Bibliotheksreise Kamerun, 2014 (Teil 3 von 4)

Eliane Blumer, Karsten Schuldt

17./18.10.2014 ‒ Konferenz

Die Konferenz, auf der wir beide als Referentin und Referent geladen waren, wurde vom Goethe-Institut und dem Bibliotheks-, Archiv-, Dokumentalisten- und Museographenverband Kameruns (ABADCAM) statt. Der ABADCAM wurde, zumindest den Berichten nach, erst vor Kurzem wiederbelebt. Dafür erschien uns das Direktorium des ABADCAM allerdings recht aktiv und zielorientiert. Im Vorfeld wurde schon am Erfolg der Konferenz gezweifelt, am Ende funktionierte sie aber gut. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer partizipierten aktiv, die Stimmung war sehr offen und kritisch. Zumindest wir sind mit einem guten Gefühl fortgegangen.

Teilgenommen haben rund 70 Kolleginnen und Kollegen aus mehreren, aber nicht allen Regionen Kameruns. Was unsere Rolle an der Konferenz sein sollte, wurde uns allerdings bis zum Ende nicht klar. Wir hatten nicht das Gefühl, dass wir oder unser Wissen benötigt wurden. Teilweise hatten wir schon das Gefühl, das unsere Namen als Werbemittel eingesetzt wurden; aber letztlich hat sich das für uns zumindest nicht negativ ausgewirkt. Wir haben viel gelernt und konnten mitdiskutieren. Ob die Kolleginnen und Kollegen von uns etwas gelernt haben, bleibt offen.

Unsere Vorträge (Bibliotheken und Armut, pädagogische Möglichkeiten von Bibliotheken, Dépôt légal sowie Identifikatoren) eröffneten, nach dem offiziellen Teil ‒ mit Gruppenphoto ‒, die Konferenz, die weiteren Vorträge am ersten Tag behandelten die Themen cultural heritage, Bibliotheksnutzungsstatistiken, mobile Anwendungen und Bibliotheken sowie academic excellence and libraries. Selbstverständlich bezogen sich die Vorträge immer wieder auf Kamerun oder Afrika, aber ansonsten unterschieden sie sich wenig von Themen auf deutschen oder schweizerischen Bibliothekskonferenzen. Insbesondere der letzte Vortrag war allerdings erkennbar vom Diskurs in der IFLA geprägt. Die Kollegin, welche den Vortrag hielt, ist auch aktiv in der IFLA, insoweit war dies nicht erstaunlich. Aber wir haben uns zum Teil gefragt, ob die Richtlinien der IFLA tatsächlich mit der Realität in Kamerun übereingebracht werden können und ob das überhaupt sinnvoll wäre. (Seitennote: Allerdings hat die Kollegin viele ihrer Ansprüche in der eigenen Bibliothek, die wir als letztes besuchten, umgesetzt. In der Konferenz erschien es aber so, als ob die Universitätsbibliotheken in Kamerun weit von den Vorstellungen, die hinter den IFLA-Richtlinien stehen, entfernt sind.)

Interessanter war der zweite Tag der Konferenz, auf dem in Rotationsworkshops (fünf Gruppen zu 10-15 Personen, die je eine halbe Stunde zu einem Thema diskutierten) für verschiedene Bereiche (Bibliothek und Gesellschaft, Wissenschaftliche Bibliotheken, Konservierung und Bewahrung, Schulbibliotheken, professionelle Weiterbildung) die näheren Aufgaben des Verbandes und die politischen Forderungen erarbeitet wurden. Die Abschlussdokumente dieser Arbeitsgruppen, welche beizeiten auf der Homepage des Verbandes veröffentlicht werden sollen, waren recht eindeutig und weitreichend. Beispielsweise wurde gefordert, diejenigen, die Geld veruntreuen, welches für bibliothekarische Aufgaben vorgesehen ist, auch rechtlich belangt werden sollen. In einem Land, in dem uns ständig erzählt wurde, wo und wie Korruption funktioniert ‒ und wir das auch einmal live bei einer Polizeikontrolle erleben durften ‒, war das schon eine erstaunlich direkte Forderung.

Bei den Diskussionen auf der Konferenz wurde offenbar, dass bei den Kolleginnen und Kollegen ein reichhaltiges bibliothekarisches Wissen vorhanden ist. Aufgefallen ist uns, wie offen Probleme von Bibliotheken benannt wurden. Diese Offenheit scheint es so in der deutschen oder schweizerischen Bibliotheksszene selten zu geben.

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Bibliothek des Institut Français

Sehr kurz und spontan besuchten wir die Bibliothek des Institut Français, die sich am Marché Central befindet. Der Marché (Markt) ist das Zentrum der Stadt, aber gleichzeitig ‒ angeblich ‒ eine gefährlichsten Gegenden und gleichzeitig immer vom Mfoundi-Fluss überschwemmt (weswegen das Goethe Institut von dort fortgezogen ist). Die Bibliothek ist die grösste funktionierende Öffentliche Bibliothek in Yaoundé. Allerdings: Genauso, wie die Bibliothek des Goethe-Instituts eine deutsche Bibliothek in Kamerun ist, ist die dies eine französische Bibliothek in Kamerun, wenn auch angereichert mit Kunstobjekten aus Kamerun.

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Alle Teile des Berichts:

Bibliotheksreise Kamerun, 2014 (Teil 1 von 4)

Eliane Blumer, Karsten Schuldt

Einleitung

Dankenswerterweise hat das Goethe Institut Kamerun uns, Karsten Schuldt und Eliane Blumer, zu einer Bibliotheksrundreise durch Kamerun sowie einer Konferenz des kamerunischen Bibliotheks-, Archivs-, Dokumentalisten- sowie Museographenverbandes (ABADCAM) eingeladen. Auf der Konferenz haben wir beide jeweils zwei Vorträge gehalten und an den Workshops teilgenommen.

Der folgende Text gibt eine Übersicht unserer Eindrücke während des Aufenthalts. Im Vorfeld wurde uns eher ein negativer Eindruck von der Bibliotheksszene in Kamerun vermittelt. Zahlreiche Bibliotheken sollen nur auf dem Papier existieren und, wenn vorhanden, kaum benutzt sein. Teilweise sei dies Ergebnis verfehlter Entwicklungshilfepolitik, durch die Bibliotheken gegründet wurden, welche dann im Nachhinein keine Weiterentwicklung erfuhren. Wir können das nicht bestätigen. Die Bibliotheken, die wir besucht haben, vermittelten uns den Eindruck einer zukunftsgerichteten Bibliotheksszene, die selbstbestimmt Projekte umsetzt. Sicherlich muss diese Szene, wie das gesamte Land, mit mangelnder Infrastruktur, Armut und Korruption umgehen. Allerdings haben wir nur bestimmte Bibliotheken ‒ diejenigen, die sich bereiterklärten, uns zu empfangen ‒ gesehen und waren nur eine gute Woche im Land. Insoweit können wir kein umfassendes Urteil abgeben.

 

14.10.2014 ‒ CDDR und Goethe Institut Kamerun

Centre de Documentation pour le Developpement Rural (CDDR) ‒ Yaoundé

Das Centre de Documentation pour le Développement Rural (Dokumentationszentrum für landwirtschaftliche Entwicklung) ist ein 1988 gegründetes Informationszentrum für den Bereich Landwirtschaft. Das CDDR definiert seine Hauptaufgaben wie folgt:

  • Popularisieren von landwirtschaftlicher Information und Demokratisieren des Zugangs zu dieser.
  • Organisation der landwirtschaftlich relevanten Information, damit sie einfach zugänglich ist.
  • Anlaufstelle zur Überwindung von Schwierigkeiten bei der Informationversorgung für Akteure und Akteurinnen des landwirtschaftlichen Bereichs (Bauern, Bäuerinnen, Agronomen, Agronominnen etc.). [Quelle: Informationsflyer des CDDR]

Das CDDR umfasst eine Dokumentationsstelle und eine Bibliothek, bietet aber vor allem Beratungsangebote. Dafür unterhält es einen eigenen Telefondienst “âllo ingénieur”. In der Regel läuft die Beratung folgendermassen ab: Eine Person kontaktiert (persönlich während der Öffnungszeiten 8.00-15.00 Uhr, per Mail oder Telefon) das CDDR und stellt eine Frage, die sich auf die Landwirtschaft bezieht. Dies kann eine ganz einfache Frage, zum Beispiel zum Anbau von Mais oder dem Verkauf von Maniok sein. Aber auch komplexe agronomische Fragestellungen, wie zum Umbau von landwirtschaftlichen Nutzgeräten, werden behandelt. Im Anschluss an dieses Gespräch erstellt das CDDR ein “dossier documentaire”, welches Informationen zur Beantwortung der Frage und Kontaktadressen von Expertinnen und Experten des jeweiligen Themas organisiert und aufbereitet beinhaltet. Pro Jahr werden etwa 1200 Fragen von überall in Kamerun und teilweise aus dem Ausland beantwortet und circa 400 Dossiers erstellt, täglich besuchen circa 10-15 Personen das Zentrum. Wenn möglich sollen die Dossiers zukünftig auch elektronisch angeboten werden.

Ein langfristiges Ziel des CDDR ist es, den agronomischen Beruf zu professionalisieren. Bäuerinnen und Bauern sollen agronomisches Wissen erwerben und einsetzen. Um dies zu unterstützen, wird der Service für Agronominnen und Agronomen gratis angeboten.

Um noch weiter wahrgenommen zu werden, unternimmt das CDDR einiges:

  • Informationstag über Projekte
  • Bücherschränke in Schulen auf dem Land
  • Infoblatt für jede Nutzerin und jeden Nutzer
  • je drei Seiten pro Ausgabe der Zeitung “La voix du paysan” (Die Stimme des Bauern), in der das CDDR agronomische Informationen vermittelt

Obwohl beim CDDR die Information und nicht Bücher im Mittelpunkt stehen, betreibt das Zentrum auch eine funktionierende Bibliothek. Für die Bestandsentwicklung hingegen gibt es keine Ressourcen, das CDDR lebt von Geschenkgaben. Als integriertes Bibliothekssystem benutzt das Zentrum PMB, ein französisches Open Source Library System, welches uns im Verlauf der Reise immer wieder begegnete.

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Goethe Institut Kamerun ‒ Yaoundé

Eigentlich ist die Bibliothek des Goethe Instituts in Yaoundé eine deutsche Bibliothek in Kamerun und keine kamerunische Bibliothek. Dies ist erst einmal nicht erstaunlich, da alle Goethe-Institute als Hauptaufgaben die Förderung der deutschen Sprache, die Vermittlung eines “aktuellen Deutschlandbildes” und den interkulturellen Dialog bearbeiten. Absurd wird es aber, wenn das Corporate Design des Instituts dazu führt, dass jede Bibliothek eines Goethe-Instituts mit Möbeln der ekz ausgestattet ist. Ganz recht, für jedes Institut werden die Möbel in Reutlingen bestellt und an den jeweiligen Ort transportiert, was in den meisten Fällen, zum Beispiel Kamerun, umständliche Logistik und teilweise Praktiken im legalen Graubereich mit sich bringen. Und das, ohne dass es dafür einen Grund gibt. Uns leuchtet diese Corporate Design Idee nicht ein, da sie zum Beispiel dem interkulturellen Dialog entgegensteht. Wie wir selbst gesehen haben, gibt es zum Beispiel in Yaoundé selber eine sichtbare Möbelproduktion.

Wir finden das absurd, es heisst aber nicht, dass die Bibliothek schlecht ist, im Gegenteil. Mit 260 Besucherinnen und Besuchern pro Tag, rund 55.000 Besuchen im vergangenen Jahr, für welche 80 Quadratmeter und zusätzliche Leseplätze an der freien Luft zur Verfügung stehen, ist die Bibliothek die meistbesuchte Bibliothek eines Goethe-Instituts weltweit. Dies bezieht sich nicht nur auf die Bibliothek, sondern auf das gesamte Institut, welches mit 500 Lernenden pro Tag in zwei Häusern boomt. Die Bibliothek in Yaoundé wird vor allem von Jugendlichen, die Deutsch lernen, genutzt. Es gibt einen grossen Drang kamerunischer Jugendlicher zur Auswanderung nach Deutschland, der teilweise mit der politischen Situation erklärt wird. Im Gegensatz zu Frankreich existiert ein positives Deutschlandbild, obwohl Kamerun sowohl deutsche, französische als auch englische Kolonie war. Gleichzeitig wurde uns erklärt, dass Jugendliche zu Hause nicht lernen können, da sie als Abhängige der Familie behandelt werden und zum Beispiel ständig zu Botengängen oder anderen Aufträgen herangezogen werden.

Insoweit ist der Bestand vor allem aus Lehrbüchern für die Deutschkurse des Instituts zusammengesetzt. Andere Bereiche des Bestands, zum Beispiel deutsche Literatur, werden wenig benutzt. Die Bibliothek ist, wie alle Bibliotheken der Goethe Institute, im SWB-Verbund integriert und arbeiten für den Verbund mit Pica. Lokal arbeitet die Bibliothek mit Allegro und ist damit eine Ausnahme in Kamerun. Die Beschaffung neuer Medien stellt eine logistische Aufgabe dar. In Kamerun kann niemand die Lieferung deutschsprachiger Medien anbieten, deswegen werden sie über einen Vertragspartner in Deutschland gekauft und dann per Logistikunternehmen eingeflogen.

Eine weitere Aufgabe des Goethe Instituts ist die “bibliothekarische Verbindungsarbeit” zwischen lokalen und deutschen Bibliotheken. Unser Besuch war Teil dieser Verbindungsarbeit (obwohl wir beide zum grössten Teil in der Schweiz und nicht in Deutschland arbeiten).

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Alle Teile des Berichts: