Urban Gardens und Community vergleichbar mit Bibliotheken und Community?

Urban Gardening hat einen guten Ruf. Es wird sich von diesen Gärten, und den Aktivitäten um sie herum, sehr viel versprochen: Sie sollen die soziale Kohärenz verstärken, Natur in die Stadt holen, zur Nahrungsmittelsicherheit beitragen, Prozesse von Partizipation und Demokratie erfahrbar machen, den jeweiligen Ort wohnbarer machen (oder aufwerten), soziale oder räumliche Gerechtigkeit befördern und vieles mehr. Es gibt hier und da die Vermutung, dass die Aufwertung auch zur Gentrifizierung beiträgt (Eizenberg 2019), aber ansonsten ist die Kritik am Urban Gardening und Urban Gardens gering.

Urban Gardening and the Struggle for Social and Spatial Justice (Certomà, Noori & Sondermann 2019) versammelt Artikel aus einem Netzwerk von Forschenden, welche in Europa zu Erfahrungen mit Urban Gardens gearbeitet haben. Es ist einigermassen durchwachsen, auch weil pro Artikel immer wieder mit neuen theoretischen Ansätzen und Fragen an das Thema herangegangen wird und auch, weil die Definition, was als Urban Gardening zählt, sehr weit ist, somit auch sehr unterschiedliches (beispielsweise von staatlicher Seite angelegte, legale, selbstorganisierte, nicht angemeldete und «versteckte Gärten») untersucht wird.1 Es enthält auch viele, wieder sehr unterschiedlich angegangene, Case Studies.

Urban Garden, Berlin, 2017

Welche Communities?

Was mich interessiert, ist das sich durch die ganzen Texte ziehende Thema der «Community». Urban Gardens sollen immer «die Community» ansprechen, zusammenbringen, verstärken und so weiter. Deshalb werden sie von unterschiedlichsten Akteur*innen (im Buch: staatliche Agenturen, Gemeinden, selber zusammengefundene Gruppen, Anarchist*innen) überhaupt eingerichtet und unterhalten. Das erinnert selbstverständlich stark an den Diskurs um «Communities», welche in Öffentlichen Bibliotheken im DACH-Raum zumindest bis zur aktuellen Pandemie geführt wurde: Auch in Bibliotheken wird sich von unterschiedlichen Aktivitäten versprochen, «die Community» anzusprechen, zusammenzubringen, zu verstärken, auf sie zu reagieren. Egal, ob mit Makerspaces oder «partizipativen Methoden» bei der Planung von Neubauten. Und gleichzeitig ist nicht immer klar, was damit in Bibliotheken gemeint ist (Burch 2019) oder genau angestrebt wird. Insoweit werden Bibliotheken wohl auch davon lernen können, was die Forschenden in diesem Buch über «Communities» und Urban Gardens festhalten.

Wenig konkrete Wirkungen

Wie gesagt, es wird im genannten Buch mehrfach festgehalten, dass die Erwartungen an die Wirkung von Urban Gardens auf die jeweilige lokale Community gross ist. (Certomà, Sondermann & Noori 2019) Ein Thema, dass sich durch die Texte zieht, ist aber, dass diese Erwartungen nicht erfüllt werden. In mehreren Fällen gehen die Forschenden praktisch aus dem Garten heraus und fragen dort Leute nach ihrer Wahrnehmung der jeweiligen Gärten. (U.a. Aliperit & Sarti 2019; Hardmann et al. 2019) Das Ergebnis ist immer wieder ähnlich: Grundsätzlich gibt es von vielen, aber nicht allen, eine positive Haltung gegenüber den Gärten, aber keine grössere Erwartung. Es ist eher so, dass von Ferne okay gefunden wird, dass jemand diese Gärten betreibt. Aber beteiligen möchte sich auch kaum jemand, ausser denen, die schon dabei sind. (Wright & Young 2019) Es bedient sich zum Beispiel auch niemand an den Früchten, die extra dafür gepflanzt werden, dass sich alle an ihnen bedienen können. (Hardmann et al. 2019) Die Veranstaltungen, die in vielen Urban Gardens angeboten werden, werden auch nur manchmal und ohne grössere Konsequenzen (also ohne zum Beispiel neue Netzwerke zu bilden oder sich später selber in den Gärten zu engagieren) besucht. Oft sind die Gärten oder die Strukturen dahinter (Wer macht das? Wozu? und so weiter) gar nicht bekannt. Wenn die Community mit den Gärten angesprochen werden soll, um «zur Natur» zu finden, Zugang zu frischem Obst und Gemüse zu erhalten und zusammenzukommen, um die soziale Kohärenz zu verstärken, dann scheitern die Gärten oft.

In einigen Fällen kommt es durch die Gärten auch zur Verdrängung anderer Gruppen. Beispielsweise wurden durch Gärten, die eine staatliche Agentur in Kopenhagen angelegt haben, um Migrant*innen eine Möglichkeit zu bieten, aus den eigenen, zu kleinen Wohnung herauszukommen (was in diesem Fall tatsächlich passiert), Flächen umgenutzt, die zuvor von Obdachlosen benutzt wurden, um wild zu campieren. (Roy 2019) Der Gewinn ist hier nicht gleich verteilt.

Ein Text in diesem Buch beschäftigt sich mit der Frage, welche Community eigentlich durch die Urban Gardens angesprochen wird. (Pitt 2019) Die Autorin stellt fest, dass die Gärten dabei scheitern, eine Community, die sich vor Ort findet, anzusprechen. Oder anders: Es wird immer wieder angenommen, dass es schon eine Community gäbe, die mit solchen Gärten «aktiviert» werden könnte. Das findet nicht statt. Gleichzeitig schaffen es die Gärten aber, andere Communities herzustellen, nämlich «Communities of Practice» aus den Leuten, die sich in den Gärten engagieren. Oft sind es dabei Menschen, die gar nicht wirklich lokal wohnen, sondern erst zu den Gärten fahren müssen. Auch übersetzen sich diese Netzwerke kaum in andere Ebenen, sondern beschränken sich auf die Gärten und die dortige Arbeit selber. Thema der Gespräche seien auch immer die Arbeit in den Gärten, nicht weiterführende Thema. Letztlich bilden diese «Communities of Practice» also neue Strukturen, die sich nicht in andere Strukturen übertragen.

Übertragungen ins Bibliothekswesen

Kann man aus diesen Ergebnissen etwas für Bibliotheken lernen? Ich denke schon: Die Voraussetzungen und damit wohl auch die Ergebnisse sind ähnlich. Auch, wenn Bibliotheken über Communities reden, steckt dahinter oft die Vorstellung, dass es diese schon lokal gäbe und man die irgendwie ansprechen, aktivieren und so weiter müsste. All die Veranstaltungen, Angebote oder auch partizipativen Projekte zielen darauf, in dieser jeweiligen Community etwas zu bewirken: Sie mehr zum Lesen zu führen, zu Innovation, als Lernort für Demokrat und Partizipation zu wirken. Die Erwartungen, wenn man die ganzen Texte dazu ernst nimmt, sind bei Bibliotheken nicht weniger hoch als bei Urban Gardens – nur, dass es nicht um Natur und Essen geht, sondern eher um Lesen, Literatur, andere Medien. (Und ja, selbstverständlich sind auch Bibliotheken bei Urban Gardens aktiv, was die Erwartungen nur zusammenführt. Siehe zum Beispiel Schumann (2016) und Scott Banks & Mediavilla (2019))

Aber wen erreichen Bibliotheken überhaupt mit den Veranstaltungen und so weiter wirklich? Ist es nicht eher so, dass auch sie «Communities of Practices» herstellen, die sich dann nicht in weitere Funktionen über die jeweilige Veranstaltungen / Angebote übertragen? Ist die Situation, dass Personen zwar eine grundsätzlich positive Position dazu haben, dass es Gärten gibt, aber auch nicht viel mehr damit in Kontakt kommen wollen, nicht auch für Öffentliche Bibliotheken gegeben? Und ist es nicht so, dass es in Bibliotheken immer schon eine gewisse Gruppe von Menschen gibt, welche diese (intensiv) nutzen, die eher herausgedrängt und eben nicht integriert werden, wenn Bibliotheken neue Angebote – sagen wir nochmal einem neuen Makerspace – einrichten?

Das scheint alles sehr ähnlich: Die grossen Erwartungen lassen sich nicht erreichen. Was genau mit Community gemeint ist, wird kaum geklärt. Dafür entstehen neue Communities, die sich aber um spezifischen Angebote gruppieren und auch (nur) die zum Thema haben. Wenn das in Urban Gardens so ist, wäre es nicht unerwartet, wenn das in Bibliotheken auch zu wäre? (Aber es gibt kein Netzwerk, dass einmal diese Frage angeht, insoweit bleibt es leichter unthematisiert.)

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Sowohl bei Urban Gardens als auch bei Öffentlichen Bibliotheken heisst das nicht, dass das per se schlecht ist. Auch wenn Urban Gardens nicht dazu beitragen, dass zum Beispiel die Nahrungsmittelsicherheit besser wird oder die lokale Community aktiviert wird, ist es ja trotzdem so, dass sich in ihnen Menschen zusammenfinden, gemeinsam Entscheidungen treffen, etwas anbauen, gemeinsam Tage verbringen und so weiter. Ebenso mag es in Bibliotheken so sein, dass nicht die «lokale Community» eingebunden wird, wenn mit Design Thinking neue Bibliotheksräume geplant werden oder Makerspaces eingerichtet werden, aber trotzdem kommen am Ende Pläne für Räume raus oder haben Leute Spass beim rumprogrammieren an Robotern. Es ist nur so, dass die Erwartungen falsch sind, was zu schnell übersehen werden kann: Wenn ein «erfolgreicher» Urban Garden, im Sinne von Menschen kommen, gärtnern und ernten am Ende, nicht heisst, dass die lokale Community aktiviert wird, merkt man das vielleicht eher dann, wenn man spezifisch danach fragt. Ansonsten sieht das alles doch sehr belebt und erfolgreich aus. Ähnlich bei Bibliotheken: Nur weil der Makerspace benutzt wird, heisst das nicht, dass die lokale Community erreicht wird, aber auch das merkt man erst, wenn man nachschaut.

Es ist wohl eher so, dass sich in der Praxis gefragt werden sollte, welche Erwartungen erfüllt werden, welche man erfüllen will und vielleicht auch, welche Konsequenzen auf den ersten Blick als positiv wahrgenommene Angebote haben. Vielleicht ist es ausreichend, Communities of Practices zu bilden – aber man sollte sich dann klar sein, dass das andere Probleme nicht löst, schon gar keine Grossen.

Literatur

Aliperti, Giuseppe; Sarti, Silvia (2019). Urban gardening and spacial justice from a mid-size city perspective: the case of Ortobello Urban Garden.In: Certomà, Chiara; Noori, Susan; Sondermann, Martin (edit.) (2019). Urban Gardening and the Struggle for Social and Spatial Justice. Manchester: Manchester University Press, 2019: 74-90

Burch, Carina (2019). Community – eine Untersuchung was es im Kontext von allgemein-öffentlichen Bibliotheken bedeutet. (Churer Schriften zur Informationswissenschaft, 100) Chur: HTW Chur, https://www.fhgr.ch/fileadmin/fhgr/angewandte_zukunftstechnologien/SII/churer_schriften/sii-churer_schriften_100-Community.pdf

Certomà, Chiara; Noori, Susan; Sondermann, Martin (edit.) (2019). Urban Gardening and the Struggle for Social and Spatial Justice. Manchester: Manchester University Press, 2019

Certomà, Chiara; Sondermann, Martin; Noori, Susan (2019). Urban gardening and the quest for just uses of space in Europe.In: Certomà, Chiara; Noori, Susan; Sondermann, Martin (edit.) (2019). Urban Gardening and the Struggle for Social and Spatial Justice. Manchester: Manchester University Press, 2019: 1-21

Eizenberg, Efrat (2019).The foreseen future of urban gardening.In: Certomà, Chiara; Noori, Susan; Sondermann, Martin (edit.) (2019). Urban Gardening and the Struggle for Social and Spatial Justice. Manchester: Manchester University Press, 2019: 154-165

Hardmann, Michael; Adams, Mags; Barker, Melissa; Beesley, Luke (2019). Food for all? Critically evaluating the role of the Incredible Edible movement in the UK.In: Certomà, Chiara; Noori, Susan; Sondermann, Martin (edit.) (2019). Urban Gardening and the Struggle for Social and Spatial Justice. Manchester: Manchester University Press, 2019: 139-153

Nikolaidou, Sofia (2019). Temporary urban landscapes and urban gardening: re-inventing open space in Greece and Switzerland.In: Certomà, Chiara; Noori, Susan; Sondermann, Martin (edit.) (2019). Urban Gardening and the Struggle for Social and Spatial Justice. Manchester: Manchester University Press, 2019: 59-73

Pitt, Hannah (2019). Limits to growth? Why gardening has limited success growing inclusive communities.In: Certomà, Chiara; Noori, Susan; Sondermann, Martin (edit.) (2019). Urban Gardening and the Struggle for Social and Spatial Justice. Manchester: Manchester University Press, 2019: 91-107

Roy, Parama (2019). Community gardening for integrated urban renewal in Copenhagen: securing or denying minorities‘ right to the city?.In: Certomà, Chiara; Noori, Susan; Sondermann, Martin (edit.) (2019). Urban Gardening and the Struggle for Social and Spatial Justice. Manchester: Manchester University Press, 2019: 91-107

Schumann, Tim (2016). Urban Gardening und Öffentliche Bibliotheken: Konzeption einer Veranstaltungsreihe in der Stadtbibliothek Bad Oldesloe. In: Informationspraxis 2 (2016) 1, https://doi.org/10.11588/ip.2016.1.23822

Scott Banks, Carrie ; Medivilla, Cindy (2019). Libraries and Gardens: Growing Together. Chicago: ALA editions, 2019

Wright, Lucy Rose; Young, Ross Fraser (2019). Community gardening for integrated urban renewal in Copenhagen: securing or denying minorities‘ right to the city?.In: Certomà, Chiara; Noori, Susan; Sondermann, Martin (edit.) (2019). Urban Gardening and the Struggle for Social and Spatial Justice. Manchester: Manchester University Press, 2019: 22-37

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Fussnote

1 Dies hat auch mit der Finanzierung des Netzwerks als EU-COST-Action zu tun, bei der «nur» die Zusammenarbeit in Konferenzen und Treffen, aber nicht die eigentliche Forschung finanziert wird; diese also von den beteiligten Forschenden jeweils aus anderen Quellen und damit in unterschiedlichen Höhe, mit unterschiedlichen Fragestellungen et cetera finanziert werden müssen. In so einem Netzwerk ist es dann zum Beispiel schwer, sich auf gemeinsame theoretische Grundsätze zu einigen. (Aber als jemand, der auch für jedes noch so kleine Forschungsprojekt nach Drittmitteln suchen muss, habe ich fraglos grosses Verständnis dafür, dass am die Chance ergreift, wenn es möglich ist, solch eine Finanzierung zu nutzen.)

Ein kurzer Nachtrag zu Bibliotheken im ländlichen Raum

Im letztens publizierten Buchprojekt, dass Petra Hauke mit Studierenden der Humboldt Universität zu Fragen der Demographie im Bezug auf Bibliotheken herausgab, hatte ich die Chance, einen kurzen Beitrag zu Bibliotheken im ländlichen Raum unterzubringen: Menschen verlassen das Tal. Vorausplanende Bibliotheksarbeit in potenzialarmen Räumen – Das Beispiel Graubünden. (Schuldt, 2014) Ich habe diesen Text am Beispiel Graubündens aufgezogen, da ich dort wohne und zumindest zu Teil den langsamen Rückzug des Menschen aus einigen Gebieten direkt sehen kann, den ich im Titel meines Textes anspreche. Aber selbstverständlich ist Graubünden nicht das einzige Gebiet, in dem – gänzlich ohne Vertreibungen, Krieg oder Krisen – immer weniger Menschen wohnen und damit auch immer weniger Infrastruktur unterhalten wird, die Chancen zur Veränderung weniger werden und so weiter. In einer frühen Version war mein Text zum Beispiel als Vergleich zwischen Graubünden und Brandenburg / Mecklenburg-Vorpommern angelegt, was ganz interessant gewesen wäre, da ich beide Regionen zumindest zum Teil kenne, in beiden ähnliche Prozesse stattfinden – inklusive der Rückkehr der Wölfe in den letzten Jahren – und gleichzeitig die Unterschiede zwischen beiden doch so gross sind, dass sich Fragen zur Allgemeingültigkeit von bestimmten Entwicklungen hätten stellen lassen. Aber leider unterliegen Texte in (auch) gedruckten Bücher immer einer Zeichenbegrenzung, deshalb flog Brandenburg / Mecklenburg-Vorpommern bis auf einige Hinweise am Anfang raus.

Wir sollten wohl mal alle kurz rausfahren

Ich finde den ländlichen Raum ja immer wieder spannend. Ich will da nicht wohnen, schon Chur nervt mich mit seiner Winzigkeit, die ich persönlich ohne ständige Besuche in Berlin, Zürich, Lausanne oder anderen Städten nicht aushalten würde. Aber gleichzeitig sehe ich, wie Menschen sich für ein Leben im ländlichen Raum begeistern, wie sie dort wohnen bleiben, hinziehen oder zurückkehren wollen; wie das ihre eigene Entscheidung ist und wie sie der Meinung sind, dort glücklicher sein zu können, in den Bergen und Tälern, in den flachen und weiten Landschaften Brandenburgs, als anderswo. Mich fasziniert, bei allem Unverständnis, das immer wieder. Ich erinnere mich noch oft, wie ich vor einigen Jahren in einer Gemeinde von vielleicht 600 Menschen an der australischen Küste übernachtete und unsere Gastgeberin auf die Anmerkung, dass die Gemeinde herrlich gelegen und mit atemberaubender Natur gesegnet (Papageien die zum Frühstück vor dem Fenster rumhüpfen und auf der anderen Seite der Strasse gleich der Ozean) sei, aber doch auch recht übersichtlich ist, mit verklärten Blick nur meinte: „Yes. And we like it that way.“ Womit sie recht hat. Kurzum: Wenn sie wollen, sollen sie da wohnen können. Das ist ihr Recht und die Gesellschaft sollte sich gefälligst sich darum kümmern, dass Menschen in diesen Räumen auch die gleichen Chancen im Bezug auf die wichtigen Bereiche wie Bildung, Gesundheit, Versorgung haben, wie wir in den grossen Städten! Jawohl! (Anmerkung: Geschrieben Morgens in Berlin-Neukölln, mit etwas Pathos und leicht übernächtigt.) Die bibliothekarische Infrastruktur ist da ein Teil der notwendigen Infrastruktur. Deshalb habe ich mich auch dafür entschieden, den oben genannten Text zu schreiben.

Gleichzeitig ist das Geld in den ländlichen Regionen zumeist noch knapper als in den Städten und die Entscheidungsräume nicht immer weit. Letztens verbrachte ich ein paar Tage in den brandenburgischen Weiten, dort, wo die Gemeinden zusammengefasst und von einem Amt bewirtschaftet werden, wo die Busse sechs Mal am Tag kommen und die Tankstellen oft die Zentren der Orte darstellen. Es war hübsch ruhig an den Seen und in den Wäldern, aber es war auch sehr bezeichnend. Weite, leere Flächen zwischen den Häusern am Rand, mit „zu Verkaufen“-Schildern, verwilderte leere Häuser, Bauprojekte, die nicht fertig wurden, aufgegebene Geschäfte und zwischendurch Investitionszeichen: Bahnhöfe, die genau bis zur nächsten Strasse neu gebaut waren, renovierte Dorfzentren, die bis zu einer sichtbaren Grenze gingen und dahinter ist alles unrenoviert.

Kann man da überhaupt etwas tun? Ich finde mich in solchen Orten immer wieder zwischen Faszination, Ironie, Verzweiflung, dem Wunsch zu helfen, der Vorstellung, dass die Leute vor Ort es so wollen und ähnlichem hin- und hergerissen. Und wenn ich darüber nachdenke, wundere ich mich immer wieder einmal, warum das Thema im Bibliothekswesen praktisch nicht besprochen wird. Dabei gibt es auch „dort draussen“ bibliothekarische Arbeit. Bei meinem letzten Besuch waren zum Beispiel in dem Ort, in den ich einquartiert war, die Mitteilungen über die Haltezeiten und andere Angelegenheiten des Bücherbusses (unter anderem die Ausleihzahlen in den einzelnen Orten) die Hälfte der amtlichen Mitteilungen im Zentrum.

bibliothekenimländlichenraum

Kurz und gut: Das Thema bibliothekarische Arbeit im ländlichen Raum finde ich oft (persönlich) spannender als vieles, was in den bibliothekarischen Zeitschriften besprochen und auf den bibliothekarischen Konferenzen vorgestellt wird. Ich kann nur aufrufen, sich damit mehr zu beschäftigen (Auch wenn ich weiss: Für Linked Open Libary Research Data Management Life Circle Metadata Standardization Systems gibt es gerade weit mehr Geld als für die Frage, wie die Menschen im ländlichen Raum eigentlich sinnvoll bibliothekarisch betreut werden wollen und könnten. Die Krise der Forschungsfinanzierung…)

Rural Library Project, Georgia

Ich greife das Thema nicht wegen diesem Aufruf auf, sondern um auf einen Artikel zu verweisen, der sich mit einem Projekt beschäftigt, welches genau diese Frage angeht; wenn auch im US-amerikanischen Raum. Dan White hat – zumindest seiner Darstellung nach – eher zufällig in Georgia das Rural Library Project begründet, eine gemeinnützige Firma, welche in der Gegend von Atlanta Gemeinden im ländlichen Raum dabei hilft, eigene Bibliotheken zu gründen beziehungsweise wieder zu eröffnen und zu betreiben. (White, 2014)

Bezeichend dabei: White ist kein Bibliothekar, sondern ein Bauunternehmer, der in einer der kleinen Gemeinden (500 Einwohnerinnen und Einwohner) in Georgia aufgewachsen ist. Er hatte einfach sehr gute Erinnerungen an diesen Ort und als sein Vater dort verstarb, suchte er einen Weg, um diesen zu ehren und verfiel schnell auf den Gedanken, dort eine Bibliothek zu etablieren. Das ist relevant: Trotz all der Klagen darüber, wie schwer es Bibliotheken haben und wie falsch das Bild ist, das Menschen von Bibliotheken hätten, die sich in der bibliothekarischen Fachpresse finden, werden Bibliotheken von der Öffentlichkeit äusserst positiv bewertet. White versteht Bibliotheken zum Beispiel als Ort, der in kleinen Orten die Community zusammenbringt.

Mit der ersten Bibliothek war er erfolgreich, wurde dann während der Arbeiten an dieser – die getragen wurden aus lokalen Engagement, Stiftungsgeldern und viel Enthusiasmus – gleich von einer weiteren kleinen Gemeinde angesprochen, die ihn bat, sie auch bei der Eröffnung einer Bibliothek zu unterstützen. Das ging weiter: Nach der dritten Bibliothek entschied er sich, die Strukturen zu formalisieren und das Project zu gründen.

Der Text von White reflektiert die bisher geleistete Arbeit. Er ist unbedingt lesbar. Insbesondere diskutiert er, immerhin auf einiger Erfahrung, den positiven sozialen Effekt, den einen Bibliothek in ländlichen Gemeinden haben kann. Das ist deshalb interessant, weil die Frage nach solchen Effekten, wenn sie überhaupt gestellt wird, fast immer im Rahmen städtischer Bibliotheken gestellt wird. (Siehe allerdings für den ländlichen Raum, u.a. mit weit kritischeren Darstellungen als bei White, Griffis & Johnson, 2014 ; Johnson & Griffis, 2014 ; May & Black, 2010 ; Svendsen, 2013) White betont, dass die Bibliotheken nur als soziales Zentrum funktionieren, wenn die Community diese auch wollen, mittragen und gleichzeitig von der lokalen Verwaltung unterstützt werden. Dann allerdings kann mit relativ wenig Mitteln und Infrastruktur – halt solche, die Stadtmenschen wie mich immer wieder erstaunt und teilweise niedlich, aber teilweise auch höchst effizient vorkommt und die im Text in mehreren Bildern dokumentiert wird – eine zentral Rolle im Leben der Gemeinschaft einnehmen. Dabei zählt White auch zahlreiche Funktionen auf, die über den Medienbestand hinausgehen. Das, was in der Literatur zu Öffentlichen Bibliotheken oft als Zusatz zur bibliothekarischen Tätigkeit beschrieben wird (wenn es auch zum Alltag vieler Öffentlicher Bibliotheken gehört), gilt bei White und den von seinem Project mit aufgebauten Bibliotheken als Daseinsgrund: Technische Infrastruktur, die alle nutzen können, Treffpunkt der Einwohnerinnen und Einwohner, Veranstaltungsort, Zentrum der Community.

Was man vor allem aus diesem Text lernen kann, ist, dass es möglich ist, eine solche Bibliothek zu etablieren. Sicherlich: Sie wird nur so lange existieren, wie das Interesse der Gemeinde vorhanden ist und in der Gemeinde Potenziale existieren (an Menschen und an Fähigkeiten), um eine solche Einrichtung zu betrieben. Vor allem, wenn letzteres nicht mehr vorhanden ist, müssen andere Wege gefunden werden. (Schuldt, 2014) Aber bis es soweit ist, kann es Jahre dauern und es ist auch bei keiner kleinen Gemeinde vorgezeichnet, dass sie immer kleiner werden muss. Zudem weichen diese Bibliotheken stark von dem ab, was in der Fachliteratur als „bibliothekarischer Standard“ bezeichnet wird (in der Schweiz ist dieser Standard zumindest als Idee sogar in Richtlinien der Arbeitsgemeinschaft für allgemeine öffentliche Bibliotheken niedergelegt). Aber wie der Ansatz von White zeigt, sind diese Standards vielleicht nicht überall und immer sinnvoll. Lokal bestehen manchmal andere Anforderungen an Bibliotheken, teilweise viel geringe, teilweise andere, als in den Standards niedergelegt. (Siehe zur Kritik der bibliothekarischen Standards auch Pateman & Williment, 2012) Und trotzdem funktionieren diese kleinen Bibliotheken in kleinen Gemeinden.

Literatur

Griffis, Matthew R. & Johnson, Catherine A. (2014) / Social Capital and Inclusion in Rural Public Libraries: A Qualitative Approach. In: Journal of Librarianship and Information Science 46 (2014) 2, 96-109

Johnson, Catherine A. & Griffis, Matthew R. (2014) / The Effect of Public Library Use on the Social Capital of Rural Communities. In: Journal of Librarianship and Information Science 46 (2014) 3

May, Francine & Black, Fiona (2010) / The Life of the Space: Evidence from Nova Scotia Public Libraries. In: Evidence Based Library and Information Practice 5 (2010) 2

Pateman, John & Williment, Ken (2012) / Developing Community-Led Public Libraries: Evidence from the UK and Canada. Farnham ; Burlington: Ashgate, 2012.

Schuldt, Karsten (2014) / Menschen verlassen das Tal. Vorausplanende Bibliotheksarbeit in potenzialarmen Räumen – Das Beispiel Graubünden. In: Hauke, Petra (Hrsg.) / »Challenge accepted!«. Bibliotheken stellen sich der Herausforderung des Demografischen Wandels. Positionen – Strategien – Modelle & Projekte. – [Bibliothek und Gesellschaft]. – Bad Honnef : Bock + Herchen, 2014, S. 177-190

Svendsen, Gunnar Lind Haase (2013) / Public Libraries as Breeding Grounds for Bonding, Bridging and Institutional Social Capital: The Case of Branch Libraries in Rural Denmark. In: Sociologia Ruralis 53 (2013) 1, 52-73

White, Dan (2014) / The Rural Library Project: Building Libraries, Building Community. In: Public Library Quarterly 33 (2014), 108-120

Eine Bibliothek als Zentrum der Community (Mount Gambier)

Die Text- und Beispielsammlung Museums, Libraries and Urban Vitality [Kemp, Roger L. ; Trotta, Marcia (edit.) / Museums, Libraries and Urban Vitality : A Handbook. Jefferson ; London : McFarland Publishers, 2008] basiert auf einer einfachen, oft wiederholten These: Eine Bibliothek kann, wenn sie dazu gemacht wird, zum kulturellen Zentrum einer Community werden. Allerdings kann auch ein Museum diese Funktion einnehmen. Und: Diese These bezieht sich vor allem auf US-amerikanische (teilweise auch kanadische und australische) Kleinstädte und Settlements, nicht auf europäische Gemeinden oder auf Grossstädte. In all den Beispielen, die in diesem Buch angesprochen werden, geht es darum, dass in vielen kleinen Communities – egal ob Vorstadt, Stadtteil oder eigenständiger Gemeinde – keine wirklichen öffentlichen Plätze mehr bestehen würden. Ohne öffentliche Plätze keine Möglichkeit einer Gemeinschaft, so die Vorstellung. In solchen Gemeinden aber würden Bibliotheken und Museen die Rolle eines Community-Centres bilden können. Sie würden der Öffentlichkeit als Treffpunkt dienen, an dem sich überhaupt Gemeinschaft bilden könnte. (Und sie würden den kleinen Firmen wirtschaftliche Beratung und Daten geben können. Das ist eine weitere These, die in dem Buch mehrfach ausgebreitet wird.)

Aber stimmt das überhaupt? Erstaunlicherweise ja. Zumindest erinnerte mich das Buch an eine Bibliothek, die ich während meines Urlaubs besuchen konnte. Was mich traurig gemacht hat, den der Urlaub ist es schon eine so lange Weile her und jetzt ist wieder die Arbeit angesagt… Anyway.

Ich war damals von der Bibliothek begeistert, aber zu faul etwas über sie zu schreiben, also hole ich das mal nach.

Mount Gambier

Mount Gambier ist keine wirklich grosse Stadt, aber wirklich grosse Städte gibt es in Australien eh nur wenige (Wie auch, wenn von 22,5 Millionen Menschen allein in Sydney 3,6, 3,4 in Melbourne, 1.2 in Adelaide und 1.6 in Perth wohnen?). 23.400 Menschen, gelegen in South Australia, praktisch direkt an der Grenze zu Victoria und auch direkt am Ozean. Das Stadtzentrum eher weitläufig. Und interessanterweise ist dieses Stadtzentrum jetzt auch nicht wirklich unwirtlich, zumindest nicht so, wie in anderen Städten an der Küste. Im Zentrum der Stadt findet sich sogar ein kleiner, aber sehr schöner viktorianischer Park, Cave Garden, welcher sich um eine kleine Grotte gruppiert, in der täglich eine Show zur Stadtgeschichte und eine Aboriginal Dream Time stattfinden. (Berühmt ist eigentlich auch ein Vulkansee in der Stadt, aber ehrlich… der Park ist imposanter.)

Cave Garden (Mount Gambier)

Cave im Cave Garden (Mount Gambier)

Ansonsten ist die Stadt flach, eingeschossige Gebäude prägen – wie fast überall in Australien ausserhalb der Grossstädte – das Stadtbild, was nach einer Weile langweilig werden kann. Aber: Mittendrin steht, auf den ersten Blick unauffällig, die Bibliothek, ebenfalls auf einem Geschoss untergebracht. Auffällig an der Einrichtung ist zuerst das Café welches direkt in der Bibliothek betrieben wird.

Blick ins Café. So sieht das aus in der Bibliothek…

Beim zweiten Blick fällt auf, wie neu die gesamte Bibliothek eigentlich ist. Insbesondere, da wir auf unserem Trip die ganzen Tage vorher zwar auch immer Bibliotheken in Melbourne und den kleinen Städten an der Great Ocean Road gesehen haben, die aber eher so aussahen, als wären sie das letzte Mal in den 1980er Jahren renoviert worden.

Warum ist das so? Eine Kollegin in der Bibliothek war so nett, es mir zu erkläutern. Noch vor einigen Jahren hatte auch Mount Gambier eine solche eher veraltete Bibliothek, dann aber wurde beschlossen, sie zu erneuern. Diese Erneuerung ging einher mit mehreren Befragungen und Informationsveranstaltungen bei und für die lokale Bevölkerung. Gefragt wurde, welche Einrichtung die Bevölkerung als sinnvoll ansehen würde. Heraus kam eine Bibliothek, die wohl den internationalen Debatten um die (Öffentliche) Bibliothek als Raum entspricht, aber auch in dieser Form von der Bevölkerung gewünscht wurde.

Zuerstallererst versteht sich die Bibliothek als community space:

Our place reinvents ‚library‘ as a state-of-the-art multipurpose community space totally relevant to its location. It’s a place where practicality takes on fantasy to draw people of all ages to an information-rich gathering place at the heart of our community, adding immeasurably to creative and intellectual life. [Mount Gambier Library / Learn – Connect – Explore (ohne Jahr), p. 2]

Dies zeigt sich darin, dass die Bibliothek vor allem für eine flexible Nutzung ausgelegt ist. Gruppenräume, Rückzugsecken, Jugendbereich (beziehungsweise: „A youth lounge area, complete with PlayStation 3 consoles, magazines, televisions and three specially commissioned ‚youth chairs’“ [Mount Gambier Library, a.a.O., p. 12], eine Kinderzone, die gleichzeitig Platz für Familien zum Spielen hat, das schon beschriebene Cafe direkt in der Bibliothek, ein ständiges Veranstaltungsprogramm, Infopanels, die Veranstaltungen und Kurse anpreisen, helle Farben, eine Bibliothekarin, die durch die Gänge streunt und gezielt Hilfe anbietet. Ausserdem der in Australien verbreitete Brauch, dass niemand Jacken oder Taschen abzugeben braucht, um eine Bibliothek zu benutzen, der relaxte und offene Umgang, die Freundlichkeit des Personals (Obgleich die sehr australisch zu sein scheint. Wer schon glaubt, in der Schweiz wären die Leute so viel freundlicher als in Deutschland wird sich in Australien wundern, wie offen und nett Menschen sein können. [Solange man sich selber nicht als Arsch benimmt, was über Backpacker leider oft berichtet wird – oder halt die falsch Hauptfarbe hat. Alles ist auch nicht gut dort unten, man sagt das Wort racism nicht, aber…])

Gleichzeitig, so erklärt die schon zitierte Broschüre der Bibliothek, aber auch die Kollegin vor Ort, versteht sich die Bibliothek als offener Treffpunkt, was auch in der Architektur, die mittels einer enormen Terasse weit über die Bibliothek selber hinausgreift, vermittelt wird. Hier findet sich auch der einzige Ort in der Stadt, wo es schnelles und kostenlosen Internet gibt (für uns TouristInnen glücklicherweise ohne jede Anmeldung). Das mag in Europa niemand erstaunen, aber das Internet in Australien ist so erstaunlich 1990er, dass es relevant ist. In Australien zahlt man immer noch extra für schnelleres Internet, an vielen Orten wird die Nutzung noch immer nach Downloadmenge berechnet. (In Hotels heisst „freies Internet“ zumeist 50 MB pro Tag, 200 MB pro Tag. Alles andere kostet extra.) Selbst in Melbourne ist schnelles unnd freies Internet eine Ausnahme. Eigentlich ist es nur in Universitäten, Bibliotheken und am Federation Square zu finden. [Zum Projekt, welches dieses Problem endlich angehen will, siehe Dias, Marcos Pereira / Australia’s project for universal broadband access: From policy to social potential. In: First Monday 17 (2012) 9, http://firstmonday.org/htbin/cgiwrap/bin/ojs/index.php/fm/article/view/4114/3299]

Der Bibliothek in Mount Gambier, um darauf zurückzukommen, gelingt es so tatsächlich einen Mittelpunkt der Community zu bilden, direkt bei den Einkaufmöglichkeiten. (Oder genauer: direkt an der Grenze zwischen den Multistores wie Target und den kleinen Geschäften in der Innenstadt.)

Eingang zur Mount Gambier Library

Beim Target auf dem Parkplatz stehen, die Library sehen.

Wir besuchten die Bibliothek an einem späten Vormittag unter der Woche, dass heisst über die Nutzung die gesamte Woche entlang (oder auch nur der Kulturveranstaltungen der Bibliothek) kann ich nichts sagen. Aber selbst zu diesem Zeitpunkt sassen im Café mehrere Gruppen von Seniorinnen und Senioren, die das offensichtlich des Öfteren dort tun, in die ruhigen Orte der Bibliothek hatten sich Personen zum Lesen und Lernen zurückgezogen, einige Familien spielten in der Familienzone.

Falls eine Bibliothek tatsächlich, wie es in Museums, Libraries and Urban Vitality postuliert wird, dazu beitragen kann, die Communities in kleinen Städten zu beleben, dann solche Einrichtungen, wie die in Mount Gambier.

Zielführend ist dabei offenbar gar nicht so sehr, sich an anderen Bibliotheken zu orientieren, sondern sich auf die lokale Gemeinschaft einzulassen. Das dabei immer wieder ähnliche Lösungen herauskommen (viele der in Museums, Libraries and Urban Vitality beschriebene Bibliotheken ähneln der in Mount Gambier), hat seinen Grund wohl darin, dass die Interessen der Communities ähnlich sind.

Trend zur Gemeinschafts-Orientierung

Dabei ist Mount Gambier nicht alleine mit dieser Entwicklung. Wie gesagt: Eine ganze Anzahl der Bibliotheken in Australien sieht – wie allerdings eh vieles in diesem Land – aus, als wären sie direkt aus den 1980er Jahren herübergebeamt worden. Aber das scheint sich auch zu ändern. Die State Library of South Australia in Adelaide hat zum Beispiel an ihre Eingangstür folgendes geschrieben:

Our vision: To provide unique, flexible, accessible, community focused facilities that inspire and stimulate community life“

Man beachte: Nicht Standards, nicht bibliothekarische Werte, nicht irgendwelche Rankingplätze, sondern „to inspire and stimlate community life“ steht im Mittelpunkt. Nicht die Bestandswünsche von Nutzerinnen und Nutzern, nicht die Informationskompetenz, sondern ein vitales „community life“ gilt als Leitziel. Und das, obwohl diese Bibliothek an vielen Stellen selber historisch aussieht.

Eingang der (noch) geschlossenen State Library of South Australia (Adelaide).

Auch in Bendigo, einer Kleinstadt „in der Nähe“ von Melbourne (was halt so Nähe heisst in Australien, zwei Stunden zügige Fahrt, zweieinhalb, wenn man die Mautstrassen umfährt) wird aktuell die Bibliothek komplett umgebaut und zwar genau zu dem Community Center, dass in Mount Gambier quasi schon steht. Insoweit scheint es sich um eine gewisse Tendenz zu handeln, auf die Community zu hören.

Ankündigung: Die Library in Bendigo wird ganz anders.

Ankündigung: Für die Bauzeit wird umgezogen.

Hier (direkt an die Hauptstrasse gegenüber dem grossen Park in der Mitte der Stadt) zieht sie solange hin.

Wie gesagt: Nicht alles ist perfekt down under, aber einige Bibliotheken sind grossartig. Zu fragen wären, ob daraus auch etwas für kleine Gemeinden in Europa zu lernen ist. Das ist keine einfache Frage. In Museums, Libraries and Urban Vitality wird immer wieder die These aufgestellt, dass europäische Städte, auch kleine, eine urbane Lebendigkeit hätten, die in den USA, Kanada oder Australien teilweise erst (wieder) über Bibliotheken oder Museen hergestellt werden müsste. Nimmt man das ernst, bräuchte es in Europa keine Bibliotheken als Community Center. Mir scheint aber, dass die Vorstellung von der urbanen Lebendigkeit in kleinen Gemeinden in Europa vom US-amerikanischen Fokus der meisten Autorinnen und Autoren her in dem Buch vollkommen überschätzt wird. Zudem ist die lokale Gemeinschaft auch nicht alles. Aber: Das ist eine andere Diskussion. Ich kann hie rnur kurz andeuten, dass sie geführt werden sollte.

Jetzt erstmal: Wer zufällig mal in Mount Gambier (oder demnächst auch Bendigo) vorbeikommt, sollte in die dortigen Bibliotheken schauen. Sie sind sehr erfrischend offen und lebendig.