Die Makerspaces und die Bibliotheken: Über Missverständnisse und übertriebene Hoffnungen sowie einen Vorschlag zur Neuinterpretation

Es wäre verfehlt, bei Makerspaces in Bibliotheken heute noch von einem Trend zu sprechen oder gar von einer Innovation. Das Thema hat sich in den letzten Jahren etabliert, die Anzahl von Bibliotheken, die Makerspaces eingerichtet haben, dies planen oder zumindest als Möglichkeit sehen, steigt immer weiter. (Einige Bibliotheken sind offenbar schon in der Phase angekommen, ihre Makerspaces wieder zurückzubauen oder Pläne dazu zurückzustellen, siehe z.B. Krompholz-Roehl 2016.) Grundsätzlich muss wohl auch nicht mehr erklärt werden, was das sein soll: ein Makerspace.1 Der Trend hat sich verstetigt und die Frage, “muss das eine Bibliothek jetzt auch noch machen” (Steele 2015; Colegrove 2013; Wong 2013), kann abgekürzt mit einem “offenbar machen es Bibliotheken” beantwortet werden. Ob das sinnvoll ist, ist damit noch nicht klar. Gleichzeitig ist das Thema noch einigermassen neu.

Es ist also ein guter Zeitpunkt, um einmal die ersten Erfahrungen zu sichten und Klarheit zu schaffen: Was ist das jetzt genau, ein Makerspace in Bibliotheken? Was kann man sich realistisch von ihnen erhoffen erhoffen? An welche Diskurse und Hoffnungen wird mit den Makerspaces angeschlossen? Wird das wieder aus dem bibliothekarischen Alltag verschwinden oder hat es sich auf lange Zeit etabliert? Hat es Bibliotheken verändert und wenn ja, wohin?

Grundsätzlich, wie fast immer bei bibliothekarischen Themen, liegen mehr Berichte aus Bibliotheken aus den englisch-sprachigen Ländern (des globalen Nordens) vor, als aus den deutsch-sprachigen (oder französisch-sprachigen). Und selbstverständlich lässt sich nicht alles von einem zum anderen Bibliothekswesen übertragen, auffällig ist aber doch, dass die Grundlinien ähnlich zu sein scheinen.

Versprechen von Makerspaces

Makerspaces werden in der bibliothekarischen Literatur gerne als Einrichtungen einer “Maker-Bewegung” beschrieben. (U.a. sehr explizit bei Meinhardt 2014; Rendina 2016; in der pädagogischen Literatur nicht anders, siehe Rosenfeld & Sheridan 2014) Es wird aber eigentlich nie geklärt, was diese “Bewegung” sei oder was sie will. Dadurch geht offenbar schnell vergessen, dass es hinter dieser “Bewegung” zumindest zum Teil einen spezifischen Verlag gibt, MakerMedia, der nicht nur das tonangebende Magazin Make: herausgibt (in Deutschland tut dies allerdings der Heise-Verlag) und die Marke “Maker Faire” hält. Der Verlag geht in eine spezifisch technik-orientierte Richtung von “Making” und Kreativität.

Richtig ist, dass es daneben eine ganze Anzahl von Makerspaces, Fablabs etc. gibt, die zum Teil auch versuchen, auf spezifische Gruppen einzugehen. (Rosner & Fox 2016) Um diese Einrichtungen herum gibt es mehrere Diskurse, die sie zum Beispiel mit Kreativität, verstanden als Erfindungsgeist, der sich wirtschaftlich auswirkt und den Kapitalismus retten wird (Anderson 2012, der argumentiert, dass dank Makerspaces Erfinderinnen und Erfinder direkten Zugang zum Markt hätten und nicht mehr Lizenzen an grosse Firmen vergeben müssten; Hatch 2014), mit Kreativität, verstanden als Demokratisierung (Hunsinger & Schrock 2016), mit sozialem Engagement (Rosner & Fox 2016), mit der “Rettung” progressiver Bildungstraditionen durch die “Hintertür” (weil es umbenannt und in “kreativer Technik” versteckt vermittelt wird, siehe Halverson & Sheridan 2014) oder mit neuen Formen des Lernens (Libow Martinez & Stager 2013, die allerdings auf Piaget verweisen; Sheridan et al. 2014) verbinden.

Begründungen für Makerspaces in Bibliotheken: Widersprüchlich

Obwohl all dies zu diskutieren wäre, ist für die bibliothekarische Diskussion doch festzustellen, dass nur sehr prekär auf diese Hintergründe Bezug genommen wird. Willett (2016) untersuchte den Diskurs um Makerspaces in Bibliotheken (in englisch-sprachigen Zeitschriften und Blogs) und kam zum Ergebnis, dass dieser Diskurs widersprüchlich und in vielem auch sehr breit ist. Makerspaces werden laut Willett in diesem Diskurs sowohl als Fortsetzung schon vorhandener Aktivitäten in Bibliotheken (“hatten wir schon immer”, wie Strickgruppen, Spielegruppen) beschrieben als auch als ganz neu, alles verändernd, den Nexus der Bibliothek verschiebend (“Zukunft, Disruption”) verstanden. Es gibt also, positiv interpretiert, eine Suchbewegung der Bibliotheken nach einer Sinn der Makerspaces, wobei sie sich nicht entscheiden können, ob die Makerspace neu oder alt wären.

Gleichzeitig, so Willett weiter, werden diese Makerspaces argumentativ mit selbstbestimmter, sozialer Bildung in Zusammenhang gebracht und dann von angeblich “traditioneller Bildung” abgegrenzt, ohne das klar wird, was das überhaupt sein soll, diese traditionelle Bildung (die als unkreativ gekennzeichnet wird) und was eigentlich neu sein soll an der Bildung in Makerspaces. Zwar wird behauptet, dass sie durch den Raum (Aufforderungscharakter), die Objekte, an denen gearbeitet und die verändert werden können, die Orientierung an Projekten (“bis was fertig ist/läuft”), der Möglichkeit zu “scheitern” und daraus etwas zu lernen, durch soziales Lernen in Gruppen und Hands-On-Lernen sozialere, freiere Formen der Lernens fördern würden (Kurti, Kurti & Fleming 2014a, 2014b, 2014c); aber das ist keine neue Idee, sondern eine die sich weit in die Bildungsgeschichte, bis mindestens ins 19. Jahrhundert, zurückverfolgen lässt ‒ was auch heisst, das Bibliotheken bei ihren Diskussionen um Makerspaces auf schon vorhandene Erfahrungen zurückgreifen könnten. Bibliothekarische Texte reflektieren dies nicht und stellen es eher so da, als gäbe es eine Dichotomie von “altem Lernen” versus Makerspace, die nicht weiter begründet werden müsse.

Willett zeigt auch, dass die “Kreativität”, auf die sich argumentativ berufen wird, zwar so klingt, als wäre das ein Anschluss an Kreativität in der Kunst, Musik etc., aber das dann als Beispiele für Kreativität in Makerspaces eigentlich immer nur “verwertbare” Kreativität, d.h. “Erfindungen”, die irgendwie direkt zu Geld gemacht, die Effizienz steigern oder anderswie verwertet werden können, genannt werden. Dies schränkt die Vorstellungen davon, was im Makerspace gemacht werden könnte, sehr ein. Nicht zuletzt wird in den bibliothekarischen Texten zwar immer wieder einmal behauptet, dass sich Makerspaces eignen würden, um zumindest alle Jugendlichen anzusprechen, insbesondere aus benachteiligten Gruppen, aber es wird nicht gezeigt, wie das funktionieren sollte.

Willett baut ihre Analyse auf einer kleinen Anzahl von Texten auf, die sie in mehreren Durchgängen analysiert, aber grundsätzlich scheinen sich ihre Ergebnisse auch auf den Grossteil der weiteren bibliothekarischen Literatur zu Makerspaces übertragen zu lassen. Die Begründungen dafür, warum Makerspaces eingeführt werden sollen, sind widersprüchlich, teilweise heben sie sich auf (“schon immer gemacht” vs. “Disruption”), teilweise sind sie nicht nachvollziehbar (“vor allem Benachteiligte werden angesprochen”), teilweise halten sie einer Überprüfung nicht stand (historische Vorläufe oder pädagogische Debatten werden nicht wahrgenommen, es wird eine “Bewegung” behauptet, die nicht unbedingt eine soziale Bewegung darstellt), teilweise basieren sie auf Behauptungen, die überprüft werden müssten (“das ist viel bessere Bildung”), aber nie überprüft werden.

Dabei gäbe es einige Forschungen, an denen bei Diskussionen über Makerspaces angeschlossen werden könnte. Zum Beispiel gibt es einige Studien, die zu dem Ergebnis kommen, dass in Makerspaces tatsächlich andere Formen des Lernens stattfinden, als in einfach strukturierten Klassenräumen (Bilandzic 2016; Nemorin 2016; Nemorin & Selwyn 2016; Koh 2015; Bilandzic & Foth 2013); aber nie voraussetzungslos.2 Einerseits müssen diese Makerspace nicht einfach “da sein”, um zu funktionieren, sondern pädagogisch betreut werden (d.h. es müssen Menschen da sein, die Projekte initiieren, vorantreiben etc.; das funktioniert offenbar kaum von alleine; schon gar nicht, wenn es langfristig wirksame Bildung sein soll, Bowler & Champagne 2016; Koh & Abbas 2015), zweitens sind die Lernerfahrungen in Makerspaces oft mit Misserfolgen und Frustration verbunden, laufen also nicht “einfach so” ab,3 drittens sind sie vom institutionellen Rahmen abhängig und eben nicht “frei” im Sinne von “neue Räume, die ganz anders sind” (Nemorin 2016; Nemorin & Selwyn 2016) und viertens ist damit noch nicht geklärt, ob es den “traditionellen Klassenraum” oder das “traditionelle Lernen”, von dem sich abgegrenzt wird, überhaupt gibt (und zwar heute noch) und ob “etwas anderes Lernen” auch heisst, besser oder mehr.4 (Sheridan et al. 2014 geben als Unterschied von Lernen im Makerspace ‒ wobei sie einen “richtigen” Makerspace ausserhalb jeder Bibliothek oder anderen Einrichtung untersuchten ‒ zu “traditionelleren” Lernarrangements an, dass in diesem vor allem viele unterschiedliche Lernaktivitäten in unterschiedlicher Intensität und Ausrichtung gleichzeitig stattfinden. Was relevant ist, aber nicht heisst, dass dieses Lernen per se besser wäre.) Grundsätzlich aber deuten diese Studien darauf hin, dass ein Makerspace in Bibliotheken zumindest als Ort des Lernens nur funktionieren wird, wenn er auch als ein solcher beständig betreut wird.

Wozu gibt es die? Schwer zu sagen

Eine Konsequenz aus diesen Widersprüchen und Ungenauigkeiten ist, dass aus den ganzen Texten zu Makerspaces in Bibliotheken eines nicht klar wird: Was genau die Ziele dieser Einrichtungen sein sollen. Also, was sich Bibliotheken davon erhoffen, sie einzurichten und wie im Weiteren geprüft werden sollte, ob die erfolgreich sind oder nicht.

Am einfachsten wäre es wohl, wenn Bibliotheken sagen würden, dass es jetzt Makerspaces und Makerfaires in grosser Zahl gibt, die gut aussehen und man gerne mal ausprobieren würde, ob sowas auch in Bibliotheken funktionieren könnte. Aber so argumentiert wohl niemand öffentlich.5 Ist man ehrlich, muss man feststellen, dass es gar nicht möglich ist, in einer Einrichtung diese ganzen widersprüchlichen Vorhersagen zu erfüllen. Der Aufbau vieler Makerspaces erlaubt es auch gar nicht wirklich, bestimmte Behauptungen zu überprüfen (z.B. wenn sie immer frei genutzt werden können, wie will man da ohne grösseren Aufwand (Koh 2015; Sheridan et al. 2014; Bilandzic 2013) überhaupt überprüfen, dass es zum Lernen kommt).

Aber vielleicht ist all das auch eine falsche Herangehensweise, die fälschlicherweise davon ausgeht, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen den Begründungen, die Bibliotheken in vor allem bibliothekarischen (und in den USA aus den Schulbibliotheken heraus auch in pädagogischen) Publikationen präsentieren, und der tatsächlichen bibliothekarischen Praxis gäbe. Denn obwohl diese Begründungen oft widersprüchlich und oberflächlich sind, hält das Bibliotheken nicht davon ab, ständig neue Makerspaces einzurichten oder die Idee von Makerspaces als “innovativ” anzusehen.6

Shannon Crawford Barniskis (Crawford Barniskis 2016) untersuchte in Wisconsin Bibliotheken im ländlichen Raum, die Makerspaces eingerichtet haben und kam zu dem Ergebnis, dass diese im Vergleich zu anderen Bibliotheken nichts auszeichnet, ausser das sie Makerspaces haben: Sie sind weder grösser noch kleiner, weder reicher (ressourcenstärker) noch ärmer, weder gesondert “innovativ” noch gesondert “traditionell”. Einzig, dass sie schon länger durchschnittlich etwas mehr Besucherinnen und Besucher in Programmen, welche die Bibliothek macht, hatten, als andere Bibliotheken, unterschied sie etwas. Allerdings gab es immer jemand in der Bibliothek, der oder die es wichtig fand, einen Makerspace zu haben. Das war der Hauptgrund, warum es gemacht wurde. Das deutet darauf hin, dass Makerspaces eher zu einem “normalen” Zusatzangebot geworden sind, welches eine Bibliothek haben kann oder auch nicht (wie Lesegruppen oder Häckelzirkel oder Spanisch-Lern-Gruppen), und das, wenn vorhanden, die Identität der jeweiligen Bibliothek mit bestimmt, aber sie nicht besonders hervorhebt. Eventuell verrät die Realität selber, also vor allem die Berichte aus Bibliotheken, mehr dazu.

Realität

Ein Grossteil der Texte zu Makerspaces, die in bibliothekarischen Medien erscheinen, sind dann auch keine Studien oder Überblickstexte, sondern Berichte aus konkreten Makerspaces, vor allem über deren Einrichtung und die ersten Erfahrungen mit ihnen. Auch ein Grossteil der Monographien zu Makerspaces in Libraries versammelt vor allem solche Erfahrungen, geht allerdings zum Teil noch kleinteiliger auf einzelne Projekte ein. (Egbert 2016; Hamilton & Hanke Schmidt, 2015; Willingham & de Boer 2015; Bagley 2014; Burke 2014; Preddy 2013)

Vor sich hin Tasten

Ana Canino-Fluit überschrieb einen solchen Artikel wie folgt: School Library Makerspaces: Making It up as I go. (Canino-Fluit 2014). Dieses “Making it up as I go” scheint eine viel bessere Beschreibung dessen zu sein, was in den Berichten über konkrete Makerspaces durchscheint, als die Ableitung aus Argumenten für dieselben. Zwar gibt es auch in den Berichten hier und da Verweise auf das eine oder andere Argument, aber hauptsächlich scheint das Einrichten von Makerspaces ein “vor sich hin Tasten”, ein “Ausprobieren in kleinen Schritten”; so als wären es wichtig, etwas hinzustellen, zu testen und zu schauen, was passiert. Die Begründungen erscheinen da eher als Motivation für das eigene Ausprobieren zu funktionieren, als würde man sie selber eher halbherzig glauben und schauen wollen, was geht. Und die Technik, die heute in Makersapces eingesetzt wird, erlaubt genau das, da sie nicht mehr so teuer ist und wenig Platz benötigt.7 Sicherlich gibt es immer wieder Beispiele in grossen, finanzstärkeren Einrichtungen, die auch viel mehr Geld investieren und grosse 3D-Drucker, Espresso Book Machines und teuer lizenzierte Software angeschaffen (de Boer 2015; Bilandzic & Foth 2013), aber der Grossteil der Texte formuliert mehr oder minder direkt, dass die Experimente mit dem jeweiligen Makerspace mit wenig Mitteln und wenig Platz unternommen wurden. (Lamb 2015, 2016; Alverson 2015; Dixon & Ward 2014; Graves 2014; Slatter & Howard 2013; Britton 2012)

Die Berichte gleichen sich in vielem, obwohl immer wieder andere Schwerpunkte der Makerspaces gesetzt oder andere Technologien eingesetzt werden. Grundsätzlich funktionieren sie gut, auch wenn einige Technologien nicht gut angenommen werden. Es finden sich eigentlich immer Menschen, vor allem Jugendliche, die zumindest für eine gewisse Zeit mitmachen. Sehr hoch ist das Interesse am Anfang, bei der Eröffnung, danach ist es notwendig, das die Bibliothek immer wieder selber das Interesse befeuert. (Ausser in Schulbibliotheken in US-amerikanischen Schulen, die sich manchmal so in den Alltag integrieren, dass sie recht selbstverständlich genutzt zu werden scheinen.) Die Bibliotheken ‒ zumindest die, die darüber berichten ‒ sind im Grossen und Ganzen zufrieden, betonen aber auch, dass ein Makerspace, wenn er funktionieren soll (wobei oft nicht geklärt wird, was genau “funktionieren” heisst, wohl gewiss im Mindesten “mit Leben gefüllt”), auch Arbeit bedeutet und dass die jeweiligen Technologien den Raum nicht alleine füllen.

Auffällig ist, dass viele Berichte gerade nicht von “festen”, permanent eingerichteten Makerspaces berichten, sondern auch von regelmässigen Makerspace-Treffen (Carr et al. 2016), von Boxen, in denen Makerspace-Materialien gelagert und zu bestimmten Zeitpunkten herausgeholt werden (Plemmons 2014), von einzelnen Angeboten, die nicht gesondert betreut werden (Lenton & Dineen 2016) oder von komplett mobilen Makerspaces (de Boer 2015). Offensichtlich wird das “Konzept” Makerspace ‒ wenn man dem Make:-Magazin folgt oft ein Verein oder eine (gemeinnützige) Firma mit eigenem Raum und Geräten, in die sich “eingemietet” werden kann ‒ in Bibliotheken uminterpretiert und teilweise sehr reduziert werden, was es aber auch kleinen Bibliotheken ermöglicht, die Idee irgendwie umzusetzen. Festzustellen ist auch, dass Bibliotheken den Begriff “Makerspace” weiter öffnen und unterschiedliche Dinge, die irgendwie zum “Machen” gezählt werden können, also bei denen Produkte entstehen, dem Makerspace zuzuordnen versuchen, entweder konkret (wie z.B. Stricken, Hamilton & Hanke Schmidt 2015) oder argumentativ (z.B. Fanfiction-Schreiben in der Bibliothek, Fullerton 2016).

Was als Thema “verschwindet”

Interessant ist, was, nach all den Versprechen zu Makerspaces, in den Berichten fast nie auftaucht: das Lernen an sich (also die Frage, was die Personen da eigentlich wie gelernt haben, ausser es wird Thema spezifischer Untersuchungen, die oft nicht von Bibliotheken selber durchgeführt werden, z.B. Sheridan et al. 2014), wer genau eigentlich kommt (einzig zum Alter gibt es manchmal Angaben, aber was ist mit dem Geschlecht? Mit den benachteiligten Gruppen, die angesprochen werden sollen? Mit den unterschiedlichen Generationen, die etwas voneinander lernen sollen?), die Community, die sich eigentlich um einen erfolgreichen Makerspace bilden sollte. Oder anders: All das, was man als Begründung für Makerspaces in der bibliothekarischen Literatur findet, findet sich eigentlich nicht (mehr) in den konkreten Berichten zu diesen Makerspaces. (Gleichzeitig wirft das zumindest wieder die Frage auf, ob am Ende nicht doch wieder nur die gleichen technik-interessierten männlichen Jugendlichen aus dem Mittelstand angesprochen werden.)

Das heisst einerseits, dass eine Überprüfung, Evaluation oder ähnliche Feststellung des Erfolges von Makerspaces gar nicht möglich ist. Voran sollte man sie denn messen?8 Gleichzeitig ist an den Berichten zu merken, dass die Makerspaces immer als Ergänzung zu anderen Angeboten der Bibliothek funktionieren. Egal, wie oft Bilder von der Zukunft der Bibliothek “nach den Büchern”, von Disruption oder ähnlichem bei der Argumentation für Makerspaces in Bibliotheken bemüht werden: Die Berichte aus Makerspaces deuten darauf hin, dass diese grundsätzliche “Neuerfindung von Bibliotheken” durch Makerspaces nicht stattfindet.

Spass als eigenständiger Grund

Andererseits deutet dies auf etwas hin, was ich hier stark machen möchte: Der Grund, warum einige Bibliotheken Makerspaces einrichten, Makerdays veranstalten etc. scheint ein anderer zu sein und die Begründungen eher ein Rauchvorhang, der aufgezogen ‒ und vielleicht von einigen Verantwortliche mit Budget auch geglaubt ‒ wird. Schaut man sich die Berichte an oder hört auf die Kolleginnen und Kollegen mit Makerspaces in ihren Bibliotheken, taucht ein Grund immer wieder auf: Es macht Spass, nicht in erster Linie den Nutzerinnen und Nutzern (denen aber auch), sondern dem Personal, mit der ganzen Technik zu arbeiten, rumzuspielen, sie auszuprobieren. Die Personen, welche die Berichte schreiben, sind oft sehr begeistert bei der Sache, probieren ständig Dinge aus, betreiben den Makerspace auch dann, wenn sie eigentlich keinen Platz haben und viel improvisieren müssen. (Z.B. Barack 2015; Graves 2015; Harris & Cooper 2015; Alverson 2015; Dixon & Ward 2014; Plemmons 2014; Graves 2014; Stoll 2013) Das deutet auf eine Motivation hin, die sich nicht einfach aus “Aufgaben der Bibliothek” erklären lässt. Und diese Motivation scheint mir persönlich zu sein. Das würde auch erklären, warum Makerspaces in einigen Bibliotheken starken Anklang finden und in anderen nicht.

Diese Motivation kann unterschiedlich benannt werden: Persönliches Interesse, Motivation, selbstgewähltes Thema, selbstgewähltes Interesse der Bibliotheksmitarbeitenden, Ausprobieren wollen etc. Ich fasse es hier der Einfachheit halber unter dem Begriff „Spass“ zusammen.

Weiter oben wurde schon die Studie von Crawford Barniskis (2016) aus Wisconsin angeführt, die Bibliotheken mit Makerspaces im ländlichen Raum untersucht hat und dort immer wieder auf Kolleginnen und Kollegen stiess (bzw. oft die Direktorinnen / Direktoren der Bibliotheken befragte, die dann über solche Kolleginnen / Kollegen berichteten), die am Makerspace persönlich interessiert waren. Crawford Barniskis fragte auch, aus welchen Gründen der jeweilige Makerspace eingerichtet wurde. Es wurden einige Gründe genannt ‒ unter anderem, was bedenkenswert ist, als Ort, an dem sich die ländliche Community, die gar nicht so close-knit sei, wie sich das vorgestellt wird, treffen kann ‒; aber letztlich stach heraus, dass der Spass alleine auch schon reicht: “However, the participants [of the study, K.S.] did not see the makerspace as solely instrumental. They described the goals of creating, having fun, and sharing as important enough to consider a makerspace, further impacts notwithstanding.” (Crawford Barniskis 2016:117-118). In einer Bachelorarbeit bei uns an der HTW Chur wurde unter anderem versucht, die Ziele hinter Makerspace zu erfahren. Dabei führte der Studierende eine Umfrage bei Bibliotheken mit Makerspaces durch (international) und gleichzeitig Interviews in der Schweiz. (Hanselmann 20169) Auch hier stellten sich die konkreten Ziele eher “messy” dar, wie an die eigentliche Idee, einen Makerspace einzurichten angehangen; obwohl gleichzeitig viele Makerspaces eingerichtet wurde. “Generell kann gesagt werden, dass sich viele Makerspaces schwer tun mit Zielsetzungen. Die Gründe dafür sind nicht ganz klar, es wird jedoch oft davon gesprochen, dass sich die Makerspacebewegung deswegen nicht gerne in ein ‘Korsett’ von Zielen und Bewertungen zwängen will, weil dadurch die Kreativität und Spontanität eingeschränkt würde. Dass dem so ist, dafür fehlen jedoch die Beweise.” (Hanselmann 2016:21)

Meine These wäre: Würde man akzeptieren, dass es vor allem vom Interesse, dem Spass der Kolleginnen und Kollegen an ihm abhängt, ob ein Makerspace eingerichtet wird oder nicht, so würde man damit gut erklären können, warum und wie die Makerspaces in Bibliotheken aktuell sind. (Das würde nicht bedeuten, das alle anderen Begründungen per se falsch sind, sondern, dass sie nicht immer gelten, sondern nur manchmal.) Reformuliert: Mir scheint, dass Interesse des Bibliothekspersonals an Makerspaces erklärt viel besser, warum Makerspaces eingerichtet werden (und welche), als andere Ableitungen.

Allerdings: Das ist selbstverständlich kein Grund, der heute in bibliothekarischen Strategien und Zieldokumenten stehen würde: dass das Personal auch mal das tun kann, was ihm Spass macht und was es als sinnvoll ansehen. Es muss anders begründet werden, weil das der heutige gesellschaftlich akzeptierte Diskurs ist. (“Gute Arbeit”, wozu solche Art von Selbstbestimmung am Arbeitsplatz zählen würde, dass sagen die Gewerkschaften, manchmal rutscht es auch Politikerinnen und Politikern linker Parteien raus. Aber nicht den bibliothekarisch Verantwortlichen.) Dabei liesse sich selbstverständlich die Motivation von Mitarbeitenden stärken, wenn diese auch offiziell Dinge machen können, die ihnen Spass machen (und nicht allen machen Makerspaces Spass, aber einigen10). Gleichzeitig scheint mir, dass man, wenn man dieses “Interesse haben an” beziehungsweise die Agency des Bibliothekspersonals in die Erklärung mit einbezieht, viel besser erklären kann, wieso so viele Bibliotheken (und so schnell, ohne lange Diskussion) in den letzten Jahren Makerspace eingerichtet haben.

Fazit: Was bringen Makerspaces in Bibliotheken?

Zusammengefasst und um die Fragen, die am Anfang gestellt wurden, zu beantworten: Was genau Makerspaces in Bibliotheken bringen ist nicht zu klären, weil nicht zu klären ist, was genau sie eigentlich “bringen” sollen. Die Begründungen die für sie vorgebracht werden, sind widersprüchlich und oberflächlich. Zu vermuten ist, dass sie auch nur halb ernstzunehmen sind ‒ zumindest zeigt sich in den konkreten Makerspaces kaum etwas von diesen Begründungen. Vielmehr scheinen sie vom Interesse einzelner Akteurinnen und Akteure im Bibliothekswesen, insbesondere dem Personal direkt in den Bibliotheken, abzuhängen.

Gleichzeitig haben sich Makerspaces immens verbreitet und können heute zu den normalen Zusatzangeboten von Bibliotheken gezählt werden, die manchmal vorhanden sind und manchmal nicht. Sie werden die Bibliotheken nicht radikal ändern oder in ein neues Zeitalter katapultieren (auch nicht die Schulen oder Museen, die ebenso Makerspaces einrichten). Realistisch erhoffen kann man sich gerade beim Einrichten der Makerspaces ein grosses Interesse der Öffentlichkeit, weil sie offenbar ein gewisses Interesse ansprechen, und gleichzeitig die Notwendigkeit kontinuierlicher Arbeit im/am Makerspace, wenn er dann eingerichtet ist. Wie lange und nachhaltig diese Makerspaces sein werden, ist noch nicht zu sagen.11 Eine Anzahl von Bibliotheken berichtet davon, dass sie selber durch Makerspaces besser in ihre jeweilige Community integriert wären, aber das gilt offenbar vor allem bei Bibliotheken, die Teil von grösseren Institutionen (Schulen, Universitäten) sind. (Lotts 2016a, 2016b) Ob das auf Öffentliche Bibliotheken zu übertragen wäre, ist noch nicht geklärt. Gleichzeitig werden Makerspaces in den meisten Bibliotheken mit geringen Mitteln und Platz, dafür mit grossem persönlichen Elan eingerichtet, so dass sie, falls der Elan erschlafft oder sich einem anderen Thema zugewendet wird (Krompholz-Roehl 2016), auch schnell wieder entfernt werden können. Erwartet werden kann auch, falls die These stimmt, dass sich Makerspaces dadurch tragen, dass das Personal Spass mit und in ihnen hat, eine höhere Motivation des Personals durch die Makerspaces.

Insoweit scheint es nach den bisherigen Erfahrungen falsch, bei Makerspace von einem reine Hype zu sprechen, der vergehen wird. Ebenso falsch wäre es, an Makerspace zu grosse Erwartungen zu haben. Im besten Falle bereichen sie die Bibliotheken. Allerdings sind noch viele Fragen offen. So ist nicht klar, wer jetzt genau die Makerspaces in Bibliotheken (und in welchen Bibliotheken) für was nutzt. Stimmt die Vermutung, dass es nach dem Abflauen des ersten Interesses wieder nur “die gleichen” sind? Oder nicht? Einige Berichte (z.B. Ferrell 2016) zeigen eigentlich nur junge, männliche Jugendliche im Makerspace, andere (z.B. Koh 2015) aber nicht. Kann die Bibliothek mit ihrem Habitus einen Raum bilden, wo sich z.B. tatsächlich mehr Benachteiligte mit Technik auseinandersetzen? Oder mehr Mädchen als im Hackerspace? Mehr Menschen ausserhalb des Alterspektrums 15-35? Und für was werden die Makerspaces tatsächlich genutzt? Auch hier wäre die Antwort “Spass haben” oder auch “Zeit vertreiben” möglich, aber ist es das, was Bibliotheken wollen? Das sind offene Fragen; nicht mehr offen ist die Frage, ob Bibliotheken Makerspaces haben sollten oder nicht. Das haben Bibliotheken schon mit “ja, in einer gewissen Uminterpretation” für sich entschieden; auch gute Argumente dagegen würden daran nichts mehr ändern.

Literatur

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Rendina, Diana: Makerspaces for all: Bringing the Maker Movement into your Library. In: LibrarySparks Bd. 13 (2016), Nr. 2, S. 10–12

Rosenfeld Halverson, Erica ; Sheridan, Kimberly M.: The Maker Movement in Education. In: Harvard Educational Review Bd. 84 (2014), Nr. 4, S. 495–504

Rosner, Daniela K ; Fox, Sarah E: Legacies of craft and the centrality of failure in a mother-operated hackerspace. In: New Media & Society Bd. 18 (2016), Nr. 4, S. 558–580

Sheridan, Kimberly M. ; Rosenfeld Halverson, Erica ; Litts, Breanne K. ; Brahms, Lisa ; Jacobs-Priebe, Lynette ; Owens, Trevor: Learning in the Making: A Comparative Case Study of Three Makerspaces. In: Harvard Educational Review Bd. 84 (2014), Nr. 4, S. 505–531

Slatter, Diane ; Howard, Zaana: A place to make, hack, and learn: makerspaces in Australian public libraries. In: The Australian Library Journal Bd. 62 (2013), Nr. 4, S. 272–284

Steele, Ryan: Learning Commons or Makerspace?: Don’t Forget the Library. In: Teacher Librarian Bd. 42 (2015), Nr. 5, S. 19–20

Stoll, Christina: Makerspaces: Surveying the Scene in Illinois. In: ILA Reporter (2013), S. 4–9

Wall, Cindy R. ; Pawloski, Lynn M.: The Maker Cookbook: Recipies for Children’s and ’Tween Library Programs. Santa Barbara; Denver; Oxford : Libraries Unlimited, 2014

Willett, Rebekah: Making, Makers, and Makerspaces: A Discourse Analysis of Professional Journal Articles and Blog Posts about Makerspaces in Public Libraries. In: Library Quarterly Bd. 86 (2016), Nr. 3, S. 313–329

Willingham, Theresa ; de Boer, Jeroen: Makerspaces in Libraries, Library Technology Essentials. Lanham ; Boulder ; New York ; London : Rowman & Littlefield, 2015

Wong, Tracey: Makerspaces take Libraries by Storm. In: Library Media Connection Bd. 31 (2013), Nr. 6, S. 34–35

 

Fussnoten

1 Interessant vielleicht: Es muss zum Teil übersetzt werden. Französische Bibliotheken haben auch Makerspaces, nennen sie aber viel eher FabLabs. Gleichzeitig wird in Makerspaces, FabLabs und ähnliche Einrichtungen ausserhalb von Bibliotheken manchmal Wert auf eine Abgrenzung gelegt (ein Makerspace ist kein FabLab ist kein Learning Commons ist kein…), aber das scheint in der bibliothekarischen Diskussion egal zu sein. In den deutsch-sprachigen und den englisch-sprachigen Ländern: Makerspace, Französisch-sprachig: FabLab (in der Schweiz, mal wieder, je nach Region).

2 “User observations and interviews show that social learning between strangers in such a public library place [like the one studied in this paper, K.S.] does not come naturally. There is a perceived lack of affordances to directly learn from other unacquainted creative users in the space. Users find it difficult to identify or approach other likeminded users. They, in general, remain unaware of and uninspired by each other’s subcultural domains of interest and expertise.” (Bilandzic & Foth 2013:270).

3 In der Literatur zu Makerspaces wird dieses “Fehler-Machen-Können, ohne das es schlechte Konsequenzen hat” als Vorteil angesehen (Hatch 2014; Anderson 2012), in der Realität funktioniert dies aber offenbar nicht immer motivierend (Nemorin & Selwyn 2016; Nemorin 2016; Sheridan et al. 2014).

4 Gerade das würde ich doch stark bezweifeln, wenn es einfach nur mechanistisch verstanden wird. Die pädagogischen Traditionen, die andere Lernformen als “traditionelles Lernen” hochhalten (und da gibt es viele, um nur drei zu nennen: Reformpädagogik – um eine der besseren Strömungen darin zu nennen: Freinet, mit dem schüler/innen-bezogenen Unterricht -, demokratische Bildung im Anschluss an John Dewey, Pädgogik aus dem Umfeld der Befreiungs-/Demokratisierungsbewegungen im Südamerika der 1960er Jahre, insbesondere Paulo Freire) beschäftigen sich zwar immer auch damit, andere Formen der Lernens, gerade soziales Lernen und ein Lernen aus der Perspektive der Lernenden zu ermöglichen, aber nicht einfach nur mit dem Ziel, dass diese “kreativer” Lernen, sondern immer mit weitergehenden Zielen, z.B. dass die Kinder und Jugendliche ihre Potenziale erkennen und sich selbst als aktive Menschen zu entwerfen lernen oder das die Unterdrückten ihre gesellschaftliche Situation zu analysieren lernen und den Lernprozess als gemeinschaftliches Streben zur Veränderung der Gesellschaft nutzen. Ohne diese weitergehenden Ziele ist “andere Formen des Lernens” reine Technik, wiewohl vielleicht sogar Technik, die gar nicht zu den Zielen der gewünschten Bildung passt (wenn die bäuerliche Bevölkerung bei Freire durch bestimmt Techniken lernen soll, das sie die Gesellschaft analysieren und verändern kann, wieso sollte diese Technik des kollektiven Lernens dann in einem Makerspace dafür taugen, funktionale “Kreativität” zu fördern, die ja gerade nicht nach der Gesellschaft und der gesellschaftlichen Position der Lernenden fragt, sondern nach Verwertbarkeit von Kompetenzen und Produkten?).

5 Das würde dann dahin führen, dass man fragen müsste, warum es “jetzt” diese Makerspaces gibt und dann darauf kommen könnte, dass das “jetzt” eher durch Öffentlichkeitsarbeit denn durch wirklich grosses gesellschaftliches Interesse ‒ über die schon früher an ähnlichen Einrichtungen und Tätigkeiten Interessierten hinaus ‒ entstanden sein könnte; oder aber, dass es vor allem der technische Fortschritt ‒ vor allem vorangetrieben und genutzt durch die Firmen mit den explizit kleinen und mobilen Techniken, die in Makerspaces verwendet werden ‒ sein könnte und wieder weniger ein gesellschaftliches Interesse; oder aber das das Interesse ‒ Kreativität als “verwertbare Produkte” ‒ ein anderes Interesse sein könnte, als es die Bibliotheken sonst als ihr Ziel formulieren. Wer weiss?

6 Letzteres ist z.B. die Erfahrung aus unserem Projekt LL.gomo an der HTW Chur, dass ‒ im Vergleich zu anderen Projekten ‒ erstaunlich positive Rückmeldungen aus Bibliotheken schon in der Planungsphase erhielt.

7 Wir haben einen 3D getestet, der 1500 CHF kostete und auf der leeren Fläche auf meinem Schreibtisch rechts am Fenster locker Platz fand. Das ist alles heute klein und ‒ für Institutionen, nicht für Privatpersonen ‒ billig zu haben.

8 Wenig hilfreich für diese Frage sind dann solche Aussagen wie die folgende: “The success of the Jocelyn H. Lee Innovation Lab should not be measured in the kilograms of 3D printed parts or the numbers of instructional contact-hours. It will be measured by the impact the makerspace has on the community, allowing patrons to explore new ideas and recognize their own potential for creativity and problem solving.” (Ferrell 2016:9) Klingt schön, aber was genau heisst das?

9 Die Arbeit wird demnächst auch im Rahmen der Churer Schriften zur Informationswissenschaft erscheinen. In der Arbeit findet sich eine Kriterienliste für die Auswahl von Technik für Makerspaces, die für die eine oder andere Bibliothek von Interesse sein wird.

10 Ich hatte auch sehr viel Spass beim Packen unserer Boxen für das Projekt LL.gomo, nicht nur mit dem 3D-Drucker. Insoweit kann ich das auch gut nachvollziehen, aber auch bei mir ist es ein Forschungsprojekt, dass mit “Innovation” und “State of the Art”-Argumenten verkauft wurde. “Ich denke, es wäre sinnvoll, mal mit dem Zeug rumzuspielen, von dem alle reden” wäre nicht möglich gewesen, egal wie oft bei uns an der HTW “Labs” gegründet werden. Labs sind auch nicht mehr das, was sie mal waren.

11 Eine Reihe von Schulbibliotheken in den USA berichtet von Makerspaces, die schon über einen längeren Zeitraum funktionieren (z.B. Plemmons 2016), aber die haben durch ihre direkte Einbindung in Schulen auch eine besondere Stellung. Ihre Erfahrungen lassen sich zumindest für die Frage der langfristigen Wirkung von Makerspaces nicht einfach auf andere Bibliotheken übertragen.

Domestizierte Neuheit: Das Kreativitätsdispositiv und Öffentliche Bibliotheken

„The answer to one of your questions, though, is that I’m in love with all of you except the part I don’t like. That’s the part of you that’s like all the other girls I see. The part of you that thinks everyone – even Hunter – has to settle down sooner or later with a nine to five job and a mortgage on the house and two chrome-covered cars in every garage and a slew of stupid, happy neighbors and nothing to look forward to but eternal manipulation by forces you never took the trouble to understand. That’s the part of you I don’t like, and the part I’ll never like.” (Hunter S. Thomson, (Letter to Ann Frick, 1959), 1997, 176)

“Grundsätzlich basiert das Regime des Neuen, welches das Kreativitätsdispositiv in allen seinen Segmenten hervorbringt, auf der Struktur des Neuen als Reiz. Was zählt, ist die Hervorbringung und die Rezeption immer neuer, möglichst intensiver Reizereignisse, die jeweils allein in ihrer Gegenwart interessieren. Hier geht es nicht darum, besser zu sein, sondern anders.“ (Reckwitz, 2012, 327)

Die Hauptargumentation in Die Erfindung der Kreativität von Andreas Reckwitz (Reckwitz, 2012) lautet, dass sich beginnend spätestens in den 1960er Jahren und dann verstärkt seit den 1980er Jahren ein Kreativitätsdispositiv ausgebildet hätte, welches aktuell die gesellschaftlichen Sphären dominieren würde. Insbesondere würde es auf die Arbeitswelten und die Konstitution der Individuen wirken, aber nicht nur.

Dispositiv ist dabei, im direkten Anschluss an Foucault, als Anordnung wirkungsmächtiger Diskurse, Leitsätze und Moralvorstellungen zu verstehen, die durch gesellschaftliche Institutionen und Entwicklungen umgesetzt und in gewisser Weise als „selbstverständlich“ etabliert würden. (Foucault, 2000) Dabei ist diese „Selbstverständlichkeit“ von Dispositiven – bei Foucault die um Sexualität und Überwachung, bei Reckwitz das um Kreativität – immer geschichtlich erwachsen und auch als Antwort auf vorherige Krisen der gesellschaftlichen Moral zu verstehen. Das Kreativitätsdispositiv, welches Reckwitz nachzeichnet, ist als Reaktion auf eine tatsächliche oder wahrgenommene Motivationskrise der Angestellten und Arbeitenden, aber auch der Individuen in der gesamten Gesellschaft zu verstehen. (Ganz explizit versteht es Reckwitz als theoretische Weiterentwicklung der Arbeit von Chiapello und Boltanski, welche zwei Kritiktraditionen innerhalb des Kapitalismus ausmachten – die „Arbeiterkritik“, welche sich am Wert sozialer Gerechtigkeit orientiert und die „Künstlerkritik“, welche die Entfremdung durch Arbeit in den Mittelpunkt rückt – die sich über einen längeren Zeitraum gesehen regelmässig in ihrer Wirksamkeit abwechselnd würden. (Boltanski & Chiapello, 2003)) Und gleichzeitig sind alle Dispositive nicht so ewig, wie sie sich selbst präsentieren, sondern immer offen für Veränderungen – schliesslich haben sie immer andere Dispositive als vorherrschende abgelöst, insoweit ist immer die These zu stellen, dass auch sie abgelöst werden.

Gleichwohl sind die jeweils vorherrschenden Dispositive wirkmächtig: Sie werden benutzt, um Menschen, Strukturen, die Lebensgestaltung, die Arbeitsbedingungen und gesellschaftlichen Ziele zu definieren und zu bewerten; sie werden auch als Grundlage der Subjektivierung der Menschen vermittelt und also mehr oder minder von Menschen genutzt, um sich als Subjekte zu konstituieren. Insoweit sind Dispositive keine Pläne, den es gibt niemand, der oder die ihre Durchsetzung im Gesamt planen und steuern würde oder könnte; aber sie sind auch nicht nur unbedeutende Worte.

Kreativität als Normalfall

Das Kreativitätsdispositiv, dessen Entstehung Reckwitz nachzeichnet und das er als aktuell grundlegend begreift, setzt voraus: dass (a) alle Menschen kreativ wären und es auch sein wollen, das heisst dass sie alle Potentiale hätten, die es zu entwickeln gälte, (b) das dieses Streben nach Kreativität, also die Umsetzung der eigenen Potentiale, grundsätzlich motivierend wäre (und zum Beispiel von Firmen und Einrichtungen gefördert werden müsste, um wirtschaftlichen Erfolg zu haben, weil sonst die Mitarbeitenden unmotiviert wäre) und das (c) Menschen, welche ihre Kreativität nicht umsetzen, scheitern würden. Daraus ergibt sich in der Gesellschaft eine ständige Anforderung an Menschen, kreativ zu sein. Das muss nicht unbedingt heissen, Dinge zu schaffen (obwohl es das oft auch ist), sondern ebenso, den eigenen Alltag als ständige Möglichkeit zu begreifen, die Welt aufgrund ihrer Kreativität zu bewerten: Ist etwas neu und anregend (kreativ) oder nicht? Beispielsweise die Konsumangebote, das Lebensumfeld, die Urlaubsziele? Als kreativ und damit erfolgreich gilt, was anregt und Aufmerksamkeit erheischt.

Sichtbar ist, dass diese Anforderungen leicht zur Überlastung führen können, dass ihnen auch nur durch ständige Überbietung des schon Dagewesenen oder aber ständigem Interessenwechsel nachgekommen werden kann. Gleichzeitig wird, historisiert man den Anspruch an Kreativität – wie es Reckwitz tut – schnell sichtbar, wie sehr solche Aussagen, dass zum Beispiel alle Menschen potentiell kreativ seien und auch sein sollen, ein Dispositiv und keine „natürliche“ oder „selbstverständliche“ Aussage darstellen. Historisch wurde hier ein Bild, das noch ein Jahrhundert zuvor als abseitig und tendenziell krank galt – der einsame Künstler, das a-soziale Genie und so weiter – über mehrere Schritte ins Positive gewendet. Dies begann, wie die meisten Dispositive, von den Rändern der Gesellschaft her, ausgehend von Subkulturen (insbesondere seit den 1960er mit ihrer Kritik an der Konformativität der Gesellschaft und der „normalen Biographien“) und selbstgestalteten Avantgarden (vor allem in der Kunst), aber es wurde schliesslich erst gesellschaftlicher Mainstream und dann unhintergehbare Anforderung. Dabei geschah dies immer auch im guten Willen. Es geht nicht unbedingt (nur) um Vereinnahmung non-konformer Subkulturen, sondern tatsächlich darum, dass zum Beispiel die Wirtschaft, aber auch die Bildung, nach besseren Wegen suchte, die Individuen zu steuern und zu unterstützen (beim Produktiv sein oder beim ein-besseres-Subjekt-Werden).

Allerdings, darauf weisst Reckwitz recht weit am Beginn und noch einmal ganz am Ende seiner Studie hin, mit der Etablierung des Kreativitätsdispositiv einher geht eine Produktivmachung der Kreativität für die gesamte Gesellschaft. War bei Avantgarden (beispielsweise der Arts and Craft-Bewegung, dem Surrealismus, aber auch anderen) oder Subkulturen (zu denken ist hier beispielhaft an die Kommunebewegungen der 1960er und 1970er Jahre) die Kreativität immer in den Dienst einer Veränderung gestellt, ist sie heute ein Selbstzweck. Die Dadaistinnen und Dadaisten im Zürich 1915 wollten mit ihren kreativen Handlungen und der Gestaltung ihres Lebens die Kunst und darüber die Gesellschaft aufrütteln, schockieren, ändern und wurden deshalb auch zum Teil von der Gesellschaft abgelehnt; die Design-Studierenden, die heute, 2015, im gleichen Haus der Zürcher Altstadt im Cabaret Voltaire einkehren, müssen kreativ sein, um das Studium zu bestehen und darauf folgend im Arbeitsmarkt zu reüssieren – aber sie wollen es auch. Das Dispositiv, kreativ zu sein, ist ihnen im grossen Teilen zur Selbstverständlichkeit geworden. (Und nur, weil es der gleiche Ort und genau 100 Jahre später ist, ist es so offensichtlich.)

Formen des Neuen

Reckwitz unterteilt, was zum Verständnis der Veränderungen über die Zeit sehr hilfreich ist, das „Neue“, dass durch die Kreativität jeweils hervorgebracht wird, in drei Formen (Reckwitz, 2012, S. 44):

  • Neues I: Das Neue als Stufe (also als fortschrittliche Überwindung des jetzigen Zustandes, eine Form der Neuheit, die eine ständige Weiterentwicklung in Richtung einer besseren Entwicklung, einer besseren Gesellschaft oder einer besseren Kunst anstrebt; kurzum: eine Revolution oder zumindest ein grosser Schritt im Vergleich zum Vorhergehenden, der aber dann auch ein gewisses Ende bedeuten soll, egal ob der „International Style“ als „letztmöglicher Stil“ oder der Kommunismus als letzte Entwicklungsstufe der Gesellschaft).
  • Neues II: Das Neue als Steigerung und Überbietung (also ständige Verbesserung des Vorhandenen, insbesondere verständlich als neue Technik, die besser ist als die Vorhergehende oder naturwissenschaftlicher Fortschritt; kurzum: das, was in den Forschungs- und Entwicklungsabteilungen grosser Betriebe in den 1950er und 1960ern erarbeitet wurde, war dafür prototypisch, wobei es bei dieser Form des Neuen immer weiter geht, alles immer noch besser werden kann).
  • Neues III: Das Neue als Reiz (also das „neu-entdeckte“ Restaurant, die bislang unbekannte Strassenecke, das anregende Urlaubsziel oder das überraschend neuartige Essen; kurzum: ein Neues, das wenig verändert, ausser neue Veränderung – und wenn es die der eigenen Person ist – anzuregen).

Von oben nach unten gelesen wird „das Neue“ das durch Kreativität hervorgebracht wird, domestiziert. Oder auch anders gelesen: Die Kreativität wird in eine bestimmte Richtung hin interpretiert. Die Aufforderung an die Subjekte ist es, kreativ in diese eine Richtung zu sein: nicht etwas verbessernd (Neues II) oder gar grundsätzlich umstürzend (Neues I), sondern kreativ als ständige Anregung im Alltag. Die gesamte Gesellschaft wird damit argumentativ auf ständige Veränderung gestellt: Firmen, Einrichtungen, Städte, Menschen sollen in ständiger Bewegung begriffen werden und begreifen sich auch so – man denke nur an die regelmässig neu geschriebenen, fortgeschrieben und wieder über den Haufen geworfenen Strategiepapiere –, aber nicht, um etwas zu verändern, sondern weil andere Firmen, Einrichtungen, Städte und Menschen sich ständig verändern würden (und es unter dem gleichen Dispositiv auch tun). Damit wird Kreativität aber zu einem Selbstzweck, der das Leben tendenziell interessanter und offener macht (und wir leben ja auch in einer Gesellschaft, die, trotz aller Rückschläge, offener und interessanter ist als einige Jahrzehnte zuvor, obgleich nicht soviel auf der Kippe zu stehen scheint, wie Ende der 1960er – was aber dem unterschiedlichen Verständnis von „Neu“ nach nur konsequent ist), aber auch neue Formen der Scheiterns (persönlich und als Institution) etabliert: Wer nicht genügend Kreativität entwickeln kann, geht daran zugrunde – manchmal tatsächlich durch Krankheiten wie der Depression, deren rasante Verbreitung ganz offensichtlich in einen Zusammenhang mit den steigenden Ansprüchen, kreativ zu sein steht. (Vergleiche auch Menke & Rebentisch, 2010)

Das Neue und damit die Kreativität ist im aktuellen Kreativitätsdispositiv erst einmal nicht mehr umwerfend oder verbessernd, sondern „nur“ spannend oder interessant. Reckwitz (2013) bespricht ganz am Ende seines Buches Auswirkungen und mögliche politische Reaktionen auf dieses Dispositiv (unter anderem das Ausprägen einer Kreativität, die nicht auf Neues zielt oder sich dem „Anregenden“ verweigert – was in der zeitgenössischen Kunst zum Teil tatsächlich ausprobiert wird, womit sich ein gewisser Zirkel schliesst, weil diese Kunst sich wieder ausserhalb der gesellschaftlich prägenden Diskurse zu stellen versucht). In diesem Text hier aber, nach dieser Darstellung, einige Anmerkungen im Bezug auf bibliothekarische Fragen.

Öffentliche Bibliotheken und das Kreativitätsdispositiv

Auffällig ist, dass die Beiträge, die sich aktuell im deutschsprachigen Bibliothekswesen zu Makerspaces, Fablabs und ähnlichen Einrichtungen finden (u.a. Nötzelmann, 2013, Abresch, 2014, Meinhardt, 2014, Vogt, 2014), genau in dieses Dispositiv passen: In ihnen wird gemeinhin angenommen, dass die Menschen – vor allem die Jugendlichen – kreativ sein wollen und müssen. Daraus folgend müsse ein Raum geschaffen werden, welcher diese Kreativität ermöglicht. Ob diese Anforderung überhaupt vorliegt, wird in den Texten nicht wirklich thematisiert (in der Praxis sieht es etwas anders aus). Doch davon abgesehen ist die Kreativität, die in Makerspaces und ähnlichen Einrichtungen gefördert werden soll, überhaupt nicht auf irgendetwas Veränderndes abgestellt. (Dies ist in den Anweisungen zu Makerspaces sichtbar, die zumeist davon ausgehen, dass nach der Nutzung der Geräte und des Raumes alles wieder in den immer gleichen Normalzustand versetzt werden kann.) Es geht um Kreativität und Anregung um der Kreativität und Anregung willen. Einzig Vogt (2014) spielt kurz mit Verweisen auf die Start-Up-Szene in Köln auf eine mögliche wirtschaftliche Bedeutung des Makerspaces in Köln an. Grundsätzlich aber zielt die Kreativität nicht darauf, ein Neues II oder gar Neues I zu produzieren, sondern immer ein Neues III.

Das ist keine Besonderheit von Bibliotheken. Auch andere Makerspaces sind so eingerichtet und argumentativ begründet. Weitere Einrichtungen folgen dem gleichen Diskurs. Abresch (2014) diskutiert das Thema zum Beispiel explizit im Zusammenhang mit Schulen. Aber es ist auch auffällig, wie leicht diese Begründung akzeptiert wird, so als wäre sie selbstverständlich: Alle Menschen wollen kreativ sein. Das genügt einigermassen als Grundbegründung, obwohl es eben nicht selbstverständlich ist. Es ist etwas historisch neues, dass Kreativität so hoch geschätzt wird. Und es ist etwas, dass auch nicht per se gut sein muss.

Eine zweite Auffälligkeit ist, dass die Vorstellung der ständigen Veränderung um der Veränderung willen (beziehungsweise begründet mit der ständigen kreativen Veränderung der Gesellschaft und anderer Einrichtungen) in der Weise, wie Reckwitz sei zeigt, auch bei der Steuerung von Bibliotheken zu finden ist. Mehr und mehr Bibliotheken akzeptieren die Vorstellung, dass die gesamte Gesellschaft (egal, wie dies gefasst ist, und wenn es einfach nur als „Bedürfniss der Kundinnen und Kunden“ oder „wechselnder Konkurrenz“ behauptet wird) sich ständig verändern, wenn auch nicht radikal neu schaffen würde – halt Neu III – und darauf selber mit ständiger Veränderung zu reagieren sei. Diese Veränderung selber müsse kreativ, offen und anregend sein, und eben möglichst wenig starr auf reine Verbesserungen hin geplant (Neu II) oder gar radikal (Neu I) anders. Bezeichnend für diese Form der Steuerung sind Veränderungsprozesse, die als Projekte (vor allem in der Schweiz zum Teil sogar mit festen Projektstellen) gefasst sind, welche erfolgreich vor allem dann funktionieren, wenn sie das Mitdenken möglichst grosser Teile der jeweiligen Bibliothek anregen – also Kreativität einfordern und nutzen, gleichzeitig aber dadurch auch offener und partizipativer funktionieren, als Anweisungen „von oben“.

Ebenso bezeichnend ist der spezifische Diskurs von Innovation in Bibliotheken, wobei diese generell als Notwendigkeit vorausgesetzt zu werden scheint (oft begründet damit, dass Einrichtungen, die nicht innovativ wären, im Rahmen der sich ständig verändernden Gesellschaft untergehen würden) und gleichzeitig kaum klar ist, was Innovation im Rahmen von Bibliotheken bedeutet, abgesehen von neuen technischen Lösungen (die oft aber auch ohne den Begriff der Innovation, einfach als Weiterentwicklung, eingeführt werden könnten).

Zuletzt muss auch auf die strategischen Planungen, niedergelegt in regelmässig in kreativen Prozessen fortzuschreibenden Strategiepapieren, verwiesen werden, welche in den letzten Jahren (im deutschsprachigen Raum nicht nur, aber stark von ekz.bibliotheksservice beziehungsweise SBD.bibliotheksservice gefördert) einer wachsenden Anzahl von Bibliotheken als Notwendigkeit präsentiert wurde (wobei bekanntlich die Akzeptanz dieses Vorschlags in den Bibliotheken sehr unterschiedlich ist). Auch dieses Mittel der Steuerung, das darauf setzt, die Kreativität der jeweiligen Bibliothek – also des Personals – zu aktivieren und für sie zu nutzen, folgt dem Kreativitätsdispositiv: Es wird ständig Neues geschaffen, dass aber nicht umwerfend oder verbessernd, sondern fluide auf vorgebliche oder tatsächliche gesellschaftliche Ansprüche reagierend sein soll. Relevant ist auch, dass es als Vorschlag existiert, der umgesetzt werden kann – und nicht als Anweisung.

Damit präsentieren sich die Bibliotheken, anders als sie es vielleicht selber verstehen (zum Beispiel, wenn sie sich selber in Berufsbilddiskussion als zu wenig veränderlich und zu viel traditionell beschreiben), als Einrichtungen, die sich im Mainstream gesellschaftlicher Diskussionen und Entwicklungen befinden. Reckwitz (2012) weist zurecht daraufhin, dass das Benennen eines gesellschaftlich prägenden Dispositivs die Möglichkeit eröffnet, darüber nachzudenken, was die unintendierten Folgen dieses Dispositivs sind, was an ihm zu verteidigen oder abzulehnen wäre und auch, worauf dieses Dispositiv antwortet und ob diese Antwort die richtig ist. Damit beginnen mögliche politische Fragen – auch wenn es gerade nicht einfach möglich ist, sich ausserhalb des gesellschaftlichen Raumes zu stellen, den dieses Dispositiv hervorbringt. Das Befragen des Dispositivs und das Leben „im Dispositiv“ gehen einher, solange es aktuell ist. (Foucault, 2000) Bibliotheken scheinen – wie andere Einrichtungen auch – mitten im aktuellen Kreativitätsdispositiv situiert zu sein. Damit haben sie auch die Möglichkeit, dies aktiver zu gestalten, als einfach dem Dispositiv zu folgen. Sie können es ebenso gut ignorieren oder abstreiten, aber auch damit würden sie sich politisch verhalten. So oder so: „Kreativität“ (von Nutzerinnen und Nutzern) – genauso wie Innovation – kann nicht einfach als selbsterklärender Grund für Veränderungen oder strategische Entscheidungen angenommen werden. Das alleine würde nur soweit tragen, bis sich ein nächstes Dispositiv etabliert, welches versuchen wird, auf die Unzulänglichkeiten des aktuell vorherrschenden zu reagieren.

Literatur

Abresch, Sebastian (2014) / Bibliothek und Schule : Makerspace in der Praxis. 19 (2014) 2, 56-57, http://www.bibliotheken-nrw.de/fileadmin/Dateien/Daten/ProLibris/2014-2_ProLibris_WEB_01.pdf

Boltanski, Luc ; Chiapello, Ève (2003) / Der neue Geist des Kapitalismus. Konstanz : UVK, 2003

Meinhardt, Haike (2014) / Das Zeitalter des kreativen Endnutzers : Die LernLab-, Creatorspace- und Makerspace-Bewegung und die Bibliotheken. BuB 66 (2014) 6, 479 – 485, http://www.b-u-b.de/pdfarchiv/Heft-BuB_06_2014.pdf

Menke, Christoph ; Rebentisch, Juliane (Hrsg.) (2010) / Kreation und Depression : Freiheit im gegenwärtigen Kapitalismus. Berlin : Kulturverlag Kadmos, 2010

Michel Foucault, Michel (2000 [1978]) / Dispositive der Macht. Über Sexualität, Wissen und Wahrheit. Neuauflage. Berlin: Merve Verlag, 2000

Nötzelmann, Cordula (2013) / Makerspaces – eine Bewegung erreicht Bibliotheken. Bibliotheksdienst 47 (2013) 11, 873-876, http://www.degruyter.com/view/j/bd-2013-47-issue-11/bd-2013-0099/bd-2013-0099.xml?format=INT

Reckwitz, Andreas (2014 [2012]) / Die Erfindung der Kreativität : Zum Prozess gesellschaftlicher Ästhetisierung (suhrkamp taschenbuch wissenschaft ; 1995). 4. Auflage. Berlin : Suhrkamp Verlag, 2014

Thomson, Hunter S. (1997) / The Proud Highway : Saga of a Desperate Southern Gentleman 1955-1967 (The fear and Loathing Letters, Volume 1). New York : Ballantine Books, 1997

Vogt, Hannelore (2014) / Makerspace, Digitale Werkstatt und Geeks@Cologne : Ungewöhnliche Veranstaltungsformate in der Stadtbibliothek Köln. BuB 66 (2014) 4, 295-297, http://www.b-u-b.de/pdfarchiv/Heft-BuB_04_2014.pdf

Bewegen sich Bibliotheken vielleicht einfach mit der Gesellschaft mit?

Silvester 2014/2015 und die Tage drumherum verbrachte ich in Amsterdam. Für Bibliothekarinnen und Bibliothekare ist diese Stadt bestimmt auch wegen der Openbare Bibliotheek Amsterdam bekannt, beziehungsweise dem 2007 bezogenen neuen Gebäude der Zentralbibliothek dieser Stadtbibliotheken auf dem Oosterdok gleich um die Ecke von der Centraal Station. Dieser Neubau erhielt nach der Eröffnung reichlich Beachtung, beispielsweise ‒ allein auf deutsch ‒ mit Beiträgen von Gernot U. Gabel in der B.I.T. online, von Sarah Dudek in der BuB oder Hermann Romer in der SAB-Info/Info-CLP (S. 6). In fast jeder Publikation zu Bibliotheksbauten in Europa, die in den letzten Jahren erschienen ist, kommt die Bibliothek ebenso vor. Der Ruf ist gut: Jung ist die Bibliothek, attraktiv, innovativ, mit einem grossen Angebot von Veranstaltungen.

Da meine Begleitung zum Glück ebenso bibliotheksaffin ist wie ich, war es überhaupt kein Problem, dass Gebäude gleich am ersten Abend zu besuchen. Und ja: es ist eine schöne, passende und attraktive Bibliothek; die in der offenen und liberalen Grossstadt Amsterdam offenbar gut funktioniert. Gross, hell, mit vielen flexibel zu nutzenden Arbeitsplätzen, mit vielen Veranstaltungen.

Ausgeschilderter Weg zu Bibliothek.
Ausgeschilderter Weg zu Bibliothek.
Ordentliche Öffnungszeiten.
Ordentliche Öffnungszeiten.

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Obwohl wir am 30.12. vorbeigingen, war die Bibliothek in voller Nutzung. Und es gibt in ihr wirklich vieles, was heute in Öffentlichen Bibliotheken zur Innovation gezählt wird: flexibel zu nutzende Flächen, Ausstellungen (sowohl im Untergeschoss, als auch zwischen den Beständen, teilweise passend zu den jeweiligen Teilbereichen), ein Veranstaltungsprogramm, das mit Workshops, Konzerten und vielem mehr über die einfache Lesung hinausgeht, freundliches Personal, dass auf der gleichen Höhe wie die Nutzerinnen und Nutzer sitzt, Plätze mit viel Licht und Ruhe zum Arbeiten und Plätze mit gemütlichen Sitzgelegenheiten und Blick über die Stadt; Medienstationen für Musik, ein kleines Kino mitten im Bestand, Kunst in der Kunstabteilung, eine lockere und liberale Atmosphäre. Es gibt nichts auszusetzen.

Und dennoch: als wir am Ende unseres Rundgangs im Restaurant im Stockwerk über der Bibliothek (mit gesundem, nachhaltigen und im Vergleich zu den Preisen in der Altstadt durchschnittlichen Preisen; obwohl es von einer Kette betrieben wird) sassen, hatte ich das Gefühl, dass alles schon zu kennen. Dieses übermässige Weiss überall; diese Einbindung unterschiedlicher Medien; diese lockere Atmosphäre. Irgendetwas stimmte nicht. Ich denke es ist Folgendes: Nichts an dem, was zu sehen ist, war besonders grossartig, innovativ oder neu. Alles war okay, aber bei allem Respekt hatte ich überhaupt kein Neuigkeitsgefühl in dieser Bibliothek.

Wie gesagt: Ich finde sie gut. Soweit ich das mit einem Besuch (an einem etwas untypischen Tag) bewerten kann, ist es eine gut integrierte und gut funktionierende Bibliothek, die sich aktuell hält.

Musikabspielstation.
Musikabspielstation.
Kleines Kino für Bibliotheks-DVDs
Kleines Kino für Bibliotheks-DVDs
Radio direkt in der Bibliothek gemacht.
Radio direkt in der Bibliothek gemacht.
Das Restaurant auf dem Dach, mit direktem Zugang aus der Bibliothek.
Das Restaurant auf dem Dach, mit direktem Zugang aus der Bibliothek.

Weiterentwicklung

Genau das war, glaube ich, mein Problem mit dieser Bibliothek, beziehungsweise mit dem Bild von der Bibliothek im Vergleich mit ihrer Realität: Die Zentralbibliothek der Openbaren Biblioteek Amsterdam ist eine moderne Bibliothek, die sich an die aktuellen Möglichkeiten anpasst. Nicht weniger, aber auch nicht mehr.

Ein ähnliches Gefühl hatte ich, als ich letztens in Köln den Makerspace in der dortigen Stadtbibliothek besuchte. Ich kannte ihn vorher aus Texten (s. 295-297) und Vorträgen, in denen er als etwas erstaunlich Innovatives und Neues dargestellt (und mit der Q-thek im unteren Stock der Bibliothek verbunden) wurde. In der Realität ist der Raum erstaunlich klein, der 3D-Drucker ist vor allem am Samstag in Betrieb, die Workshops sind zahlreich, bewegen sich aber meist auf der Ebene “Einstieg in…” beziehungsweise “Einführung in…”. Gleichwohl funktioniert der Raum, die vorhandenen Geräte sind sinnvoll und beschriftet. Das Angebot passt in die Bibliothek. Vielleicht ist es das, was genau in diese Stadt passt.

Sowohl in Amsterdam als auch in Köln hatte ich den Eindruck (allerdings jeweils nur von kurzen Besuchen während Kurzurlauben), dass es sich um sinnvolle Weiterentwicklungen handelte. Wenn zum Beispiel Musik vor allem elektronisch vorhanden ist, ist es für einen Bibliothek nur sinnvoll, wenn es Abspielstationen wie in Amsterdam (oder der Q-thek in Köln) gibt. Das ist in den Medienformen angelegt. Wenn die Aufgaben der Bibliotheken breiter werden, ist es nur sinnvoll, dass es auch mehr und andere Workshops gibt, wie das in Amsterdam und Köln der Fall ist. Man kann sich wohl bei all diesen Angeboten streiten, welche Entwicklung genau sinnvoll ist, ob zum Beispiel (so würde ich das behaupten) bestimmte Angebote in bestimmten Städten oder Gemeinden funktionieren und in anderen nicht. Aber so oder so sind all diese Weiterentwicklungen genau das: Weiterentwicklungen von schon vorhandenen Angeboten. Manche Dinge kommen uns in Deutschland und der Schweiz vielleicht unerhört neu vor, zum Beispiel Radio in der Bibliothek, wie das in Amsterdam gemacht wird. Aber auch da scheint mir oft, dass unser Blick einfach zu sehr auf spezifisch deutsche oder schweizerische Traditionen eingeengt ist. Ich hatte kurz vorher “L’action culturelle en bibliothèque” von Bernard Huchet und Emmanuèle Payen (edit.) gelesen, das ein Standardwerk für kulturelle Veranstaltungen in französischen Bibliotheken ist und fand, dass das Radiostudio in Amsterdam gut als weiteres Beispiel in dieses Buch gepasst hätte.

Nicht Innovation

Warum das alles hier erzählen? Weil es (wieder einmal) zu dem Punkt führt, dass ich ein grosses Unbehagen mit dem Begriff “Innovation” und seiner Verwendung im Bibliothekswesen habe. Die Bibliothek in Amsterdam und der Makerspace in Köln wurden in der deutschsprachigen bibliothekarischen Literatur beide als neu und innovativ vorgestellt. In der Realität scheinen sie aber vor allem sinnvoll auf neue Anforderungen und Möglichkeiten zu reagieren, immer im Rahmen ihrer lokalen Gegebenheiten. Mir ist nicht klar, warum man das nicht auch einfach so darstellen und begreifen kann. Ist es etwa etwas Schlechtes, sich “einfach” weiterzuentwickeln?

Der Begriff Innovation impliziert eine bis dato nicht bekannte Veränderung, hin in Richtung Zukunftsfähigkeit und ‒ in der Wirtschaft ‒ auch einem grösseren Gewinn. Er impliziert, dass Einrichtungen in einer Konkurrenz stehen und das eine Einrichtung mit Innovationen einen Vorteil gegenüber den anderen Einrichtungen erlangen kann. Aber: Darum geht es im Bibliothekswesen doch überhaupt nicht. Die Openbare Biblioteek Amsterdam hat mit ihrem neuen Gebäude keinen Vorteil gegenüber der Biblioteek Rotterdam. Sie hat auch keinen Vorteil gegenüber den Buchläden oder Restaurants in Amsterdam. Ebenso hat die Stadtbibliothek Köln mit dem Makerspace keinen Vorteil gegenüber den Stadtbüchereien Düsseldorf oder der Stadtbibliothek Bonn. Niemand nimmt sich etwas weg oder gewinnt etwas an Vorsprung gegenüber den anderen Bibliotheken.

Versteht man die Weiterentwicklung als Normalität, dann würden solche Beispiele wie Amsterdam oder Köln auch die Möglichkeit bieten, gemeinsam als Bibliothekssystem über die normalen Weiterentwicklungen zu diskutieren. Solche Weiterentwicklungen sind notwendig, aber selten so aufregend neu und unvorhergesehen, wie gerne behauptet wird. Beispielsweise die hellen, weissen Bibliotheksräume, die in fast allen neugebauten Bibliotheken der letzten Jahre zu sehen sind: die sind weder überraschend neu, noch anders als zum Beispiel Buchhandlungen und Einkaufzentren, noch sind sie falsch. Sie sind auch nicht aufregend. Aber sie sind passend für den Habitus einen modernen, offenen Bibliothek. Passend, sinnvoll ‒ nicht weniger, nicht mehr.

Wenn man davon ausgeht, dass Bibliotheken immer dann, wenn sie die Möglichkeit dazu haben, neu zu bauen oder grundsätzlich etwas zu verändern beziehungsweise zu erneuern, auch versuchen, jeweils zeitgenössisch gute und sinnvolle Lösungen zu finden, dann wird der Diskurs auch anders. Ohne die Konkurrenzsituation, die über den Begriff “Innovation” hergestellt wird, lässt sich viel besser gemeinsam diskutieren, was notwendige Weiterentwicklungen sind. Ein Beispiel: Jetzt hat die Stadtbibliothek Köln einen Makerspace und ist damit innovativ. Wenn jetzt eine andere Bibliothek einen Makerspace baut, ist das dann altbacken, falsch, unmodern? Selbstverständlich nicht. Ein Makerspace kann auch in anderen Städten angebracht sein, aber es lässt sich nicht so einfach verbreiten. Innovation kann per Definition nur einmal vorkommen. Sicherlich kann man tricksen, denn Innovation ist immer innovativ im Bezug auf ein System. Demnächst wird einen schweizerische Bibliothek einen Makerspace eröffnen, damit ist sie dann die erste in der Schweiz und für das schweizerische Bibliothekssystem innovativ. Aber danach? Darf das dann niemand mehr in der Schweiz? Oder schlimmer: Wenn einen weitere Bibliothek einen Makerspace einrichtet, verlieren dann Köln und “die erste schweizerische Bibliothek mit Makerspace” irgendetwas? Sicherlich nicht.

Das ist der Punkt, der mir in Amsterdam, am Ende, auf dem Dach der Bibliothek, wieder einmal aufstiess: Wenn in den deutschsprachigen Bibliotheken nicht der Diskurs von Innovation (und Krise, die durch Innovation zu lösen sei) vorherschen würde, könnten sich (a) die Diskussionen um die Entwicklungen von Bibliotheken beruhigen und weniger aufgeregt, dafür mehr gemeinsam geführt werden, (b) würde es weniger grosser Versprechen benötigen, um Neuerungen und Weiterentwicklungen vorzustellen und durchzusetzen (weniger Bling-Bling und mehr Realness, um die Metapher aus dem Hip-Hop aufzugreifen). Gleichzeitig würden sich (c) Debatten um Veränderungen in den einzelnen Bibliotheken wohl einfacher führen lassen. Genügend oft führen Veränderungsprozesse in Bibliotheken zu internen Konflikten, die auch damit zu tun haben, dass die Veränderungen als alles verändernde und umwerfende Innovation verkauft werden, teilweise um der Innovation willen. Das ist nicht notwendig, wenn man gemeinsam über normale Weiterentwicklungen diskutieren und andere Bibliotheken als Beispiele, die man nicht unbedingt übertreffen muss, sondern von denen man lernen darf, nutzen kann. Zudem: (d) Wenn man akzeptiert, dass Bibliotheken sich per se entwickeln, wird auch der Dikursort für tatsächlich radikale Änderungen, also Innovationen, wieder frei, weil die dann sinnvoll von anderen Veränderungen abgegrenzt werden können.

Gleichzeitig hatte ich da auf dem Dach in Amsterdam, aber auch beim Rundgang durch die Bibliothek, nicht das Gefühl, dass die Nutzerinnen und Nutzer irgendein Interesse daran hatte, ob ihre Bibliothek jetzt innovativ war oder nicht. Sie schienen einen Bibliothek zu wollen, die für sie funktioniert, in ihrem Alltag und in ihrer Stadt. Wie die sein soll, wissen die wohl auch nicht. (Sichtbar war aber, dass Bereiche, die als “überraschend” konzipiert waren, zum Beispiel mit von der Decke hängenden Sitzgelegenheiten, kaum genutzt wurden, während die “klassischen” Arbeitsplätze gut belegt waren.) Jetzt, nicht in Zukunft. Nicht mehr, nicht weniger.

Hypes in Bibliotheken folgen immer wieder den gleichen Diskursfiguren. Oder?

Makerspaces sind gerade eines der heissen Themen in den deutschsprachigen Bibliothekswesen. (Nötzelmann 2013) So, als wären sie vorgestern erst erfunden und gestern erst wirklich hier angekommen, sind sie Thema in unterschiedlichen Zeitschriften und auf dem Bibliothekstag. (Zukunftswerkstatt 2014) Well, maybe so. Oder anders: Gegen Makerspaces in Bibliotheken ist an sich nicht viel zu sagen. Es gibt einiges, was vielleicht nochmal besprochen werden sollte, insbesondere – wie aber auch bei jedem bibliothekarischen Angebot – wer vielleicht damit ausgeschlossen wird. Doch lassen wir das einmal beiseite.

Jeder Hype verdeckt auch etwas

Jeder Hype im Bibliothekswesen – und vorläufig sind das Makerspaces im DACh-Raum noch, die Stadtbibliothek Köln mit ihrem Space und die Planungen in anderen Städten alleine macht noch keinen Paradigmenwechsel für die Bibliothekswesen aus – zeigt in den Texten dazu auch, welche Diskurse im Bibliothekswesen eigentlich bedient werden und welche nicht. Schaut man genauer, sieht man, was in diesen Diskussionen übergangen wird – nicht unbedingt übergangen aus Bösartigkeit oder weil etwas verschwiegen werden sollte, sondern eher aus strukturellen Gründen. Auch das Bibliothekswesen ist getrieben vom Drang, immer wieder etwas Neues, Innovatives, vielleicht sogar die Bibliotheken Rettendes zu finden. Das führt oft dazu, dass Sinnhaftigkeit eher hintenangestellt und Innovativität als Wert für sich alleine gilt. Es führt auch dazu, dass offensiv vorgetragenen Visionen und Behauptungen eher geglaubt wird, insbesondere wenn es um „die Zukunft der Bibliothek“ geht.

Diese Diskurse sind nicht einfach so zu überwinden, sie haben ihre Begründungen unter anderem in den ständigen Krisendiskussionen über Bibliotheken und der Projektorientierung der Finanzierung von Zusatzangeboten. Aber ein wenig einhalten, sich die Debattenbeiträge auch als Diskurspositionen anschauen, weiterrecherchieren und etwas kritische Fragen stellen, führt doch oft dazu, die übertriebenen Behauptungen zu identifizieren, anstatt sie einfach zu wiederholen und damit vielleicht an der Realität vorbeizureden. Ein solches Vorgehen kann blinde Flecken in bibliothekarischen Debatten – die es sehr wohl gibt – zumindest aufzuzeigen, wenn auch nicht sofort füllen. Und es kann dazu führen, die tatsächlichen Potentiale – die sich sonst oft erst ergeben, wenn man solche Zukunftsvisionen umsetzt und merkt, dass sich die Realität nicht so einstellt, wie gedacht – früher zu identifizieren. Das gilt nicht nur für Makerspaces, das gilt auch für Diskurse über Forschungsdatenmanagement oder solchen vergangenen Hypes wie Virtuellen Fachbibliotheken oder Virtuellen Forschungsumgebungen. Makerspaces sind nur ein Beispiel, dass ich in diesem Beitrag herausgreife – ein Beispiel, dass ich als Idee tatsächlich nicht so falsch finde.

Ich will kurz anhand eines aktuellen Textes zu Makerspaces (Meinhardt 2014) aufzeigen, was ich mit den obigen Aussagen meine. Dabei geht es mir gar nicht darum, den Text schlecht zu machen oder gar der Autorin Fehler nachzuweisen. Mitnichten, es ist ein für die deutschsprachigen Bibliothekswesen überdurchschnittlich umfangreicher und recherchierter Text. Das, was ich an ihm aufzeigen möchte, scheint mir eher ein strukturelles Problem zu sein.

Ist das neu? Kommt es aus den USA?

Das Zeitalter des kreativen Endnutzers (Meinhardt 2014) ist einer der Texte, die Makerspaces als Innovation in den deutschsprachigen Bibliothekswesen einführen möchte. Der Anleser des Textes behauptet, dass es eine „Makerspace-Bewegung [gäbe, KS.], die nun auch die deutschen Bibliotheken erreicht hat“ (Meinhard 2014, 479) sowie, dass „[i]n den letzten zwei bis drei Jahren […] es vor allem die US-amerikanischen Bibliotheken [waren], […] die das Potenzial dieser Bewegung für Bibliotheken konzeptionell und experimentell in den Blick genommen haben.“ (Meinhard 2014, 479). Klingt gut, ist aber so nicht richtig. Oder sagen wir einmal: die Fakten sind nicht so eindeutig.

Ob es wirklich eine Makerspace-Bewegung gibt, ist bestimmt eine Frage der Definition. Ja, es gibt eine Anzahl von Akteurinnen und Akteuren, die in den letzten Jahren die Idee von Makerspaces pushen, es gibt eine Anzahl von Berichten – nicht nur aus Bibliotheken, das eher weniger – zu Makerspaces, seit 2005 erscheint mit „Make“ eine Zeitschrift und eine Anzahl von Büchern zum Thema gibt es auch. (Anonym 2012) Ist das schon eine Bewegung? Oder sind es nicht am Ende doch vor allem ein paar Begeisterte? Wie das messen und vor allem, welche Bedeutung hat es? Dies ist nicht irrelevant. Bibliotheken haben offenbar – seit wann, scheint mir nicht so richtig klar – ständig die Vermutung, ins technologische und gesellschaftliche Hintertreffen zu geraten und berichten sich deshalb ständig gegenseitig von Bewegungen und Entwicklungen, die jetzt aufgegriffen werden müssten – ansonsten würde die Bibliothek untergehen.

Das ist keine neue Diskursfigur. Als ich am Call for Papers für die LIBREAS-Ausgabe #24 mit dem Schwerpunktthema Zukunft mitgearbeitet habe, lass ich eine ganze Reihe alter Texte, die in den 1960er, 1920er und so weiter die Zukunft der Bibliothek besprachen und ähnlich argumentierten. Irgendetwas prägt die Gesellschaft gerade und muss aufgegriffen werden, ansonsten würde die Bibliothek irrelevant. So sehr ich Makerspaces als Ort mag, so sehr habe ich doch meine Zweifel, wenn wieder einmal ein Thema vor allem als angeblich vorhandene gesellschaftliche Bewegung vorgestellt wird. Und zwar aus zwei Gründen: Erstens frage ich mich sehr schnell, ob das überhaupt stimmt, ob es wirklich ein Trend ist, der anhält oder nicht doch ein Traum, der vor allem vom O’Reilly-Verlag getragen wird. Zweitens aber ist mir selten klar, was nun daraus folgt, dass es eine solche Bewegung gäbe. Heisst das, es wäre notwendig, die ganz Bewegung aufzusaugen und in die Bibliothek zu integrieren? Heisst das, zu verstehen, warum es die Bewegung gibt und auf die Gründe dafür zu reagieren? Heisst es, sich kritisch mit den Zielen der Bewegung auseinandersetzen? Meist wird über diese Frage hinweg gegangen, auch in dem Text von Meinhardt. Es wird nicht gefragt, warum es Makerspaces gibt, auf was da eigentlich gesellschaftlich wie reagiert wird, sondern es gibt sie einfach: Sie haben sich entwickelt, genauso wie sich die Technolgie entwickelt hat, also sei auf sie zu reagieren. Haben sich die Ansprüche der Menschen an die Welt verändert? Gibt es immer mehr Menschen, die etwas basteln und verstehen wollen? Wird die Freizeit mehr mit „selber-machen“ verbracht als früher und wenn ja, warum? Ist es ein Einfluss der Arbeitswelt, die ja auch immer mehr projektorientiert und an verschiedenen Orten stattfindet? Das interessiert die Texte zu Makerspaces offenbar nicht, obgleich die Fragen für die zukünftige Bibliotheksarbeit interessanter sein könnte, als die Frage, wie lange es noch braucht, bis 3D-Drucker so billig sind, dass sie in den Haushalten stehen.

Die zweite Diskursfigur, die im Anleser und dann im Text beständig wiederholt wird, ist die Behauptung, Makerspaces (vor allem in Bibliotheken) seien etwas US-amerikanisches. Das stimmt nicht, aber es ist eine Diskursfigur, die ebenso schon lange in den deutschsprachigen Bibliothekswesen – meiner Meinung nach vor allem dem deutschen, etwas wenig dem schweizerisch-liechtensteinischen und österreichischen – zu finden ist: es kommt aus den USA, also wird es sinnvoll sein. Nicht, dass aus den USA nicht auch immer wieder sinnvolle Anstösse kommen. Mein Problem ist gar nicht die USA, mein Problem ist, dass so sehr verengt wird. Es mir auch nicht klar, was Meinhardt (2014) bei ihrem Thema überhaupt mit dieser Verengung erreichen will. An der vorhandenen Literatur kann es nicht liegen. Sucht man in LISA und LISTRA, merkt man sehr schnell, dass Makerspaces in Libraries zuerst australische und kanadische Themen waren, bevor sie in den USA (zumindest in den Literatur) relevant wurden. Das von mir schon einmal besprochene Beispiel von Bilandzic (2013) in Brisbane, Queensland ist weit älter und meiner Wahrnehmung inhaltlich auch durchdachter, als das, was sich in der US-amerikanischen Literatur findet.

Während die australische und kanadische Literatur zumeist auf gesellschaftliche und pädagogische Aspekte der Makerspaces eingeht, scheinen mir die US-amerikanischen Texte fast durchgängige durch die absonderlich fatalistische Silicon-Valley-Technology-wird-uns-alle-retten-Vorstellung geprägt zu sein. Das ist ein bestimmt ein Teil der Faszination, die Makerspaces gerade in der bibliothekarischen Literatur auslösen, aber doch nicht alles. Von Bilandzic (2013) können wir zum Beispiel viel mehr über die sozialen Funktionsweisen des Lernens oder Nicht-Lernens in Makerspaces lernen.

Meinhardt (2014) entschied sich in Ihrem Text aber dazu, diese Quellen – die, wie gesagt, nicht irgendwelche obskuren Quellen darstellen, die ich heranziehe, um als Hipster das alte „I knew it before it was cool“-Spiel zu spielen, sondern durch einfache Datenbankrecherchen in „unseren“ Fachdatenbanken zu finden – gerade nicht zu nutzen, sondern den gesamten Text über zu behaupten, Makerspaces seien etwas typisch US-amerikanisches. President Obama wird zitiert (Meinhardt 2014, 481), am Ende des Textes wird gefragt, ob Makerspaces „mit dem typisch amerikanischen Pragmatismus oder gar Opportunismus zu erklären [seien]“ (Meinhardt 2014, 484. was auch immer mit dem „Opportunismus“ gemeint ist), was eine unsinnige Frage ist, wenn man bedenkt, dass es solche Makerspaces in Bibliotheken in Kanada (wohl oft etwas sozialdemokratischer als die USA) und Australien (wohl oft etwas distinguierter und relaxter) zu finden sind. Meinhardt (2014) scheint weniger wirklich dahinter kommen zu wollen, was aus den Makerspaces für Bibliotheken oder die Gesellschaft zu lernen ist, und viel mehr es als Thema aus den USA darzustellen und damit schmackhaft machen zu wollen.

Ich denke nicht, dass das eine falsche Absicht der Autorin darstellt. Vielmehr ist es typisch für die Diskurse in den deutschsprachigen Bibliothekswesen. Erstens wird sich auf einige wenige Länder konzentriert, aus der fast alle „internationalen“ Beispiele zitiert werden (das sind wohl die USA, die skandinavischen Länder, Grossbritannien und in der Schweiz auch Deutschland – während die Schweiz in deutschen Diskussionen kaum vorkommt) und zweitens wird oft der Nachweis, dass es eine Anzahl von Beispielen in Bibliotheken aus dem USA oder Dänemark und Schweden gibt, schon zur Bewegung erklärt, obgleich nicht klar ist, ob nicht ein grosser Teil der Beispiele zum Beispiel einfach nur in Grossstädten funktioniert – oder, wie bei Staffless Libraries, nur in kleinen, sozial gesicherten, ländlichen Gemeinden.

Es ist beim Beispiel Makerspaces nur offensichtlicher, da die Kolleginnen und Kollegen aus den beiden anderen genannten Staaten, auf die man bei der Recherche immer wieder stösst, ebenso hauptsächlich in Englisch publizieren. An der Sprache kann es also nicht liegen. Ebenso gehören sie dem Globalen Norden an, insoweit kann das Argument auch nicht gelten, dass die gesellschaftlichen Umstände so anders wären, dass sich aus ihnen nichts lernen lässt. Australien unterscheidet sich vom DACh-Raum nicht mehr oder weniger als die USA. Wieso also werden sie nicht einbezogen? Sind sie zu unhip? (Ich hoffe nicht. Noch immer finde ich Melbourne eine der interessantesten Städte.)

Mir erscheint das als erstaunliche Struktur: Wir können als Bibliothekswesen auf die Erfahrungen aus Dutzenden Ländern zurückgreifen, aber der Blick scheint verengt, auch wenn das von der Literatur her gar nicht notwendig wäre. Selbstverständlich gibt es darüber hinaus noch das Phänomen, dass Staaten, in denen zum Beispiel in Spanisch oder Französisch publiziert wird, kaum in der deutschsprachigen bibliothekarischen Literatur vorkommen, so als könnte man nicht nur aus kanadischen Bibliotheken nichts lernen, sondern auch aus nicht spanischen, französischen oder chilenischen.

Technologische Entwicklung, sonst nichts?

Ein weiterer Diskurs, dem Meinhardt (2014) in ihrer Darstellung folgt und der mir bezeichnend für die Literatur in den deutschsprachigen Bibliothekswesen erscheint, ist der der technologischen Entwicklung. Der Text selber geht weniger darauf ein, wieso es überhaupt Makerspaces gibt oder geben sollte, sondern erzählt eine fast stringente Geschichte, die so aus den Texten über Makerspaces entnommen ist. Makerspaces seinen bessere Hackerspaces. Diese seine in Deutschland erfunden worden, insbesondere in der C-Base (Meinhardt 2014, 479). Was das mit den heutigen Makerspaces zu tun hat, ob also die europäische Hakerkultur, die in den 1990er Jahren in Deutschland zu Vereinen mit eigenen Räumen geführt hat ihre Spuren hinterlassen hat, ob das überhaupt gut ist, ob die ganzes Spaces etwas deutsches haben oder etwas vereinsmeierisches – es wird einfach nicht gefragt. Auch das scheint mir bedeutsam. Viele bibliothekarische Texte machen solche Verweise auf angebliche oder tatsächliche Vorläufer ihres jeweiligen Themas, ohne daraus etwas zu schliessen oder zu lernen. Wozu? Warum erwähnt zum Beispiel Meinhardt (2014, 479) die C-Base als angeblichen Vorläufer von Makerspaces – obwohl die C-Base heute weit mehr ist als nur Hakerspace – kommt aber noch nicht einmal im Fazit auf diese vorgebliche Tradition zurück? Mir scheint das immer wieder eine diskursive Strategie zu sein, mit der man sich der Relevanz des eigenen Themas durch Historisierung versichern will, so als wäre man sich nicht sicher, ob das eigene Thema wichtig wäre (Ungefähr so: Bibliothek gab es schon in der Antike, schon 17xx wurden medizinisch Bibliotheken erwähnt, schon 18xx nannte irgendein Autor die Bibliotheken wichtig für das literarische Schreiben…deshalb…). Ich frage mich bei diesem Text, aber auch bei anderen Texten, die eine solche Strategie verfolgen, was ein Thema wert sein kann, wenn es nicht von alleine trägt.

Aber zurück zu der Erzählung im speziellen Text. Folgt man Meinhardt (2014), gab es erst Hakerspaces, dann wurden 3D-Drucker entwickelt (ohne das klar wird, warum sie entwickelt wurden), dann wurde das zusammengeführt, dann wurde es von Bibliotheken aufgegriffen. Warum gerade von Bibliotheken? Hat sich nicht auch viel mehr anderes verändert (nur als Hinweise: Die Virtualisierung bestimmter Segmente des Arbeitsmarktes)?

Meinhardt (2014, 480) behauptet: „Bibliotheken sind ganz ohne Frage seit geraumer Zeit auf der Suche nach ihrer Rolle und Funktion in der Welt, […]“ (Meinhardt 2014, 480), aber das ist keine wirkliche Argumentation, da sich diese Aussage von den sich-selbst-suchenden Bibliotheken seit Jahrzehnten findet und gleichzeitig nicht nur für Bibliotheken, sondern fast alle kulturellen und pädagogischen Einrichtungen sich ähnliches zuschreiben: Museen, Soziale Arbeit, Jugendclubs, Verbände, freiwillige Feuerwehren und so weiter. Meinhardt (2014) baut das Argument noch aus und behauptet einen Zusammenhang von Open Access beziehungsweise dem Zur-Verfügung-Stellen-von-Informationen und dem Versuch von Bibliotheken, sich als Bildungseinrichtungen zu positionieren. Aber auch das trägt nicht: Fast alle Einrichtungen – ausser vielleicht die Soziale Arbeit und Teile der freien Kunstszene –, die nicht schon Bildungseinrichtungen sind, wollten in den letzten Jahren Bildungseinrichtung sein. Das ist kein spezifisches Bibliotheksthema. Dass Bibliotheken Informationen zu Verfügung stellen, ist richtig. Aber hat das einen direkten Bezug zu Makerspaces? Das scheint doch etwas konstruiert. Wenn, dann würde zum Beispiel Jugendclubs doch auch gute Anwärter für Makerspaces sein: die stellen nicht unbedingt Informationen bereit, aber dafür Räume, offene Jugendarbeit und eine Tradition von Arbeiten in kleinen Projekten, die Jugendliche ermächtigen sollen. Und trotzdem erscheint es bei Meinhardt (2014), als würden Makerspaces direkt darauf hin konstruiert sein, in Bibliotheken angesiedelt zu werden, während Jugednclubs gar nicht erwähnt werden. Das ist doch erstaunlich, beziehungsweise wieder eine Diskursfigur, die sich zu wiederholen scheint.

Die Hypes in Bibliotheken werden gerne als quais-natürliche Entwicklungen dargestellt, die genau auf Bibliotheken ausgerichtet sind – fast wie ein Wunder. Dabei stimmt das natürlich nicht. Zum Beispiel wird die Hinwendung der Wissenschaft zu Open Access oft als eine gesellschaftliche Entwicklung dargestellt, die halt stattfindet, weil es technisch möglich ist. Aber das stimmt nicht: Technikentwicklung ist genauso wie Wissenschaftsentwicklung immer das (komplexe) Ergebnisse von unterschiedlichen Entscheidungen und Handlungen. Und Open Access hat nur etwas mit Bibliotheken zu tun, weil Bibliotheken sich zum Teil darauf stürzen. Genauso ist dies mit Makerspaces. Makerspaces sind meiner Meinung nach auch ein Antwort auf Anforderungen der Gesellschaft nach Orten ausserhalb vom Lern- und Verwertungsdruck, sind auch ein Ergebnis der Entscheidung, Technik in bestimmter Weise zu nutzen – nämlich weniger rationell, als es Ingenieurinnen und Ingenieure gerne hätten, sondern viel mehr für Spass und Unterhaltung –, sind auch ein Ergebnis des ständigen Denkens in Projekten, egal ob auf Arbeit oder bei der Lebensplanung und sie sind auch ein Ergebnis des Scheiterns anderer Versuche, Technik zugänglich zu machen. (Auch hier wäre ein Blick in Bilandzic (2013) angebracht, der beschreibt, wie sich der sehr wohl vorhandene Hakerspace in Brisbane zu dem Makerspace in der State Library verhält.)

Meinhardt (2013, 483) führt immerhin, wenn auch eher nebenher ein weiteres Thema an: Die Vernetzung zwischen Bibliotheken und Community, die mit dem Makerspace etabliert werden kann. Sie übergeht die Relevanz dieser Aussage, weil sie sich viel mehr mit technischen und organisatorischen Fragen aufhält, aber immerhin zeigt sie, dass der Makerspace auch ein soziale Komponente hat. Einbindung in eine Community verändert auch die Position der Bibliothek. Oder? Was macht sie denn bislang? Reagiert sie damit auf ein veraltetes Modell von Bibliothek; einer Bibliothek, die mit der Community nichts zu tun hat? Oder nicht? Mit welcher Community eigentlich? Es wäre eine interessante Frage, die sich eigentlich bei jedem Hype stellen lässt (Z.B.: war die Wissenschaftliche Bibliothek „vor“ dem Open Access nicht auf die Forschenden und deren Interessen ausgerichtet?). Das wird immer wieder gerne übergangen, wenn Bibliotheken bei dem jeweiligen Hype prophezeien, dass er direkt die jeweilige Zielgruppe ansprechen würde, es anschliessend aber, wenn aus dem Hype Projekte und Strukturen entstehen, nur zum Teil oder gar nicht tut.

Diskursstrategien

Wie gesagt: Der Text von Meinhardt (2014) scheint mir kein schlechter Text zu sein. Ich wollte ihn nicht als falsch vorführen, sondern nur als Beispiel, wie in den deutschsprachigen Bibliothekswesen sich immer wieder Diskursstrategien wiederfinden, die mich einerseits jedes Mal irritieren (schon im Sinne von: Ich reisse die Arme in die Luft und sage laut: „Wat? Wieso? Wat?“), die andererseits aber auch die Aussagekraft dieser Texte einschränken. Wer zum Beispiel einen Hype vor allem auf eine angeblich ohne grossen gesellschaftlichen Einfluss auskommende Technologieentwicklung zurückführt, kann gar nicht danach fragen, wie die Gesellschaft sich verändert, dass eine solche Technologie gerade zum jeweiligen Zeitpunkt aufkommt. Wer ständig Dinge erst wahrnimmt, wenn sie in den USA oder Skandinavien „angekommen sind“, kann Erfahrungen aus anderen Staaten kaum nutzen.

Nur zur Zusammenfassung noch einmal die Diskursstrategien, von denen ich sprach in einer Liste. Ich glaube, würde man über diese hinausgehen, könnten die Debatten in den deutschsprachigen Bibliothekswesen inhaltlicher werden und von der Suche nach dem nächsten Hype als alleinigen Grund für Texte über die zukünftige Entwicklung von Bibliotheken zumindest ein wenig Abstand genommen werden.

  • Innovation gilt oft als eigenständiger Wert, der nicht per se mit Sinnhaftigkeit zusammenfallen muss. Dabei ist das, was innovativ ist, noch nicht schlecht oder gut, genauso wie das, was nicht mehr innovativ ist, gleich schlecht oder gut ist. Manchmal ist es das sinnvollste, was zu machen ist.
  • Dinge, die man gut findet, werden schnell zu einer Bewegung oder einem anhaltenden Trend erklärt, ohne zu zeigen, ob das überhaupt stimmt. Dabei ist das unnötig. Wenn zum Beispiel eine Idee gut ist, bliebt sie auch gut, wenn bislang nur eine Bibliothek im hintersten Utah sie umgesetzt hat und nicht dreiundzwanzig in New York und St. Louis. Dann muss man aber der Idee mehr vertrauen und mehr für sie argumentieren – und setzt sich damit auch Gegenargumenten aus, was aber eigentlich zu einer abgesicherteren Meinung führen sollte – als wenn man sie vor allem als das präsentiert, was eh kommen wird.
  • Die USA, zum Teil Skandinavien und Grossbritannien, werden als der Ort dargestellt, an dem jede neue Entwicklung stattfindet. Dabei werden andere Länder „übersehen“ oder gar nicht erst wahrgenommen, gleichzeitig wird gar nicht so sehr auf die Frage eingegangen, worauf bestimmte Bibliotheken in den USA mit bestimmten Angeboten reagieren. Gerade die USA wird alleinstehend als Qualitätsmerkmal genutzt. Aber genauso wie nicht alle Musik aus den USA gut ist, sondern nur viel mehr der Musik aus den USA besser ist als die aus Deutschland oder der Schweiz, und genauso wie aus Jamaika oder Australien auch gute Musik kommt, ist das Land, aus dem etwas stammt, noch lange kein Qualitätssiegel. Zudem gibt es keine Garantie, dass das, was in den USA oder Skandinavien klappt, in den deutschsprachigen Bibliothekswesen sinnvoll wäre. Sinnvoll ist, was im lokalen Rahmen sinnvoll ist. Um das bestimmen zu können, muss man aber auch über den lokalen Rahmen diskutieren.
  • Trends werden gerne mit vorgeblichen oder tatsächlichen historischen Vorläufern in Verbindung gebracht, ohne das diese Verbindung irgendeine Bedeutung für die jeweilige Aussage / Idee hat. Das ist inhaltlich oft unnötig.
  • Trends werden oft als Folge unabänderlicher Entwicklungen ausserhalb der Bibliothek dargestellt (die Technologie hat sich halt so entwickelt, die Wissenschaft entwickelt sich halt so, die Lesevorlieben der Jugendlichen entwickeln sich halt so), was davon enthebt, die oft gesellschaftlichen und politischen Hintergründe dieser Entwicklungen zu ignorieren und auch die Möglichkeiten der Bibliothek als reine Reaktionen auf Vorgaben von aussen erscheinen zu lassen. So, als ob die Bibliotheken nur getrieben werden, während sie in Wirklichkeit Entscheidungen treffen, über die man diskutieren könnte.

Literatur

Anonym (2012). Makerspace Playbook. http://makerspace.com/wp-content/uploads/2012/04/makerspaceplaybook-201204.pdf

Bilandzic, Mark (2013). Connected learning in the library as a product of hacking, making, social diversity and messiness. In: Interactive Learning Environments (In Press), http://eprints.qut.edu.au/61355/

Meinhardt, Haike (2014). Das Zeitalter des kreativen Endnutzers : Die LernLab-, Creatorspace- und Makerspace-Bewegung und die Bibliotheken. In: BuB 66 (2014) 6, 479-485

Nötzelmann, Cordula (2013). Makerspaces – eine Bewegung erreicht Bibliotheken. In: Bibliotheksdienst 47 (2013) 11, 873-876

Eigenständiges Lernen im Makerspace einer Bibliothek. Ein australisches Beispiel

Bibliotheken müssen im Bezug auf eigenständige Bildungsaktivitäten (also solchen, die nicht im Zusammenhang mit Schule / Ausbildung / Hochschule stattfinden) mit einem Paradox umgehen: Sie würden gerne einer der Orte sein, die solche Bildungsaktivitäten unterstützen – wofür sie in gewisser Weise auch sinnvoll sind –, aber gleichzeitig ist es schwierig, aufgrund der Freiwilligkeit, mit der diese Aktivitäten durch die potentiellen Lernenden durchgeführt wird, mehr zu tun, als Angebote an Räumen und Medien zu machen. (Wobei das nicht unterschätzt werden sollte.) Man kann niemand dazu nötigen, eine solche Bildungsaktivität durchzuführen; gleichzeitig ist bekannt, dass die Motivation bei solchen Bildungsaktivitäten viel höher ist, als bei angeleiteten, also zum Beispiel Schulprojekten. Mark Bilandzic, der offenbar die bestimmt gute Entscheidung getroffen hat, aus Deutschland nach Australien auszuwandern, um dort an einem PhD zu arbeiten, berichtet in einem Artikel über eine Aktivität der State Library of Queensland (Brisane), welche dieses Paradox relativ erfolgreich angeht. Gleichzeitig scheint mir dieser Text eine der intensivsten publizierten Auseinandersetzungen mit diesem Paradox darzustellen. [Bilandzic, Mark (2013) / Connected learning in the library as a product of hacking, making, social diversity and messiness. In: Interactive Learning Environments (In Press), http://eprints.qut.edu.au/61355/]

Bilandzic betont im theoretischen teil seiner Arbeit, dass Bibliotheken und ähnliche Einrichtungen zwar Räume für soziales Lernen zur Verfügung stellen können und ohne solche Räume soziales Lernen auch nicht stattfinden kann, aber das solche Räume nicht automatisch zu sozialem Lernen führen. Er beschäftigt sich mit der Frage, wie Bibliotheken quasi den Sprung vom reinen Angebot des Raumes zum Anstossen direkter Lernprozesse gehen können.

In der State Library of Queensland findet sich – wie in zunehmend mehr Bibliotheken im englischsprachigen Raum – eine „The Edge“ genannte Einrichtung, welche als Learning Commons funktioniert. Learning Commons sind Räume, die Lern- und Arbeitsgeräte zur freien Verfügung stellen und zudem einen Raum schaffen, in denen unterschiedliche Lernprozesse möglich sind. The Edge ermöglicht es zum Beispiel, Computer und Arbeitsräume zu mieten, bietet täglich, ausser Montags, Workshops sowie drei thematische Labs (screen and sound, mobile and physical, record and mix) zur Benutzung an. Allerdings, so Bilandzic, motiviert dieser Raum nicht, wie vielleicht zu erwarten wäre, gemeinsames Lernen.

„[…] outside of such workshops, i.e. when The Edge simply functions as a free space with infrastructure for people to work, study and engage in self-driven activities around digital culture, most people work next to each other in isolation, rather than with each other. When collaborative activities were observed, then mostly among people who have known each other prior to coming to The Edge. The conceived vision of The Edge’s designers as a space for serendipitous encounters and collaborative, incidental learning did not translate into user activities during their everyday visits.” (Bilandzic 2013, p. 5)

Der Autor versuchte erfolgreich, dieses Nebeneinander-her-arbeitens mit einer Gruppe namens „Hack The Edge“ zu überwinden. Diese, immer noch wöchentlich angebotene Gruppe („Weekly on Thursday, forever“), hat das Ziel, unterschiedliche Personen zusammen dazu zu bringen, voneinander zu lernen. In der kostenlosen Gruppe treffen sich Menschen, die mit unterschiedlichen Hintergründen (technisch, kreativ etc.) an offenbar eher technischen Projekten arbeiten wollen – Basteln mit Hard- und Software wäre vielleicht der richtige Ausdruck dafür. In der ersten Sitzung dieser Gruppe versuchte Bilandzic mit einer halbstündigen Einführung in einen Open Source Hard- und Software-Satz das „Hacking“ zu motivieren. Allerdings wollten die Anwesenden offenbar lieber selber an Projekten arbeiten. Die Mitglieder der losen Gruppe formten schnell eine eigene Agenda mit gemeinsamen Projekten aus, treffen sich in The Edge auch vor den offiziellen Treffzeiten und nutzen den Raum in wechselnden Projekten. Die Gruppe hat einige ständige und viele wechselnde Mitglieder.

Bilandzic, welcher die Gruppe praktisch organisiert, führte nach der ersten Sitzung und zu einem späteren Zeitpunkt als Follow-Up Fokusgruppen-Interviews durch. Zudem ergänzte er sie mit weiterführenden Interviews mit Beteiligten an der Gruppe. Als Ergebnis dieser Untersuchungen berichtet er folgendes:

  • Die Beteiligten an der Gruppe kommen mit sehr unterschiedlichen Kompetenzen. Es gibt zum Beispiel einige Mitglieder des lokalen Hackerspaces, welche die Diversität der Gruppe im Gegensatz zum Hackerspace herausstellen. Ihrer Meinung nach sind die Personen bei Hack The Edge weit kreativer, die im Hackerspace technisch kompetenter.
  • Ebenso kommen die Personen mit unterschiedlichen sozialen Hintergründen. Bilandzic führt zum Beispiel an, dass Teile der Gruppe nach der Schliessung der Bibliothek (um 20:00) in eine Snackbar weiterzieht. Ein Teil der Gruppe kann diese Treffen aus finanziellen Gründen nie folgen. Insoweit finden sich Menschen in Armut und Menschen in sichereren finanziellen Lagen in der Gruppe wieder. Zudem betont er, dass in The Edge auch Frauen und Kinder kämen, die in sonstigen, ähnlichen Settings eher nicht anzutreffen wären.
  • Die Beteiligten an der Gruppe engagieren sich nach jeweils eigenen Agenden, die unter ihnen ausgehandelt (und immer wieder verändert) werden. Zudem lernen sie direkt in einem sozialen Zusammenhang. Der Autor stellt dies eher vorgegebenen Agenden gegenüber, bei denen eher weniger selbstbestimmtes Lernen stattfindet. Seiner Auswertung nach erfolgt das Lernen in der Gruppe aus intrinsischer Motivation, selbstgesteuert und sozial. Hierfür führt er auch die genannten Nachtreffen in der Snackbar an, bei denen die Gespräche zwischen den sehr unterschiedlichen Teilnehmenden schnell zwischen Lerninhalten und sozialen Themen wechseln. (Kneipengespräche auf einer höheren Ebene, quasi.)
  • Brilandzic stellt heraus, dass der Habitus der Bibliothek zu diesem Lernen in der Gruppe beiträgt. Für ihn zeichnet sich der Raum The Edge dadurch aus, „a universal, open and socially inclusive space“ (Brilandzic 2013, 9) zu sein. (Wobei daran erinnert werden muss, dass der Zugang zu australischen Bibliotheken per se relaxter gehandhabt wird als in der Schweiz oder Deutschland. Zum Beispiel scheint niemand Taschen oder Sachen abzugeben, bevor er oder sie eine australische Bibliothek betritt. Man sollte nicht sofort schliessen, dass gerade die sozial inklusive Rolle in der Schweiz oder Deutschland genauso gut von den Bibliotheken übernommen wird.) Dieser Habitus zieht im Vergleich zu einer ähnlichen Veranstaltungsform – nämlich eine offene Gruppe zum Hacken von Hard- und Software – weit andere Personen an, als der Hackerspace, welcher solche Runden selbstverständlich – wie quasi jeder andere Hackerspace – auch im Programm hat.
  • Das Lernen bei Hack The Edge ist eher ungerichtet. Die Personen begreifen die Gruppe zum Teil als Ort für Projekte, teilweise als loses soziales Netzwerk. Bei Aktivitäten innerhalb der Gruppe lernen sie etwas, aber dies steht nicht im Vordergrund.

Was Bilandzic mit seinem Beispiel zeigt, ist, dass Lernen in Bibliotheken nicht stattfindet, indem der Raum Bibliothek zum Lernort umgestaltet wird. Der Raum Bibliothek mit seinem Habitus, seinem Angeboten und so weiter ist eine gute Grundlage für selbstgesteuertes Lernen, aber kein Garant für solches Lernen. (Wobei auch der Zustand, dass Menschen in die Bibliothek kommen, um alleine oder mit Menschen, die sie schon kennen, zu lernen, nicht per se schlecht ist. Es stimmt aber nicht mit dem Selbstbild vieler Bibliotheken – in Australien oft noch mehr als im deutschsprachigen Raum – als Ort, welcher Lernen motiviert, überein.) Lernmöglichkeiten müssen und können geschaffen und beständig neu initiiert werden; gleichzeitig funktionieren sie offenbar über die Freiwilligkeit der Teilnahme.

Eine gewichtige Einschränkung ist selbstverständlich, dass sich die Bibliothek in Brisbane in einer Millionenstadt, zudem einer australischen – was heisst, einer mit global gesehen wenigen sozialen Friktionen – befindet. Eventuell funktionieren solche Modelle nur in bestimmten Regionen oder Städten (die sich allerdings im deutschsprachigen Raum mit hoher Wahrscheinlichkeit auch finden), eventuell benötigen sie eine bestimmte Anzahl von Personen, um sich ständig zu erneuern. Wichtig scheint mir an dem Beispiel und dem Text aber vor allem, dass der Autor die Grenzen selbst der bestausgestatteten Lernorte (oder auch Makerspaces) benennt und erfolgreich versucht zu klären, wie mit diesen umgegangen werden kann.