotheken. Zudem sollte klar werden, dass es zum Beispiel immer weitere Verbindungen (ich denke nur an mehr oder minder offizielle Zusammenschlüsse von Öffentlichen Bibliotheken in Kantonen, Bundesländern oder Regionen sowie an Zusammenschlüsse von fachliche ähnlichen Bibliotheken wie den Medizinbibliotheken oder den Museumsbibliotheken) gibt – und das die immer in Entwicklung sind. Eine Sache, die mich an «Bibliothekarisches Grundwissen» immer störte, war, dass dies nur für Deutschland gemacht wird und nicht für den gesamten DACH-Raum, obwohl gerade das ja nicht so schwer wäre, auch die Verbundslandschaft in Österreich, Schweiz und Liechtenstein zu ergänzen.
  • Wichtig wäre auch, dass klar wird, was die Verbünde und so weiter tun, aber auch, dass die Arbeit in Verbundszentralen (oder wie sie heissen) eine mögliche Karriere im Bibliothekswesen darstellt, die mit grossen Einflussmöglichkeiten auf die Entwicklung der Bibliotheken verbunden ist.

5.12 Bau, Bauprojekte, Betrieb von Bibliotheksgebäuden und Magazinen

Das Interesse am Thema Bibliotheksbau scheint in letzter Zeit – erstaunlicherweise, wenn man bedenkt, wie wichtig es vor vielleicht zehn Jahren schien, aber genau deshalb darf man sich bei Lehrbüchern nicht auf kurzfristige Publikationstrends verlassen – stark abgenommen zu haben. Für eine Lehrbuch ist es dennoch relevant, allerdings aus Sicht des Bibliotheksmanagements, nicht aus Sicht des Designs oder Architektur. Grundsätzlich sollte vermittelt werden, welche Aufgaben sich stellen, wenn neue Bibliotheken gebaut oder Bibliotheken grundsätzlich umgebaut werden. Angehende Kolleg*innen sollten frühzeitig lernen, welche Standards es gibt (wobei man wieder für den DACH-Raum die unterschiedlichen Regeln zu Durchsetzung der Standards nennen muss), worauf geachtet werden muss, wenn man die Interessen von Bibliothek, Bibliothekar*innen und Nutzer*innen in die Bauplanung einbringt. Zudem sollten sie auch lernen, dass man grossen Worten und Behauptungen von Architekt*innen nicht vertrauen, sondern eigene Nachforschungen anstellen sollte. Und, dass man bei der Planung den normalen Bibliotheksbetrieb im Auge haben muss. Zudem sollte ein Überblick dazu gegeben werden, wie Planungen von Bauprojekten ablaufen, damit dies nicht erst im Laufe eines solchen Projektes herausgefunden wird. Grundsätzlich sollte ein solches Lehrbuch angehende Bibliothekar*innen darauf vorbereiten, sich beim Bau nicht von Behauptungen oder einfachen, schönen Bildern beeindrucken zu lassen, sich auf den schon vorhandenen Standards abzustützen und sich bei Bauprojekten einbringen zu können. Und es sollte gesagt werden, dass der Neu- und Umbau von Bibliotheken eigentlich kontinuierlich immer irgendwo stattfindet (also nicht nur eine theoretisch möglich ist), auch wenn es die «eigene» Bibliothek nur von Zeit zu Zeit trifft.

Das gleiche gilt für den Bau von Magazinen. Auch der sollte angesprochen und die relevanten Aufgaben beschrieben werden, weil es weiterhin eine wiederkehrende Aufgabe für Bibliotheken darstellt. Wichtig wäre mir, dass man dabei auch nicht darin verfällt, zu behaupten, dass es einen eindeutigen Trend zu kooperativ betriebenen Magazinen gibt, nur weil in den letzten Jahren einige gebaut wurden – aber gleichzeitig zu erwähnen, dass es diese gibt und welche Herausforderungen das stellt.

Was mir in den beiden anderen Lehrbüchern fehlt, ist eine Darstellung der Aufgaben, die sich Bibliotheken auch beim normalen Betrieb, im Bezug auf Gebäude (Bibliotheksgebäude, Magazine, aber wohl auch den «Mitbetrieb» von solchen Annexen wie Gemeindesälen) stellt. Das ist eine alltäglichere Aufgabe als der Neu- und Umbau, aber eine, die auch organisiert werden muss. Dabei würde es darum gehen, welche Routinen etabliert werden müssen (zum Beispiel die regelmässige Raumpflege, die Überprüfung von Temperatur, Feuchtigkeit, Fenstern, Bau und so weiter, die Katastrophenplanung – die noch mehr umfasst, selbstverständlich), aber auch, dass das oft bedeutet, diese Aufgaben «auszulagern». Für potentielle Kolleg*innen wäre es wichtig zu wissen, dass dies teilweise zum Aufgabenbereich einer Bibliothek gehören kann, auch wenn es teilweise zum Beispiel von der Gemeinde oder Hochschule im Rahmen ihrer Aufgaben übernommen wird.

5.13 Statistik und Evaluation

Ein bibliothekarisches Lehrbuch sollte eine Darstellung der vorhandenen statistischen Daten im Bibliotheksbereich enthalten, aber auch eine Darstellung davon, wie diese in der Praxis genutzt werden. Immerhin gibt es eine wachsende Zahl dieser Daten, deren Qualität zudem langsam zu steigen scheint. Bis auf Liechtenstein haben jetzt alle Länder im DACH-Raum jährlich erhobene Bibliotheksstatistiken, praktisch alle Bibliotheken nutzen heute Bibliothekssysteme, die auch Daten zur Nutzung bereitstellen (können) und die COUNTER-Daten haben sich im Bereich der Wissenschaftlichen Bibliotheken durchgesetzt. (Ein Lehrbuch kann gerade auch den COUNTER-Standard nehmen, um zu zeigen, wie ein solcher Standard weiterentwickelt wird und wie Bibliotheken daran teilhaben können.)

Mir ist klar (weil ich auch ständig alte bibliothekarische Zeitschriften anschaue), dass die Frage, ob und welche statistischen Daten Bibliotheken erheben sollten, das moderne Bibliothekswesen praktisch von Beginn an umtreibt. Es scheint also, als wäre es relevant. Was mir allerdings auch klar ist, ist, dass es wenig Wissen darüber gibt, wie die ganzen statistischen Daten in der Praxis tatsächlich genutzt werden. (Das habe ich mehrfach versucht zu klären oder klären zu lassen – und es gibt immer nur kurze Einblicke und Hinweise, aber nicht so richtig eine Darstellung und Diskussion dieser Praxis.) Für ein Lehrbuch fände ich es aber relevant (und hier könnte es dann über die Aufgaben der «Einführung» hinaus auch als Darstellung von Möglichkeiten für die Profession wirken), zu zeigen, wie sie tatsächlich genutzt werden. Nicht einfach «man kann sie benutzen» oder «man kann die eigene Bibliotheken mit ähnlichen Bibliotheken vergleichen», sondern konkreter – wie sie benutzt werden, um regelmässige Entscheidungen zu treffen. Das wäre ein Punkt, bei dem ich denken würde, das Planen eines neuen Lehrbuches könnte zu mehr Forschung über den Status Quo in Bibliotheken führen – weil sie wohl notwendig wäre, um ein solches Kapitel überhaupt schreiben zu können.

5.14 Bibliothekstechnologie, Bibliothekssoftware

Die Arbeit in Bibliotheken ist auch immer mit der Nutzung von Technologie und Software verbunden. Das muss, glaube ich, nicht diskutiert werden. Was zu diskutieren wäre, ist, welche Technologien und welche Software in einem Lehrbuch dargestellt werden sollte. Mir wäre wichtig, dass angehenden Kolleg*innen klar vermittelt wird, dass sie in ihrem Alltag (wohl) nicht darum kommen werden und das es deshalb auch wichtig ist, sich mit den Entwicklungen von Technik und Software auseinanderzusetzen sowie die Aufgaben von Bibliotheken die sich durch den Einsatz von Technik ergeben haben, sich zum Beispiel um das Updaten von Technologien und den Erhalt Sorgen zu machen. Dem ist als Grundprinzip ist wohl nichts entgegenzuhalten.

Es gäbe meiner Meinung nach aber noch einiges, was man diskutieren kann.

  • Sicherlich zuerst, welche Technologien und welche Software näher dargestellt werden sollten. Der Fokus sollte selbstverständlich auf solchen liegen, die im Bibliotheksalltag tatsächlich genutzt werden – aber welche das sind (und zwar langfristig), muss wohl erst diskutiert werden, genauso wie die Frage, ob und wie tief darauf eingegangen werden müsste, dass bestimmte Technologien für bestimmte Bibliothekstypen relevant sind und für andere nicht (beispielsweise die Fahrregalanlagen, die für Kantons-/Landes-/Nationalbibliotheken prägend, aber für Öffentliche Bibliotheken praktisch irrelevant sind).
  • Was ich relevant finde, wäre darzustellen, wie die tatsächliche Situation der Technik- und Softwareentwicklung in Bibliotheken ist: Auf der einen Seite die immer weniger werdenden, grossen Anbieter, inklusive ihrer jeweils eigenen Modelle (von der Zusammenarbeit mit Bibliotheken bis zu reinen software as service oder «schlüsselfertigen» Technologien). Auf der anderen Seite die Bibliotheken, die sowohl Strukturen aufbauen und Arbeit organisieren, um mit diesen Angeboten zu arbeiten und auf der anderen Seite in vielen Bereichen auf Open Source Lösungen und Entwicklungen setzen. Insbesondere scheint es mir in einen einführenden Lehrbuch wichtig zu zeigen, wie unterschiedlich diese Strukturen sind (also das zum Beispiel einige Bibliotheken selber direkt mit Anbietern interagieren und viele andere «vermittelt» über Verbundzentralen und ähnliche Einrichtungen) und was dies für die konkreten Bibliotheken bedeutet. Es sollte auch klar werden, dass nicht nur der Umgang mit Technik und Software normaler Teil der bibliothekarischen Arbeit ist, sondern auch das Updaten, Reparieren, Ersetzen und Ergänzen eigentlich eine regelmässige Aufgabe darstellen – die intern organisiert und dann auch von Personal umgesetzt werden muss. Zudem sollte – wie auch an anderen Stelle – klar werden, dass es spezifische Aufgaben und Stellen in Verbundzentralen gibt, die auch im Bereich Software und Technik einen grossen Einfluss auf zahlreiche Bibliotheken haben.
  • Wichtig wäre kurz zu schildern, wie Bibliotheken vor allem über Drittmittelprojekte an der Entwicklung von Software im Open Source Bereich mitwirken. Hier sollten einige «Erfolge» dieser Entwicklungen genannt werden (also insbesondere Repository-Software), um zu zeigen, dass sie möglich sind.
  • Eine Frage, die ich schwer zu beantworten finde, ist die danach, ob eine Marktübersicht sinnvoll wäre. Einerseits ist die Zahl der Anbieter von Technologie und Software, auf die Bibliotheken zurückgreifen, soweit zurückgegangen, dass eine solche Übersicht nicht allzu viel Platz einnehmen würde (man müsste halt darauf achten, wirklich alle zu erwähnen), was potentiellen neuen Kolleg*innen auch zeigen würde, dass es Auswahl gäbe, aber nicht so viel – aber gleichzeitig würde eine solche Übersicht selbstverständlich schnell veralten.
  • Was mir wichtig wäre – aber ich weiss, dass ist kein Konsens –, wäre zu vermitteln, dass Bibliotheken an sich recht erfolgreich darin sind, Technologien und Software für die bessere Organisation ihrer eigenen Arbeit zu integrieren. Nicht perfekt, aber auch nicht so langsam, wie es teilweise dargestellt wird. Die doch vorhandene Agilität (trend-besetztes Wort, ich weiss) von Bibliotheken sollte nicht unter den Teppich gekehrt werden.

5.15 Bibliotheksentwicklung und Bibliotheksmanagement

Als Querschnittsthema sollte ein Lehrbuch enthalten, dass sich Bibliotheken kontinuierlich entwickeln und dass das Management dieser Entwicklung eine Aufgabe ist. Mir scheint, die beiden «Vorbild»-Lehrbücher vermitteln etwas sehr den Eindruck, als wären Entwicklungen selten und wenig zu beeinflussen. Dass scheint mir einerseits faktisch nicht richtig, andererseits aber auch gefährlich. Potentielle neue Kolleg*innen sollten frühzeitig wissen, dass es neben beständigen Aufgaben immer Veränderungen geben wird – egal ob solche, die «von aussen» kommen, beispielsweise Veränderungen in der Mediennutzung, oder solche, die sich im Bibliothekswesen durchsetzen (wenn zum Beispiel der Begriff «Dritter Ort» von nächsten Begriff abgelöst werden wird) oder aber die, welche konkret in der «eigenen» Bibliothek angegangen werden (zum Beispiel neue Veranstaltungsreihen) – und dass es ihre Aufgabe sein wird, diese Veränderung mit umzusetzen oder gar zu planen. Für solche Planungen gibt es zahlreiche Werkzeuge, aber mir scheint, in einem Lehrbuch wäre es wichtiger zu zeigen, warum es überhaupt notwendig ist, solche Werkzeuge zu nutzen, als in sie einzuführen – dafür gibt es schon ausreichend viele andere Lehrbücher für das Projektmanagement oder so.

(Wie mir gerade auffällt benutze ich hier im ganzen Text auch ständig das Wort Management. Es wäre notwendig früh in einem Lehrbuch zu diskutieren, was im Bibliotheksbereich darunter gemeint ist – also, dass es weniger mit dem Management von Firmen mit Profitorientierung und mehr mit dem nachhaltigen Management von zum Beispiel Wäldern oder gemeinnützigen Stiftungen zu tun hat.)

5.16 Bibliotheksrecht

Zum Thema Bibliotheksrecht will ich nur sagen – da es wirklich nicht mein Kompetenzbereich ist –, dass es auf der einen Seite relevant ist, zu schildern, (a) welche Rechtsthemen mit Bezug zum Bibliothekswesen es gibt, (b) wie es von Bibliotheken beeinflusst wird / beeinflusst werden kann und (c) das selbstverständlich wieder für alle Länder des DACH-Raumes.

5.17 Personalgewinnung, Personalentwicklung, Modelle der Führung in Bibliotheken

Das Thema Personalentwicklung und Führung ist ebenso eines, dass mir grundsätzlich als wichtig für ein Lehrbuch erscheint, aber bei dem ich denke, es wäre erst einmal wichtig, zu diskutieren, was davon erwähnt werden muss. Grundsätzlich wieder sollte potentiellen Kolleg*innen klar werden, dass alle Bibliotheken die Personalentwicklung organisieren müssen, zumal schon weil sich Teile der bibliothekarischen Arbeit schneller ändern als die Ausbildungsgänge – sie müssen wissen, dass sie sich in Bibliotheken entwickeln können werden, als auch, dass es ihre Aufgabe werden kann, diese Weiterbildungen für andere zu organisieren. Sie sollten auch lernen, zumindest in einer Übersicht, wie dies konkret umgesetzt wird.

Ebenso sollte gezeigt werden, welche Führungsmodelle in Bibliotheken tatsächlich gelebt werden und mit welchen Ergebnissen (auch hier scheint es mir wenig hilfreich, das «Lieblingsmodell» eine*r Autor*in zu schildern – vielleicht sogar eines, dass gar nirgends gelebt wird – und dann praktisch für dieses zu argumentieren). Das ist selbstverständlich ein «politisches» Thema – es könnte ja zum Beispiel sein, dass bestimmte gelebte Modelle eher negative Ergebnisse zeigen. Aber dennoch, angesichts dessen, dass Personen mit einem Lehrbuch ein potentielle Karriere beginnen sollen, die sie auf allen Positionen im Bibliothekswesen und auch in allen möglichen Bibliotheken bringen kann, sollte das Thema aus der Sicht von Angestellten als auch von Leitungen geschildert werden.

Klar muss werden, dass das Personal in Bibliotheken die Arbeit trägt und deshalb die Gewinnung, Entwicklung und das Management von Personal einen der Hauptbereiche des Bibliotheksmanagements darstellt.

5.18 Ausbildungen und Weiterbildungen

Eng verbunden mit der Personalentwicklung ist die Aus- und Weiterbildung. Mir schiene es relevant, dass in einem Lehrbuch ein Überblick über die verschiedenen Ausbildungs- und Weiterbildungswege, die es im Bibliothekswesen gibt, gegeben wird. Und zwar wieder ein realistischer. Dass heisst zum Beispiel, dass alle direkten Ausbildungen und Studiengängen «in das Bibliothekswesen» im DACH-Raum erwähnt werden (eventuell auch Hinweise auf die im nahen Ausland, weil auch von dort eventuell Kolleg*innen kommen), aber auch die Ausbildungen von Personen, die auf verschiedenen Wegen in das Bibliothekswesen einsteigen. Es sollte darauf vorbereitet werden, welche unterschiedlichen Kompetenzen in Bibliotheken vorhanden sind – also nicht nur die Namen von Ausbildungen und Studiengängen genannt werden, sondern auch deren Inhalte umrissen. Schon, weil in Zukunft wohl mehr Personen aus anderen Bereichen für die Bibliotheksarbeit gewonnen werden müssen, weil es immer weniger gibt, die direkt einsteigen. (Man kann gerne erwähnen, dass Bibliotheksverbände immer versuchen, das irgendwie mittels Marketingkampagnen zu verändern; aber man muss auch die tatsächlich Entwicklung realistisch schildern.)

Das gleiche gilt für die «wuchernde» Landschaft von Weiterbildungen und Weiterbildungsanbietern, auf die Bibliotheken zurückgreifen, von den Weiterbildungseinrichtungen grosser Bibliotheken über Fachstellen und Bibliotheksverbände bis hin zu Angeboten von Vereinen und Berater*innen. Relevant scheint mir, dass die potentiellen Kolleg*innen wissen, (a) wie komplex diese Landschaft ist / sein kann, (b) dass sie selber auf diese Angebote zurückgreifen können (sowohl als Personal als auch als Personen mit Personalverantwortung, die Personalentwicklung betreiben sollen) und (c) dass sie immer die Möglichkeit haben, diese Landschaft mit zu gestalten. Vermittelt werden sollte auch, dass es eine Aufgabe von Bibliotheken ist, Weiterbildungsangebote kontinuierlich zu evaluieren.

5.19 Bibliotheksverbände & -politik

Sicherlich, ein bibliothekarisches Lehrbuch benötigt eine Übersicht der bibliothekarischen Verbandslandschaft – wieder für den gesamten DACH-Raum – inklusive der (selbstgestellten) Aufgabenbereiche der existierenden Verbände und zumindest einer Skizze ihrer Strukturen. Es muss klar werden, warum Bibliotheken sich in Verbänden organisieren und was sie damit erreichen (oder zumindest zu erreichen hoffen).

Aber auch hier: Das alleine wäre vielleicht ein Stoff für eine Klausur. Es sollte aber ein explizites Ziel verfolgen: Den potentiellen neue Kolleg*innen sollte dargestellt werden, ob und wie sie sich in diesen Verbänden selber engagieren können, warum dies sinnvoll wäre und wohl auch, welche Grenzen es haben kann. Das sollte nicht zur Werbung verkommen, sondern wieder realistisch bleiben (und wenn bestimmte Verbände praktisch nur aus Bibliotheksleiter*innen bestehen und «normales Personal» sich dort nicht wirklich engagieren kann, sollte das auch gesagt werden – es wäre eine Aufgabe, der Verbände das zu ändern, nicht des Lehrbuches).

Ebenso sollte dargestellt werden, welche Themen Verbände politisch besetzen (oder es zumindest versuchen) und dabei klar werden, dass es auch immer die Möglichkeit für potentielle Kolleg*innen gibt, dies mitzugestalten. Sicherlich kann das Lehrbuch nicht einführen in die unterschiedlichen politischen Systeme im DACH-Raum, aber es sollte zumindest klar werden, dass Bibliotheken mindestens in Formen von Verbänden auch selber politisch aktiv werden können. (Zu diskutieren wäre, welche anderen Formen von Bibliothekspolitik ausserhalb von Verbänden angesprochen werden sollte – grundsätzlich sollte gesagt werden, das zum Beispiel auch Ad hoc-Protestgruppen möglich sind. Aber wie viel an anderen Varianten besprochen werden sollte, ist für mich eine offene Frage.)

Und, es sollte auch klar werden, dass bei bestimmten politischen Themen Bibliotheken quasi gesamthaft eine Position vertreten, bei anderen Themen sich aber zum Beispiel auch Personal und Leitung gegenüberstehen kann (nicht umsonst gibt es ja auch immer in Gewerkschaften organisierte Bibliothekar*innen). Man muss auch in einem Lehrbuch kein falsches Bild von einem Bibliothekswesen ohne interne Friktionen zeichnen.

5.20 Wissenstransfer in die Praxis

Das ist eventuell mein persönliches Thema, aber mir scheint, im Bibliothekswesen gibt es oft nicht genügend Verständnis dafür, dass es eine Aufgabe der Bibliotheken selber ist, dass vorhandene Wissen, welches für Bibliotheken relevant ist (beispielsweise das in der Bibliotheks- und Informationswissenschaft produzierte, aber auch in «an das Bibliothekswesen angrenzenden» Bereichen wie der Leseforschung, der Wissenschaftssoziologie oder den Medienwissenschaften), in den Bibliotheksalltag zu überführen. Das kann die Wissenschaft nicht tun, dass muss in der Praxis passieren.

Es sollte (a) klar werden, dass es diesen Widerspruch von vorhandenem Wissen und genutztem Wissen gibt, (b) dass es auf verschiedenen Ebenen in Bibliotheken Aufgabe ist, den Wissenstransfer zu organisieren und (c) zumindest ein Überblick über verschiedene Modelle dieses Wissenstransfers gegeben werden – wieder, für das Wissensmanagement gibt es ausreichend viele andere Lehrbücher, die müssen nicht ersetzt werden, aber es müsste in einem bibliothekarischen Lehrbuch klar werden, dass es eine Aufgabe für Bibliotheken darstellt. Man sollte zumindest erwähnen, dass (und wie) das zum Beispiel in Zusammenarbeit mit Forschenden (die man dafür finanzieren muss) oder Berater*innen (die man auch finanzieren muss), in Kooperation mit anderen Bibliotheken oder intern geschehen kann.

Aber, wichtige Einschränkung, vielleicht wünsche ich mir bei diesem Thema einfach, dass ein Lehrbuch auf das Bibliothekswesen einwirkt und weiche deshalb von meiner Warnung ab, sich sehr auf die Realität zu konzentrieren.

So oder so sollte dieser Abschnitt eine Übersicht zu den Feldern geben, in denen Wissen produziert wird, das für den Bibliotheksbetrieb und die Bibliotheksentwicklung relevant ist. Ich habe oft erstaunt festgestellt, dass dies manchmal bei Kolleg*innen gar nicht auf dem Schirm ist (wenn zum Beispiel mittels Umfragen geklärt werden soll, wie Forschende mit Forschungsdaten umgehen, wenn das schon – abgesehen von anderen Bibliotheken selber – länger Thema der Wissenschaftsforschung ist, die das gut genug darstellt, um daraus Aussagen für Bibliotheken abzuleiten).

5.21 Das Umfeld

Noch ein Thema, das ausführlich diskutiert werden müsste, ist, was an «Umfeld» von Bibliotheken in einem bibliothekarischen Lehrbuch dargestellt werden müsste. Mir scheint sofort einsichtig, dass die grundlegenden demographischen Entwicklungen (beispielsweise die Veränderungen der Altersstruktur im DACH-Raum) oder des Medienmarktes ein grundlegendes Wissen darstellen, wenn jemand in das Bibliothekswesen einsteigen soll. Auch zum Beispiel die Entwicklungen von Wissenschaft und Bildungseinrichtungen ist relevant. Aber… wie weit sollte ein Lehrbuch das Netz um die Bibliotheken spannen? Was kann vorausgesetzt werden, was nicht?

Als Grundsatz würde ich vermerken: Alle Themen, welche die Nutzung von Bibliotheken und den Betrieb von Bibliotheken direkt betreffen. Doch das ist ja auch wieder offen. Zumindest würde ich es tiefergehend diskutieren, bevor ein neues Lehrbuch geschrieben wird.

5.22 Bibliothekarisches Kommunikationswesen

Dieses Thema scheint mir selbsterklärend (auch wenn es nicht in den beiden «Vorbild»-Lehrbüchern enthalten ist): Potentielle neue Kolleg*innen sollten einen Überblick darüber haben, wie im Bibliothekswesen miteinander kommuniziert wird. Sie sollten die vorhandenen Kommunikationswege und deren Eigenheiten kennen, um die existierenden Diskussionen nachvollziehen und sich an ihnen beteiligen zu können.

Das hiesse für mich:

  • Eine Schilderung der verschiedenen Formen von bibliothekarischen Zeitschriften und eine Nennung der wichtigsten, die mit hoher Wahrscheinlichkeit auch in Jahren noch erscheinen werden. (Aber mit einer Darstellung, dass auch immer wieder neue entstehen und also auch von neuen Kolleg*innen gegründet werden könnten, ohne jemand um Erlaubnis zu fragen. Wichtiger wäre mir aber zu zeigen, dass das bibliothekarische Zeitschriftenwesen im DACH-Raum sehr offen für Beiträge ist.)
  • Die wichtigsten Verlage (es sind ja nicht viele) sollten genannt werden.
  • Skizziert werden sollte das Gleiche für das bibliothekarische Publikationswesen mindestens im globalen Norden im Allgemeinen und etwas tiefer für die Bibliothekswesen im «nahen Ausland».
  • Die Bedeutung der wichtigsten Konferenzen im Bibliothekswesen (sowohl der Bibliothekskongresse als auch solcher «spezialisierten» Veranstaltungen wie den Open Access Tagen) sollte dargestellt werden. Auch hier würde es darum gehen, darzustellen, dass neue Kolleg*innen diese nutzen können, sowohl um die aktuellen Diskussionen mitzuverfolgen als auch, um sich selber einzubringen. Es sollte zumindest gesagt werden, wie man sich engagieren kann (eigene Beiträge, Mitorganisation oder auch Ausrichtung von Veranstaltungen wie Barcamps).
  • Für das Bibliothekswesen scheint mir, dass ein grosser Teil der Kommunikation auf Mailinglisten und / oder in kleineren Fachcommunities geschieht. Das sollte sowohl genannt als auch zumindest die wichtigsten Mailinglisten, die mit hoher Wahrscheinlichkeit auch in Zukunft existieren werden, aufgelistet werden.

5.23 Bibliotheksgeschichte

Die Geschichte von Bibliotheken und des Bibliothekswesens an sich sind nach und nach aus den bibliothekarischen Lehrbüchern verschwunden. In «Bibliothekarisches Grundwissen» war es, soweit ich es überblicke, in keiner Ausgabe ein wichtiges Thema, in älteren Ausgaben von «Le Métire de Bibliothécaire» war dies anders. Aber in den älteren Lehr- und Handbüchern wurde sehr Wert darauf gelegt, die historische Entwicklung von Bibliotheken (und oft auch des Buchwesens) zu schildern.

Ich persönlich bin immer an der historischen Entwicklung interessiert und finde das gänzliche Streichen des Themas (das ja auch in vielen Ausbildungsgängen passiert ist) falsch. Ich würde dafür plädieren, es wieder in ein Lehrbuch aufzunehmen, aber immer unter dem Blickwinkel, dass es potentiellen neuen Bibliothekar*innen etwas vermittelt, dass für den Einstieg in das Bibliothekswesen notwendig ist.

  • Man kann schon erwähnen, dass Bibliotheken – verstanden als geordnete Sammlungen von Medien – in vielen verschiedenen Kulturen und Zeitaltern existierten, aber nur kurz. Moderne Bibliotheksgeschichte, aus der die heute existierenden Bibliotheken hervorgegangen sind, beginnt mit der modernen Gesellschaft, genauer Industrialisierung und «Massengesellschaft». In einem einführenden Lehrbuch sollte man nicht weiter zurückgehen, ausser es gibt einen guten Grund dafür. (Was könnten so ein Grund sein? Mir würde einfallen, dass man zeigen will, dass Mediensammlungen und ihre Nutzung in unterschiedlichen Gesellschaften auch sehr unterschiedliche Medien und Nutzungsweisen bedeutet haben und deshalb in Zukunft oder in anderen Gesellschaften auch anderes bedeuten können.)
  • Klar sollte bei der geschichtlichen Darstellung werden, dass Bibliotheken immer an die jeweilige Gesellschaft gebunden sind und keine irgendwie ausserhalb der Gesellschaft vorhandenen «Kern» haben. Man sollte zumindest zeigen, dass alle Gesellschaften, die seit dem Beginn der Moderne im DACH-Raum bestanden (von Drei-Klassen-Gesellschaften über Diktaturen bis hin zu den heutigen Demokratien) auch jeweils Bibliothekswesen ausprägten, welche die «Aufgaben», die sich in diesen Gesellschaften stellten, unterstützen sollten und das sich zum Beispiel auch immer Kolleg*innen fanden, die sich für diese Bibliotheken und diese Ziele engagierten (manchmal auch für verschiedene Gesellschaften nacheinander). Das muss nicht als Vorwurf vorgetragen werden, sondern sollte vor allem zeigen, wie sehr Bibliotheken mit der Gesellschaft verbunden sind, in der sie jeweils existieren.
  • Dargestellt werden sollte auch, dass moderne Bibliotheken sich kontinuierlich Gedanken dazu machen, wie sie auf Entwicklungen des Medienmarktes (oder wie man das für die DDR nennen möchte), die Mediennutzung, der Kultur- und Bildungseinrichtungen reagieren können oder müssen. Und das sie sich auch ständig darüber unterhalten, welche weiteren Aufgaben sie übernehmen sollen. Potentielle neue Kolleg*innen sollten lernen, dass zum Beispiel Behauptungen über «neue Aufgaben, die über die Medienausleihe» hinausgehen genauso eine Tradition haben wie die Auseinandersetzung mit jeweils neuen Medienformaten.
  • Was auch gezeigt werden sollte – und dazu muss man aufpassen, es nicht zu sehr als das Wirken einzelnen «grosser Männer und Frauen» darzustellen – ist, dass Veränderung im Bibliothekswesen möglich ist und sich damit ein Engagement für Veränderungen immer lohnt.

5.24 Ethische Fragen

Ein Thema, dass ich gerade nicht gross in einem Lehrbuch behandeln würde, wären bibliotheksethische Fragen. Ich weiss, da würde es gewiss Widerspruch geben – von einzelnen Personen. Aber genau deshalb habe ich das hier in die Liste mit aufgenommen. Bibliotheksethik ist ein Thema, dass von Zeit in der bibliothekarischen Presse besprochen wird, zu dem es auch Arbeitsgruppen in den Bibliotheksverbänden gibt und Chartas erlassen werden. Ich war auch selber auf genügend Veranstaltungen, auf denen argumentiert wurde, wie wichtig bibliotheksethische Fragestellungen wären.

Aber dann? Mir scheint nicht, dass die Chartas eine Relevanz in der Bibliothekspraxis haben – oder auch nur über die Arbeit der Arbeitsgruppen hinaus. Und mir fällt auch auf, wie schnell solche Arbeitsgruppen nach einer kurzen Zeit der Aktivität zu verstummen scheinen und wie schnell das Thema dann auch wieder nicht in den Zeitschriften erwähnt wird.

Ist es also ein Thema, dass man unter «kurzfristigen Trend» einordnen kann? Oder ist es langlebig, nur nicht so oft sichtbar? Oder ist es vielleicht trotzdem – aus politischen Gründen oder aus Gründen der Systematik – wichtig und sollte aufgenommen werden? Was müssen potentielle neue Kolleg*innen zu diesem Thema wissen, wenn sie ins Bibliothekswesen einsteigen? Müssen sie beispielsweise die «bibliotheksethischen» Chartas des DACH-Raumes kennen, die so in den letzten Jahren erlassen wurden? Ich habe das Thema hier ans Ende gestellt, um zu zeigen: Das kann nicht einfach so entschieden werden – schon gar nicht von einer Person alleine. Es sollte das Ergebnis einer Diskussion in der Profession sein, ob und wenn ja, was genau davon in ein Lehrbuch gehört. (Und es steht hier als ein Beispiel für eine ganze Reihe solcher Themen.)

6. Schlussbemerkungen

Ich beende den Beitrag hier, weil ich mir zu anderen Themen bislang wenig Gedanken gemacht habe. Aber mir ist klar, dass hier noch eine ganze Reihe fehlt und / oder das andere Personen auch andere Themen relevant finden werden. Es sind halt meine persönlichen Überlegungen, recht unsystematisch.

Grundsätzlich habe ich das alles vor allem in der Hoffnung aufgeschrieben, dass sich auch andere beginnen, sich Gedanken über ein neues Lehrbuch für den Bibliotheksbereich zu machen (oder sich schon längst machen, aber das dann laut äussern). Weil, auch wenn ich am Anfang gesagt habe, dass ich der Meinung bin, dass es aus strukturellen Gründen wohl in absehbarer Zukunft keines geben wird – eigentlich benötigen wir, das Bibliothekswesen, eines, einerseits für potentielle neue Kolleg*innen und anderseits für den Erhalt des Professionalitätslevels des Bibliothekswesens im Allgemeinen.

Vorüberlegungen zu einem notwendigen Neuen Lehrbuch für das Bibliothekswesen: Teil 2

Teil 1: Kapitel 1-4

Teil 2: Kapitel 5.1-5.9

Teil 3: Kapitel 5.9-6

5. Themen für ein neues Lehrbuch

Im folgenden jetzt will ich die Überlegungen, die ich mir zu verschiedenen Themen für ein solches neues Lehrbuch gemacht habe, darstellen. Die sind allerdings, als Vorwarnung, noch unvollständiger als alle hier schon dargestellten Punkte: Es sind die Punkte, von denen ich – als jemand der jetzt seit über mehr als zehn Jahre in der bibliothekarischen Ausbildung und Forschung über Bibliotheken engagiert bin – ausgehe, dass sie als Thema für ein solches Lehrbuch notwendig wären. Dabei geht es mir immer um diese Doppelfunktion eines Lehrbuches: Einerseits finde ich es wichtig, dass die Themen vermittelt werden, wenn Personen neu in das Bibliothekswesen einsteigen. Andererseits denke ich, dass sie als geteilter Wissensstand für das Bibliothekswesen im Allgemeinen sinnvoll wären.

Aber, wie gesagt, bin ich mir im Klaren, dass es weitere Themen geben wird, die Kolleg*innen aus dem Bibliothekswesen sinnvoll finden. Und auch, dass meine Abneigung gegen «innovative Trends» in einem solchen Lehrbuch nicht von allen geteilt werden wird. Man sollte die folgenden Teile also am Besten als meinen ersten Beitrag zu einer möglichen Diskussion verstehen, nicht als fertige Aussagen. Man sollte auch der Reihenfolge oder der Länge meiner Ausführungen hier keine allzu grosse Bedeutung beimessen. Es ist eine eher zufällige Abfolge, keine Hierarchie. Und zu einigen Themen habe ich einfach mehr zu sagen, als zu anderen. Das heisst nicht unbedingt, dass sie wichtiger wären als andere. Zudem sind in den folgenden Abschnitten die Themen nicht so zu verstehen, dass ich zu allen ein eigenes Kapitel / einen eigenen Text in einem Lehrbuch schreiben (lassen) würde – einige sind auch erwähnt, weil ich sie grundsätzlich relevant genug finde, aber vielleicht eher als «Querschnittthema».

5.1 Bibliothekstypologie

Obwohl, wie gesagt, die Themen hier (noch) nicht in eine Systematik gebracht wurden, würde ich dennoch sagen, dass die Bibliothekstypologie in einem Lehrbuch recht weit nach vorne, in die Grundlagen gehört. [Ich bin auch ein wenig überrascht von der Aussage. Vor einigen Jahren hätte ich sie bestimmt nicht gemacht.]

Bibliothekstypologie ist erstmal ein gutes Beispiel für ein Thema, dass thematisch so sehr ausufern kann, dass es dann nicht mehr Teil eines Lehrbuches ist. Man kann sich bekanntlich endlos darin vertiefen, nach welchen Kriterien Bibliotheken zusammengefasst, unterteilt und systematisiert werden können. Man kann Spezialfälle und Prototypen zu zeigen versuchen. Man kann sich Gedanken über Bibliotheken machen, die zu zwei oder noch mehr Typen zugeordnet werden können. Das alles kann sehr schnell zu einer intellektuellen Übung werden, bei der die meisten Menschen (auch ich) schnell aussteigen.

Aber, wenn man die Bibliothekstypologie an die Aufgabe zurückbindet, einen Überblick zu den Typen und damit auch Aufgaben der Bibliotheken, die existieren, zu geben, dann wird sie zu einer wichtigen Grundlage für den Einstieg in das Wissen der Profession.

Und unter diesem Aspekt sollte sie auch in einem Lehrbuch behandelt werden. Zuerst sollte mit der Bibliothekstypologie geklärt werden, das Bibliotheken Institutionen sind und das sie von anderen Institutionen (Buchhandel, Schulen, Kindertagesstätten, Archive, Museen und so weiter) unterschieden werden können. Zugleich sollte klar gemacht werden, dass sie sich als Institutionen von anderen Vorstellungen, die sich an Bibliotheken binden (die Bibliothek als Privatsammlung, die Bibliothek in der Literatur und so weiter) unterscheiden. Diese kann man erwähnen, in einem Lehrbuch zum Bibliothekswesen sollte sehr am Anfang klar werden, dass es in der Profession darum geht, konkrete Bibliotheken zu betreiben und in ihnen (als Personal, nicht als Nutzer*in) zu arbeiten.

Sodann müsste dargestellt werden, dass Bibliotheken an ihre Träger gebunden sind und sich die Aufgaben sowie die alltägliche Arbeit hauptsächlich daraus bestimmt, was diese Träger von den Bibliotheken erwarten. Es muss klar werden, dass Bibliotheken schon immer einen Spielraum bei der Ausgestaltung der eigenen Arbeit haben, aber auch keinen unendlichen, sondern das sie zurückgebunden sind an die Aufgaben, die sie als Institution erfüllen sollen. Und sichtbar sollte damit dann auch werden, dass Bibliotheken vor allem Serviceeinrichtungen sind, die Aufgaben erfüllen – nicht etwa losgelöst von der Gesellschaft schwebende Einrichtungen. Damit einher sollte auch gehen, dass klar wird, dass in Bibliotheken Menschen jeweils einer Arbeit nachgehen, die darauf bezogen ist, die Aufgaben der jeweiligen Bibliothek zu erfüllen – nicht etwa um die Welt zu retten, die Gesellschaft neu zu erfinden oder reine intellektuelle Spielerei zu betreiben.

Daraus dann würde sich der Sinn einer Typologie von Bibliotheken ergeben, die dann anschliessend dargestellt werden könnte. Diese Darstellung sollte dann die Breite der verschiedenen Bibliotheken zeigen, aber auch die unterschiedlichen möglichen Zugänge für eine solche Typologie: Nach Trägern, nach Aufgaben der Bibliotheken (sowohl denen, die sich aus der jeweiligen Trägerschaft ergeben als auch denen, welche sie im Bibliothekswesen übernehmen) und nach Grösse der Bibliotheken. Es würde so klar werden können, dass Bibliotheken gesammelt ein eigenes Feld darstellen, dass in diesem Feld aber bestimmte Bibliotheken ähnliche Aufgaben, Trägerschaften und Grössen haben und gemeinsame Typen (mit vergleichbaren Aufgaben, Arbeitsweisen und Herausforderungen) darstellen. Bei dieser Darstellung muss man wohl schon erwähnen, dass es keine endgültige Typologie gibt, sondern immer über bestimmte Zuordnungen diskutiert werden kann und dass jede Typologie auch immer in Bewegung ist. Aber relevant wäre zu zeigen, dass sich die praktisch existierenden Unterschiede im Bibliotheksfeld auch durch die unterschiedlichen Trägerschaften erklären lassen.

Eine solche Typologie würde dann am Anfang eines Lehrbuches einen Überblick zu den verschiedenen Bibliotheken geben, zu den Eigenheiten verschiedener Bibliothekstypen und kann den Personen, die sich mit diesem Wissen dann durch die verschiedenen Aufgaben und Diskussionen des Bibliothekswesens hindurch finden sollen (sowohl in ihrer potentiellen Karriere als auch durch das Lehrbuch) eine Basis mitgeben. Es wäre klar, über was im Bibliothekswesen überhaupt geredet und nachgedacht wird: Über die Arbeitsweisen und Aufgaben von Institutionen.

Die Typologie kann dann auch dafür genutzt werden, Angaben zur ungefähren Anzahl der unterschiedlichen Bibliotheken im DACH-Raum zu machen, damit klar wird, dass diese nicht wenige sind, aber auch nicht unendlich viele und damit zum Beispiel sichtbar wird, dass es viel mehr Öffentliche Bibliotheken gibt, dass aber gleichzeitig die Wissenschaftlichen Bibliotheken durch ihre Trägerschaften viel mehr Ressourcen haben beziehungsweise potentiell mobilisieren können, so dass klar wird, warum deren Themen einen so viel grösseren Platz in den bibliothekarischen Diskussionen einnehmen. Gleichzeitig kann die Typologie auch genutzt werden, um einen ersten Hinweis darauf zu geben, dass die Bibliothekswesen in den Ländern des DACH-Raumes zwar ähnlich sind, aber doch immer auch noch Unterschiede aufweisen (nur schon, wenn thematisiert wird, wie viel mehr Kantonsbibliotheken es in der Schweiz gibt im Vergleich zu den Landes- und Staatsbibliotheken in Österreich oder Deutschland).

5.2 Bestandsmanagement und Medienkunde

Die Hauptaufgaben der Bibliotheken ist und wird auch in Zukunft das Management des Medienbestandes sein. Auch wenn es manchmal beim Blick in die bibliothekarische Literatur so aussieht, als wären andere Themen wichtiger, wird sich in Zukunft die Arbeit der meisten Bibliothekar*innen weiterhin um den Bestand drehen. Deshalb sollte es in einem einführenden Lehrbuch auch eine grossen Platz einnehmen. Zu diskutieren wäre eigentlich nur, was genau thematisiert werden sollte.

Das es unterschiedlich gehandhabt werden kann, kann man wieder gut durch einen vergleichenden Blick in «Bibliothekarisches Grundwissen» und «Le Métire de Bibliothécaire» sehen. Ist es zum Beispiel notwendig, grundlegend das Verlagswesen und den Buchmarkt mit zu thematisieren? Im ersten Buch findet sich dazu fast nichts, im zweiten recht viel (aber in früheren Ausgaben noch viel mehr).

Meiner Meinung nach sollte ein Lehrbuch, dass grundsätzliches Wissen vermittelt, aber mindestens folgende Themen behandeln:

  • Eine Medienkunde, welche die zahlenmässig wichtigsten Medientypen, die in den Bibliotheken stehen, beinhaltet. Was diese Medienkunde vermitteln sollte, ist, (a) die grundsätzlichen Eigenheiten der jeweiligen Medien (zum Beispiele ihre Materialität, wenn sie eine haben, oder ihre Eigenschaften, die sie von anderen Medien unterscheiden), (b) die verschiedenen wichtigen Genres (oder vergleichbares), die in der bibliothekarischen Praxis vorkommen, (c) Wissen darum, wofür, von wem und wofür die jeweiligen Medientypen genutzt werden (also zum Beispiel, welche Leute warum bestimmte Genres lesen und was sie daraus ziehen), (d) die jeweiligen Akteure auf den Märkten für diese Medientypen (beispielsweise für gedruckte Bücher Verlage, Buchhandel, Autor*innen, Literaturagent*innen aber für Musik dann auch Label und so weiter), (e) die jeweiligen anderen Institutionen, die mit den Medientypen auch hauptsächlich umgehen (beispielsweise bei Romanen und Lyrik die Literaturhäuser). Sinn dieser Medienkunde – und das muss gleich am Anfang gesagt werden – ist es nicht, wieder möglichst viel zum auswendig lernen zusammenzutragen, sondern zu vermitteln, wie ähnlich oder unterschiedliche die jeweiligen Medienformen sind, dass sie nicht aus dem Nichts entstehen, sondern aus einem Netzwerk von Akteur*innen mit unterschiedlichen Interessen und das sie für verschiedene Aufgaben genutzt werden, die dann auch bestimmen, ob Medien sich wandeln oder nicht. Es muss klar werden, dass die Interessen der anderen Akteur*innen im Blick behalten werden müssen, wenn man verstehen will, wie sich die Medientypen entwickeln. Diese Medienkunde muss auch den Hinweis enthalten, dass es immer noch mehr Medientypen gibt und das Bibliotheken grundsätzlich recht gut darin sind, die Medientypen vorzuhalten, die für die Aufgaben, die sie erfüllen sollen, relevant sind. Dargestellt werden müssen die für Bibliotheken wichtigsten Medien, aber mit dem Verweis, dass sich immer schon geändert hat, welche dieser Medien die wichtigsten sind und sich auch weiterhin ändern wird. Ob dafür dann zum Beispiel eine Einführung in die Buchgeschichte oder die typographische Gestaltung von Büchern (wie sie in früheren Lehrbüchern enthalten waren) notwendig ist, ist eine andere Frage. Ich würde sagen nein oder wenn, dann nur als ein Beispiel mit dem Verweis, dass alle Medientypen eine solche Geschichte haben.
  • Die Medienkunde muss selbstverständlich auf die rechtlichen Unterschiede zwischen physischen Medien (Kauf) und elektronische Medien (Lizenzen) eingehen. Diese sind für die bibliothekarische Arbeit mit den Medien essentiell.
  • Was die Medienkunde auch leisten muss – hier wird es tricky –, ist, die Entwicklungen der Medienmärkte und Mediennutzung darzustellen, aber dabei nicht zu sehr historisch zu werden und auch nicht zu aktuell zu sein. Ein Lehrbuch ist für mehrere Jahre geschrieben, nicht für den aktuellen Moment. Es geht nicht darum, die Mediennutzung in den nächsten zwei Jahren zu zeigen, sondern vor allem die Tendenzen zu zeigen, welche die Bibliotheken, wie sie jetzt sind, geprägt haben und wohl in den nächsten Jahren prägen werden. Ist es dazu zum Beispiel notwendig zu wissen, wann die ersten Zeitungen oder Audiobooks publiziert wurden? Eher weniger. Wichtiger wäre zu zeigen, dass dies alles eine Geschichte hat, die vielleicht – bei den gedruckten Zeitungen – langsam an ein Ende gelangt, aber doch noch relevant ist oder aber auch eine bestimmte Flughöhe erreicht hat – bei den heute elektronischen Audiobooks – die noch eine Weile so bleiben wird, wohl ohne grosse Entwicklungen. Als Wissen scheint es mir relevanter zu sein, das sich im Laufe der Karriere der potentiellen neuen Kolleg*innen, welche dieses Lehrbuch als Einstieg nutzen, weiter merklich verändern wird (ohne das Bibliotheken das werden ändern können), aber auch nicht so radikal, dass es morgen schon ganz anders sein wird. Hilfreich wird dabei sein, zu zeigen, dass «am Anfang», wenn neue Medien eingeführt werden, oft viel mehr und andere Entwicklungen vorausgesagt werden, als sich dann in der Realität zeigen.
  • Einer Einführung in das Bestandsmanagement als Management, also als möglichst effektives Auswählen, Erwerben / Lizenzieren, Erschliessen, Anbieten oder auch wieder Entfernen von einer grossen Zahl an Medien, welche die jeweilige Aufgaben der jeweiligen Bibliotheken erfüllen. Es muss klar werden, dass es nicht (oder nur in sehr besonderen Fällen) um bestimmte einzelne Medien geht, sondern eigentlich immer um eine möglichst grosse Zahl, die auch nicht um ihrer selbst Willen gemanagt werden sollen. Daraus muss dann abgeleitet werden, was «möglichst effizient» heisst – also zum Beispiel auch den Einsatz von «automatisierten Erwerbungsinstrumenten» wie Approval Plans oder Patron Driven Acquisition. Es muss klar werden, dass es die Aufgabe der Bibliotheken ist, diese Arbeit möglichst gut zu planen, durchzuführen und zu steuern. Im Lehrbuch sollte auch gezeigt werden, was das auf den verschiedenen Hierarchiestufen in Bibliotheken heisst, also wie es konkret in der Arbeit umgesetzt wird.
  • Was unbedingt auch thematisiert werden muss, ist die Frage von Sammlungen und Magazinen. Es muss klar werden, dass der Aufbau einer Sammlung und damit Fragen des Bestandserhalts und Magazinbetriebs grundsätzlich immer weniger Bibliotheken betrifft. Gesagt werden sollte, dass Öffentliche Bibliotheken und immer mehr Wissenschaftliche Bibliotheken keine längerfristig angelegten Sammlungen haben und sich deshalb in deren Arbeit auch die konkreten Fragen, die sich bei solchen Sammlungen stellen, nicht auftauchen. Gleichzeitig muss angesprochen werden, welche Fragen dies sind, denn die vorhandenen Sammlungen in National-, Landes-/Kantons- und Forschungsbibliotheken sind fraglos relevant, auch der Magazinbetrieb wird in den Bibliotheken, welche ein solches betreiben, weiter relevant bleiben. Wieder: Das Lehrbuch soll das notwendige Grundwissen für alle Karrieren im Bibliothekswesen vermitteln. Dazu gehört zum Beispiel auch, dass man lernt, wie wichtig die Arbeit von «Magaziner*innen» für das Funktionieren der jeweiligen Bibliothek ist.
  • Als Teil des Bestandsmanagements müssen auch die Aufstellungen und die Aufstellungssystematiken dargestellt werden. Wieder nicht bis ins Detail, aber es wäre notwendig zu lernen, (a) warum eine Aufstellungssystematik notwendig ist, (b) das es verschiedene Ansätze und Standards (und welche) gibt, (c) dass diese in ständiger Veränderung sind.

5.3 Geschäftsgang

Eine der sinnvollsten Darstellung in «Bibliothekarisches Grundwissen» (aber auch eine, die unbedingt überarbeitet und aktualisiert werden müsste, insbesondere für elektronische Medien / Lizenzierung), ist die des Geschäftsganges, also des Weges eines physischen Mediums von der Auswahl desselben bis zur Bereitstellung in der Bibliothek. (Ich würde bei einer Aktualisierung noch die Deacquisition beziehungsweise Magazinierung ergänzen, weil diese den Weg des Mediums durch die Bibliothek «abschliesst».) Grundsätzlich ist eine Darstellung des Geschäftsganges auch in jeder Ausgabe von «Bibliothekarisches Grundwissen» seit der ersten von 1972 enthalten.

Das sollte für ein neues Lehrbuch aktualisiert, aber beibehalten werden. Was sich anhand des Geschäftsganges gut zeigen lässt, sind folgende Dinge:

  • Die Organisation der Bibliothek auf die Aufgabe hin, Medien zur Verfügung zu stellen.
  • Die konkrete Organisation dieser Arbeit, die sich ja in vielen Bibliotheken – wenn sie nur gross genug sind – auch in der Verteilung in verschiedene Abteilungen oder (organisatorisch und oft auch räumlich getrennte) Büros niederschlägt.
  • Den Zusammenhang der teilweise im Arbeitsalltag vom Eindruck her sehr freistehenden Arbeitsschritte, die sich auf Medien beziehen.

Zugleich lässt sich am Geschäftsgang gut zeigen, wie ein so übergreifender Blick, der ein Medium in den Fokus stellt, in der Bibliothek genutzt werden kann, um die Aufgaben des Personals und auch konkret das Personal zu managen.

Was sich auch mit dem Geschäftsgang nochmal gut zeigen lässt, in meiner Erfahrung, ist der Unterschied zwischen physischen und elektronischen Medien. Man kann nebeneinander stellen, wie der Geschäftsgang für ein physisches Medium aussieht und wie er für elektronische Medien aussieht, und kann dann sehr gut sehen, dass zum Beispiel der ganze Aufgabenbereich der «technischen Bearbeitung» bei elektronischen Medien fortfällt oder auch das «Ende» eines Mediums einer anderen Entscheidung (Bei physischen Medien: Soll es ausgesondert / magaziniert werden?, bei elektronischen: Soll die Lizenz erneuert werden?) bedarf.

5.4 Katalogisierung, Metadaten, Kataloge und Discovery Systems

Es muss, glaube ich, nicht länger begründet werden, dass sowohl die Katalogisierung und Metadatenpflege als auch der Aufbau von Bibliothekskatalogen und Discovery Systemen in einem grundlegenden Lehrbuch zum Bibliothekswesen einen Platz einnehmen muss. Es muss grundsätzlich allen Kolleg*innen in allen Positionen bewusst sein, warum diese Arbeit gemacht wird, wie sie gemacht wird und warum es relevant ist, um zu wissen, wie die Kataloge und Recherchemittel der Bibliotheken funktionieren. (Es gibt aktuell die ernstzunehmende Kritik, dass zu wenig Bibliothekar*innen das tun und deshalb Bibliotheken zu sehr von kommerziellen Anbietern von OPAC- und Discovery Systemen abhängig sind. Was bedenkenswert ist, aber es sollte meiner Meinung nach schon aus Gründen der Professionalität des Feldes zum Grundwissen gehören.) Und: Es ist auch notwendig zu vermitteln, dass Katalogdaten zwar Metadaten sind, aber das in Bibliotheken – egal, dass das von einzelnen Kolleg*innen explizit anders gefordert wird – oft zwischen diesen beiden unterschieden wird. Das muss nicht ewig so sein, aber potentielle Kolleg*innen sollten das wissen, bevor sie es im Bibliotheksalltag selber herausfinden müssen.

Die relevante Frage ist nur, was genau und wie tief es in einem Lehrbuch notwendig ist. Die Antwort sollte auf der realen bibliothekarischen Praxis basieren und die ist, dass die konkrete Katalogisierung von Medien immer mehr ein spezielles Feld geworden ist, an der immer noch viele, aber doch auch immer mehr nur darauf fokussierte Kolleg*innen tätig sind – und das die Katalogisierung tendenziell, falls RDA und seine Möglichkeiten einmal «greifen» (also zum Beispiel auch in den Bibliothekssystemen vollständig umgesetzt sind), noch mehr zu einem wichtigen Spezialfeld werden wird, dass im Arbeitsalltag der meisten Bibliothekar*innen konkret kaum noch vorkommt. Aber gleichzeitig wird das Anlegen und Pflegen von anderen Metadaten sowie die Konsequenzen der Erstellung von Metadaten ausserhalb des Bibliothekswesens, welche in die Kataloge integriert werden (vor allem für elektronische Medien), weiterhin die bibliothekarische Arbeit prägen. Deshalb muss es auch einen relevanten Raum in einem einführenden Lehrbuch einnehmen.

Im Lehrbuch muss einerseits die Grundlage dafür gelegt werden, dass Kolleg*innen potentiell Karrieren beschreiten, die – zum Beispiel an Bibliotheken mit Archivauftrag – hauptsächlich in der Katalogisierung bestehen. Aber es kann nicht eine vollständige Einführung in die Katalogisierung selber sein. Das gleiche gilt für potentielle neue Kolleg*innen, die auf die eine oder andere Weise mit Metadaten arbeiten werden. Auch für diese muss im Lehrbuch eine Grundlage gelegt werden, ohne das Thema vollständig darzustellen. Und für alle anderen Kolleg*innen muss klar werden, wie umfangreich diese Arbeit ist, schon damit sie – beispielsweise aus dem Blick von Bibliotheksleitungen – angemessen gewürdigt werden kann.

In der aktuellen Ausgabe von «Bibliothekarisches Grundwissen» gibt es einen recht langen Abschnitt, in welchem der OPAC eingeführt und im Detail beschrieben wird. Ist das notwendig? Eine klare Antwort habe ich da nicht (wenn, dann sollte es auch für Discovery Systems passieren). Mir scheint aber, dass das als Grundlage nicht notwendig ist, solange die Funktionen von Katalogen dargestellt werden. Das Aussehen und die einzelnen konkreten Funktionen der Systeme werden sich eh recht bald wieder ändern – die Funktionen nicht so schnell. Als Wissen wichtig wäre eher auf diese kontinuierliche Weiterentwicklung hinzuweisen.

Insoweit sollte folgendes behandelt werden:

  • Eine Einführung darein, was der Katalog ist, wofür er notwendig ist und wieso Katalogisate erstellt werden. Zudem ein kurzer Überblick zu den aktuell genutzten Katalogregeln (wohl RDA, aber es wäre für das Erstellen eines Lehrbuches auch wichtig zu wissen, ob die überall genutzt werden oder ob weitere in Gebrauch geblieben sind). Dabei sollte es darum gehen, dass die Grundkonzepte verständlich werden und das klar wird, dass sie immer weiter entwickelt werden. (Dazu sollte kurz, wirklich nur als Überblick, erwähnt werden, welche Formen von Katalogen und Katalogregeln es bis heute gegeben hat. Es geht wieder nicht darum, etwas zum Auswendiglernen vorzulegen, sondern zu zeigen, dass die Aufgabe und Form der Kataloge und Katalogisierungsregeln mit den Jahrzehnten bestimmte Entwicklungsrichtungen hatten: Hin zur Integration von immer mehr Medienformen, zur Nutzung des jeweils vorhandenen Techniken, hin vom Nachweis zum Recherchewerkzeug und auch hin zu einer immer grösseren Standardisierung und Zusammenarbeit bei der Weiterentwicklung und Nutzung von Katalogen. Gleichzeitig sollte gesagt werden, dass es normal ist, dass aus den Regelwerken in der Praxis wieder «Hausregeln» werden – weil es die Praxis ist, auf die die potentiellen Kolleg*innen treffen werden.) Klar werden muss in dieser Einführung auch, dass das Ziel eigentlich eine kooperative Katalogisierungspraxis möglichst vieler Bibliotheken gemeinsam ist, auch wenn dies teilweise (noch nicht?) umgesetzt wird.
  • Eine Einführung in die Praxis, Katalogisate von anderen Einrichtungen als Bibliotheken zu übernehmen und mit ihnen im Katalog zu arbeiten. Das bezieht sich ja vor allem auf Verlage. Es sollte dargestellt werden, warum das so gemacht wird (also vor allem die Menge an Katalogisaten, die so integriert werden kann, aber auch die «Kurzlebigkeit» solcher Katalogisate im Fall von grossen Paketen elektronischer Medien, die nur für einen kurzen Zeitraum lizenziert werden und deshalb auch keinen grösseren Aufwand rechtfertigen würden) und was die Vor- und Nachteile sind. Es muss klar werden, dass es neben dem Erstellen von Katalogisaten heute eine Aufgabe von Bibliothekar*innen ist, die Qualität von solchen kurzfristig und massenhaft in Kataloge eingespielte Katalogisate zu überprüfen und zur Not zu verbessern beziehungsweise Verbesserungen einzufordern.
  • Sinnvoll wird wohl auch sein, darzustellen, dass es seit langem Versuche gibt, die Erstellung von Katalogisaten durch technische Möglichkeiten zu unterstützen, also oft möglichst zu automatisieren. Das dies bislang zu wenigen konkreten Lösungen gefunden hat, heisst nicht, dass es nicht im Laufe der Karriere der potentiellen Kolleg*innen verändern wird. Vielmehr wird es die Katalogisierungsarbeit weiter begleiten, selbst wenn es nie zu einem handfesten Ergebnis führt.
  • Das Thema Metadaten müssten ähnlich tief, aber mit Verweisen auf verschiedene Bereiche, eingeführt werden. Sicherlich müsste dargestellt werden, was Metadaten sind und wofür sie genutzt werden. Zu diskutieren wäre, ob man nicht die Katalogisate erst danach als gesonderte Form von Metadaten einführen sollte. Darüber hinaus sollte dargestellt werden, welche Metadaten in der bibliothekarischen Praxis relevant sind, also einmal die, die von anderer Seite – beispielsweise im Rahmen von Discovery Systems – in die Bibliothek kommen und dann die, an deren Erstellung oder Pflege Bibliotheken beteiligt sind – also zum Beispiel mit einem Verweis auf Forschungsunterstützung.
  • Relevant ist zudem, die Bedeutung von Metadatenstandards darzustellen und, wie diese weiterentwickelt werden. Klar sein muss, dass Bibliotheken nicht nur ihre eigenen Regelwerke fortschreiben, sondern dass Bibliothekar*innen auch an der Weiterentwicklung anderer Standards beteiligt sind. Die Strukturen, welche diese Standards fortschreiben, und ihre Arbeitsweise, sollte zumindest beispielhaft dargestellt werden, zum Beispiel generisch anhand des W3C oder solcher spezifischen Institutionen wie der Music Encoding Initiative / MusicXML.
  • Die grundlegenden Prinzipien von Katalogen und Discovery Systems sollte ebenso dargestellt werden. Dabei muss nicht erklärt werden, welche verschiedenen Katalogarten (alphabetischer versus systematischer Katalog und so weiter) es früher gab. Vielmehr sollte die verschiedenen Suchzugänge dargestellt werden, die an heutigen Systemen möglich sind.

5.5 Bibliotheksbenutzung

Neben der Arbeit mit Medien ist eindeutig die Nutzung der Bibliothek der Bereich, welcher für die praktische Arbeit relevant ist, aber in der Literatur und Diskussion eher gerne herunterfällt. (Mir fällt das auch im Gespräch mit Kolleg*innen aus verwandten Gebieten auf. In Archiven zum Beispiel scheint die Nutzung auch viel Ressourcen einzunehmen, aber nicht so prägend zu sein, wie für Bibliotheken.) Dabei geht es um zwei Bereiche: Die Nutzung des Bestandes und die Nutzung des Raumes Bibliothek.

Wie auch bei den anderen Themen hier bin ich der Überzeugung, dass es in einem Lehrbuch wichtig ist, die reale Nutzung und die damit zusammenhängenden Arbeiten, die durchgeführt werden (müssen) darzustellen. Es kann nicht darum gehen, irgendwelche Idealbilder und Träume zu schildern oder gerade aktuellen Obsessionen des Bibliothekswesens zu folgen, die nicht in der Empirie sichtbar sind. Es bringt nichts, wenn die potentiellen Kolleg*innen im Lehrbuch von flexiblen Räumen und Dritten Orten lesen, aber dann in der Praxis vor allem einen Arbeitsalltag haben werden, der von Aufsicht im Lesesaal und Betreuung von Schulklassen geprägt ist, während die Kaffeemaschine in der Ecke manchmal genutzt wird. Das Lehrbuch kann schon sagen, was die Bibliotheken gerne hätten, wie die Bibliotheken genutzt werden, aber es muss auch darauf vorbereiten, in den realen Bibliotheken zu arbeiten.

Welche Themen sollten also, meiner Meinung nach, zum Thema Bibliotheksnutzung dargestellt werden?

  • Im Bereich der Mediennutzung sollten Zahlen und Entwicklungen gezeigt werden. Es muss klar werden, welche Medientypen die Nutzung prägen (in Öffentlichen Bibliotheken weiterhin gedruckte Bücher, in Wissenschaftlichen elektronische Medien und gedruckte Bücher) und wie sie sich in den letzten Jahren entwickelt haben. Wieder sollte es vor allem darum gehen, die potentiellen Kolleg*innen auf den Arbeitsalltag vorzubereiten: (a) Sie sollten sehen, welche Medientypen sie hauptsächlich beschäftigen werden, (b) sie sollten auch sehen, dass es kontinuierliche Veränderungen gibt, dabei aber auch starke «Beharrungskräfte» einiger Medientypen gibt – nicht als Polemik, sondern weil dies wohl auch in den nächsten Jahrzehnten weiter so sein wird, (c) sie sollten auch lernen, dass bestimmt Medientypen in gewisser Weise «kommen und gehen» und das dies ihre Karriere auch prägen wird. (Hier wären ein-zwei Beispiele, die explizit als solche bezeichnet werden sollten, interessant. Mir scheint die CD / CD-ROM immer ganz gut, weil man zeigen kann, mit was für hohen Ansprüchen sie einmal eingeführt wurde, wie sie eine Zeit lang auch relevant war und wie sie dann wieder aus den Beständen der meisten Bibliotheken «verschwand». VHS-Kassetten finde ich auch ein gutes Beispiel, weil man hier zeigen kann, wie der Medientyp selber einen Einfluss auf den Raum Bibliothek hatte, weil für diese teilweise eigene Möbel angeschafft / gebaut wurden.)
  • Es muss klar werden, welche Arbeit «hinter» der eigentlichen Bibliotheksnutzung steckt, also zum Beispiel die technische Bearbeitung, das kontinuierliche Einstellen, Verschieben, Neuordnen und Entfernen von physischen Medien oder die Pflege von Metadaten, Lizenzen, das Lösen technischer Probleme oder die Kommunikation mit Verlagen bei elektronischen Medien. Es sollte auch klar dargestellt werden, dass dies fast alles «invisible work» ist, also solches, dass von Nutzer*innen oder Trägerschaft regelmässig übersehen wird. Auch darauf sollte in einem Lehrbuch vorbereitet werden, dieses «Übersehenwerden» und die Aufgabe, damit umzugehen – persönlich, als Bibliothekar*innen, und institutionell als Bibliothek, welche die Notwendigkeit und Breite dieser Arbeiten immer nach aussen zeigen muss.
  • Das Lehrbuch sollte auch zusammenfassen, was wir über die tatsächliche Nutzung des Raumes Bibliothek wissen. (Mir scheint, beim Schreiben würde das eines der grössten Probleme darstellen, weil man hier zwischen tatsächlich vorhandenem Wissen und irgendwelche Artikeln, die auf Ausnahmesituationen wie Veranstaltungen, Feste oder so fokussieren, unterscheiden muss. Hier muss vielleicht sogar einiges erst empirisch erhoben werden.) Es wäre zum Beispiel relevant, zu vermitteln, dass weiterhin der Grossteil der Nutzer*innen relativ kurz in Öffentliche Bibliotheken kommt, um Medien auszuleihen und dann wieder zu gehen, dass ein relevanter Teil der Bibliotheksnutzung in Wissenschaftlichen Bibliotheken darin besteht, diese als Lern- und Arbeitsort (nicht einmal unbedingt mit den Medien aus der konkreten Bibliothek selber) zu nutzen und das es gleichzeitig immer Versuche von Bibliotheken gibt, andere Formen von Nutzungen zu ermöglichen und zu motivieren. Hierbei kann man auch Beispiele nennen, aber man sollte ehrlich darstellen, was die Hauptnutzung ist und was nicht.
  • Sicherlich sollte man auch darstellen, wer überhaupt die Bibliotheken nutzt und was dies für Möglichkeiten und Probleme mit sich bringt. Erstmal Probleme: Hier scheint mir, dass Bibliotheken teilweise zu sehr auf «problematische Nutzer*innen» fokussiert sind. Das scheint mir teilweise mehr Thema der Literatur und Diskussion zu sein als der Realität in den meisten Bibliotheken. Aber es sollte im Lehrbuch auch als möglicher Teil der Bibliotheksarbeit angesprochen werden, inklusive Verweise auf Lösungsansätze und darauf, dass der Umgang mit diesen Nutzer*innen nicht gelingen kann, wenn er von Vorurteilen geprägt ist. Die andere Seite, nämlich wer überhaupt Bibliotheken nutzt, wäre ein wichtiges Thema, aber auch eines, für das man eventuell erstmal Daten erheben müsste. Das scheint mir ein Problem des Bibliothekswesens an sich zu sein, dass es kaum ein Wissen zum Beispiel über die sozio-demographische Zusammensetzung der Nutzer*innenschaft gibt. Zu den Altersgruppen kann man noch recht gut etwas sagen, aber anderes ist schwieriger zu bestimmen. Wichtig wäre mir bei diesem Abschnitt dann auch, auf empirischen Erfahrungen aus Bibliotheken aufzubauen, also eher sagen zu können, wie viel Zeit Bibliothekar*innen mit Aufsicht, Beratung, Medienarbeit und so weiter verbringen und wie viel zum Beispiel mit der Organisation von Maker-Veranstaltungen oder der Arbeit mit Schulklassen.
  • Es gibt im Bibliothekswesen erstaunlich wenig Literatur und Diskussionen zur konkreten Arbeit für und mit Nutzer*innen, wenn man dies zum Beispiel mit der Literatur aus der Pädagogik oder der Sozialen Arbeit vergleicht. Hier bin ich hin und her gerissen: Einerseits fände ich es nur sinnvoll, wenn es zum Beispiel ein Nachdenken und Untersuchungen zu pädagogischen und didaktischen Fragen gäbe – aber gleichzeitig sollte das Lehrbuch ja darauf vorbereiten, was in Bibliotheken tatsächlich passiert. Sollte also zum Beispiel grundlegende didaktische Konzepte behandelt werden (weil es sinnvoll wäre)? Oder darauf verwiesen werden, dass sie sich in der Realität von Bibliothekar*innen selber angeeignet werden müssen (was die Realität ist)?
  • Ich denke, es wäre auch gut, in diesem Abschnitt Nutzungsordnungen (unter welchem Namen auch immer) zu behandeln. Zum einen kann man an konkreten Nutzungsordnungen sehen, wie Bibliotheken sich die Nutzung der Medien und des Raumes vorstellen, zum anderen kann man vermitteln, dass die Arbeit an und mit den Nutzungsordnungen einen wichtigen Teil der Bibliotheksarbeit darstellen sollte. An ihnen lässt sich zum Beispiel auch gut diskutieren, dass Bibliotheken immer eine Balance suchen zwischen Medienerhalt und Zugang zu Medien und das diese Balance immer geprägt ist vom Bibliothekstyp (mit den beiden Extremen Bibliotheken mit Archivierungsauftrag auf der einen Seite und Bibliotheken, die beim Bestandsmanagement den «Verbrauch» von Medien in einem überschaubaren Zeitraum schon einplanen, auf der anderen Seite).

5.6 Services und Veranstaltungen

Ein solches Lehrbuch muss ohne Frage einen Einblick geben in die zahlreichen Services und Veranstaltungen, die von Bibliotheken durchgeführt werden. Auch hier unter dem Blickwinkel, dass klar sein muss, was an tatsächlicher Arbeit in Bibliotheken passiert (hier zum Beispiel unter anderem, was es heisst, Veranstaltungen zu planen und durchzuführen, vom Personaleinsatz über Didaktik hin zu baulichen Fragen oder auch, welche Arbeit und Ressourcen konkret für bestimmte Services notwendig sind), aber gleichzeitig auch mit realistischen Darstellungen. Im Lehrbuch sollte weniger geschildert werden, was Bibliotheken sich manchmal wünschen, welche Aufgaben sie übernehmen oder welche Bedeutung sie haben könnten, sondern vielmehr, was tatsächlich «in der Fläche» passiert. Gleichzeitig sollte klar werden, dass die Entwicklung solcher Vorstellungen oder auch das Testen von neuen Services und Veranstaltungsformen Teil der Arbeit im Bibliothekswesen ist und sein wird. Die potentiellen neuen Kolleg*innen sollten darauf vorbereitet sein, ohne dann zu hoffnungsvoll oder zu kritisch an solche Entwicklungen herangehen zu können.

Das Ziel wäre, dass potentielle Kolleg*innen mit dem Lehrbuch darauf vorbereitet werden, dass zum Beispiel die Organisation von Lesungen oder Beratungen zum Forschungsdatenmanagement Teil ihrer Arbeit (oder gar ihre Hauptarbeit) in Bibliotheken sein kann. Und sie sollen in der Lage sein, wenn dies nicht der Fall sein wird, diese Arbeit und ihre Bedeutung dennoch Wert zu schätzen (als Kolleg*innen oder als Vorgesetzte).

  • Man kann in einem Lehrbuch auch nicht alle Services und Veranstaltungsformen darstellen. Aber es wäre wichtig, die hauptsächlichen Bereiche (aus der Realität) darzustellen und gleichzeitig zu zeigen, dass es immer Versuche gibt, in andere Bereiche weiterzugehen.
  • Zu vermitteln wäre aber auch, dass Bibliotheken der Erfahrung nach vor allem dann mit der Etablierung von Services erfolgreich sind, wenn sie eine Servicefunktion für Nutzer*innen oder Trägereinrichtungen übernehmen und weniger erfolgreich, wenn sie versuchen, darüber hinauszugehen und selber neue Aufgaben zu (er-)finden.
  • Es sollte auch klar gesagt werden, dass Öffentliche Bibliotheken bei allen Versuchen, neue Bereiche zu besetzen, seit Jahrzehnten vor allem im Bereich Literatur und der Arbeit mit Kinder sowie Schulklassen erfolgreich sind. Potentielle Kolleg*innen sollten darauf vorbereitet werden, dass sich in praktisch allen Öffentlichen Bibliotheken ein oder zwei «besondere» Veranstaltungsangebote finden, die für die jeweilige Bibliothek spezifisch sind, aber das der Grossteil der Nutzer*innen trotzdem zu Literatur- und Kinderveranstaltungen kommt und dass es Teil der Bibliotheksarbeit ist, diese zu organisieren.
  • Zu diskutieren wäre zu diesem Themenbereich, wie tief man in die Organisation von Veranstaltungen und Services hineingehen muss. Sicherlich lässt sich in einem einführenden Lehrbuch eh nicht die gesamte Veranstaltungsorganisation vermitteln, aber es wäre wohl notwendig, dass klar wird, dass auch dies alles Arbeit ist, die geplant, durchgeführt und mit Ressourcen ausgestattet werden muss und nicht einfach «nebenher» passieren kann. Und das sie teilweise, wenn die Bibliothek gross genug wird, auch als Hauptaufgabe von Personen oder Abteilungen stattfindet. Nicht so sehr bei Services, aber gerade bei Lesungen in Öffentlichen Bibliotheken kann man auch daran denken, hier zu thematisieren, wie das Auslagern dieser Arbeit an Dritte passieren kann, die dann im Auftrag von Bibliotheken Veranstaltungen in der Bibliothek durchführen – und was dies an Arbeit für Bibliotheken bedeutet (Ressourcen für die Auslagerung organisieren, Qualität überprüfen und so weiter).
  • Das Lehrbuch sollte auch auf die Unterschiede im DACH-Raum eingehen und wohl auch darauf, welche Tradition im DACH-Raum, im Gegensatz zu Traditionen in anderen Ländern bestehen. Die Bibliotheken im DACH-Raum sind ja, im Gegensatz zum Beispiel zu denen in Frankreich, Kanada und den USA, davon geprägt, dass sie vor allem Veranstaltungen in der Bibliothek (als im eigentlichen Gebäude) planen und durchführen, während anderswo Veranstaltungen an anderen Orten zur normalen Bibliotheksarbeit gehören. Es gibt auch im DACH-Raum dazu Ausnahmen, allerdings dann auch meist in bestimmten Einrichtungen, wie Schulen. Gleichzeitig gibt es daneben die Tradition, in der bibliothekarischen Literatur aus Bibliotheken anderer Länder Beispiele anzuführen und als Vorbilder beziehungsweise Bilder zukünftiger Bibliotheken darzustellen. Mir scheint, es wäre wichtig, gleich in einem Lehrbuch zu zeigen, dass dies beides – also die Veranstaltungen vor allem in der Bibliothek, mit Bezug auf Dienstleistung und Literatur, als auch das Anführen von Beispielen aus anderen Ländern, die nicht in diese Tradition passen – sich seit Jahrzehnten nicht gross verändert hat. Gleichzeitig wäre es wichtig zu sagen, dass in der Schweiz und in Liechtenstein die Leseanimation einen grösseren Platz in den Öffentlichen Bibliotheken einnimmt als in Deutschland, aber dass Spielzeug in Ludotheken verliehen wird (die kurz dargestellt werden müssten) und nicht, wie in den anderen Ländern des DACH-Raumes, in Öffentlichen Bibliotheken.
  • Mir scheint für diesen Abschnitt müssten auch Daten erhoben werden. In der Literatur werden eher besondere Entwicklungen dargestellt, weniger die Realität in Bibliotheken. Die Einführung neuer Services oder die Diskussion darüber, ob ein bestimmter Bereich – aktuell zum Beispiel das Forschungsdatenmanagement – von Bibliotheken mit Services besetzt werden soll oder nicht, produziert immer weit mehr Beiträge als Services, die dann in der Praxis so sehr «funktionieren», dass sie kaum noch thematisiert werden müssen. Aber die Arbeit potentieller Kolleg*innen wird eher von letzteren, also schon aufgebauten, Services geprägt sein, als von solchen «in der Debatte» – insbesondere, wenn sie eine längere Karriere im Bibliothekswesen absolvieren werden und nicht nur einen kurzen Ausflug in die Projektarbeit. Für das Lehrbuch müsste also erhoben werden, welche Services und Veranstaltungen tatsächlich im DACH-Raum etabliert sind (nicht nur diskutiert oder gerade in Projekten ausprobiert werden). Und zwar hier auch nochmal mit einem extra Fokus auf Spezialbibliotheken mit ihren spezifischen Aufgabenfelder. Insbesondere die Medizinbibliotheken haben da ja erfahrungsgemäss immer eine grosse Palette dieser spezifischen Angebote.

5.7 Lesen, Leseförderung und Leseforschung

Die Leseforschung spielt – ich habe das schon mehrfach anderswo angesprochen – im Bibliotheksalltag und in der bibliothekarischen Diskussion kaum eine Rolle. Dabei wird sie selbstverständlich immer weitergetrieben (und ihre Zeitschriften und Monographien stehen in Bibliotheken). Mir irritiert dass immer wieder, weil ich es anders erwarten würde – gerade Öffentliche Bibliotheken und Schulbibliotheken sind weiterhin hauptsächlich damit befasst, Medien für Leser*innen zur Verfügung zu stellen, Lesungen zu organisieren und hauptsächlich Veranstaltungen für Kinder und Schulklassen durchzuführen, also für Personen, die dann gerade in der Leselernphase sind. Und dennoch wird Wissen darüber, was gelesen wird, von wem, wofür, wie und so weiter kaum referenziert. Auch die Entwicklungen im Medienmarkt oder der Literatur selber sind fast nie Thema von bibliothekarischen Publikationen oder Diskussionen.

Ich weiss bei diesem Thema nicht, was alles in einem Lehrbuch notwendig wäre. (Offenbar funktionieren Bibliotheken ja auch ohne die Thematisierung dieses Wissens.) Aber mir scheint, falls jemand darangehen würde, ein Lehrbuch neu zu planen, wäre es ein gutes Zeitpunkt, darüber nachzudenken. (Ich würde Lesen hier auch erweitern auf das Lernen, zumindest das Lernen mit Medien.) Eventuell könnte dann ein Lehrbuch auch die Rolle spielen, die Bedeutung eines Themas für die Praxis zu verstärken und dann damit die Bibliothekspraxis näher an das Wissen aus der Leseforschung zu bringen.

Was bei diesem Thema aber auch wichtig wäre, ist, die konkrete Leseförderung, die in Bibliotheken tatsächlich stattfindet, darzustellen. Dabei sollte klar werden, dass diese oft auf Prämissen basiert, die halt nicht so richtig auf der Leseforschung basieren und das ihre Zielsetzungen manchmal recht unklar sind – also nicht immer klar, ob es wirklich um die Förderung von Lesen geht oder um Veranstaltungen, die an sich etwas Medien zu tun haben. Der Widerspruch kann auch benannt werden. Aber dennoch ist die Arbeit in einigen Bibliothekstypen davon geprägt, einmalige oder regelmässige Veranstaltung in diesem Bereich durchzuführen oder auch solche Kampagnen wie Buchstart (ein schönes Beispiel dafür, dass ein Lehrbuch den gesamten DACH-Raum beachten müsste und nicht zum Beispiel nur schreiben dürfte, wer in Deutschland «hinter» Buchstart steht, weil es in der Schweiz / Liechtenstein und in Österreich anders organisiert ist) mit zu tragen.

5.8 Beratungen und Schulungen

Der Themenbereich, den ich hier Beratungen und Schulungen nenne, ist ein gutes Beispiel dafür, warum es bei einem Lehrbuch wichtig wäre, einerseits nicht jedes aktuell in der bibliothekarischen Literatur diskutierte Thema zu integrieren, es andererseits aber auch regelmässig zu aktualisieren und mit der tatsächlichen Praxis in Bibliotheken abzugleichen.

Vor zehn-fünfzehn Jahren hätte man diese Abschnitt wohl eher «Informationskompetenz» genannt und, auf der Basis der damaligen bibliothekarischen Literatur, den Eindruck haben können, dass es ein Thema wäre, dass in Zukunft die Arbeit von (mindestens) Wissenschaftlichen Bibliotheken immer mehr prägen würde.

Heute ist das nicht so eindeutig. Was passiert ist, ist, dass eine ganze Reihe von Projekte in diesem Bereich, die einmal erfolgreich waren (oder zumindest schienen) ohne Anschluss eingestellt wurden und gleichzeitig aber in Bibliotheken feste Aufgaben und Personalstellen (aber wohl weit weniger als zur Hochzeit der Informationskompetenz-Projekte) in diesem Bereich geschaffen wurden. Die Kolleg*innen, welche diese Stellen ausfüllen, haben jetzt ein Wissen darüber gesammelt, was diese Arbeit heisst: Vor allem das Durchführen von Schulungen und Beratungen, wobei gerade die Schulungen zwar schon auf Themenbereich angepasst werden, aber doch oft einführend bleiben. Es gibt ein Wissen darum, wie diese Veranstaltungen und Beratungsgespräche geplant, durchgeführt, evaluiert und weiterentwickelt werden können und wie man sich auf die vorbereiten kann. Nicht zuletzt gibt es einzelne Strukturen (Arbeitsgemeinschaften für Informationskompetenz etc.), die jetzt teilweise seit über einem Jahrzehnt aktiv sind. Aber gleichzeitig sind viele Diskussionen, die es vor zehn-fünfzehn Jahren gab praktisch verstummt, beispielsweise zu didaktischen Fragen oder zu Modellen der Informationskompetenz. Es ist ein Thema geworden, dass zum Arbeitsbereich von Bibliotheken gehört, aber keines, welches die Arbeit von Bibliotheken grundlegende geändert hätte. Und, dieses Thema ist heute so sehr mit den «normalen» Auskunftsgesprächen verbunden – die es ja eigentlich ablösen oder auf einen neue Ebene heben sollte – dass mir scheint, dies kann und sollte gemeinsam behandelt werden.

In einem Lehrbuch würde ich mir zweierlei wünschen: Zum einen sollte die tatsächliche Arbeit in diesem Bereich dargestellt werden. (Hierfür müsste man sie wohl erforschen.) Zum anderen fände ich es aber auch ein gutes Beispiel um kurz darzustellen, wie die Diskussionen und Entwicklungen abgelaufen sind. Die potentiellen Kolleg*innen sollten lernen, dass es solche Hochphasen der Diskussionen und Projekte gibt, inklusive Vermutungen darüber, wie sie die Zukunft der Bibliotheken prägen werden. Sie sollten auch lernen, dass die Ergebnisse nach diesen Hochphasen diese Vermutungen meist nicht bestätigen, aber das die Projekte und Diskussionen gleichzeitig auch nicht gar keine Veränderung bringen. Potentielle neue Kolleg*innen sollten nicht unkritisch jede Vermutung tragen, aber auch nicht zynisch jede Idee über die Entwicklung des Bibliothekswesens gleich ablehnen. Und sie sollten lernen, dass es Kolleg*innen sind, die solche Entwicklungen vorantreiben – und damit auch, dass sie dies tun können, wenn sie im Bibliothekswesen arbeiten.

5.9 Etat und Etatmodelle

Ein bibliothekarisches Lehrbuch muss auch über Geld reden, sowohl wie viel Geld Bibliotheken zur Verfügung steht, woher es kommt, wie es in Bibliotheken verwaltet, verteilt und genutzt wird, als auch, was das für einen Effekt hat. Mir scheint, dass das oft untergeht, obwohl es wichtig wäre, in der Praxis einen Blick dafür zu haben. Insbesondere scheint mir wichtig, dass klar würde, dass Bibliotheken nicht in einem Raum ausserhalb von Wirtschaft und Gesellschaft schweben, sondern das sie durch ihre stetigen Etats Teil von Märkten sind. Es wäre zum Beispiel wichtig, auch als Verantwortliche*r in Bibliotheken verstehen zu können, wie die Firmen und Einrichtungen, die auf diesen Etat zielen, denken – und das weder als reine Kooperation noch als reines Profitinteresse zu interpretieren. Bibliotheken müssen mit Firmen interagieren, also muss klar sein, wie die funktionieren. Das gleiche gilt für Träger: Bibliotheken müssen auch wissen, wie ihre jeweiligen Träger über ihre Einnahmen und Ausgaben entscheiden.

Zudem muss schon in einer Einführung klar werden, dass es eine Aufgabe von Bibliotheken ist, den eigenen Etat möglichst sinnvoll zu verwenden, also die Aufteilung des Etats auf die Funktionen zu organisieren. Es muss klar sein, welche Auswirkungen bestimmte Entscheidungen haben, beispielsweise was die Übernahme von bestimmten Funktionen und damit einhergehende Kosten für Personal, Infrastruktur und Medien, für den Etat hat. Wichtig finde ich zudem, dass Kolleg*innen dann im Alltag wissen, dass die Aufteilung des Etats sich an den Aufgaben der Bibliothek orientieren sollte, nicht an gewachsenen Strukturen oder Interessen – egal, in welchen Positionen sie dann später in ihren potentiellen Karrieren arbeiten.

  • Eine Aufgabe eines solchen Kapitels wäre es, einen realistischen Überblick über die Etats zu geben: Wie viel Geld haben grosse und kleine Bibliotheken zu Verfügung? Wie ist dieses Etat heute normalerweise verteilt? (Beispielsweise sollte klar sein, dass in den meisten Bibliotheken die Personalkosten höher sind als die Kosten für Medien selber und die Kosten für den Erhalt von Bau und Infrastruktur.) Aber gleichzeitig sollte das wieder für den gesamten DACH-Raum mit seinen unterschiedlichen Währungen und Preisniveaus geschehen (im Kontext, also auch nicht so, dass der Eindruck entsteht, schweizerische und liechtensteinische Bibliotheken hätten unendlich viel mehr Etat, nur weil die Summen grösser sind).
  • Es müsste klar werden, welche Formen von Kosten überhaupt anfallen und wie oft (also mindestens laufende Kosten, solche die regelmässig neu verhandelt werden wie Lizenzen und solche, die einmal anfallen wie bei Bauten). Dabei muss auch klar werden, welche unterschiedlichen Töpfe es für diese Kosten gibt, also zum Beispiel, dass Bauten meist nicht aus dem laufenden Etat finanziert werden. Zu vermitteln wäre aber auch, wie viel Einfluss Bibliotheken auf diese Kosten nehmen können, also was verhandelt werden kann und mit wem. (Sichtbar sollte zudem werden, dass solche Verhandlungen zu den Aufgaben von Bibliotheken gehören.)
  • Die Auswirkungen von (a) Kooperationen (vor allem Konsortialverträgen) und (b) Drittmittelprojekten auf die Planung von Etats sollte klar werden, zumindest die zunehmende Komplexität.
  • Im DACH-Raum wird selten über die verschiedenen Modelle zur Planung und Verteilung von Etats gesprochen, obgleich diese in allen Bibliotheken (teilweise implizit) existieren. In einem Lehrbuch sollten die thematisiert werden, inklusive der wichtigsten Entwicklungen – hier wäre es wieder eine Aufgabe bei der Planung zu entscheiden, welche Entwicklungen aktuell «nur» angedacht werden und sich vielleicht nie durchsetzen. Ich würde zum Beispiel dafür plädieren, das man die Zusammenlegung von Etatsträngen für physischen und elektronische Medien, die in den letzten Jahren in vielen Wissenschaftlichen Bibliotheken vorgenommen wurden, darstellt (damit sichtbar wird, dass es Veränderungen gibt); aber beim Thema «Informationsbudget», dass aktuell hier und da diskutiert wird, würde ich zumindest noch diskutieren: Ist das etwas, was sich wirklich etablieren wird? Oder ist es eine aktuelle (relevante) Diskussion von möglichen Entwicklungen? Benötigen potentielle neue Kolleg*innen einen Einblick in diese Diskussion für ihre Einstieg in das Bibliothekswesen?
  • Was auch recht früh vermittelt werden sollte, ist, dass der Etat von Bibliotheken zwar im Allgemeinen recht stabil ist, aber das es eine Aufgabe des Managements ist, diesen Etat gegenüber den Trägern begründen zu können und auch, wenn nötig, für eine Erhöhung zu argumentieren. Dabei sollte man schon recht früh lernen, dass es auch hierbei darum geht, zu verstehen, wie die Träger denken und was sie von den Bibliotheken erwarten – und nicht darum, was Bibliotheken sich erhoffen.

Schulbibliotheken in Berlin, 2015. Wie stetig sind die existierenden Schulbibliotheken?

Schulbibliotheken sind – abgesehen von ihrem möglichen Wert für den Alltag und Unterricht in Schulen und den Potentialen, die sie für die Schülerinnen und Schüler bieten – ein interessanter Gegenstand für die Untersuchung der Bedeutung von Bibliotheken in der Gesellschaft. Sie sind, auch da kaum verlässliche Infrastrukturen zur Unterstützung von Schulbibliotheken – insbesondere der kontinuierlichen Finanzierung von Personal und Bestand – existieren1 und der Unterricht in den deutschen Schulen so organisiert ist, dass per se keine Schulbibliothek benötigt wird, um erfolgreich zu unterrichten, Einrichtungen, die dann gegründet oder weitergeführt werden, wenn sich Schulen und Schulgemeinschaften für diese Einrichtungen interessieren und sie als Bereicherung ihres Alltags ansehen, wobei es recht unterschiedliche Vorstellungen davon gibt, was Bereicherung heisst. Es bedeutet immer einen Aufwand, Schulbibliotheken einzurichten, insoweit werden sie erst aufgebaut, wenn es für sie in der Schule genügend Unterstützung gibt. Gleichzeitig schreiben sich dabei die jeweiligen Engagierten in die Schulbibliothek ein. Während die bibliothekarische Literatur die Schulbibliothek vor allem als Einrichtung begreift, die auch nach bibliothekarischen Regeln geführt werden muss – inklusive Katalog, ständig erneuertem Bestand, Reglementen für die Nutzung – werden sie in den Schulen teilweise sehr anders begriffen. Wie, dass bestimmt sich auch immer daraus, wie Bibliotheken im Allgemeinen verstanden werden. Ein Beispiel sind Schulbibliotheken mit einem festen, unveränderlichen Bestand, der aber vom Personal als ausreichend und qualitativ gut angesehen wird.

Methode und Interesse hinter der Sammlung

Jährlich im April wird an dieser Stelle über die Anzahl der Schulbibliotheken in Berlin und deren Verteilung in den unterschiedlichen Schulformen berichtet. Diese Sammlung ist Teil einer Untersuchung zu Strukturen der Verteilung von Schulbibliotheken, die dabei vor allem als Einrichtungen verstanden werden, die gegründet werden, wenn sie den Schulen – als Teil der Gesellschaft – als sinnvoll erscheinen. Die fortlaufende Ergebnisdarstellung wird in diesem Beitrag mit einer im Gegensatz zu den Vorjahren umfangreicheren Auswertung für 2015 fortgesetzt.

Diese Angaben entstehen mit einer relativ einfachen, aber kontinuierlich angewandten Methode: die Homepages der, laut Schulverzeichnis des Berliner Senats, im April (innerhalb des jeweiligen Schuljahres) existierenden Schulen werden aufgesucht und nach Hinweisen auf Schulbibliotheken durchsucht.2 Dabei werden alle Hinweise gezählt, auch wenn es sich nur um kurze Erwähnungen, beispielsweise als Anstrich unter „Ausstattung der Schule“, handelt. Genutzt werden dabei alle Möglichkeiten der jeweiligen Homepage, inklusive zur Verfügung gestellter Suchfunktionen und eingestellter Dokumente. Ausgeschlossen werden Einrichtungen, die erkenntlich für die Schülerinnen und Schüler nicht zur freien Nutzung offenstehen (beispielsweise explizit keine Öffnungszeiten haben oder nur in Begleitung von Lehrpersonen besucht werden können) und Einrichtungen, die reine Lehrbuchsammlungen darstellen.

Dabei wird darauf vertraut, dass Schulen sich über ihre Homepages einer breiteren Öffentlichkeit präsentieren, was allerdings durch die Notwendigkeit, jährlich neue Schülerinnen und Schüler zu gewinnen und durch die Vorgaben der Berliner Schulpolitik auch zu erwarten ist. Allerdings werden mit dieser Methode Schulbibliotheken erst dann sichtbar, wenn sie auch auf den Homepages erwähnt werden. Allerdings ist zu vermuten, da Schulen regelmässig möglichst viele ihrer Angebote auf den eigenen Homepages präsentieren, so dass Einrichtungen, die zwar existieren, aber nicht erwähnt werden, im Alltag der jeweiligen Schule auch wenig Relevanz haben. Gleichzeitig sind über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg die Homepages des Schulen aussagekräftiger geworden.

Grundidee hinter der Untersuchung ist es, die Entwicklung des Schulbibliothekswesens in einem Bundesland über einen längeren Zeitraum zu betrachten. Dabei bietet sich Berlin unter anderem wegen den Unterschieden im Bibliotheks- und Schulwesen in seinen Bezirken sowie die relativ schnellen Veränderungen in der Bevölkerungsstruktur in seinen Quartieren an. Bislang gibt es, soweit sichtbar, im deutschsprachigen Raum keine solchen Zeitreihen über die Verteilung von Schulbibliotheken für einen grösseren Raum wie ein Bundesland. Für Berlin selber liegen gar keine anderen Daten über die Verbreitung von Schulbibliotheken vor. Die Daten, die von der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft im Schulverzeichnis vorgelegt werden, enthalten zum Beispiel keine konsistenten Angaben. Bislang wurden in Deutschland, zumindest soweit veröffentlicht, nur Daten über die Verteilung von Schulbibliotheken zu jeweils einem Zeitpunkt erhoben.

Der Vergleich der Verteilung von Schulbibliotheken über einen längeren Zeitraum – geplant sind mindestens zehn Jahre, wobei jetzt Daten für acht Jahre vorliegen – ermöglicht, andere Phänomene mit zu untersuchen:

  • Aus Kontakten zu Schulen und anderen Untersuchungen ist bekannt, das viele Schulbibliotheken, wenn sie eröffnet werden, keine Neugründungen darstellen, sondern oft eine Wiedereröffnung von ehemals vorhandenen Bibliotheken bedeuten. In vielen Schulen existieren offenbar in mehr oder minder verschlossenen Räumen oft noch alte Bestände und Möbel von Bibliotheken; eine Aufgabe bei der Neueröffnung besteht dann oft darin, diese Bestände und Möbel zuerst zu sichten. Mit einer Betrachtung der Verteilung über einen längeren Zeitraum ergeben sich mehrere Möglichkeiten: So lässt sich untersuchen, ob es Muster in der Eröffnung und Schliessung von Schulbibliotheken gibt, beispielsweise ob bestimmte Einrichtungen eine gewisse durchschnittliche Lebensdauer haben und wenn ja, wie sich diese erklären liesse. Zu denken wäre zum Beispiel an die Fluktuation der Schülerinnen und Schüler, da Schulbibliotheken oft von deren Mitarbeit oder aber in Grundschulen der Mitarbeiter ihrer Eltern abhängig sind, die dann nicht mehr vorhanden sind, wenn die Lernenden die Schulen verlassen. Gleichzeitig lässt sich untersuchen, ob und wie viele Schulbibliotheken längerfristig existieren, beispielsweise über den gesamten Untersuchungszeitraum.

  • Eine Momentaufnahme, also die Erhebung der vorhandenen Schulbibliotheken zu einem bestimmten Zeitraum, kann Auskunft über die momentane Verteilung geben. Beispielsweise wurde bei der ersten Erhebung in dieser Untersuchung klar, dass in Berlin die Chance in der Sekundarstufe eine Schulbibliothek nutzen zu können, grösser war, wenn Schülerinnen und Schüler Gymnasien besuchten anstatt andere Schulen der Sekundarstufen. Untersucht über einen längeren Zeitraum lässt sich sehen, ob solche momentanen Tendenzen strukturell angelegt sind oder zufällig vorhanden waren. Daraus liessen sich unter anderem für politisches Engagement wichtige Aussagen generieren, aber auch weiterführende Fragen zur Wirkung von Schulbibliotheken stellen.

  • Daten, die über einen längeren Zeitraum gesammelt werden, ermöglichen es auch, Hinweise zur Wirksamkeit bestimmter Interventionen zu geben. Sicherlich sind im schulischen Rahmen einzelne Interventionen nie alleine ausreichend, um Veränderungen durchzusetzen, insoweit liefern Datenreihen keinen Beweis für Wirksamkeiten, dennoch gibt es alleine im jetzigen Untersuchungszeitraum mindestens folgende drei Interventionen, die eine Wirkung auf die Anzahl der Schulbibliotheken erwarten liessen: Die Schulreform in Berlin, welche Haupt-, Real- und Gesamtschulen abschaffte und bis 2011 in Integrierte Sekundarschulen zusammenführte sowie die weitmöglichste Inklusion unterschiedlich befähigter Schülerinnen und Schüler anstrebt; die Aktivitäten der Arbeitsgemeinschaft Schulbibliotheken in Berlin und Brandenburg, insbesondere deren Wettbewerb „Schulbibliothek des Jahres“, der 2011 und 2013 durchgeführt wurde sowie die Publikation von insgesamt drei Monographien, die sich mit der Gründung und dem Führen von Schulbibliotheken befassen (nachdem die letzte vergleichbare Schrift in den 1980er Jahren erschien) und Schulen sowie einzelne Engagierte dabei unterstützen wollen, Schulbibliotheken zu betreiben.3

  • Geht man von den Publikationen zu Schulbibliotheken in Deutschland seit den 1970er Jahren – dem Jahr, in welchem in einem Projekt der Goethe Universität, welches den Aufbau von modernen Schulbibliotheken in Deutschland organisieren wollte, die erste umfassende Übersicht diesen Einrichtungen entstand4 – und anekdotischen Evidenzen aus Bibliotheken aus, scheint es Phasen des massiven Aufbaus von Schulbibliotheken und unterstützenden Einrichtungen gegeben zu haben, die von Phasen des massiven Rückbaus dieser Einrichtungen gefolgt wurden. Mit einer längeren Datenreihe lässt sich nach Hinweisen dafür suchen, ob dies (weiterhin) zutrifft und ob sich der Status und damit auch die Stellung von Schulbibliotheken zeittypischen Veränderungen unterworfen ist.

Ergebnisse: Schulbibliotheken in Berlin, 2015

Unter den Voraussetzungen der weiter oben genannten Grenzen der genutzten Methode der Datensammlung, stellt sich die Verteilung der Schulbibliotheken in Berlin, erhoben vom 01.-03. April 2015, wie folgt dar:5 („Schulen mit Förderschwerpunkten“ sind dabei solche, die nicht in anderen Schulen integriert sind. Grundsätzlich sinkt deren Zahl aufgrund der Inklusionsbemühungen in Berlin über die Jahre.)

schulbibliotheken_2015_tabelle

Sichtbar ist, das eine grosse Zahl von Schulen Schulbibliotheken unterhält, gleichzeitig aber über 50% der Schulen aktuell offenbar keine solche Einrichtungen anbieten. Angesichts dessen, dass die Literatur zu Schulbibliotheken davon ausgeht, dass sich solche für alle Schulen anbieten und die Möglichkeit eröffnen, Unterricht und Schulalltag zu verbessern, gleichzeitig aber betont wird, dass Schulbibliotheken nur dann sinnvoll sind, wenn sie auch in der Schule genutzt werden – was das Engagement der Lehrenden voraussetzt – ist dies eine sinnvolle Verteilung. Schulbibliotheken stehen immer in Konkurrenz zum möglichen Engagement des Lehrkörpers oder anderer Engagierter für andere ergänzende Einrichtungen wie zum Beispiel Biotope oder musikalische Angebote, insoweit ist nicht zu erwarten, dass sie aktuell in allen Schulen sinnvoll wären. Eine Verteilung von 31,8 % also rund einem Drittel – der Schulen in Berlin, die eine Schulbibliothek betreiben, ist also beachtlich.

Gleichzeitig fällt die ungleiche Verteilung über die unterschiedlichen Schultypen auf: Schulbibliotheken finden sich öfter in Grundschulen – die in Berlin bis zur sechsten Klasse geführt werden – als in anderen Schulen, dass heisst auch, dass die dort tätigen Personen auf die Interessen und Bedürfnisse von Kindern und Grundschulen orientiert sind. In den weiterführenden Schulen steigt die Chance der Schülerinnen und Schüler, eine Schulbibliothek nutzen zu können, mit dem gesellschaftlichen Status der Schulen: 36,3% der Gymnasien, aber nur 20,7 % der Integrierten Sekundarschulen und 20,0% (der im Berliner Schulverzeichnis gesondert geführten Walddorfschulen) haben solche Einrichtungen. Das heisst ausserhalb der Gymnasien haben rund 1 von 5 weiterführende Schulen eine Schulbibliothek, bei den Gymnasien sind es 2 von 5. Dies weisst hin auf eine an den sozialen Status gebundene Chance, eine Schulbibliothek nutzen zu können.

Vergleich der Daten über den Zeitraum 2008-2015

Wie erwähnt werden die Daten zu Schulbibliotheken jetzt über acht Jahre erhoben, was es ermöglicht, die Daten für 2015 mit den vorhergehenden Jahren zu vergleichen. Dies geschieht hier in einer graphischen Darstellung, wobei die angegebenen Wert die jeweiligen Prozentwerte (wieviel Schulen dieses Schultyps in Berlin hatten in betreffenden Jahr eine Schulbibliothek im Vergleich zur Gesamtheit dieses Schultyps in Berlin):6

diagramm_gesamt_2015

Anzumerken ist hier, dass im Jahr 2011 die Entwicklung der Zahlen für Haupt-, Real- und Gesamtschulen abbrechen, da diese in diesem Jahr ausliefen, dafür startet im gleichen Jahr eine Angabe für Integrierte Sekundarschulen, die ab diesen Jahr eingeführt wurden (mit einer Übergangszeit, genau 2011, in der alle diese Schulformen existierten). Die meisten dieser Integrierten Sekundarschulen entstanden durch eine Zusammenführung von je einer Haupt- und Realschule oder aber durch die Umwandlung von Gesamtschulen.

Die Anzahl der Schulbibliotheken in Berlin ist in konkreten Zahlen (2014: 226, 2015: 251) leicht gestiegen, in Prozentzahlen (2014: 32,4%; 2015: 31,8%) leicht gesunken, weil zugleich die Zahl der zugelassenen Schulen in Berlin gestiegen ist. Gleichzeitig ist diese Steigerung über den gesamten Zeitverlauf gesehen wenig auffällig. Ein Teil dieser Veränderung kann auch auf neu gestaltete oder inhaltlich bestückte Homepages von Schulen zurückgeführt werden. Es wurden sowohl Schulbibliotheken neu eröffnet oder zumindest für so wichtig begriffen, dass neu auf den Homepages eingestellt wurden, als auch Schulbibliotheken nicht mehr erwähnt werden, die noch in den letzten Jahren auf den Homepages zu finden waren, und deshalb mit hoher Wahrscheinlichkeit geschlossen wurden. Das ist sinnvoll, da sich auch die Berliner Schullandschaft in ständiger Bewegung befindet: Einerseits verändert sich kontinuierlich die Bevölkerungsstruktur, auch im Bezug auf das Alter, im gesamten Stadtraum, so das Schulen teilweise geschlossen oder zusammengeführt werden, während andere erweitert oder neubegründet werden müssen. Andererseits sind Schulen in Berlin dazu angehalten, sich als Einrichtungen in ständiger Veränderung zu begreifen und diese Veränderung auch planend zu gestalten. Beginnend 2006 müssen Schulen in Berlin in einem schulinternen Prozess Schulprogramme verfassen, in welchem sie ihre Potentiale und Probleme identifizieren und gleichzeitig realistische Veränderungen planen. Diese Programme müssen regelmässig fortgeschrieben werden, setzen also einen ständigen Veränderungsprozess als gegeben voraus, wollen ihn aber immer auch selber motivieren.7

These: 30%-35% als zu erwartender Wert

Grundsätzlich stieg die Zahl der Schulbibliotheken in Berlin von 2008 bis 2011 – also dem Jahr, in welchem die oben erwähnten Schulreformen in Berlin im Bezug unter anderem im Bezug auf Integrierte Sekundarschulen direkt umgesetzt wurden – auf 31,6% an. Seitdem bewegen sie sich im Rahmen von 31,6% (2011) und 34,7% (2013), grob gefasst also in einem Korridor zwischen 30% und 35% der Schulen in Berlin. Angesichts dessen, dass das Vorhandensein von Schulbibliotheken immer das Ergebnis von Entscheidungsprozessen in Schulen und deren Umfeld (Fördervereine, Freiwillige, Vereine) darstellt, kann aufgrund dieser Datensammlung die (noch schwach begründete) These aufgestellt werden, dass unter den jetzt gegebenen Voraussetzungen (teil-autonome Schulen, differenzierte und ständig fortgeschriebene Schulprofile, nur geringe Unterstützungen für Schulbibliotheken aus den Öffentlichen Bibliothekswesen, bestimmte Strukturen der Freiwilligenarbeit und der relativen Praxisorientierung des Schulunterrichts etc.) stetig rund ein Drittel der Schulen in Berlin eine Schulbibliothek betreibt und betrieben wird. Stimmt dies, dann wird sich eine Änderung dieser Zahl nur durch eine Änderung der Umstände, die zu den Entscheidungen der Schulen und Schulgemeinschaften führen, bewerkstelligen lassen.

Soziale Spreizung bei der Chance, Schulbibliotheken nutzen zu können

Beunruhigender sind die Entwicklungen zwischen Gymnasien und Integrierten Sekundarschulen. Letztere wurden eingeführt, um die oft kritisierten Probleme des gegliederten deutschen Schulsystems zu überwinden. In ihnen wurden Haupt-, Real- und Gesamtschulen zusammengeführt. Die Schülerinnen und Schüler haben die Möglichkeit, die Integrierten Sekundarschulen mit den Abschlüssen aller drei Schulstufen zu verlassen. Die Zusammenfassung hebt zum Beispiele die relative Undurchlässigkeit der Haupt- und Realschulen nach oben auf. Es wird sich erhofft, dass Schülerinnen und Schüler durch das Vorbild der anderen Lernenden und durch die einfache Möglichkeit, länger in der Schule zu verbleiben, verstärkt höhere Schulabschlüsse anstreben werden. Dies ist konsistent mit den Entwicklungen in anderen Bundesländern.

Im Bezug auf die Schulbibliotheken wurde weiter oben schon festgestellt, dass sich die Chance, eine Schulbibliothek nutzen zu können, sich mit der Wahl eines Schultyps verändert: Entscheiden sich Schülerinnen und Schüler, und mit ihnen zusammen zumeist ihre Eltern, für ein Gymnasium, ist die Chance fast doppelt so hoch, wie bei der Entscheidung für eine Integrierte Sekundarschule. Geht man davon aus, wie es zum Beispiel die bibliothekarische Literatur zu Schulbibliotheken tut, dass das Vorhandensein einer Schulbibliotheken einen positiven Einfluss auf den Lernergebnisse von Schülerinnen und Schüler haben kann, bedeutet dies, dass die ehedem schon mit überdurchschnittlichen Chancen ausgestatteten Schülerinnen und Schüler am Gymnasium (in Berlin) auch im Bezug auf Schulbibliotheken strukturell besser unterstützt werden, als andere.

Ein Blick in die Datenreihe zeigt nun, dass dies Teil einer längerfristigen Entwicklung zu sein scheint. Vergleicht man nur die Zahl der Integrierten Sekundarschulen und der Gymnasien (genauer: die Prozentzahl dieser Schultypen) mit Schulbibliothek, ergibt sich folgendes Bild:

diagramm_sekundar_2015

Die Differenz zwischen den beiden Schulformen (hier in Schwarz dargestellt) ist in den letzten drei Jahren – also nachdem die ersten Verwerfungen im Rahmen der Schulreform selber ausgestanden waren – rasant gewachsen. Setzt sich dieser Trend in den folgenden Jahren fort, dann würde die eine wachsende schulische und damit auch soziale Spaltung im Bezug auf Schulbibliotheken bedeuten.

Gleichzeitig könnte dies aber auch auf ein anderes Phänomen hindeuten: Schulbibliotheken fördern als Einrichtungen bestimmte Formen des Lernens und der Gestaltung des Alltags, nämlich stark textlastiger. Diese Formen der Lernens sind in Gymnasien, die ja direkt für das Studium und intellektuell basierte Karrieren ausbilden, eventuell stärker vertreten und in gymnasialen Rahmen auch erfolgreicher, als weniger textlastige – zum Beispiel mehr praxisorientierte – Formen des Lernens. Die Verbreitung der Schulbibliotheken – die ja, wie gesagt, immer als Entscheidung der Schulgemeinschaften entstehen – könnte dies reflektieren. Schulbibliotheken könnten auch verstärkt da sinnvoll erscheinen, wo mit Texten gearbeitet wird. Aber auch dies wäre ein Hinweis auf eine zunehmende soziale Spaltung, da intellektuell basierte Karrieren in der heutigen Gesellschaft zu besseren Lebenschancen, besseren Möglichkeiten zur Gestaltung des eigenen Lebens und auch ganz basal Jobs mit besseren Löhnen und höherer gesellschaftlicher Absicherung führen.8

Lebensdauer von Schulbibliotheken

Möglich wird durch die Datensammlung, die hier genutzt wird, auch, Aussagen über die Kontinuität der Existenz von Schulbibliotheken zu machen. Auch hierzu gibt es unterschiedlicher anekdotische Evidenzen. Einerseits gibt es Berichte von Schulbibliotheken, die von bestimmten Schülerinnen und Schülern begründet wurden und nur solange existierten, solange diese die jeweilige Schule nicht verlassen hatten. Dies wird von Berichten unterstützt, die auf die Wiedereröffnung und -belebung von Schulbibliotheken berichten. Gleichzeitig gibt es Schulbibliotheken, die auf Jahrzehnte der Existenz verweisen können. Insoweit ist das Bild nicht einheitlich.

Die Daten der konkreten Schulen wurden dafür in einer einfachen SQL-Datenbank gesammelt und strukturiert (wobei die Entwicklung der Schullandschaft in Berlin, bei der Schulen zusammengelegt, wieder aufgetrennt und zudem oft Umbenannt werden, dies unerwartet kompliziert machte). Die Sammlung dieser Daten zeigt eine Unstetigkeit in der Datensammlung auf, die allerdings so oft auftritt, dass sie nicht einfach mit einem Fehler in der Datensammlung zu erklären ist: Eine ganze Anzahl von Schulen geben kontinuierlich an, dass sie eine Schulbibliothek besitzen, ausser in einzelnen „Zwischenjahren“, beispielsweise die Mövensee-Grundschule und die Lynar-Grundschule, die beide 2008-2009 und 2011-2015 eine Schulbibliothek angeben, aber nicht für 2010. Es ist zu vermuten, dass eine Anzahl der Schulen bei Umstrukturierungen ihrer Schulhomepages Schulbibliotheken ausblenden und erst später hinzutragen. Gleichzeitig gibt es ganz offensichtlich Schulen, in den Schulbibliotheken geschlossen wurden. Die Kurt Schwitters Oberschule oder die Friedrich Ebert Oberschule geben zum Beispiel beide von 2009 bis 2011 an, eine Schulbibliothek zu haben, danach aber nicht mehr. Da beide von 2012 bis heute keine Schulbibliothek erwähnen, ist davon auszugehen, dass die einmal vorhandene geschlossen wurde.9 Eine Anzahl von Schulen bestätigt diese Annahme: Vier Schulen (die Grundschule am Pegasuseck, das Lilienthal Gymnasium, die Grundschule an der Pulvermühle und die Fritz Kühn Schule) gaben 2008 an, eine Schulbibliothek zu besitzen, anschliessend über Jahre nicht mehr. Zwischen April 2014 und 2015 eröffneten alle vier ihre Schulbibliotheken offenbar neu, zumindest tauchten sie wieder auf den Homepages auf. Das Wald-Gymnasium (ehemals Wald-Oberschule), welches 2010 einmal eine Schulbibliothek aus wies, dann aber nicht mehr, spricht jetzt, 2015, explizit von „Neubelebung unserer Schul-Bibliothek [sic!] als einem einladenden Ort zum Lesen mit aktueller Jugendliteratur.“10

Angesichts dieser Überlegungen wurde die Datenbank bezüglich der Kontinuität der Schulbibliotheken in Berlin ausgewertet. Dabei wurde wie folgt vorgegangen: Wurde die Schulbibliothek in einem Jahr erwähnt, im darauf folgenden nicht, dann im nächsten Jahr aber wieder (also, anders ausgedrückt, wenn ein Jahr „übersprungen“ wurde), wurde davon ausgegangen, dass diese Schulbibliothek weiterhin existiert hatte.11 Wurde sie aber zwei Jahre hintereinander nicht erwähnt, wurde davon ausgegangen, dass sie geschlossen wurde. Bezieht man dies ein und unterstellt zudem den Bibliotheken, die 2014 erwähnt wurden, aber nicht 2015, dass sie 2016 wieder erwähnt werden, ergeben sich folgende Daten (bei, zur Zeit, 765 Schulen in Berlin):

schulbibliotheken_2015_kontinuität

Dabei kann bei den Bibliotheken, die in diesem oder dem letzten Jahr das erste Mal erwähnt wurden, noch nicht wirklich von einer Kontinuität ausgegangen werden kann. Gleichzeitig zeigt sich über die Jahre, dass sich eine relativ hohe Anzahl von Schulbibliotheken (2008 bis 2013 zusammengenommen immerhin 197, was erstaunliche 81,1% der 2015 gezählten Schulbibliotheken darstellt) kontinuierlich etabliert hat.

Insgesamt enthält die Datenbank 479 Schulen, die in den Jahren 2008 bis 2015 mindestens einmal angegebenen hatten, eine Schulbibliothek zu besitzen. Diese Zahl lässt sich nicht direkt mit der Zahl der heute vorhandenen Schulen in ein Verhältnis setzen, da einige der Schulen inzwischen geschlossen oder mit anderen Schulen zusammengelegt wurden. Aber grundsätzlich ist zu sehen, dass innerhalb der untersuchten acht Jahre rund 60% der Schulen in Berlin einmal mit einer Schulbibliothek ausgestattet waren und ein grosser Teil von diesen heute keine Schulbibliothek mehr hat.

Daraus können, bei aller Vorsicht, zwei Schlüsse gezogen werden:

  • Die Schulbibliotheken, die sich fest in den Schulen etablieren, existieren dann über einen längeren Zeitraum und bieten damit einen verlässlichen Punkt im Schulalltag.

  • Viele Schulen führen Schulbibliotheken ein, aber ein relevanter Teil der Schulen entscheidet sich auch dafür, diese relativ schnell wieder zu schliessen. Offenbar überzeugen diese – oder zumindest der Aufwand, der für sie nötig ist – die Schulgemeinschaften nicht.

Dies ist wieder relevant für Fragen des Engagements für Schulbibliotheken: Schulbibliotheken, die langfristig existieren, können auch beginnen, auf einen Erfahrungsschatz zurückzugreifen und diesen untereinander auszutauschen. Sie haben mit hoher Wahrscheinlichkeit eine relativ gesicherte Position in der jeweiligen Schule (immer im Rahmen der Möglichkeiten), und können es deshalb auch wagen, bestimmte Experimente einzugehen. In anderen Worten: Diese Schulbibliotheken – die aktuell den Grossteil der existierenden Schulbibliotheken darstellen – können, insbesondere in Zusammenarbeit mit ähnlichen Einrichtungen, eine Professionalisierung vorantreiben. Sie können sich auch mit anderen Fragen beschäftigen, als der, wie Schulbibliotheken begründet werden können.

Gleichzeitig gibt es offenbar immer eine Anzahl von Schulbibliotheken, die nur eine kurze Zeit offen sind. Hier wäre es interessant zu wissen, was diese Einrichtungen auszeichnet. Ist es zum Beispiel tatsächlich vor allem ein Ergebnis des Engagements einzelner Schülerinnen und Schüler, die dann irgendwann die Schule verlassen? Ist es abhängig von der Laufzeit einzelner Förderungen, beispielsweise für geringfügig Beschäftigte? Entscheidet sich die jeweilige Schulgemeinschaft explizit gegen diese Schulbibliotheken? Insbesondere, wenn diese Schulbibliotheken tatsächlich das Projekt einzelner Schülerinnen und Schüler ist, sollte das nicht zu gering geachtet werden: Sie hätten dann in prägenden Jahren ihrer Jugend mit dem Führen einer Bibliothek gewiss wertvolle Kompetenzen erworben und eine grosse Selbstwirksamkeit erfahren. Eventuell müssen solche Projekte dann immer wieder beendet und andere begonnen werden, damit nachfolgende Generationen von Lernenden die gleich Selbstwirksamkeit erfahren können.

Interessant wird dann für eine Auswertung nach zehnjähriger Laufzeit sein, wie lange solche Bibliotheken, die wieder geschlossen werden, im Durchschnitt existieren.

Einfluss von Interventionen

Weiter oben wurden Interventionen angesprochen, deren Wirkung sich eventuell in den gesammelten Daten zeigt könnte. Überprüft man dies nun, ergibt sich ein – wie immer mit extremer Vorsicht zu geniessendes – uneinheitliches Bild.

  • Die Schulreform in Berlin, die lange Zeit vorbereitet wurde und somit die Schulen auch nicht unerwartet traf, fällt quasi mit dem Ende der massiven Steigerung der Zahl von Schulbibliotheken zusammen. Nachdem 2011 alle Haupt-, Real- und Gesamtschulen in Integrierte Sekundarschulen zusammengeführt wurden und sich die Schulen anschickten, die 2006 das erste Mal erstellten Schulprogramme zu überarbeiten, also auch dieses Steuerungsmittel langsam Routine entwickelte, wurde der weiter oben angesprochene Korridor von 30%-35% der Schulen in Berlin, die eine Schulbibliothek betreiben, erreicht. Offenbar erzeugt die nach der Reform gegebene Struktur dieses Ergebnis mit, obwohl ein kausaler Zusammenhang nicht zu bestehen scheint. Einzig, dass Schulen eine Verantwortung für ihre Angebote übernehmen müssen – ausgedrückt in den Schulprogrammen – und deshalb unter Umständen regelmässig über das Einrichten oder Schliessen von Schulbibliotheken nachdenken.

  • Der Wettbewerb Schulbibliothek des Jahres, der 2011 und 2013 von der Arbeitsgemeinschaft der Schulbibliotheken in Berlin und Brandenburg durchgeführt wurde, zeigt sich nicht in den Daten selber. Auf einer Anzahl der Homepages von Schulbibliothek und Schulen finden sich allerdings die Urkunden dieses Wettbewerbs, insbesondere, aber nicht nur, bei Bibliotheken, welche in diesem gewonnen haben. Der Wettbewerb selber, der erklärtermassen auch dazu beitragen soll, gute Schulbibliotheken als Vorbild zu präsentieren und Schulbibliotheken dazu anzuregen, dass sie sich nach aussen präsentieren, fällt in die Zeit, in der sich die Zahl der Schulbibliotheken zu stabilisieren scheint. Das heisst nicht, dass der Wettbewerb keinen Einfluss haben muss: Gezählt wird in dieser Untersuchung ja nur die Anzahl und Verteilung der Schulbibliotheken, nicht die Qualität der Arbeit der vorhandenen Einrichtungen. Gleichzeitig lässt sich die These aufstellen, dass ein solcher Wettbewerb auf eine gewisse Höhe der Professionalisierung der Schulbibliotheken und der Arbeitsgemeinschaft schliessen lässt.

  • Interessant sind die Zeitpunkte des Erscheinens der weiter oben genannten Praxisbücher für Schulbibliotheken. Diese sind alle mit dem Anspruch publiziert worden, das Eröffnen und das Weiterführen von Schulbibliotheken zu unterstützen. Allerdings erschienen sie allesamt zu einem Zeitpunkt, in welchem sich die Zahl der Schulbibliotheken in Berlin zu stabilisieren scheint. In gewisser Weise erscheinen sie für ihren eigenen Anspruch einige Jahre zu spät. Wieder sagt dies nichts darüber aus, ob sie nicht dabei geholfen haben, die Qualität der schulbibliothekarischen Arbeit zu unterstützen (oder in anderen Bundesländern wirksam waren). Eine andere mögliche Interpretation liegt allerdings ebenso nahe: Die drei Bücher könnten auch als Ergebnis einer bestimmten Professionalisierung der Schulbibliotheken gedeutet werden, also als Ausdruck einer gewissen Entwicklung, die inhaltlich eher darstellen, was Schulbibliotheken heute sein können oder sollen – und weniger als Einführungen für bislang nicht mit Schulbibliotheken vertraute Personen.

Einige Beispiele

Zum Abschluss sollen einige bemerkenswerte Beispiele für die Entwicklungen in Schulbibliotheken in Berlin gezeigt werden, um ein Bild von der Lebendigkeit, die hinter den einfachen Zahlen verschwindet, zu vermitteln. Dabei steht hinter allen Schulbibliotheken immer eine Anzahl von äusserst engagierten Personen, die diese Arbeit selbstverständlich nicht für die Zahlen in diesem Beitrag leisten, sondern aus guten, anderen Gründen: Weil sie Schulbibliotheken sinnvoll finden.

Neue Schulbibliotheken

  • Die offenbar neuste Gründung einer Schulbibliothek fand offenbar am 13.03.2014 in der Schule am Fennpfuhl (einer Schule mit besonderen Förderschwerpunkten statt).12 Die Meldung dazu besteht aus vier Bildern, die immerhin eine Lesetreppe, Sitzsäcke und einen kleinen Bestand. Das erscheint vielleicht wenig, ist aber mehr an Information, als zu vielen anderen Schulbibliotheken zu finden ist.

  • Das Rosa Luxemburg Gymnasium hat seiner Schulbibliothek eine eigene Homepage kreiert, nachdem die Bibliothek erst im letzten Jahr neu angekündigt wurde.13 Die Homepage umfasst neben den Angaben zur Schulbibliothek selber auch Hinweise zu Veranstaltungen und zum Team der Einrichtung.

  • Während einige Schulbibliotheken geschlossen werden, bauen andere ihre Infrastruktur so weit aus, dass sie eigene Online-Kataloge schaffen. Stellvertretend steht dafür die Grundschule an Bäke.14 Solche OPACs stellen selbstverständlich auch eine Verpflichtung dar, die Bibliothek längerfristig zu betreiben.

Artefakte ehemaliger Schulbibliotheken

Gleichzeitig, die ist schon mehrfach angedeutet worden, schliessen Schulbibliotheken. Manchmal hinterlassen sie für eine gewisse Zeit auch auf den Homepages – und nicht nur in den Schulen selber – Artefakte. Auch diese gehören zu einer lebendigen (aber offenbar nicht auf ein Ziel wie „Schulbibliotheken in allen Schulen“ zulaufenden) Schulbibliothekslandschaft.

  • Die Hermann Schulz Grundschule erwähnt unter der Eigendarstellung eine „Schülerbücherei (im Aufbau)“.15 Ob dieser Aufbau jemals fertig wird, ist nie abzuschätzen. Teilweise verschwinden solche Erwähnungen auch nach einigen Jahren einfach wieder.

  • Die Hauptmann von Köpenick Schule (eine Grundschule) erwähnt in ihrem schulinternen Curriculum explizit die Schliessung ihrer Bibliothek, inklusive des Schliessungsgrundes: „Schülerbibliothek wurde wegen Personalmangel eingestellt“16 Mit hoher Wahrscheinlichkeit heisst dies, dass der Bestand der geschlossenen Bibliothek noch vorhanden ist. Hinweise mit dem Verweis auf fehlendes Personal finden sich relativ oft.

  • Sehr schön ist folgende Meldung aus der Historie des Fördervereins der – nota bene! – Till Eulenspiegel Grundschule: „2008 Es werden Bücher für die geplante Schulbücherei in der SaPh angeschafft.“17 Diese Schulbibliothek scheint bislang nicht zu existieren, was heissen könnte, dass irgendwo bei einem Mitglied des Fördervereins die einst gekauften Bücher lagern könnten – oder, dass die Schulbibliothek zwar existiert, aber der Schule nicht wichtig genug ist, um auf der schuleigenen Homepage erwähnt zu werden.

 

Liste der Schulen mit und ohne Schubibliotheken in Berlin, 20105

Beiträge zur Anzahl der Schulbibliotheken in Berlin aus den letzten Jahren

 

Fussnoten

1 In Berlin sichtbar ist nur die „Schulbibliothekarische Arbeit“ in Treptow-Köpenick, die dem Schulamt untersteht, und die Unterstützung der Stadtbibliothek Spandau für einige Schulen in diesem Bezirk.

2 Dabei gibt es immer eine Differenz zwischen der Anzahl der Schulen im Schulverzeichnis und der Anzahl der Schulen, die in der amtlichen Schulstatistik erwähnt werden. Wieso, ist unklar.

3 Wolf, Sabine ; Schuldt, Karsten (2011): Praxisbuch Schulbibliotheken. Schwalbach/Ts. : Wochenschau (inhaltsgleich mit dies. (2013): Schwalbach/Ts. : Debus Pädagogik); Holderried, Angelika ; Lücke, Birgit (Hrsg.) (2012): Handbuch Schulbibliothek : Planung – Betrieb – Nutzung. Schwalbach/Ts. : Debus Pädagogik; Kirmse, Renate (2013): Schulbibliothek (Reihe Praxiswissen). Berlin : De Gruyter Saur. Hinzu kommt: Schlamp, Günther K. (2013): Die Schulbibliothek im Zentrum: Erfahrungen, Berichte, Visionen. Berlin : BibSpider, das allerdings nicht den Anspruch einer Praxishilfe erhebt, sondern als Erfahrungsberichts und Argumentation für einen nicht-bibliothekarischen Blick verstanden werden will.

4 Doderer, Klaus et al. (1970): Die moderne Schulbibliothek : Bestandsaufnahme und Modell ; Untersuchungen zur Situation der Schulbibliotheksverhältnisse in der Bundesrepublik und in West-Berlin ; Vorschläge zu ihrer Verbesserung ; Ergebnisse einer Teamarbeit des Instituts für Jugendbuchforschung der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main (1970) (Schriften zur Buchmarktforschung, 19). Hamburg : Verlag für Buchmarktforschung.

5 Erhoben wurde dies in allen vom Senat für das deutsche Schulwesen zugelassenen Schulen der Primar- und Sekundarstufen, was sowohl staatliche Schulen als auch private Ersatzschulen einschliesst, aber sowohl Ergänzungs- und Berufsschulen als auch ausländische Schulen (ausser denen, die auch deutsche Abschlüsse anbieten) ausschliesst.

6 Für die genauen Zahlen sei auf die Beiträge aus den anderen Jahren verwiesen, die im Anhang dieses Beitrags verlinkt sind.

7 Festzustellen ist allerdings, dass die Schulen in Berlin diese Schulprogramme heute weniger als früher auf ihren Homepages publizieren. Wurden diese in den letzten Jahren relativ oft verlinkt und konnten als Quelle für die Ausstattung der Schulen genutzt werden, sind sie heute oft verschwunden, teilweise mit dem Hinweis, dass sie überarbeitet würden.

8 Wobei diese Aussage als Hinweise auf eine mögliche Entwicklung zu betrachten ist. Entgegen steht dem zum Beispiel, dass in den rund zehn Freien Waldorfschulen in Berlin kontinuierlich nur zwei bis drei Schulen (insgesamt über die Jahre sind es auch nur drei der zehn) Schulbibliotheken ausweisen, obwohl die Schülerinnen und Schüler in diesen Schulen bekanntlich aus relativ hohen Sozialschichten stammen. Ebenso vermitteln die Privatschulen ein uneinheitliches Bild. Auch hier sind vor allem Kinder und Jugendliche aus hohen Sozialschichten zu finden und einige der Einrichtungen weisen relativ kontinuierlich Schulbibliotheken aus, aber bei Weitem nicht alle und auch nicht alle grossen. Man kann also nicht hohe Sozialschicht direkt mit der Möglichkeit der Nutzung einer Schulbibliothek gleichsetzen, zumal gerade in Grundschulen, die darauf hinweisen, sich in sozialen Brennpunkten zu befinden, Schulbibliotheken existieren.

9 Was noch nichts darüber sagt, wie diese Räume jetzt genutzt werden, ob dort zum Beispiel noch immer die alten Bestände stehen, die bei einer Neueröffnung durchgesehen werden müssten oder ob die Räume vollständig umgestaltet und die Bestände entsorgt oder in einen Keller verschoben wurden.

11 Zumal dies immer auch ein Fehler bei der Aufnahme darstellen könnte.