Theorie, Organisation und Praxis der Schulbibliothek (1975) Alles muss einheitlich sein. (Zur Geschichte der Schulbibliotheken XIV)

1974, in einer Zeit, in der in der damaligen BRD (und West-Berlin) intensiv über umgreifende Bildungsreformen gesprochen wurde – beispielsweise über die Arbeit des „Deutschen Bildungsrates“ oder das Wirken von Ludwig von Friedeburg als hessischem Bildungsminister, der damals daran ging, das dreigliedrige deutsche Schulsystem abzuschaffen – beschloss die Kommission „Schulbibliotheken“ in der Arbeitsstelle für das Bibliothekswesen (die später zum Deutschen Bibliotheksinstitut wurde) die Arbeit für die folgenden Jahre. Grund dafür war unter anderem, dass die Arbeitsstelle im Januar 1975 eine „Beratungsstelle für Schulbibliotheken“ übernahm, die seit 1970 in einem Projekt an der Universität Frankfurt am Main aufgebaut worden war. (Doderer et al., 1970) Der Zeitpunkt ist bedeutsam: Die Bildungsreform, die Mitte der 1960er mit grossem Effort begonnen worden war, neigte sich einem Ende zu. Im Nachhinein kann festgehalten werden, dass in dieser Reform – in Verbindung mit den Reformen, die innerhalb der Gesellschaft durchgesetzt wurden – viel erreicht wurde: Bildungseinrichtungen wurden in grossem Masse aufgebaut worden (Schulen, Universitäten etc.), als Ziel von Bildung galten jetzt grundsätzlich selbstbewusste, kritischen Schülerinnen und Schüler, der Ausgleich von sozialen Ungleichheiten wurde angestrebt, neue Unterrichtsformen – sowohl solche, die demokratischer waren als zuvor als auch solche, die auf neue technische Möglichkeiten setzten – waren nicht nur erprobt, sondern teilweise auch durchgesetzt worden, Schulen und Universitäten in Ansätzen demokratisiert. Gleichwohl: 1975 war auch das Jahr, in welchem der Bildungsrat seine Arbeit einstellen musste, Dezember 1974 war von Friedeburg wegen heftiger Proteste gegen seine Bildungspolitik zurückgetreten, in der grossen Politik ging die Ära Brandt zu Ende, die Ära Schmidt begann. Es ging immer mehr um das Erhalten des Erreichten als um weitere Veränderungen.

Genau in dieser Umbruchszeit legte die Arbeitsstelle für das Bibliothekswesen, nachdem dies in der Beratung 1974 besprochen wurde, 1975 eine Publikation vor, welche vom Anspruch her den Leitfaden für den Aufbau eines alle Schulen der damaligen BRD umfassenden Schulbibliotheksnetzwerkes und für die Arbeit der Arbeitsstelle selber darstellen sollte: Theorie, Organisation und Praxis der Schulbibliothek: Ein Diskussionsbeitrag (Arbeitsstelle für das Bibliothekswesen, 1975). Dieser Text hatte eine grossen Einfluss, indem er das Denken des deutschen Bibliothekswesens über Schulbibliotheken zum Teil bis in die 2000er Jahre hinein prägte. Eine Anzahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an diesem Text – genannt werden im Impressum Birgit Dankert, Horst Meyer, Klaus Schleusener, Erich H. Wurster, Peter Zimmermann, Wolgang Dittrich und Helga Goedecke – waren lange Jahre mit Schulbibliotheken beschäftigt (Birgit Dankert lehrte beispielsweise bis 2007 in Hamburg und publizierte noch 2009 einen Text zu Schulbibliotheken in der BuB (Dankert, 2009).), gleichzeitig finden sich Angaben und Vorstellungen aus dieser Publikation später in vielen Texten wieder (z.B. Hoebbel & Kommission für Schulbibliotheken des ehemaligen Deutschen Bibliotheksinstituts, 2003). Zudem hatte er, durch seine Veröffentlichung durch den Deutschen Bibliotheksverband selber, eine quasi-offiziellen Charakter.

Die gesamte Publikation ist auf der einen Seite vom Geist der Bildungsreform, insbesondere vom damaligen Planungsoptimismus, der praktisch davon ausging, dass Bildungseinrichtungen einfach einheitlich geplant werden können und auch sollten, durchzogen. Gleichzeitig ist die Publikation praktisch bei ihrem Erscheinen schon überholt: Der Zeitgeist, welcher die Bildungsreform, aber auch die anderen gesellschaftlichen Reformen, getragen hatte, hatte sich gewandelt. (Nur zur zeitlichen Verortung: 1975 war beispielsweise auch das Jahr, in dem sich die Auseinandersetzung um die erste Generation der RAF im Hochsicherheitsgefängnis Stammheim zuspitzt, 1974 mit dem ersten Toten im Hungerstreik und sich auch der „Deutsche Herbst“, der dann 1977 voll beginnt, ankündigt. Die Euphorie des Aufbruchs vor vorbei, überall.) Gleichzeitig passt der Text in seine Zeit: Auf der einen Seite – insbesondere bei der Darstellung der zukünftigen Schulpädagogik – ist er fortschrittlich, auf der anderen Seite ist er erstaunlich autoritär.

Idee: Überall muss eine Schulbibliothek sein

Der Text geht grundsätzlich von der Annahme aus, dass es ein Schulbibliothekswesen für die gesamte BRD (über die damals nachgedacht wurde) geben müsse und auch würde. Es wurde angenommen, dass diese Schulbibliotheken grundsätzlich dem Öffentlichen Bibliothekswesen beigeordnet sein müssten, dass sie in allen Schulen errichten werden müssten und das der Text aufzeigen müsse, wie ein solches Schulbibliothekssystem aussehen sollte. Dabei fällt auf, dass es nur eine sehr kurze Begründung dafür gibt, warum Schulbibliotheken überhaupt eingerichtet werden müssten; vielmehr wird, mit Rückgriff auf ein damals oft zitiertes Gutachten der „Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung“ (Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung, 1973) über Öffentliche Bibliotheken sowie den „Bibliotheksplan 1973“ (Deutsche Bibliothekskonferenz, 1973), einfach angenommen, dass es praktisch eine überall geteilte Position sei, dass dieses Netz an Schulbibliotheken aufgebaut würde. Dies kann für den gesamten Text nicht stark genug betont werden: Es geht nicht darum, zu begründen oder abzuwägen, was Schulbibliotheken sein könnten oder wozu sie sinnvoll wären, sondern es gibt ein Idealbild – jede Schule in der BRD mit einem einheitlichen Angebot – von dem aus alles andere bewertet wird. Zugleich erhebt die Arbeitsstelle mit dem Text den Anspruch, die Institution zu sein, welche über Schulbibliotheken und deren Ausstattung entscheiden könne. Dies macht einen grossen Teil der autoritären Haltung des Textes aus.

Beispielsweise – und das wird in den folgenden Jahren, zum Teil bis heute, ein, wenn auch nicht immer ausgesprochener, Konfliktpunkt zwischen Aktiven in Schulbibliotheken und dem Öffentlichen Bibliothekswesen sein – werden nur Schulbibliotheken, die als Spezialfall von Öffentlichen Bibliotheken wirken, dem Öffentlichen Bibliothekswesen eingegliedert sind, von bibliothekarischem Personal geführt werden und bibliothekarischen Regeln folgen, wirklich als Schulbibliotheken anerkannt.1 Alle anderen Einrichtungen gelten als unfertig. Sie seien in einer „Übergangszeit“ zu akzeptieren, aber eigentlich nicht hinzunehmen. Dies ist keine Überspitzung, sondern erscheint in ähnlichen Formulierungen, insbesondere mit dem Begriff „Übergang“, immer wieder im Text. Gleichzeitig werden alle Projekte, die in den Jahren zuvor im Bereich Schulbibliotheken unternommen wurden, als Vorläufer der eigenen Arbeit interpretiert. Beklagt wird allerdings, dass diese Projekte und Ansätze uneinheitlich seien.

Grundsätzlich alles wird im Bezug auf diese Idealbild bewertet, gleichzeitig scheint die Vorstellung vorzuherrschen, dass dieser Zustand in absehbarer Zeit erreicht werden würde. Im Nachhinein ist das absurd, da die Bildungsreform – für die, man denke nur an die zahlreichen Universitätsgründungen dieser Jahre, tatsächlich relativ viel Geld in Hand genommen wurde – praktisch vorbei war, als der Text entstand. Ob dies in der damaligen Zeit auch so erlebt wurde, ist eine andere Frage. Grundsätzlich schwierig sind an dieser Haltung aber zwei Dinge: Zum einen hat sich diese Vorstellung indirekt bei einem Teil der aus dem Öffentlichen Bibliothekswesen heraus für Schulbibliotheken Tätigen über lange Jahre erhalten. So wurde lange Schulbibliotheken, die zum Beispiel von Lehrerinnen und Lehrern oder Ehrenamtlichen geführt wurden, als unvollständig angesehen. (Siehe nochmal als gesammeltes Beispiel solcher Haltungen, Hoebbel & Kommission für Schulbibliotheken des ehemaligen Deutschen Bibliotheksinstituts, 2003) In den Jahren nach 1975 hätte aber klar werden müssen, dass ein solcher Aufbau von Schulbibliotheken nicht zu erwarten wäre. Zum anderen verzichtet diese Haltung darauf, zu fragen, was Schulen eigentlich genau mit Schulbibliotheken anfangen sollen, wie diese im Schulalltag zu welchen Zwecken und mit welchen Effekten eingebaut werden sollten. Auch diese Haltung wird in späteren Texten immer wieder auftauchen: Anstatt sich um die mögliche Arbeit in Schulbibliotheken Gedanken zu machen, wird oft darüber geredet, wie diese ausgestattet sein müssten und das dies bislang nicht geschehen sei. Im Endeffekt verstellt das Idealbild also einen Blick auf die Realität in den Schulen, da es Schulbibliotheken offenbar nur als spezialisierte Öffentliche Bibliotheken verstehen kann.

Es wäre ein Aufgabe zu untersuchen, wie diese Haltung zustande kam. Zum Teil wird dies aus den Diskursen und Vorgehensweisen in der Bildungsreform zu erklären sein – der oben erwähnte Ludwig von Friedeburg war beispielsweise auch dafür bekannt, Pläne, die er richtig fand, einfach gegen jede Kritik durchdrücken zu wollen2 –, aber das kann nicht die alleinige Erklärung sein. Das Buch, welches am Anfang des Projektes in Frankfurt am Main stand (Doderer et al., 1970) ist beispielsweise noch nicht so einseitig.

Gleichwohl ist der Ton des Textes an vielen Stellen auch optimistisch. Es wird auf eine rege Diskussion zum Thema Schulbibliotheken im Bibliothekswesen verwiesen (bezeichnenderweise nicht auf Diskussionen in pädagogischen oder bildungspolitischen Zusammenhängen), es werden Projekte angeführt, die schon laufen oder demnächst beginnen sollen. Es wird behauptet, dass Schulbibliotheken Thema in der bibliothekarischen Ausbildung geworden seien. Offenbar sind die Autorinnen und Autoren zum Zeitpunkt der Publikation davon überzeugt, dass die Entwicklung umstandslos in Richtung ihres Idealbildes gehen würde und nur noch eine „Übergangszeit“ überbrückt werden muss.3

Zudem ist der Text an einigen Stellen irritierend fortschrittlich, insbesondere an den Stellen, an den es um pädagogische Fragen geht, beispielsweise um die neuen Aufgabe von Schulen, und gerade nicht um die Schulbibliotheken selber.

Aufbau und Begründung

Der Publikation folgt einem logischen Aufbau: Nach einigen einleitenden Worten wird die Situation von Schulbibliotheken dargestellt – immer von der Annahme ausgehen, sich in einer „Übergangszeit“ zu befinden –, anschliessend eine Herleitung der Aufgabe von Schulbibliotheken aus den pädagogischen Aufgaben der Schulen versucht. Der grössere Teil der Arbeit wird darauf verwendet, die Richtwerte und Leitlinien zukünftiger Schulbibliotheken darzustellen, anschliessend Angaben zum Betrieb und Personal dieser Schulbibliotheken zu machen. Allerdings ist das Verhältnis nicht ausgeglichen: Die Herleitung selber ist wenig überzeugend und vor allem kurz, während die Angaben zur Organisation der Schulbibliotheken ausführlich sind.

Die Broschüre greift die Grundtendenzen der zeitgenössischen Schulreformen auf und beschreibt den modernen Unterricht als einen, der selbstständig entscheidende Schülerinnen und Schüler hervorbringen will. Zudem werden die Ziele in einer Weise beschrieben, die gerade heute wieder (als innovative, jetzt von gesellschaftlichen Zielen und Debatten losgelöste) moderne Pädagogik beschrieben wird: Kompetenzorientiert und konstruktivistisch.

„Lehrer sollten sich nicht nur als Mittler von Wissen verstehen, sondern vor allem als Organisatoren und Anreger von Lernvorgängen; ihre Funktion ist eher beratend als instruierend. Die Schüler sind dementsprechend nicht mehr einseitig Informationsträger, sondern werden selbst aktiv durch Mitarbeit bei der Formulierung von Lernzielen und bei der Auswahl der Lerninhalte und -methoden. […]

Anzustreben ist eine Vermittlung und Anwendungen dieser Fähigkeiten [Grundfertigkeiten im Umgang mit Informationen, KS.] in möglichst allen Schulfächern, damit nicht nur Techniken erlernt werden, hinter denen die Inhalte zurückstehen, sondern daß die Inhalte bestimmen, welche Grundfertigkeiten gelernt oder angewendet werden.“ (Arbeitsstelle für das Bibliothekswesen, 1975:17)

In diesem Zusammenhang findet sich auch die These, dass Schulbibliotheken, in denen die Medien enthalten wären, welche die Lehrerinnen und Lehrer für ihre Unterrichtsplanung benutzen, allen Schülerinnen und Schülern ermöglichen würden, diese auch zu nutzen und sich somit demokratisierend auf die gleiche Ebene zu begeben, wie die Lehrenden. Ohne Schulbibliothek sein dies nur den Lernenden aus privilegierten Elternhäusern möglich. Schülerinnen und Schüler würden durch den Zugang zu Medien in der Schulbibliothek und einer aktiven Medienpädagogik dazu angehalten, die Distanz zu Medien abzubauen und den „relative[n] Charakter aller Medien, die notwendige Subjektivität aller ihrer Aussagen und Information“ (Arbeitsstelle für das Bibliothekswesen, 1975:22) verstehen. Der Text spricht explizit von einer „Profanisierung der Medien“ (Arbeitsstelle für das Bibliothekswesen, 1975:22) und postuliert, dass „Informationen […] im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit allen dienen [könnten]“ (Arbeitsstelle für das Bibliothekswesen, 1973:22). Solche Aussagen und Anspielungen auf marxistische Theoretiker (hier Walter Benjamin) sind noch schwache Verweise auf die vorhergehenden Debatten um Bildung in der breiten Gesellschaft.

Ansonsten sei die Schulbibliothek nötig, weil der moderne Unterricht auf den Einsatz vielen unterschiedlicher Medien und Medienformen angewiesen sei. Dies sei neu mit Schulbibliotheken „systematisch“ (Arbeitsstelle für das Bibliothekswesen, 1975:21) möglich.

Mit diesen Aussagen erschöpft sich aber die Begründung für Schulbibliotheken. Sie werden inhaltlich an die Bildungsreform gebunden, die dann einige Zeit später ausläuft.4 Gleichzeitig wird diese Verbindung nur behauptet, nicht nachgewiesen. Andere Möglichkeiten, wozu Schulbibliotheken im Alltag sinnvoll sein könnten, kommen gar nicht erst in den Blick. Vielmehr fährt die Broschüre damit fort, Einführungen in die Schulbibliothek zu entwerfen, die wenig mit dem zuvor geäusserten demokratisierenden Zielen, sondern eher mit der „richtigen“ Benutzung von Bibliotheken zu tun haben. (Arbeitsstelle für das Bibliothekswesen, 1975:25-31) Anschliessend folgt im Text die konkrete Arbeit der Schulbibliothek, teilweise sehr umfangreich. So wird der Schulbibliothek zum Beispiel die Aufgabe zugeschrieben, beständig Auswahl-Listen für Unterrichtsmaterial zu pflegen oder Medienpakete zusammenzustellen. Ganz offensichtlich wird hier die Schulbibliothek als kleine Öffentliche Bibliothek verstanden.

Erstaunlich ist auch, dass zwar an Stellen der Broschüre betont wird, dass eine Zusammenarbeit mit den Lehrerinnen und Lehrern notwendig wäre (Arbeitsstelle für das Bibliothekswesen, 1975:29), aber gleichzeitig grosse Bereiche der Bestandsentscheidungen dem bibliothekarischen Personal vorbehalten werden: „Das Entscheidungsrecht der Pädagogen sollte […] solche Materialien nicht einbeziehen, die zur freien Nutzung bereitgestellt werden.“ (Arbeitsstelle für das Bibliothekswesen, 1975:56)

Wie die Schulbibliotheken sein sollen

Wie schon mehrfach betont, geht der Text davon aus, dass der intensive Aufbau eines Schulbibliothekssystems bevorstehen würde. Dieses System entwirft der Text. Im Rückblick ist es erstaunlich, wie hoch die gestellten Forderungen sind. Grundsätzlich sollte es ein einheitlichen System von Schulbibliothek geben, mit gemeinsamen Richtlinien, die sich mit der Zeit aus den Erfahrungen der Schulbibliotheken ergeben sollten (der Text nennt zwar eine Anzahl von Werten, betont aber, dass es „zu früh“ sei, diese festzuschreiben), wenn auch nicht zu sehr standardisiert. (Hier widerspricht sich der Text, an einer Stelle wird die Standardisierung als unmöglich beschrieben, an anderen werden Richtlinien als notwendig angesehen.)

Grundsätzlich sollte es in jeder Schule der BRD eine Schulbibliothek geben – nur für die angebliche „Übergangszeit“ und für sehr kleine Schulen im ländlichen Raum werden Ausnahmen zugestanden –, die fachlich von Öffentlichen Bibliotheken angeleitet werden sollten. Eingebunden wären diese Schulbibliotheken als Sonderformen von Öffentlichen Bibliothek in das Öffentliche Bibliothekssystem, nicht in das Schulsystem. Gleichwohl, und das ist Nachhinein wohl eine der erstaunlichsten Forderungen, sollte die laufenden Kosten aus dem Schuletat getragen werden. Oder anders: Die Öffentlichen Bibliotheken hätten über die Arbeit der Schulbibliotheken entschieden, die Lehrerinnen und Lehrer hätten in bestimmten Bereichen kooperieren dürfen, die Schulen hätten das bezahlt und unter anderem die Räume zur Verfügung gestellt. (Arbeitsstelle für das Bibliothekswesen, 1975:46) Diese Forderung wird mehrfach in unterschiedlicher Form erhoben, gleichzeitig wird, wie angedeutet, den Schulen kaum klargemacht, warum eine solche Schulbibliothek für die Schulen überhaupt sinnvoll wäre.

Eine der wenigen klaren Angaben, die sich in der Broschüre zugetraut wird, ist die vorläufige Personalplanung: für Schulen mit bis zu 500 Schülerinnen und Schülern wird eine bibliothekarische Fachkraft für 10 Wochenstunden und eine Bibliotheksangestellte / ein Bibliotheksangestellter für 20 Wochenstunden veranschlagt, für grosse Schulen (ab 2000 Schülerinnen und Schülern) eine Fachkraft für 40 Wochenstunden und zwei Angestellte für insgesamt 80 Wochenstunden.5 (Arbeitsstelle für das Bibliothekswesen, 1975:79) 1975 gab es in der BRD (mit etwas mehr als 3000 Schulkindergärten) rund 29.000 Schulen.6 Es ist einfach zu sehen, wie hoch die Forderung in der Broschüre eigentlich war: irgendwo zwischen 58000 und 87000 Stellen (teilweise in Teilzeit) wurden auf diese Weise geplant.

Die Schulbibliothek sollten weiterhin Schulbibliothekarischen Arbeitsstellen (SBA) beigeordnet sein. Diese Arbeitsstellen – deren heute noch bestehende Vorzeigeeinrichtung in Frankfurt am Main geplant und aufgebaut wurde, als die Broschüre entstand – erhalten im Text klar definierte Aufgaben zugeschrieben. Soweit ersichtlich, findet sich in diesem Text die umfassendste Darstellung der allgemeinen Aufgaben dieser SBAs. (Arbeitsstelle für das Bibliothekswesen, 1975:48) Sie sollten:

  • Die Einrichtung der Schulbibliotheken (Bauberatung, Planung der Einrichtung) vornehmen.

  • Für den Bestandsaufbau Empfehlungslisten für Grundbestände zusammenstellen und diese pflegen, zugleich Modellbestände vorhalten.

  • Die Medien katalogisieren.

  • Den Austausch von Beständen unter den Schulbibliotheken in „ihrem“ Bereich ermöglichen.

  • Investitionsmittel für neue Schulbibliotheken verwalten.

  • Die Dienste „ihrer“ Schulbibliotheken entwickeln.

  • Fort- und Ausbildung des Schulbibliothekspersonals organisieren.

  • Die Fachaufsicht über dieses Personal übernehmen.

Im Nachhinein wurden unterschiedliche SBAs geplant und aufgebaut, nach 1990 auch noch einmal in Ostdeutschland, aber die meisten dieser Einrichtungen sind heute geschlossen oder haben sich in Richtung anderer Aufgaben entwickelt. (Zum Teil sind auch nicht bei bibliothekarischen, sondern schulischen Stellen angesiedelt.) In der Broschüre von 1975 hingegen werden sie beschrieben als notwendig für alle Städte; einzig in kleinen Gemeinden sollen bibliothekarische Fachstellen die Aufgaben der SBAs übernehmen. Auch bei diesem Konzept ist schnell ersichtlich, dass die Schulbibliotheken als faktische Filialen Öffentlicher Bibliotheken konzipiert wurden. Dafür allerdings ist, ohne eine richtige Begründung, im Konzept vorgesehen, dass die SBAs von Lehrkräften geleitet und erst die Stellvertretenden eine bibliothekarische Ausbildung haben sollen.

Wie schon angedeutet, wird, von diesem Konzept ausgehend, jede andere Form von Schulbibliotheken nur als Notbehelf verstanden und als „Übergang“ bezeichnet. Allerdings lässt sich auch die Frage stellen, ob nicht einfach das Konzept so ausgreifen ist, dass quasi jede andere Situation als unvollständig angesehen werden muss.

Fazit: Eine falsche Grundfrage, nachhaltige Wirkung

Die Broschüre hat, wohl auch dadurch, das sie für weitere Texte über Schulbibliotheken ab 1975 – insbesondere in der von 1975 bis 2000 erschienenen Zeitschrift schulbibliothek aktuell – als Grundlage diente, einen nachhaltigen Einfluss gehabt. Über lange Zeit wurden in Texten aus dem Bibliothekswesen Schulbibliotheken vor allem von der Idee her bewertet, dass sie als Sonderform der Öffentlichen Bibliotheken zu gelten hätten, diesen fachlich untergeordnet aber trotzdem wie diese ausgestattet sein müssten. Alles andere wurde niedrig geschätzt. Dieser Blickwinkel verhindert selbstverständlich, die Schulbibliotheken, die an den Schulen zumeist ohne Verbindung zu Öffentlichen Bibliotheken eingerichtet wurden, als sinnvolle Lösung auf Fragen, die sich in diesen Schulen stellten, zu verstehen.7

Dabei muss noch einmal betont werden, dass die Grundfrage der Broschüre offensichtlich falsch ist: Es wurde offenbar einfach davon ausgegangen, dass die Bildungsreform weitergehen würde und nach den neugebauten Universitäten, Volkshochschulen und Schulen die Schulbibliotheken eine weitere Institution wären, die massiv ausgebaut und gefördert werden würden. Das dies nicht passieren würde, hätte eigentlich klar sein können. Die oben angeführten Debatten um Ludwig von Friedeburgs Bildungspolitik und die sich formierende Opposition dagegen waren zum Beispiel nicht zu übersehen und werden im Nachhinein auch oft als ein Endpunkt der Reformprozesse wahrgenommen. Die Broschüre allerdings macht es sich zur Aufgabe, ein System von Schulbibliotheken zu skizzieren, dass für Aussenstehende wenig nachvollziehbar ist. Selbst wenn zugestanden wird, dass in der Zeit selber das Ende der Reformprozesse nicht sichtbar gewesen wäre, ist es erstaunlich, dass die rabiate Grundhaltung und -konzeption auch noch in den folgenden Jahrzehnten beibehalten wurde.

Dabei sind Schwachpunkte der Broschüre nicht zu übersehen. Abgesehen davon, dass teilweise widersprüchlich argumentiert wird – gegen Standardisierung, aber für Richtlinien et cetera – fehlen einfach die unterschiedlichen Blickwinkel der Schulgemeinschaften vollständig. Es wird vorausgesetzt, dass Schulbibliotheken in den Schulen genutzt würden. Lehrerinnen und Lehrer kommen im Text nur selten vor, selbst dann soll mit ihnen vor allem kooperiert werden. Ob sie das überhaupt wollen oder ob das überhaupt sinnvoll ist, ist nicht ersichtlich. Gänzlich fehlen – und das ist nach den kurzen Ausführungen zur Demokratisierung der Schulen besonders auffällig, weil widersprüchlich – im Text die Schülerinnen und Schüler selber. Obwohl fürh im Text ein Bekenntnis dazu abgelegt wird, dass sie auf gleicher Augenhöhe mit den Lehrerenden sein sollen, wird dann offenbar im Bezug auf Schulbibliotheken wieder über deren Köpfe hinweg entschieden.

Eine weitere Sache, die einfach fehlt, ist die „Theorie der Schulbibliothek“, welche im Titel der Broschüre angekündigt wird. Als gibt in ihr keine theoretische Auseinandersetzung, sondern vor allem ein aufeinander aufbauendes Aufzählen von Forderungen und Behauptungen. Ebenso ist nicht mehr sichtbar, ob die Diskussion, die im Untertitel „Ein Diskussionsbeitrag“ eingefordert wird, überhaupt geführt wurde. (Zumindest wurde sie es nicht in den bibliothekarische Zeitschriften der damaligen Zeit.)

Gleichwohl die Schwächen des Ansatzes dieser Broschüre und der Broschüre selber beim heutigen Lesen offensichtlich sind, hat sie über Jahrzehnten – mindestens bis in die ersten Jahre nach dem deutschen „PISA-Schock“ – das Denken über Schulbibliotheken in Deutschland geprägt. Wie schon in der Broschüre angelegt, war dies zumeist ein Denken innerhalb der bibliothekarischen Profession, in weiten Strecken ohne pädagogische Beiträge. Die Grundlinien werden zum Teil heute weiter reproduziert, obgleich andere Stimmen laut geworden sind, die Schulbibliotheken anders verstehen.

Literatur

Arbeitsstelle für das Bibliothekswesen, Deutscher Bibliotheksverband (1975) / Theorie, Organisation und Praxis der Schulbibliothek : Ein Diskussionsbeitrag (Materialien der Arbeitsstelle für das Bibliothekswesen, 14). Berlin: Publikationsabteilung des Deutschen Bibliotheksverbandes

Dankert, Birgit (2009) / „Und sie bewegt sich doch…“ : Bibliotheca Johannei: Die neue Schulbibliothek der Gelehrtenschule des Johanneums in Hamburg. In: BuB. Forum Bibliothek und Information 61 (2009) 7/8, 519–521

Deutsche Bibliothekskonferenz (1973). / Bibliotheksplan 1973 : Entwurf eines umfassenden Bibliotheksnetzes für die Bundesrepublik Deutschland. Berlin: Deutsche Bibliothekskonferenz

Doderer, Klaus ; Aley, Peter ; Merz, Velten ; Müller, Helmut ; Nicklas, Hans W. ; Nottebohm, Brigitte ; Schulze-Guttermann, Jutta & Siegling, Luise (1970) / Die moderne Schulbibliothek : Bestandsaufnahme und Modell ; Untersuchungen zur Situation der Schulbibliotheksverhältnisse in der Bundesrepublik und in West-Berlin ; Vorschläge zu ihrer Verbesserung (Schriften zur Buchmarkt-Forschung; 19). Hamburg: Verlag für Buchmarkt-Forschung

Hoebbel, Niels ; Kommission für Schulbibliotheken des ehemaligen Deutschen Bibliotheksinstituts (Hrsg.) (2003) / Schulbibliotheken: Grundlagen der Planung, des Aufbaus, der Verwaltung und Nutzung (Beiträge Jugendliteratur und Medien, Beiheft, 14). Weinheim: Juventa-Verlag

Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung (1973). Öffentliche Bibliothek : Gutachten (Materialien der Arbeitsstelle für das Bibliothekswesen, 1). Berlin: Publikationsabteilung des Deutschen Bibliotheksverbandes

Statistisches Bundesamt (Hrsg.) (1979). Statistisches Jahrbuch 1978 für die Bundesrepublik Deutschland. Stuttgart ; Mainz: W. Kohlhammer, http://www.digizeitschriften.de/dms/resolveppn/?PPN=PPN514402342_1978

Fussnoten

1 Ein aktuelles Beispiel findet sich in der Broschüre „Tipps für den Aufbau einer Schulbibliothek“ aus dem letzten Jahr (Büchereizentrale Niedersachsen (Hrsg.) (2014). Tipps für den Aufbau einer Schulbibliothek: Eine Arbeitshilfe für Öffentliche Bibliotheken in Niedersachsen . Lüneburg : Büchereiverband Lüneburg-Stade e. V, 2014, http://www.bz-niedersachsen.de/download-s.html?&file=tl_files/bz-niedersachsen/Content/Arbeitshilfen/Arbeitshilfe.Schulbibliotheken.pdf), in der sich weiterhin Schulbibliotheken eingeteilt werden in „Selbstständige Schulbibliothek“, „Schulbibliothek als Teil der Öffentlichen Bibliothek“ und „Öffentliche Bibliothek und Schulbibliothek kombiniert “. (ebenda:4) Diese Dreiteilung ist nicht sinnvoll, wenn man sich die unterschiedlichen Formen der Schulbibliotheken anschaut, die sich entwickelt haben und in Deutschland fast durchgängig „Selbstständige Schulbibliotheken“ (also solche ohne Anbindung an Öffentliche Bibliotheken) darstellen. Geht man aber, wie der Text von 1975, davon aus, dass Schulbibliotheken nur dann vollständig sind, wenn sie fachlich von den Öffentlichen Bibliotheken geleitet werden, ergibt sich eine solche Dreiteilung, weil damit die „Reife“ einer Schulbibliothek bestimmt werden kann. (Arbeitsstelle für das Bibliothekswesen, 1975:51) Allerdings wird dies in der Broschüre aus Niedersachsen nicht so offen gesagt.

2 Wobei er damit in vielen Fällen aber auch Recht hatte, immerhin musste er sich als linker Sozialdemokrat in einer Gesellschaft durchsetzen, für die Bildung in vielen Teilen noch Erziehung zur Konformität hiess. Es ist nicht so eindeutig.

3 Dies erinnert, aber das mag eine sehr subjektive Einschätzung sein, an die Haltung, die Jürgen Kuczynski (In: Kuczynski, Jürgen (1989 [1983]). Dialog mit meinem Urenkel : neunzehn Fragen und ein Tagebuch. Berlin: Schwarzkopf & Schwarzkopf) gerade im Bezug auf den Kommunismus macht. Kuczynski betont in seinem Dialog ständig, dass er als Kommunist wisse, dass der Kommunismus am Ende kommen würde und sich nur frage, wann das endlich der Fall wäre. Diese Haltung mag insbesondere für Intellektuelle in der DDR hilfreich und aufbauend gewesen sein, aber heute hinterlässt sie eine komischen Eindruck. Nicht, weil es um den Kommunismus geht, sondern weil diese eschatologische Idee offensichtlich blind macht für die realen Situationen. Wenn man davon ausgeht, dass Ende zu kennen, ist es einfach, nicht mehr danach zu fragen, ob man damit Recht hat. So fragt die Arbeitsstelle für das Bibliothekswesen auch gar nicht danach, ob vielleicht Schulen ohne Schulbibliotheken oder mit anderen Schulbibliotheken, als sie sich vorstellen, sinnvoll sein könnten oder ob Gründe gegen „ihre“ Schulbibliotheken vorliegen könnten; ähnlich so wie Kuczynski (der ja zum Beispiel um Stalin einen grossen Bogen macht) nicht fragt, ob eine andere Gesellschaftsform sinnvoll sein könnte (wie gesagt, er hat auch gute Gründe dafür, insbesondere weil er als Historiker wusste und gezeigt hat, was der Kapitalismus alles anrichten kann – aber es geht hier einmal nicht darum, sondern um die grundsätzliche Parallele, nämlich darum, warum die Haltung, die in der hier besprochen Publikation zu Schulbibliotheken vertreten wird, komisch ist.)

4 Auch hier gibt es eine Parallele zu späteren Projekten. In Hamburg wurde 2009-2011 ein Schulbibliotheksprojekt aufgegleist, dass eng mit der angestrebten Schulreform des schwarz-grünen Senats verknüpft war und mit dem vorzeitigen Ende dieses Senats auch auslief.

5 Und auch hier wieder eine historische Note: 1974/1975 waren Forderungen nach einer 35 Stundenwoche schon laut geworden, 1978 kommt es dann sogar schon zu den ersten Streik mit dieser Forderung. Die Broschüre ignoriert diese Diskussion und geht von einer 40 Stundenwoche aus.

6 Statistisches Bundesamt, 1979:338.

7 Dazu hat aber nicht nur das Bibliothekswesen, sondern auch die Bibliothekswissenschaft beigetragen. Diese hat sich in Deutschland nur selten für die Schulbibliotheken interessiert, und wenn, dann zumeist aus dem hochtrabenden Blickwinkel, der in dieser Broschüre angelegt war. Diese Haltung, die bis nach 2000 in vielen Texten durchscheint, war überhaupt ein Grund, warum ich 2006 meine Magisterarbeit über Schulbibliotheken in Deutschland geschrieben habe: Weil mir diese Haltung so realitätsfern vorkam und diese Texte mir ein Unbehagen bereiteten.

Team-Teaching und Schulbibliotheken (1972) Eine ganz neue Schulbibliothek für eine ganz neue Schule (Zur Geschichte der Schulbibliotheken, X)

Beginnend in den späten 1960er und dann durchgreifenden in den 1970ern Jahren kam es im deutschsprachigen Raum (ausser der DDR) zu einer massiven Diskussion um notwendige Reformen des Bildungswesens, insbesondere der Schulen. (Siehe als ein oft zitiertes Beispiel Schmiederer, 1971) Diese Reformdiskussion war massiv und mutig, schlug grundlegende Veränderungen des gesamten Systems und des Unterrichts in den Schulen vor, inklusive neuer Bildungsziele. Es ging darum, auf eine wahrgenommene „Bildungskatastrophe“ zu reagieren und gleichzeitig einer neuen, demokratischeren und technologisch fortschrittlichen Gesellschaft gerecht zu werden. Die bundesdeutsche – sowie, wenn auch mit Verzögerung akzeptiert, die österreichische und schweizerische – Gesellschaft wurden anders, offener, mehr an sozialer Gerechtigkeit interessiert. Schulen sollten Schülerinnen und Schüler dabei unterstützen, erfolgreich an dieser neuen Gesellschaft partizipieren zu können: Als selbstverantwortliche Menschen und nicht als Untertanen. Getragen wurden die Debatten und darauf aufbauenden Projekte von einer politisierten Erziehungswissenschaft und -praxis, aber auch einer Bildungspolitik, die sich zum Teil sehr viel zutraute. (Siehe u.a. Hessischer Kultusminister,, 1970) Im Vergleich dazu nehmen sich heutige Debatten und Reformprojekte um Bildung, auch im Zuge der ersten PISA-Studien, wenig mutig und ein wenig ziellos aus.

Die Broschüre, um die es in diesem Beitrag gehen soll (Lutz 1972), ist in dieser Diskussion zu verorten: Sie versuchte eine mögliche Neukonzeption von Schulbibliotheken im Rahmen dieser Debatten. So, wie in den Debatten ganz neue Schulen und ein ganz neuer Unterricht gefordert wurden, postuliert die Broschüre eine ganz neue Schulbibliothek.

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Gesamtschulen als Schulprojekte

Integrierte Gesamtschulen waren eines der grossen Projekte dieser Bildungsdiskussionen, an die viele Hoffnungen gebunden wurden. (Klafki 1968) Diese neue Schulform, die alle bisherigen Schulabschlüsse anbieten sollte, würde eine höhere Durchlässigkeit der Schülerinnen und Schüler ermöglichen. Sie sollte Anstoss zu einer radikalen „Schulerneuerung“ sein. Organisiert mit einem flexiblen Unterrichtsmodell, das auf der Nutzung unterschiedlicher Unterrichtsformen (von Lehrvortrag über Projektarbeiten bis zu Selbststudium), moderner technischer Geräte und Lehrmethoden basieren sollte, orientiert an den Interessen der Kinder und Jugendlichen und eher auf Bildung als Menschenbildung denn als Ausbildung abzielend, sollte sie die Basis liefern für eine neue Schule. Der Unterricht in diesen Gesamtschulen sollte in immer wieder neu zusammengesetzten Gruppen erfolgen, so dass sich fast schon ein individualisierter Unterricht ergeben würde, der unter anderem dafür genutzt werden könne, Entscheidungen über eine Schullaufbahn immer wieder zu revidieren und nicht, wie beim gegliederten Schulsystem, früh vorzugeben. Gleichzeitig würden die Schülerinnen und Schüler beständig in Gruppen an Lernprojekten „forschend lernen“. Unterricht würde in flexiblen Zeiten erteilt – orientiert am Inhalt und nicht an starren Zeitplänen. Gleichzeitig sollte für Teile auf den „programmierten Unterricht“ – ein Unterricht, der mithilfe von technischen Apparaten das zu vermittelnde Wissen so darbieten und prüfen sollte, dass die Lernenden ihr eigenes Lerntempo bestimmen würden (und damit ein Vorläufer von Blended Learning und Lernplattformen darstellt) – und weitere pädagogische und technische Entwicklungen zurückgegriffen werden.

Gleichzeitig sollte die Schule demokratisch organisiert sein: „Schülerselbstverwaltung“, Schulzeitung, Mitsprache im Unterricht und bei der Unterrichtsplanung wurden regelmässig als notwendig für solche neuen Schulen postuliert. (Händle, 1977) Die Kinder und Jugendlichen, welche eine solche Schule durchlaufen würden, wären am Ende selbstbewusst und offen. Kurz: Es ging darum, die ganzen Schulen (und darüber die ganze Gesellschaft) zu verändern.

Im Endeffekt wurde vom Bildungsrat – der von der deutschen Bundesregierung eingesetzt wurde – vorgeschlagen, eine Anzahl von Gesamtschulen, die intern unterschiedliche Organisationsmodelle ausprobieren sollten, als Schulprojekte einzurichten und wissenschaftlich zu begleiten. (Deutscher Bildungsrat, 1969) Grundsätzlich sollten in diesen Projektschulen Erfahrungen gesammelt und von diesen ausgehend langfristig alle Schulen verändert werden. Diese Gesamtschulen wurden tatsächlich in einer grossen Zahl eingerichtet und teilweise von engagierten Eltern und Lehrenden gegen lokale Behörden erkämpft.

Sicherlich: Im Rückblick ist klar, dass vieles, was sich von den Gesamtschule erhofft wurde, nicht eintrat. Warum, soll hier nicht Thema sein. Sie etablierten sich eher als weiterer Schultyp neben den anderen Schultypen, oft auch ohne die eigenen Ansprüche erfüllen zu können. Gleichzeitig wurden in den Gesamtschulen Dinge ausprobiert – beispielsweise der flexibilisierte Unterricht – die in den letzten Jahren als angebliche Innovation in vielen Schulen eingeführt wurde. (Wie sich vieles, was im Bildungswesen heute als innovativ gilt, schon in den Diskussionen der 1970er Jahre findet.) Die Broschüre aber, die hier thematisiert wird, wusste davon noch nichts, sondern ist sowohl zeitlich als auch vom Anspruch und Gestus her in die frühen 1970er einzuordnen. Sie nimmt die Schulreform als eine in naher Zukunft kommende wahr und versucht, relativ zeitnah darauf zu reagieren.

Team Teaching

Team Teaching war eines der neuen pädagogischen Angebote, welche diese neuen Schulen auszeichnen sollte. (Warwick, 1971) Es gab und gibt unterschiedliche Vorstellungen, was genau dies heisst, die Autorin der hier behandelten Broschüre stellt aber sehr klar, an welchen in den Diskussionen vertretenen Konzepten sie sich orientieren will (Lutz, 1972:9-15): An relativ weitgehenden.

In der von der Autorin der Broschüre genutzten Vorstellung wird Team Teaching im Deutschen als „Beweglicher Unterricht“ bezeichnet: Ein Team, bestehend aus mehreren Lehrenden, pädagogischen Assistentinnen und Assistenten, technischem Personal sowie, wenn sinnvoll, Personen von ausserhalb der Schule, planen zusammen diesen Unterricht und zwar immer neu, bezogen auf die jeweiligen Schülerinnen und Schüler. Zudem bewerten sie zusammen die Leistungen die Lernenden, aber auch das in jeweils zum Unterricht und Inhalt passender Weise. Der Unterricht ist insoweit beweglich, als das sich Lehr- und Lernmethoden immer wieder abwechseln. Grundsätzlich sollen die Schülerinnen und Schüler in ihm in Gruppen forschend und selbstständig lernen, aber dies eingebettet in einen Unterricht, der grundlegende Fakten in Lehrvorträgen (70 bis 200 Lernende) vermittelt, in Kleingruppenunterricht (8 bis 15 Lernende) weitergeführt und dann in Einzelunterricht und Selbststudium/Selbstarbeit einen Grossteil des tatsächlichen Lernens ermöglichen soll. Grundsätzlich soll das, was die Lernenden sich selber erarbeiten können, auch von diesen erarbeitet werden. Die Arbeit in immer wieder wechselnden Gruppe soll eine grössere Durchlässigkeit zwischen den Leistungsgruppen ermöglichen.

Ein solcher Unterricht würde vom lehrenden Team eine ständige Kooperation und auch Neu- oder Überarbeitung ihrer Lehrmaterialien ermöglichen. Was also im Gegensatz zum traditionellen Unterricht an Lehrzeit an die Gruppen von Schülerinnen und Schüler abgegeben wird, wird auf der anderen Seite für die ständige Überarbeitung des Unterrichtsplans benötigt. Zudem müssen sich Lehrerinnen und Lehrer auf die Zusammenarbeit mit anderen einlassen.

Dieser neue Unterricht würde sowohl herkömmliche als auch neue, jeweils angepasste Lehrmittel benötigen:

Konventionelle Lehrmittel (Buch, Landkarte, Foto, Demonstrationsobjekte) bleiben in ihrer Bedeutung für den Unterricht voll erhalten, bedürfen jedoch einer Ergänzung durch andere Medien, und zwar solchen, die eine den jeweiligen Lernzielen optimal entsprechende Informationsvermittlung und Anschauung bieten.

Multimediale Hilfen können und müssen in jeder Form des „beweglichen Unterrichts“ eingesetzt werden: im Großgruppenunterricht (z.B. Overhead-Projektionen, Filmvorführungen), im Kleingruppenunterricht (z.B. Stoffvermittlung durch Programmierten Unterricht und Lerncomputer […]). Den nachhaltigsten Lernerfolg erzielt der Einsatz von multimedialen Hilfen beim Einzelstudium, weil der einzelne Schüler beim konzentrierten Umgang mit audiovisuellen Informationsträgern dem höchsten Grad von Anschaulichkeit ausgesetzt ist.“ (Lutz, 1972:13)

Diese Medien würden, wie im Zitat sichtbar wird, neue „Lernmaschinen“ benötigen. Solche Computer und Maschinen wurden in den 1970ern in grosser Zahl gebaut und ausprobiert, zum Teil auch tatsächlich in die Schulen gebracht, beispielsweise in Sprachlabors. Gleichzeitig gab es lange hohe Erwartungen an die „kommenden Geräte“. (Siehe nur die Ausgaben der Zeitschrift „Programmiertes Lernen und programmierter Unterricht“, http://www.digizeitschriften.de/dms/toc/?IDDOC=627045, später „Programmiertes Lernen“) Die Autorin der Broschüre geht davon aus, dass die kommenden neuen Schulen zumindest für die Selbstarbeit der Schülerinnen und Schüler einen neuen, mediengestützten Unterricht aufbauen würden:

„[So] ist die eigentliche Innovation des Unterrichts im Medienverbund darin zu sehen, daß an die Stelle der Lehrer-Schüler-Beziehung ein mediales Lehrsystem tritt, das selbst lehrt, also die Objektivierung der Lernfunktion bewirkt […].“ (Lutz, 1972:14)

Diesen Konzepten angemessen wurde auch der Raum der neuen Schule konzipiert: Er sollte die unterschiedlichen Lernformen ermöglichen, am Besten als Campus mit mehreren Häusern, wobei es für die Schülerinnen und Schüler immer einen „Heimatort“ geben sollte, also eine Gebäude oder Raum, der als Klassenzimmer funktionieren sollte, von dem aus sie andere Gebäude und Räume besuchen würden. Die Flexibilität wäre also nicht vollständig.

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Eine ganz neue Schulbibliothek

Den radikalen Konzepten einer neuen Schule angemessen, entwirft die Autorin eine zum Teil ganz neue Schulbibliothek. Dabei ist zu erwähnen, dass die Broschüre zuerst als Abschlussarbeit in der bibliothekarischen Diplom-Ausbildung erstellt wurde. Gleichzeitig wurde sie durch den Deutschen Büchereiverband als Heft 1 einer Schriftenreihe der Bibliothekar-Lehrinstitute verlegt und damit zu einer offiziellen Publikation erhoben. Allerdings behielt der Text die Einschränkungen einer Abschlussarbeit: Er basiert auf einer Analyse der vorhanden Debatten zur neuen Schule, auf denen aufbauend eine betreffende Schulbibliothek skizziert wird. Eine empirische Forschung gibt es in ihr nicht. Es ist ein Zukunftskonzept, dass auf der Überzeugung basiert, dass die in der Erziehungswissenschaft und Bildungspolitik geführten Debatten umgesetzt werden würden.

Grundsätzlich ist die Idee, dass eine solche Schule, wie sie als neue Schule beschrieben wurde, auch eine bestimmte neue Schulbibliothek benötigen würde. Diese Schulbibliothek sollte explizit darauf ausgerichtet sein, den „neuen Unterricht“ zu unterstützen. Andere Funktionen von Schulbibliotheken werden gar nicht erst erwähnt. Vielmehr gilt der Autorin – und damit gleicht ihr Text zahlreichen anderen Konzepten –, dass die Schulbibliothek als eine der Zentralen der Schule dienen müsse.

Im Gegensatz zu anderen Konzepten – sowohl früheren als auch späteren – gilt für sie, dass diese neue Schulbibliothek nicht vorrangig für die Schülerinnen und Schüler sondern fast gleichberechtigt auch für die Lehrerinnen und Lehrer und pädagogischen Assistentinnen und Assistenten arbeiten solle. Diese sollten in der Schulbibliothek die Materialien finden, mit denen sie den Unterricht planen und gestalten könnten, inklusive moderner Lernmittel. Wie in vielen anderen Publikationen zu Schulbibliotheken enthält auch diese eine lange Aufzählung von Tätigkeiten, die in der Schulbibliothek ausgeführt werden sollten:

  • Für Lehrende
    • Planung und Vorbereitung des Unterrichts
    • Zentrale für Materialien, die im Unterricht verwendet werden können
    • Kontrolle der Arbeiten von Schülerinnen und Schüler
    • Austausch mit dem Bibliothekspersonal über geeignete Medien für den Unterricht
    • Prüfung der vorhandenen Lehrmittel (nicht nur der Lehrbücher, sondern auch der anderen Medien und Geräte)
    • Erstellung eigener Lehrmittel
    • Beratung zum Ankauf von neuen Materialien
  • Für Lernende
    • Vorbereitung auf den Unterricht, allein und in Kleingruppen
    • Materialien und Informationen für Vorträge
    • Erlernen, mit Informationsträgern umzugehen
    • Den Umgang mit Lerngeräten erlernen
    • Lesen aus „bloßer Freude“ (Lutz, 1972:17)
    • Befriedigung aktueller Wissensbedürfnisse mit Zeitungen und Zeitschriften

Aus diesen Anforderungen ergibt sich eine weitere Liste von Aufgaben und Anforderungen an solche neuen Schulbibliotheken:

  • Die Schulbibliothek muss flexibel sein, sowohl räumlich als auch inhaltlich
  • Die Schulbibliothek muss immer geöffnet haben, wenn die Schule geöffnet ist, im Idealfall darüber hinaus auch in den Ferien
  • Die Schulbibliothek muss so konzipiert sein, dass sie entwickelbar ist, das heisst „daß sie sich künftigen Entwicklungen der Unterrichts- und Informationstechnologie problemlos anpassen lässt“ (Lutz, 1972:18)
  • Der Bestand (mit einer jährlichen Erneuerungsquote von 30%, und damit viel mehr, als in Öffentliche Bibliotheken) plus die Geräte, die vorgehaltenen werden (aufgezählt werden: Plattenspieler, Tonbandgeräte, Kassetten-Aufnahme und Wiedergabegeräte, Radiogeräte, Projektoren für 16mm-Filme und Super 8-Kassetten, Diaprojektoren, Overhead-Projektoren, Videorekordern, Bildkassettenabspielgeräte, Maschinen und Programme für den programmierten Unterricht, Mikrofilmgeräte für die schuleigene Dokumentation), müssen vorrangig auf Unterricht ausgerichtet sein
  • Das Schulbibliothekspersonal soll dem Lehrkörper gleichgestellt sein, da es sich auch in ständiger Beratung mit den Lehrerinnen und Lehrern befindet. Es soll diese Beratung sicherstellen können („Er [der Schulbibliothekar] muß bibliothekarischer Fachmann sein, pädagogisch-didaktische Fähigkeiten haben, technische Kenntnisse besitzen, die an der Schule unterrichteten Fächer gründlich kennen, kooperationsbereit sein, Spezialkenntnisse über alle in der Schule vertretenen oder auf die Schule zukommenden Informationsmedien haben und elektronische Speicheranlangen bzw. Lehrmaschinen in ihrer Arbeitsweise und Programmflexibilität kennen […].“ Lutz, 1972:30) Die Ausbildung dieses Personals konzipiert die Autorin als eine mindestens sechsemestrige pädagogische Ausbildung (Lutz, 1972:31) plus ständiger Weiterbildung.
  • Gleichzeitig empfiehlt sie die Einbeziehung des Schulbibliothekspersonals in den Unterricht für Recherchetraining und die Arbeit mit Informationsmedien. Zudem könnte das Personal im Team Teaching eine Rolle wahrnehmen, wenn es den Schülerinnen und Schülern am Anfang eines Lernprojekts die vorhandene Medien zum Thema darstellt.
  • Die Erschliessung der Medien sollte möglichst tief erfolgen, da nur so die betreffenden Dokumente gefunden werden könnten. Eine Erschliessung, die auf eine oberflächliche Beschreibung der vorhandenen Medien abhebt, sei in der Schule nicht angemessen.
  • Die Bibliothek sollte zudem ständig Anregungen zu weiteren Lernprojekten – sowohl in der Schule als auch ausserhalb – geben, beispielsweise mit Ausstellungen oder Veranstaltungen.
  • Der Raumbedarf, den die Autorin postuliert, ist riesig: Mindestens 30% der gesamten Schulgemeinschaft sollten gleichzeitig in der Bibliothek arbeiten können. In einem eigenen Abschnitt beschreibt sie die unterschiedlichen Funktionen, die baulich zu lösen wären. Auch hier ist sie von den zeitgenössischen pädagogischen Diskussionen geprägt, beispielsweise wenn sie in den Zugangsbereich sowohl Rauchzonen (in der Schule) als auch Räume für „Schülerselbstverwaltung“ und „Schülerzeitung“ (Lutz, 1972:24) verortet. Gemäss ihrer Konzeption, dass die Schulbibliothek eine Zentrale der Schule sein soll, verortet sie zum Beispiel auch Konferenzraum und unterschiedliche Zonen (Multimedia-Zone, Allgemeine Lesezone, Studierzone, Großraum, Disskussion (Lutz, 1972:26-27)) in der Schulbibliothek.

Interessant ist das Verhältnis der Schulbibliothek zur Öffentlichen Bibliothek, das die Autorin postuliert. Die neue Schulbibliothek würde kaum Belletristik enthalten. Vielmehr sei dies die Aufgabe der Öffentlichen Bibliothek, an die bei Leseinteresse verwiesen werden könne. Gleichzeitig wird den Öffentlichen Bibliotheken unterstellt, den Bestand nicht ausreichend tief zu erschliessen und auch nicht so aktuell zu halten, wie die neue Schulbibliothek. In gewisser Weise werden sie den Schulbibliotheken nachgeordnet, was der tatsächlichen Praxis entgegensteht.

Wie gesagt basiert dieses Konzept nicht auf empirischen Material. Nur ganz kurz erwähnt die Autorin die Situation von Schulbibliotheken zu ihrer Zeit und stellt eine grosse Uneinheitlichkeit fest, zudem sei die Schulbibliothek „ein bloß flankierendes Instrument der Schule“ (Lutz, 1972:16). Zudem erwähnt sie eine Differenzierung in Klassenbücherei, Zentrale Schulbücherei und Lehrerbücherei, allerdings ohne grössere Wertung.

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Fazit

Nimmt man die Autorin ernst – und das sollte man – so würde die neue Schulbibliothek, die sie zeichnet eine Einrichtung sein, in der Teams aus Lehrkräften, Assistentinnen, Assistenten und weiteren Personen beständig einen flexiblen Unterricht besprechen, planen, vorbereiten und dessen Ergebnisse bewerten. Gleichzeitig würde sie in der Bibliothek alle Lehrmaterialien – welche die ganze Zeit aktuell gehalten würden – finden und selber solche Materialien erstellen. Dabei würden sie auf das Wissen des Schulbibliothekspersonals zurückgreifen, dass sich auf Augenhöhe mit den Fachlehrerinnen und -lehrern befindet. Zur gleichen Zeit würden Schülerinnen und Schüler in der Bibliothek arbeiten, sowohl in Kleingruppen als auch alleine, ihre Lernprojekte durchführen oder sich auf den Unterricht vorbereiten. Dies alles in einem flexiblen, grossen Raum auf einem flexibel zu nutzenden Campus, in einer relativ demokratischen Atmosphäre und unterstützt von der jeweils aktuellsten Lehr- und Lerntechnik. Ständig wäre in dieser Bibliothek ein aktiver Betrieb. Nur für das „reine Lesen“ müssten die Schülerinnen und Schüler in die Öffentliche Bibliothek. Diese neue Schulbibliothek würde selbstverständlich erhebliche Kosten verursachen; aber auch die angedachten Gesamtschulen wären teurer als die herkömmlichen Schulen. Alleine die Vorstellung, dass den Lehrerinnen und Lehrern noch pädagogische Assistentinnen und Assistenten hinzugestellt werden, ist ein Kostentreiber. Gleichzeitig sollen beide – die neue Schule und die neue Schulbibliothek – zu besseren Lernergebnissen führen. Heute, nach Jahren einer Politik, die vor allem auf das Sparen setzt, ist das vielleicht wenig vorstellbar, aber es gab eine Zeit, in der in den deutschsprachigen Staaten (auch in der DDR, aber dort aus anderen politischen Überlegungen) eher gefragt wurde, was notwendig für eine neue Gesellschaft wäre und dies dann zu grossen Teilen auch finanziert werden konnte. (Siehe die Universitätsgründungen „in der Fläche“ in den 1960er und 1970er Jahren.)

Heute liest sich die Publikation ein wenig grössenwahnsinnig und der realen Praxis in Schulbibliotheken enthoben. Aber auch dies ist zeitgenössisch: Die damalige Bildungsdiskussion traute sich grosse Entwürfe zu (Hessischer Kultusminister, 1970), die untermauert wurden durch einen gesellschaftlichen Aufbruch, der mindestens zu mehr Demokratie und Freiheiten führen sollte (wobei weitergehende Konzepte, gerade kommunistische und anarchistische, in der breiten Diskussionen mit einem heute vielleicht kaum vorstellbaren Effort vertreten und ernsthaft diskutiert wurden). Es ging um nicht weniger als einen Neuentwurf der Gesellschaft und damit auch der Schule. Insoweit passt sich das Konzept von Lutz gut in diese Debatten ein. Sicherlich ist es in einer solchen gesellschaftlichen Situation gut und sinnvoll, dass zukunftsgerichtet konzipiert wird. Ob diese Konzepte je umgesetzt werden können, ist da erst einmal eine nachrangige Frage.

Grundsätzlich kommt das Konzept, wie schon dargestellt, ohne weitere Empirie aus, nur einige Erfahrungswerte werden zitiert. Dafür aber ist es weit mutiger als alle heutigen Konzeptionen und Fachpapiere, die zumeist Veränderungen als graduelle Weiterentwicklungen des schon Bestehenden beschreiben. Insoweit ist „Team-Teaching und Schulbibliothek“ auch erfrischend zu lesen, da sich hier Visionen zugetraut werden. Gleichzeitig ist dies auch ein Mangel: Die Autorin behauptet, dass neue Schulbibliotheken für den neuen Unterricht notwendig wären, sie beweist dies nicht. Die Idee ist eher, dass neue Medien und Geräte verwendet werden und der Unterricht ständig neu geplant werden müsse – und dies in der Schulbibliothek geschehen solle. Die Praxis hat gezeigt, dass dies auch immer anders geht und Lehrerinnen und Lehrer sich oft selber ihre Lehrmedien besorgen, ohne auf das Wissen von Bibliothekarinnen und Bibliothekaren über die Entwicklungen auf dem Medienmarkt zurückzugreifen. Das Konzept stellt eine Möglichkeit dar, den Anforderungen der neuen Schule zu begegnen; aber dies ist noch kein Beweis dafür, dass dies der sinnvollste Weg wäre.

Auffällig ist eher, was aus der zeitgenössischen Diskussion fehlt: Nur kurz erwähnt die Autorin überhaupt das Wort „Demokratisierung“, ansonsten geht es ihr aber nie wirklich um die Frage, wie die Schülerinnen und Schüler zu den neuen, offenen und selbstbewussten Menschen werden sollten, von denen in den bildungspolitischen Diskussionen gesprochen wurde. Es geht ihr stattdessen vor allem um technische und pädagogische Aspekte, dies aber vor allem unter dem Fokus, dass diese Änderungen wohl demnächst kommen und die Schulbibliotheken darauf mit einem Konzept reagieren müssten. Sie erwähnt das Ziel einer grösseren Durchlässigkeit innerhalb des Schulsystems, aber weitere politische Zielstellungen und Diskussionen finden sich nicht. Das ist, insbesondere für die politisierte Diskussion am Beginn der 1970er, erstaunlich.

Es gibt in dieser Konzeption auch einige bemerkenswerte Differenzen zu heutigen Diskussionen um Schulbibliotheken. Neben den Teilen zum neuen Unterricht und die Hoffnungen auf neue Lehrmaschinen ist vor allem offensichtlich, dass die Autorin die Schulbibliothek explizit nicht als Ort von Leseförderung, Freizeitlesen oder partiellen Rückzug entwirft, sondern konsequent an den – vorgeblichen – Herausforderungen des neuen Unterrichts orientiert. In heutigen Konzepten ist dies, wenn der Unterricht überhaupt angedacht wird, andersherum: Zumeist steht in den Schulbibliotheken das Lesen im Vordergrund.

Literatur

Deutscher Bildungsrat (1969) / Einrichtung von Schulversuchen mit Gesamtschulen : verabschiedet auf der 19. Sitzung der Bildungskommission am 30./31. Januar 1969. – Bad Godesberg : Bundesdruckerei, 1969

Händle, Christa (1977) / Begründung und Realität von Demokratisierung in der Schule ( Pädagogische Forschung). – Frankfurt am Main : Päd. Extra Buchverlag, 1977

Hessischer Kultusminister (Hrsg.) (1970) / Grosser Hessenplan: Schulentwicklungsplan (2. Aufl.). – Wiesbaden : Hessischer Kultusminister, 1970

Klafki, Wolfgang (1968) / Integrierte Gesamtschule : ein notwendiger Schulversuch. – In: Zeitschrift für Pädagogik 14 (1968) 6, 521-581

Lutz, Liselotte (1972) / Team-Teaching und Schulbibliothek : Mögliche Entwicklungen von Informationszentren an gesamtschulen im Hinblick auf den Beweglichen Unterricht (Schriftenreihe der Bibliothekar-Lehrinstitute. Reihe A. Examensarbeiten, Heft 1). – [Zgl. Große schriftliche Hausarbeit zum Diplom-Examen beim Süddeutschen Bibliothekar-Lehrinstitut Stuttgart im Lg. 1968/71 angefertigt in der Zeit vom 15.1. – 15.4.1971]. – Berlin : Deutscher Büchereiverband, Arbeitsstelle für das Büchereiwesen, 1972

Schmiederer, Rolf (1971) / Bildungskrise und Schulreform (Modelle für den politischen und sozialwissenschaftlichen Unterricht; 13 ). – Frankfurt am Main : Europäische Verlagsanstalt, 1971

Warwick, David (1971) / Team Teaching. – London : University of London Press, 1971