Diese Woche, am 04.12.2018, fand in Berlin eine Podiumsdiskussion zu Forschung und Öffentliche Bibliotheken statt (und gleich daran eine zu Ausbildung und Öffentliche Bibliotheken, mich interessiert aber erste). Die Diskussion ist aufgezeichnet und gleichzeitig publiziert worden, für die, die es interessiert: https://www.youtube.com/watch?v=0u3Q_dM5WTc&feature=youtu.be
Ich bin recht dankbar, bei dieser Diskussion als Teilnehmer auf dem Podium gesessen zu haben, den das gab mir im Vorfeld die Möglichkeit, mir einmal genauer über einige Sachen, die mir einfach mehr und mehr komisch vorkommen, Gedanken zu machen. [Ich bin halt im deutschsprachigen Raum einer der wenigen auf der „Forschungs-Seite‟ – und das auch schon viel länger, als mir gut tut. Wichtig ist mir schon zu betonen: Das, was ich da auf dem Podium gesagt habe, und das, was ich jetzt hier im Beitrag sagen werde, ist nicht aus der Luft gegriffen, sondern basiert schon auf meinen Erfahrungen mit Forschung und Bibliothekspraxis.]
Meine Hauptaussage, nach dem Nachdenken, war und ist folgende: Öffentliche Bibliotheken sind strukturell nicht darauf eingestellt, Wissen aus der Forschung wahrzunehmen und zu nutzen. Das klingt vielleicht (offenbar) wie ein Vorwurf, aber es ist eine Situationsbeschreibung. Die Personen aus der Forschung, die bei der Diskussion anwesend waren, konnten dem Einiges abgewinnen. Wir wissen alle von zahlreichen Abschlussarbeiten zu Öffentlichen Bibliotheken, die nicht wahrgenommen werden; von Rückmeldungen „zu viel Theorie, zu wenig Praxis‟ in Weiterbildung bei gleichzeitigen Vorstellungen aus der Praxis, was die Forschung alles liefern sollte. Vieles von dem, was ich dazu Erstmal sagen wollte, habe ich an diesem Nachmittag gesagt.
Aber es gab im Nachhinein eine Kritik und auf der Bühne eine… well, mir fällt kein anderes Wort dafür ein, Diffamierung, auf die ich antworten möchte – weil sie mich ehrlich gesagt nerven. Mir ist schon klar: Eine Podiumsdiskussion ist eine kurze Sache, insbesondere wenn man sich (als Vertreter der Praxis) angegriffen fühlt – auch wenn es, wie gesagt, darum gar nicht ging. Man sagt Dinge eher im Affekt. Trotzdem. Wenn es darum geht, dass die Situation zwischen Forschung auf der einen und Praxis auf der anderen Seite verstanden werden soll (damit sie veränderbar wird – weil wie soll sie sich sonst verändern, wenn sie [wie ich auf dem Podium auch sagte, aber vielleicht ist das untergegangen] praktisch schon Anfang der 1970er in ähnlicher Form gesagt wurde), sollte man solche Kritik klären.
1. „Das ist doch praxisfern‟
Die Kritik war (wieder einmal), dass das, was auf dem Podium gesagt wurde, praxisfern sei. Dabei war das, was auf dem Podium vor mir gesagt wurde, dass Dinge, die gerade jetzt in Berlin in der Bibliothekspraxis gemacht werden, schon so oft gemacht und schon so oft untersucht wurden, dass schon klar ist, was rauskommen wird. Wie praxisnah soll es denn sonst noch sein?
Meine Aussage auf dem Podium war, dass Bibliotheken (aktuell) nicht darauf ausgerichtet sind, wissenschaftlichen Wissen zu integrieren. Makerspaces und alle anhängigen Projekte sind einfach ein Paradebeispiel dafür. Wir haben jetzt seit 3-4 Jahren die Diskussion um Makerspaces in Bibliotheken im deutschsprachigen Raum und den USA, vorher hatten wir sie in Australien und Kanada. Seit dieser Zeit sind unzählige Texte und Studien (sehr unterschiedlicher Form) dazu erschienen, wurden Erfahrungen gesammelt und Handbücher geschrieben. (2016, also auch schon vor zwei Jahren, habe ich eine Anzahl davon zusammengefasst vorgestellt: http://www.ressi.ch/num17/article_133, ein Update dazu wird hoffentlich bald folgen.) Das ist alles nicht schwer zu recherchieren. Und dennoch treten – jetzt gerade in Berlin – Bibliotheken mit immer wieder den gleichen Vorstellungen, Hoffnungen und Versprechen an, noch mal neue Makerspaces zu machen. So, als wäre nicht klar, was rauskommt, wenn man praktisch das gleiche nochmal macht – auch wenn man es „neu‟ nennt. Das ist einfach ein Fakt – einer, der aus der oben genannten Struktur entsteht. Soll man diesen Fakt nicht nennen?
Aber diese Aussage kam offenbar nicht an. (Obwohl ich es auch anders, netter formuliert hatte. Jetzt bin ich genervt, jetzt formuliere ich das vielleicht härter. Aber nicht auf dem Podium.)
Warum nervt mich diese Kritik? Weil sie direkt vorbeigeht an dem, was ich vermitteln wollte. Es ist offensichtlich, dass es sich bei Forschung für Bibliotheken auf der einen und Bibliothekspraxis auf der anderen Seite um zwei Formen von Wissensproduktion handelt:
- Forschung geht halt wissenschaftlich vor. Einmal ganz runtergebrochen: Es werden Fragen gestellt (auf der Basis vorhanden Wissens), es wird methodisch vorgegangen, um diese Fragen zu beantworten, die Antworten werden in den Zusammenhang mit dem schon vorhandenen Wissen gestellt. Obwohl wir keinen Fortschrittsmythen mehr folgen, geht es doch darum, das Wissen, das schon da ist, als eine Basis zu nutzen. Immer in Verbindung mit der Realität, mit Fragen, die der Praxis etwas bringen können (weil wir eh nur von Drittmitteln leben und nicht einfach was Interessantes oder gesellschaftlich Sinnvolles erforschen können, sondern immer nur „praktische Themen‟, weil: nur dafür gibt es Geld). Aber dennoch: Immer mehr Antworten. Und aus diesem Prozess kommt Erstmal immer mehr Wissen heraus. Was auch sonst? Es ist Wissenschaft, die produziert vorrangig Wissen.
- Bibliothekspraxis geht so allgemein nicht vor. Gerade in Öffentlichen Bibliotheken (und gerade beim Thema Makerspaces schön zu sehen) geht es wohl eher darum, selber etwas zu machen, auszuprobieren. Es wird sich eine Überzeugung gebildet, das XYZ ein Trend wäre, dem man folgen sollte; dann versucht man dies in Angebote umzusetzen. Praktisch. Die Basis dafür ist nicht unbedingt schon vorhandenes Wissen, sondern etwas, was intern überzeugt. Dann macht man Projekte, probiert aus, schaut, was funktioniert und was nicht funktioniert. Manchmal evaluiert man dies, aber wohl lange nicht so oft, wie angekündigt. Einige Bibliotheken gehen dabei sehr planhaft vor, andere experimentieren. So oder so: Am Ende kommen Angebote heraus, angepasst an die lokalen Möglichkeiten; es kommt vor allem lokales Wissen heraus; oder aber auch ein Scheitern.
Das sind zwei unterschiedliche Formen von Wissensproduktion. Das ist eine Struktur. Dass das Wissen in der Forschung dann immer wieder einmal mehr ist, ist verständlich: Aus der Forschung überblickt man oft mehr an gleichen Projekten, sieht Zusammenhänge (weil das einer der Foki von Wissenschaft ist), vor allem experimentiert man nicht immer wieder nochmal mit den gleichen Vorstellungen, sondern ist daraufhin orientiert, noch nicht vorhandenes Wissen zu generieren. Deshalb wundert man sich zum Beispiel auch immer wieder einmal, was in Bibliotheken als „neu‟ oder „innovativ‟ beschrieben wird – weil es halt oft nicht wirklich neu im Sinne von „noch nicht schon mal gedacht und ausprobiert‟ ist. Sondern oft („nur‟) neu im Rahmen der jeweiligen Bibliothek. So oder so: es sind unterschiedliche Weise, wie Wissen produziert und genutzt wird. Darauf sollte man sich doch einigen können. Die Frage, welche Form richtig oder besser oder praxisrelevanter oder was auch immer ist: Das war nicht das Thema des Podiums.
[Gleichwohl kann man anmerken: Würde die Praxis das Wissen, das in der Forschung produziert wird, nutzen, könnten damit wohl Ressourcen besser eingesetzt werden; könnten diese ständigen Enttäuschungen, wenn die Versprechen doch nicht eintreffen, nachdem man sie viel von ihnen erhofft hat, vermindert; könnte man auch mal längerfristige Fragen geklärt werden. Aber es wird auch Gründe geben, warum das in der Praxis nicht so gemacht wird; sonst würde es anders gemacht werden. Einige werden gut sein – wir hatten auf dem Podium zum Beispiel den Hinweis, dass es schwer sei, in einer kleinen Öffentlichen Bibliothek im ländlichen Raum an die Ressourcen zu kommen, was nachvollziehbar ist (obgleich Teile der Bibliothekswissenschaft sehr auf Open Access achten), aber nicht erklärt, warum zum Beispiel Bibliotheken in Berlin das nicht tun. Und gleichwohl sollte man anmerken, dass die Bibliothekswissenschaft, das bisschen, was im deutschsprachigen Raum betrieben wird, schon ständig danach schaut, dass das was getan wird praktische Relevanz hat. Es ist wirklich schwierig, der aktuellen Bibliothekswissenschaft eine Bringschuld zuzuschreiben, dass sie noch praxisnäher sein und noch mehr über Formen der Verbreitung ihres Wissens nachdenken müsste. Sicher: Einige Zeitschriften müssten jetzt endlich auch Open Access werden, noch mehr Abschlussarbeiten müssten auf Repositorien gestellt werden. Aber sonst? Daraus muss nicht folgen, das man eine Holschuld der Praxis postuliert. Vielleicht, das meint die Feststellung von der unterschiedlichen Struktur, funktioniert sie aus guten Gründen anders. Aber die…. müsste man dann mal untersuchen. Zumindest ist der Vorwurf an die Forschung, nicht praxisnah genug zu sein, unfair. Sie ist es oft viel zu sehr, um wirklich Wissenschaft zu sein.]
Selbstverständlich wäre es anders möglich. Alles ist anders möglich. (Und, wie immer, ist das keine neue Idee, sondern wird zum Beispiel als „Evidence based librarianship‟ oder „Evidence based library practice‟ vor allem in Kanada und Grossbritannien angestrebt – eine Bewegung, auf die ich auch persönlich an unterschiedlicher Stelle schon mehrfach hingewiesen habe, die der Praxis also bekannt sein könnte… Anyway.) Praxis könnte sich auf Forschung abstützen und andere (meiner Meinung nach bessere) Entscheidungen treffen. Selbstverständlich: Das würde dazu führen, dass eine ganze Anzahl ihrer Vorstellungen als zu kurz erscheinen würden. Oder aber, dass man hier und da nicht einfach mal was ausprobieren kann und dass dann „neu‟ und „innovativ‟ nennen – weil man einfach weiss, dass bestimmte Dinge nicht eintreten werden. Man könnte dann halt weiter denken, als bisher, weil man das, was man sich jetzt immer und immer und immer und immer wieder nochmal ausdenkt, einfach übernehmen könnte.
Die Praxis greift halt nicht auf die Ergebnisse von Forschung zurück. Es wird Gründe dafür geben. Fühlen sich Bibliothekarinnen und Bibliothekare, die sich zum Beispiel gerade damit beschäftigen, wie sie mit Robotern das Coden beibringen können, verärgert, wenn jemand ankommt und sagt, dass das nicht funktionieren wird, wie sie sich das vorstellen? Vielleicht. Aber die Aussage wird nicht aus Defätismus getroffen, sondern, well, weil sie auf dem Wissen, dass in der Forschung produziert wurde, aufbaut. Wenn man aber Forderungen an die Forschung stellt, sie solle neue Trends benennen (eine Forderung, die auf dem Podium erhoben wurde), kann man nicht logisch gleichzeitig fordern, dass sie schweigen soll, wenn sie weiss, dass etwas kein Trend ist oder nicht funktioniert. Das geht einfach nicht auf. Und mir ist wichtig: Es geht dabei nicht um persönliche Gründe. Ginge es um persönliche Gründe, könnte ich mich auch beleidigt zurückziehen, finden, alle Bibliotheken sind doof und beginnen, Romane zu schreiben. Aber das mache ich nicht und das habe ich auch auf dem Podium nicht gemacht. Ich habe es als Struktur beschrieben: Als Struktur wird sichtbar, dass es nicht um persönliche Befindlichkeiten geht, sondern halt um Strukturen. (Und bevor man sie ändern kann, sollte man Strukturen beschreiben können.)
Aber einen solchen Hinweis als Angriff nehmen: Bitteschön, dann ändert sich die Praxis halt nicht so, dass Forschung wahrnehmen würde. Aber dann muss sie das nicht der Forschung zum Vorwurf machen oder die Forschung – die ja nicht wahrgenommen wird – als „unpraktisch‟ erklären. Das ist nicht hilfreich. Oder auch nur fair. Nur, weil man selber den Status Quo nicht ändern will, kann man daraus nicht ableiten, dass die, die darauf hinweisen, wie der Status Quo ist, Unrecht haben oder keine Ahnung.
2. „Lesestunden einführen‟
Eine Sache, die mich sehr verärgert hat, war die Behauptung, ich hätte gefordert, Bibliotheken sollten „Lesestunden‟ einführen. Das ist eine unzulässige Reduzierung dessen, was ich sagte. (Mir ist auch klar, dass das im Affekt auf dem Podium passiert, aber verärgert hat es mich trotzdem.) Es ist schon richtig, dass ich sagte, das in der Praxis, wenn diese das Wissen aus Forschung nutzen will, auch mehr gelesen werden muss. Aber ist das nicht logisch? Wissenschaftliches Wissen wird vor allem in schriftlicher Form dargestellt und geteilt. Wie, ausser lesend, sollte es den sonst wahrgenommen werden. (Auf dem Podium wurden mehr Weiterbildungen mit wissenschaftlichen Themen, Übersichten zur Forschung im Ausland [also anderen Sprachen, die Schweiz wäre sonst ja auch Ausland, von Berlin aus gesehen], mehr Nachweise und weniger Best Practice-Präsentationen gefordert – was gut klingen mag, aber schon öfter probiert wurde und dann vergessen oder aber [darauf hat Herr Hobohm hingewiesen] sehr schlecht bewertet wurde. Mag sein, dass sich das irgendwann ändert. Aber selbst wenn, ist nicht Forschung für die Themen zuständig, die in der Weiterbildung präsentiert werden, sondern die, diejenigen, die Weiterbildungen organisieren.)
Aber es auf „Lesestunden‟, zu reduzieren, und das auch noch ein wenig so, als wäre das lächerlich, geht an den Hinweisen, die ich auf dem Podium äusserte, vorbei. Wenn Bibliothekspraxis die Ergebnisse aus der Forschung nutzen wöllte, müsste sie ändern, wie sie Entscheidungen trifft, Projekte plant und Angebote einführt beziehungsweise verändert.
- Wahrnehmen, was es schon gibt, ist gut. Fachliteratur rezipieren gehört dazu. Dann aber auch alle in der Bibliothek und nicht nur die Chefetage, die das dann runtergibt. Das würde nichts ändern für die Kolleginnen und Kollegen, das wäre nur weiter so, dass Wissen irgendwo „oben‟ generiert und dann herabgereicht würde. Vielleicht besseres Wissen, als das, was aus Best Practice-Berichten und Marketingfloskeln entsteht; aber trotzdem Wissen von irgendwo anders. Wichtig wäre dabei auch, nicht gleich nach direkt Umsetzbaren Dinge zu schauen, sondern auch die systematischeren Analysen, die theoretischeren Beiträge wahrzunehmen. (Denn Theorie ist ein Tool, um die Praxis zu verstehen und dann zu verändern; Systematik eröffnet Denkräume.)
- Wichtiger ist aber, forschendes Handeln bei der Entscheidungsfindung und vielleicht auch Evaluation zu etablieren. Hiermit gemeint ist (a) Fragen und Vorstellungen nicht aus einer geringen Basis (→ mal gesehen auf dem Bibliothekstag, in der BuB, mal gehört, dass es jetzt Trend sei) generieren, sondern eine solche Basis (ein solches Interesse) als Ausgangspunkt nehmen, um (b) eine umfangreichere Recherche durchzuführen, über die gleich greifbare deutschsprachige Literatur und über reine Praxisberichte hinaus, (c) diese Texte auch wahrzunehmen und schauen, was da als gesichertes Wissen, als ständig wiederholte Behauptung, als fluffiges Marketing und als offene Fragen dargestellt wird, (d) aus diesem Wissen heraus erst Fragen formulieren (nicht einfach fragen, ob etwas möglich wäre – das ist oft längst geklärt – sondern wozu und mit welchen Ergebnissen) und dabei Wissen auch werten – Marketingfloskel und hübsche Bebilderungen zum Beispiel als das nehmen, was sie sind, aber auch die Aussagen von Forschungsprojekten nicht gleich als Beweis, sondern als Evidenzen, (e) beim Klären dieser Fragen systematisch vorgehen (Methodik wählen, die erlaubt, wirklich diese Fragen zu klären; nicht nur Untersuchen, ob die gewünschte Antwort herauskommen könnte, sondern auch, ob sie widerlegt werden könnte; diese Methodik durchziehen; Auswertung fair, also nicht nur positiv oder negativ, durchführen → Interesse muss sein, das besseres Wissen entsteht, nicht dass die eigene Hoffnung / Meinung bestätigt wird), (d) erst auf der Basis dieses Vorgehens Entscheidungen treffen. Halt so, wie man zum Beispiel in Abschlussarbeiten (die mehr und mehr des Personals, welches in Bibliotheken arbeitet, j aselber mindestens einmal geschrieben haben) vorgehen. Und das als etabliertes Vorgehen, so das es normal wird, nicht als einmalige Sache.
- Dazu gehört auch, überhaupt auf so genriertes Wissen zu reagieren. Also zum Beispiel Dinge nicht machen; Angebote nicht so entwerfen, wie man sie sich gedacht hat, wenn man findet, dass sie so nicht funktionieren werden, dass sie nicht die Ergebnisse erreichen werden, die behauptet werden. Wie oben gesagt: Das heisst nicht unbedingt immer, sie nicht zu machen, sondern kann auch heissen, sie einfach anders zu machen. Aber zumindest sollte Wissen aus Forschung ernstgenommen werden, auch wenn es Dinge komplizierter macht oder aber die eigenen Vorstellungen (oder die hübschen Marketing-Floskeln, die halt praktisch immer nicht stimmen oder zumindest zu sehr verkürzen – was halt ihre Aufgabe ist, so als Marketing-Floskel) nicht unterstützt.
- Dazu braucht es auch eine Arbeitskultur, die das Rezipieren von Fachliteratur und das Durchführen eigener kleiner Forschungsprojekte in der Bibliothek – Frau Wimmer hat auf dem Podium darauf hingewiesen, dass das auch möglich ist und ich habe dazu ein Buch geschrieben – unterstützt. Mit Unterstützen meine ich nicht nur, dafür Arbeitsstunden und Ressourcen bereitzustellen. (Die sich meiner Meinung nach immer auszahlen, weil Angebote und Entscheidungen besser und das Personal motivierter wird.) Es wäre in vielen Bibliotheken schon ein Fortschritt, wenn das Lesen von Forschungsliteratur oder das Entwickeln eigener Fragen über die Abläufe in der Bibliothek oder den Verlauf von Projekten positiv angesehen würde, wenn diese Fragen aufgegriffen und Kolleginnen und Kollegen dazu motiviert werden (auch motiviert, indem diese Fragen und Lektüren, also das dann angesammelte Wissen, einen Einfluss erhält, zum Beispiel indem Dinge geändert werden), dies zu tun. Die Realität ist nämlich oft (nicht immer, nicht überall und bestimmt nicht bei denen auf dem Podium, die sich ja auf das Podium gesetzt haben, weil sie der Forschung doch nicht so fern stehen) anders: Schon das Rezipieren von Fachliteratur wird im Bibliotheksalltag oft negativ angesehen, als nicht relevant für die Arbeit. Das Haben von eigenen Gedanken oder Wünschen, etwas anders zu machen – das wird oft ganz untersagt. Und erst das Publizieren eigener Gedanken oder auch nur Beschreibungen von Projekten (sogar solche, die vollständig positiv darzustellen sind, nicht nur die, die hier und da Scheitern) durch das Personal, gilt oft als praktisch verboten beziehungsweise so oft zu kontrollieren – dass es praktisch verboten ist.
Es ginge halt um die Veränderung von Arbeits- und Entscheidungskulturen. Nicht um einige „Lesestunden‟. Das so abzuqualifizieren reduziert halt die Möglichkeiten, aber auch Herausforderungen.
Dabei geht es gar nicht darum, dass Bibliotheken es so machen müssten. Vielleicht kommt das immer wieder falsch rüber: Ich bin niemand, der sagt, dass muss so und so gemacht werden, weil: ich weiss das besser. Jetzt müssen alle meiner Vorstellung folgen. (Sicherlich: Ich weiss bestimmte Dinge irgendwann wirklich besser, weil das meine Aufgabe ist: Wissen zu produzieren. Und wenn ich länger über etwas nachdenke, es kritisch betrachte, well… dann ist dann irgendwann mehr Wissen dazu da. Aber das ist keine Magie, dass passiert immer, wenn Menschen mehr und länger über etwas nachdenken können. Alles andere wäre doch abstrus – deswegen lässt man ja Wissenschaft machen und Personal von Forschenden ausbilden.) Ich finde es eher spannend zu sehen, wie Menschen und Institutionen handeln, wenn sie auch ganz anders handeln könnten. Mich interessiert dann eher, wieso sie das tun. Das hat dann immer Gründe (weil, wie schon gesagt, alles, was ist und funktioniert in der Gesellschaft aus Gründen so funktioniert, wie es das tut – sonst würde es anders funktionieren) – die vor allem dann sichtbar werden, wenn man sieht, was anders sein könnte. Aber so ist das mit diesem Thema Forschung und Öffentliche Bibliotheken. Wäre ich Bibliotheksdirektor, ich würde forschend vorgehen und meine Kolleginnen und Kollegen auch anhalten, forschend vorzugehen – weil es zu besseren, eher an der Realität orientierten Angeboten führen würde. Das ist schon richtig. Aber Bibliotheken machen das nicht – warum, das war nicht das Thema des Podiums (ich hätte einige Vermutungen, aber es ging ja nicht darum, diese auszubreiten; schon, weil sich die Praxis noch mehr hätte angegriffen fühlen können, obwohl es nicht darum gegangen wäre zu sagen, dass sie etwas falsch macht, sondern nur, das es anders möglich wäre). Das Bibliotheken es anders machen: Dafür wird es Gründe geben und es wäre interessant zu untersuchen, welche das sind, welche davon real, welche Vorstellungen. Aber wenn die Praxis die jetzige Struktur beibehalten will, soll sie das. Ich bin kein Berater, der die Bibliothek nach seinem Bilde formen muss. [Dann würde sie auch viel mehr zeitgenössische Lyrik enthalten und wieder würden Leute sagen, wie praxisfern das dann wäre.]
Wichtig ist mir aber: Wenn die Praxis die Struktur ändern will, dass sie das, was an Forschung da ist (und was an lokaler Forschung in Bibliotheken möglich wäre) integrieren würde, dann wäre es nicht mit mehr Lesezeit (also oft überhaupt Lesezeit) für alle Kolleginnen und Kollegen getan. Diese Abqualifizierung kann ich einfach nicht gelten lassen.
PS.: Ja, persönlich bin ich schon manchmal genervt und irritiert. Aber nicht vom Panel, sondern von immer wieder gleichen Fragen. Da hilft es mir immer, das als Struktur zu verstehen und zu sehen, dass die KollegInnen, die diese Fragen stellen, ihr Bestes versuchen. Manchmal zwischendurch bin ich auch mal zynisch – aber mal ehrlich, warum mal nicht? Nach den zehnten Frage, wie man einen Makerspace einrichten soll, wenn es schon mehrere Handbücher dafür gibt, darf man auch mal persönlich aufseufzen. Machen das Kolleginnen und Kollegen am Infopult nicht auch, wenn zehnmal hintereinander die gleiche Frage kommt? Man kann nicht immer lächeln.
PS. PS.: Herr Hobohm hat seine Nachbetrachtung zur Diskussion (eher der zweiten zu Ausbildung und Öffentliche Bibliothek) bei sich im Blog publiziert.