Das Unbehagen mit der Informationskompetenz

Es gibt ein Unbehagen mit der Informationskompetenz, eines das langsam, aber merkbar zunimmt und nicht weggeht mit der Zeit. Dieses Unbehagen äussert sich eher leise. Nicht so auftrumpfend laut wie diejenigen, welche Informationskompetenz in den letzten Jahren zu einem ihrer Hauptthemen gemacht haben. Denn die gibt es auch, fraglos. Das Handbuch Informationskompetenz [Sühl-Strohmenger, Wilfried (Hrsg.) / Handbuch Informationkompetenz. Berlin: de Gruyter, 2012] beispielweise ist voll von solchem lauten Auftreten; auch die Vorträge zum Thema auf den Bibliothekskongressen (egal in welchem der deutschsprachigen Länder) sind immer voll und werden beherrscht von Vortragenden, die sehr klar ihre Meinung sagen. Und viele, viele hören zu. Kritik gibt es, wenn überhaupt, an den Umsetzungen. Es sieht dann auch oft gut aus: Immer mehr Angebote, Kurse, welche in die Curricula von Hochschulen eingebunden werden, steigende Zahlen von Teilnehmenden, Nachfragen von ausserhalb der Bibliotheken, Erklärungen zur Informationskompetenz von Forschungsfördereinrichtungen und politischen Gremien werden berichtet.

Meeeeeeeeeh.

Aber wer einmal genauer hinhört, spürt meines Erachtens doch ein wachsenden Unbehagen.

  • Immer wieder hört man auf den Gängen der Bibliotheken, in den Ausbildungseinrichtungen, in den privaten Gesprächen zwischen bibliothekarisch und bibliothekswissenschaftlich Tätigen Zweifel daran, dass Informationskompetenz wirklich so wichtig ist, wie es gehandelt wird. Ist es nicht eher doch ein kleiner Teilbereich bibliothekarischer Arbeit? Ist es nicht eher ein Nebenschauplatz, der gross geredet wird?
  • In diesen Gesprächen klingt von Zeit zu Zeit der Zweifel an, ob das, was als Informationskompetenz beschrieben wird, wirklich etwas ist, was Bibliotheken vermitteln könnten und sollten. Ist nicht das, was Bibliotheken tun, heute mehr und strukturierte Rechercheschulungen durchzuführen? (Was nicht schlimm ist, aber: Ist das wirklich Informationskompetenz? Ist das nicht etwas zu hoch gegriffen?)
  • Von den Öffentlichen Bibliotheken her klingt unter der Hand immer wieder die Frage, ob es sich bei der Informationskompetenz nicht um ein Konzept handelt, dass vielleicht für Wissenschaftliche Bibliotheken wichtig wäre, aber: Ist es für Öffentliche Bibliotheken interessant?
  • In den Ausbildungsgängen (die ja wohl alle mindestens einen Kurs [ein Modul, ein Seminar etc.] zu diesem Thema eingerichtet haben) erntet man von den Studierenden immer mehr ein müdes, abwehrendes Lächeln, wenn man das Thema anspricht; eines das zu sagen scheint: „Ja ja, schon gehört. Informationskompetenz. Aber das überzeugt uns nicht mehr. Erzähl was neues, bitte.“
  • In den Redaktionen bibliothekarischer Zeitschriften und den Gremien, die Abschlussarbeiten zulassen; in den Vereinigungen von Bibliothekarinnen und Bibliothekaren, welche Konferenzen und Weiterbildungen organisieren; in den losen Netzwerken wird; so hört und sieht man; immer wieder einmal mit den Augen gerollt, wenn das Wort fällt. Sicher: Die Artikel werden nicht abgelehnt, die Abschlussarbeiten zugelassen, die Vorträge abgenickt, die Weiterbildungen angeboten. Doch es scheint, als wäre langsam aber sicher die Luft raus aus dem Thema. Die Anekdoten zu diesem Unwollen häufen sich, auch wenn sie nicht offen berichtet werden.
  • Und wieder ein anderer Teil der Kolleginnen und Kollegen möchte gleich weiter. Informationskompetenz sei nicht mehr ausreichend, Datenkompetenz muss es sein – was gute Gründe hat (Wachstum der Forschungsdaten, Open Data etc.). Oder halt an die Kompetenz muss noch mehr angedockt werden, zum Beispiel mit ordentlichem wissenschaftlichen Arbeiten und nicht nur Recherchieren (was eigentlich eh Teil der Information Literacy ist, aber „in der Übersetzung“ am Anfang der Debatten um Informationskompetenz im deutschsprachigen Raum „irgendwie“ verschwunden ist).

Remember 2000: Wir werden unnötig.

Ist das nur mein Eindruck? Ich denke nicht. Was ist den passiert in den letzten Jahren? Anfang der 2000er Jahre kam das Thema Informationkompetenz auf, wurde gross beworben, in den Bibliotheksalltag integriert. Es sei, so tönte es, ein Konzept aus den englischsprachigen Bibliothekswesen. (Das stimmt so nicht. Die Übersetzung von Literacy ist nicht Kompetenz und das aus einem guten Grund: Das sind zwei unterschiedliche Konzepte. Auch wurde bei der „Übersetzung“ in die deutschsprachigen Bibliothekswesen einiges auf der Strecke gelassen, insbesondere die Fähigkeit zum Verarbeiten von Informationen. Aber so recht schien das niemand zu interessieren. Vielleicht hat es auch niemand richtig nachgeprüft.) Das Konzept sollte in gewisser Weise die Bibliotheken retten. Sie würden bald untergehen: Stichwort Digitale Medien, Buchverkauf übers Internet, immer schnelleres Studium. Studierende würden diese Kompetenz benötigen, so tönte es weiter, ansonsten würden sie im Studium nicht mehr bestehen können; würden nicht mehr wissenschaftlich arbeiten können. Und zudem seien Bibliotheken der Ort, wo diese Kompetenz schon angesammelt sei und angeboten werden könnte. (Wieder hat kaum jemand bemerkt, dass von Anfang an davon geredet wurde, dass Informationskompetenz vermittelt werden soll, obgleich der Witz an Kompetenzen in der Pädagogik eigentlich ist, dass sie nicht vermittelt, sondern von den Lernenden aufgebaut werden. Aber vielleicht wollte wieder nur niemand genau hinschauen.) Immerhin: Die Argumentation klang gut.

Unterfüttert wurde sie damals auch noch mit der Panik, welche die PISA-Studien ausgelöst hatten; obgleich in diesen Studien nicht wirklich etwas über Informationsnutzung etc. stand. Aber damals, 2002, 2003, konnte man fast alles mit den PISA-Studien begründen, ohne das es einen richtigen Zusammenhang zu diesen geben musste. Heute tauchen die Studien kaum noch in den Debatten auf.

Nun, einige Jahre später, wie sieht die Realität aus? Es gibt an fast allen grösseren Wissenschaftlichen Bibliotheken im deutschsprachigen Raum Personen, die für Informationskompetenz zuständig sind; oft sind diese Stellen mit sehr engagierten Kolleginnen und Kollegen besetzt. Ebenso gibt es an den meisten dieser Bibliotheken strukturierte Angebote für Studierende und zum Teil auch für Forschende unter diesem Motto. Teilweise gibt es auch Kurse, die im Studium integriert wurden.

Aber: Ist es das wirklich, was versprochen wurde?

Was ist eigentlich wirklich passiert?

Zum ersten: Entgegen der Panik, die noch vor einigen Jahren verbreitet war, sind Bibliotheken nicht untergegangen. Sie haben sich verändert, sind zum Beispiel zur Verwalterinnen von elektronischen Medien, von Lizenzverträgen und ähnlichem geworden. Sie sind ebenso (wieder einmal) zu Lernorten geworden, nicht so sehr bezogen auf ihr eigenes Programm, sondern als Ort, an den immer mehr Studierenden hingehen, um selbstständig zu lernen. Alles anstrengend, aber der ganz grosse Kladderadatsch, der angekündigt wurde, kam nicht. Er wird auch nicht kommen.

Zum zweiten: Obgleich die Zahlen der Teilnehmenden in den Kursen gestiegen sind, herrscht doch immer mehr der Eindruck vor, dass es das im Grossen und Ganzen dann auch war. Sicher: Ein paar Studierende oder junge Lehrende lernen mehr mit Informationen etc. umzugehen. Aber nicht nur in Bibliotheken scheint sich der Eindruck durchzusetzen, dass das nicht heisst, dass Informationen im Allgemeinen besser genutzt würden; schon gar nicht die, welche über die Bibliotheken zugänglich gemacht wurden. Die vorhandene Informationskompetenz bei den Studierenden und Lehrenden steigt gar nicht so sehr, wie man sich das erhoffte. Gleichzeitig ahnt man, dass sie vielleicht auch gar nicht so wichtig war, wie man sich als Bibliothekswesen das selber eingeredet hatte. Alle sagen was Nettes über die Bibliothek und deren Anstrengungen, alle rollen die Augen, wenn sie davon berichten, dass Studierende (oder zumindest die anderen Studierenden) „nur noch Google benutzen“ würden; aber so Recht scheint sich das auf die Noten der Studierenden oder auch die wissenschaftlichen Arbeiten nicht niederzuschlagen.

Und drittens: Die Zweifel mehren sich, dass das, was die Bibliotheken über Informationskompetenz sagen, von anderen Einrichtungen auch so geteilt wird. Sicher: Es gibt einige Studiengänge – weil die Bibliotheken persistent darauf gedrängt haben – in denen Studierende Kurse in Bibliotheken besuchen müssen. Aber einen Diskurs ausserhalb der Bibliotheken, in den Studiengängen und Forschungsrichtungen (und seien es nur die Erziehungswissenschaften) über diese Informationskompetenz – die ja, so die Behauptung der bibliothekarischen Debatten, eine Grundkompetenz sein soll – gibt es immer noch nicht. Sicher: Ein wenig Google-Gedisse, ein wenig „ja ja, die Studierenden recherchieren nicht richtig“ hört man. Aber ansonsten agiert zum Beispiel die Medienpädagogik konsequent an den Bibliotheken vorbei.

Und viertens: Bis heute hat sich die bibliothekarische Debatte darauf kapriziert zu beschreiben, wie die jeweiligen Schulungen organisiert und durchgeführt; wie deren Notwendigkeit den Lehrenden in den Hochschulen oder gleich den Hochschulen selber verständlich gemacht; wie die Studierenden (und manchmal auch die Forschenden) erreicht werden können; gleichzeitig wurden zahllose (zumeist ungetestete und eher prekär hergeleitete) Standards beschrieben (die sich aber, weil es so viele sind, oft auch widersprechen) und zudem immer wieder gegenseitig erklärt, dass Bibliotheken wichtig für Informationskompetenz seien. Nur: was bislang nicht gezeigt wurde, meiner Meinung nach auch nicht untersucht, ist, ob die Fähigkeiten, die als Informationskompetenz umschrieben werden, wirklich für die Studierenden oder jungen Forschenden notwendig wäre.

Ist das alles wirklich so wichtig?

Mich irritiert der vierte Punkt sehr, schon länger. Die Vorstellung ist, dass Studierende und Forschende heute mit Informationen anders umgehen müssten, um erfolgreich in Studium und Forschung zu sein. Das Bestimmen, Finden, Auswählen und Interpretieren der jeweils besten Information sein eine Voraussetzung dafür. (Sehen wir einmal davon ab, dass der letzte Punkt, nämlich das Interpretieren, selten Inhalt der Kurse in Bibliotheken ist.) Deshalb muss ihnen das jemand beibringen und diese jemands seien die (Hochschul-)Bibliotheken.

Mir scheint das ein grundsätzliches Verkennen der Realität in Studium und Forschung zu sein. (Was auch deshalb absurd ist, weil die meisten Bibliothekarinnen und Bibliothekare, die sich in diese Debatten einmischen, selber studiert haben.) Meine Gegenthese wäre: erfolgreich studieren – und zwar auf der Ebene von Bestnoten – kann man auch mit passenden Informationen, die im Studium zusammengegoogelt, mehr zufällig in Katalogen oder erst in den Abschlussarbeiten einigermassen systematisch gefunden werden. Die Suchwerkzeuge sind heute gut genug, um sogar mit weniger Aufwand passende Informationen zu finden. Besser recherchieren zu können oder gar kritischer ist eine nicht notwendige Fähigkeit für das Bestehen des Studium. Nicht, dass sie etwas schadet, aber sie bringt auch nichts für das Studium selber. (Warum? Höchstwahrscheinlich auch, weil es im Studium um etwas anderes geht, als das richtige Recherchieren.)

Wenn das stimmt, wäre es für die bibliothekarische Überzeugung schrecklich, weil: Dann bräuchte es auch keine Rechercheschulungen. Aber ich denke, es wäre realistisch.

Ebenso ist auch in der wissenschaftlichen Praxis nicht das effiektive Finden der besten Information notwendig. Durch die Projektorientierung der Wissenschaft (die dazu führt, dass die Forschenden immer mehr Multitalente werden), durch die immer grössere Zahl von Publikationsorten und der Überforderung der Qualitätssicherungssyteme, durch den ständigen Drang zur Publikation und den Drang zum „einfacher Schreiben“ (der sich u.a. darin äussert, dass Forschende ernsthaft verkünden, dass sie Texte, die länger als fünf Seiten lang sind, zu schwierig finden und deshalb nicht lesen) nimmt die reale Qualität der wissenschaftlichen Publikationen eh tendenziell ab, ohne dass dies direkt bemerkt würde, weil ja weder wissenschaftliche Streitkultur (in der man solche Fakten klar benennen dürfte) noch ausreichendes Expertinnen- und Expertentum existieren. In einer solchen Kultur reicht es vollkommen aus, wenn Forschende in der Lage sind – und das sind sie intellektuell auch ohne Rechercheschulung – eine Suchmaschine, eine freie Datenbank und einen Bibliothekskatalog zu bedienen. Alles andere ist netter Surplus, der einer wissenschaftlichen Karriere nicht schadet, aber auch nicht notwendig ist.

Auch hier: Wenn das stimmt, dann würde die Grundthese der Informationskompetenz-Diskussionen nicht stimmen. Aber wieder: Ich denke, es wäre realistischer.

Nun aber: Kann es wirklich sein, dass Bibliotheken im deutschsprachigen Raum seit Jahren quasi im Blindflug agieren und auf einer These aufbauen, die nicht belegt ist? Das mag erstaunlich erscheinen, ist es aber nicht. (Beziehungsweise: Das ist nicht ohne historisches Vorbild.) Mir scheint eher, dass innerhalb des bibliothekarischen Diskurses eine verstärkender Effekt eingetreten ist: Da immer wieder in Texten zur Informationskompetenz auf diese Grundthese – mehr Informationskompetenz ist notwendig – verwiesen wird und sich diese Texte gegenseitig zitieren, erscheint dies mehr und mehr als bewiesene oder zumindest selbsterklärende Aussage. Nur ist sie weder selbsterklärend noch bewiesen.

Was nötig wäre an dieser Stelle wäre wohl eine klare Untersuchung, welche Fähigkeiten – sagen wir gar nicht erst Kompetenz am Anfang – wirklich zu einem besseren Studium oder einer besseren wissenschaftlichen Arbeit notwendig sind. Und zwar nicht aus Sicht der Bibliotheken, da kommt immer wieder das gleiche raus (nämlich das, was die Bibliotheken anbieten können [das wird eh beständig getan, siehe z.B. kürzlich Tappenbeck, Inka (2013) / Vermittlung von Informationskompetenz an Hochschulbibliotheken: Praxis, Bedarfe, Perspektiven. In: Bibliothek. Forschung und Praxis 37 (2013) 1, 59-69 und Kiszio, Blanche ; Favre, Nathalie & Ding, Sandrine (2013) / Ein neues Online-Tutorial zur Förderung von Informationskompetenz: ein Praxisbericht. In: Bibliothek. Forschung und Praxis 73 (2013) 1, 11-114 die genau das wieder einmal taten und deshalb auch die zu erwartenden Ergebnisse erhielten]), sondern aus der Realität. Vergleichen wir doch einmal die guten und die weniger guten studentischen Arbeiten: Welche Fähigkeiten im Bezug auf den Umgang und die Suche von Informationen führen denn zu besseren oder weniger guten Arbeiten? Nachdem ich selber eine gute Anzahl von unterschiedlich guten studentischen Arbeiten gelesen habe, würde ich behaupten, die Informationskompetenz von der Bibliotheken sprechen, ist es nicht. Sicherlich gibt es einige sehr sehr gute Arbeiten, die auch sehr gut und kritisch mit Informationen umgehen. Aber für eine sehr gute Arbeit (also eine 6 in der Schweiz beziehungsweise eine 1,0 in Deutschland) ist das nicht notwendig. Die wird oft auch mit Hilfe von Quellen erreicht, die eher zufällig gefunden wurden. Ähnliches gilt für wissenschaftliche Arbeiten, die ich gelesen habe. Es ist meiner Meinung nach nicht notwendig, gut mit Informationen umzugehen, um eine wissenschaftliche Karriere zu machen. Gehen wir doch einfach mal und schauen, was die erfolgreichen und weniger erfolgreichen Forschenden so mit Informationen machen; wie die genau arbeiten (nicht was sie sagen, wenn sie von den Bibliotheken, mit denen sie zusammenarbeiten, gefragt werden, was vielleicht wichtig und gut wäre, sondern was sie wirklich tun, wenn sie Texte schreiben, Projekte entwerfen etc.). Zu oft habe ich dieses wissenschaftliche Arbeiten in den letzten Jahren live beobachtet, als das ich einfach davon überzeugt werden könnte, dass es überhaupt so etwas wie Informationskompetenz bedarf, um erfolgreich in der Wissenschaft zu sein. Ein funktionierender Internetanschluss, eine Bibliothek mit Fernleihe und vielen Lizenzen – das ja; aber die Fähigkeiten ordentlicher und kritischer Recherche – nein.

Jessa Lingel und danah boyd haben desletztens die Informationsflüsse und -praktiken in der Extrem Body Modification Scene untersucht [Lingel, Jesse & boyd, danah (2013) / „Keep it secret, keep it save“ : Information poverty, information norms, and stigma. In: Journal of the American Society for Information Science and Technology 64 (2012) 5, 981-991] und dabei wenig überraschend festgestellt, dass es die kontextangepasste Informationssuche ist, die relevant für die gesellschaftliche Praxis innerhalb dieser Szene ist; wobei es nicht um die richtigen oder effektiv zu findenden, sondern die passenden und über mehrfache Codes und Zugänge abgesicherten vertrauenswürdigen Informationen geht, die relevant für das Handeln in dieser Szene werden. Solche Untersuchungen über die tatsächlich erfolgreich genutzten Informationen und Informationsstrategien von Studierenden und Forschenden (gerade auch erfolgreichen) fehlen einfach; dabei sollten sie die Basis von Debatten über Informationskompetenz sein, auch wenn das Ergebniss sein könnte, dass diese Formen der Informationsnutzung nichts mit Bibliotheken zu tun haben.

Informationskompetenz. Nichts dagegen, aber…

Um es noch einmal klar zu sagen: Nichts gegen die Kolleginnen und Kollegen, die engagiert und aktiv im Bereich Informationskompetenz tätig sind. Nur scheint mir je länger je mehr Informationskompetenz eine relativ fixe Idee eines Teils des Bibliothekswesens geworden zu sein, dessen Entstehen mehr mit einer historischen Situation und weniger mit einer realen Anforderung von ausserhalb der Bibliotheken zu tun hatte.

Es ist gar nicht so, dass etwas gegen Recherecheschulungen, in welcher Form auch immer, zu sagen wäre. Aber nicht nur bei mir scheint sich ein Unbehagen aufgebaut zu haben mit den Jahren. Wird hier nicht in eine Themenbereich investiert (und zwar sowohl intellektuell als auch personell und materiell), der nicht halb so wichtig ist, wie es behauptet wird? Wird hier nicht von Bibliotheken ein Diskurs geführt – der auch an die Ausbildungeinrichtungen herangetragen wird – der andere Diskurse und Entscheidungen, die notwendig wären, überdeckt? Ist das alles realistisch oder sind die Bibliotheken nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt eine Wette eingegangen, die sich als immer weniger zu gewinnen herausstellt? Ist das Getöse um Informationskompetenz nicht auch so gross, weil es gerade prekär ist und nicht so untermauert, wie es eigentlich bei der vorgeblichen Wichtigkeit des Diskurses sein sollte? Sollten wir nicht vielleicht nochmal zum Anfang zurück und fragen, was das eigentlich wirklich sein soll und ob es wirklich sinnvoll ist – sinnvoll nicht für Bibliotheken und deren Zukunftssorgen, sondern den Studierenden und Forschenden, um die es angeblich gehen soll?

Nein…? Na gut. Aber dann wird das Unbehagen wohl einfach so ansteigen und vielleicht das Thema irgendwann einfach liegen gelassen werden. (Auch das wäre nicht ohne historisches Vorbild.)

Zwei Schulbibliotheksveranstaltungen nebeneinander

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Am Mittwoch, dem 08.06.2011, fanden hintereinander zwei Veranstaltungen statt, die sich thematisch eng aufeinander hätten beziehen können, es aber praktisch überhaupt nicht taten. Von 16 bis 18 Uhr veranstaltete die dbv-Expertenkommission Bibliothek und Schule auf dem 100. Bibliothekstag eine Sitzung unter dem Titel „Auf die Schule setzen“, quasi direkt im Anschluss fand nur einen Berliner Bezirk weiter die Jurysitzung zur (ersten) Berliner Schulbibliothek des Jahres statt. Dieser Wettbewerb wurde von der Arbeitsgemeinschaft Schulbibliotheken Berlin-Brandenburg, in Anlehnung an den Preis zur Schulbibliothek des Jahres in Hessen, ausgeschrieben. Einen weiteren für Brandenburg gab es auch schon.

Erstaunlicherweise hatte man befunden, dass gerade ich für diese Jury passend sei. Deshalb hatte ich die Verantwortung mitzutragen, zwischen fast 30 Einsendungen zu diesem Wettbewerb die „besten“ auszuwählen. Das war erwartungsgemäß nicht einfach. Alle Schulbibliotheken, die teilgenommen haben, sind sehr unterschiedlich, setzen sich eigene, oft an den jeweiligen Schulen orientierte, Ziele und werden allesamt mit großem Engagement betrieben. Welche Einrichtungen von der Jury ausgewählt wurden, wird auf der Preisverleihung am nächsten Donnerstag, den 16.06.2011, um 16.00 Uhr in der Schule auf dem Tempelhofer Feld verkündet. Zu dieser Veranstaltung wird öffentlich eingeladen, insoweit sind auch alle willkommen. Letztlich kann man aber sagen, dass keine der Einrichtungen, die eine Bewerbung eingereicht haben und dann nicht ausgewählt wurden, schlechte Arbeit geleistet hätte. Das eine Einrichtung „gewonnen“ hat und die anderen nicht, liegt eher in der Struktur solcher Wettbewerbe begründet als in dem Engagement der teilnehmenden Einrichtungen.

Wie gesagt wird die Entscheidung der Jury am Donnerstag verkündet. Verwirrend und bezeichnend zugleich war allerdings die Gleichzeitigkeit dieser Jurysitzung mit den Präsentationen der ganzen Schulbibliotheken, die sich fast durchgängig eigenständig Aufgaben, Ziele und Strukturen gegeben haben und der Veranstaltung der Expertenkommission Bibliothek und Schule auf dem Bibliothekstag. Es gab zwischen beiden einfach gar keine, wie auch immer geartete Verbindung.

Die Veranstaltung der Expertenkommission begann mit einem Bericht über Schulbibliotheken in den USA. Nicht, dass in diesem Vortrag etwas berichtet wurde, was nicht auch anderswo schon über deren Situation bekannt war. Aber ganz offensichtlich waren dies für einen großen Teil der Anwesenden immer noch neue Informationen. Erstaunlich war allerdings, dass der Vortrag praktisch keine der problematischen Entwicklungen in den USA – nicht nur, dass dort aktuell um die Existenz vieler Schulbibliotheken gekämpft werden muss, sondern vor allem, dass der pädagogische Anteil der Ausbildung der teacher-librarians insbesondere in der jetzigen finanziellen Krise dazu führt, dass sie mehr und mehr als „richtige“ Lehrerinnen und Lehrer eingesetzt werden – thematisierte. Die einzige kritisch gemeinte Anmerkung zielte darauf, dass die US-amerikanischen Schulbibliotheken weniger mit Öffentlichen Bibliotheken zusammenarbeiten würden, als dies in Deutschland der Fall sei. Das allerdings scheint zu bezweifeln zu sein. Der Großteil der Schulbibliotheken, welcher der dbv-Expertenkommission bekannt ist, mag mit Öffentlichen Bibliotheken zusammenzuarbeiten oder gar von diesen geführt werden. Aber das liegt auch in der Natur der Sache: Schließlich ist die Expertenkommission eine Abteilung des dbv. Der größte Teil der anderen Schulbibliotheken kooperiert kaum oder gar nicht mit Öffentlichen Bibliotheken. Allerdings schienen sich die Informationen der Referentinnen zur Situation in Deutschland einzig auf den Aussagen der Expertenkommission zu basieren, die leider (immer noch) einen großen Bias enthalten.

In einem zweiten Vortrag berichteten zwei deutsche Bibliothekarinnen, die am Librarian in Residence-Programms des Goethe Instituts New York teilgenommen hatten, über eine Studienfahrt im Rahmen dieses Programms, die sich auf Schulbibliotheken in den USA bezog. Dieser Vortrag war inhaltlich mit dem Artikel der beiden Referentinnen in der Aprilausgabe der BuB identisch, aber offenbar ebenso für einen Großteil der Anwesenden inhaltlich neu.

Nach diesen beiden Vorträgen stellte die Expertenkommission die – anderswo wohl als steil bezeichnete – These auf, dass es den Schulbibliotheken in Deutschland vor allem an Standards mangeln würde; insbesondere an solchen zur Informationskompetenz. Deshalb folgten – immerhin in einer Veranstaltung unter dem Titel „Auf die Schule setzen“ – zwei Vorträge zur „Informationskompetenzvermittlung“. Auch diese hatten ihre Schwächen. Beispielsweise wurden im ersten Vortrag die Begrifflichkeiten „Kompetenz“, „Qualifikation“ und „Fähigkeiten“ – wieder einmal – wild durcheinander benutzt, ohne auf die inhaltlichen Differenzen der hinter diesen stehenden pädagogischen Konzepte einzugehen, [1] und zudem die eine besprochene Kompetenz zu einem großen Teil in einem argumentativen Zirkelschluss mit anderen Kompetenzen erklärt.

Interessant war aber vor allem das Vorgehen: Anstatt über die Situation von tatsächlich existierenden Schulbibliotheken in Deutschland – oder wenn man schon vor Ort war in Berlin und Brandenburg – zu diskutieren, wählte die Expertenkommission lieber das Thema „Informationskompetenz“. Das ist selbstverständlich das Recht der Kommission. Wer es ändern will, sollte sich dafür engagieren. Gleichzeitig aber fand der Bibliothekstag auch auf dem Jury-Treffen zur Schulbibliothek des Jahres keine Erwähnung. Offensichtlich existieren hier zwei Diskurse nebeneinander: Einer, der sich auf einige, wenige, stark bibliothekarisch orientierte Schulbibliotheken (die es in dieser Form in Berlin gar nicht gibt) bezieht und einer, der sich stark an den existierenden Schulbibliotheken anbindet und kein großes Interesse an den bibliothekarische Debatten entwickelt. Das ist keine neue Situation, am letzten Mittwoch wurde sie nur wieder einmal sehr klar offenbar.

[1] Originalzitat des Referenten: „Die Informationskompetenz ist eine Schlüsselqualifikation.“ Eine solche Aussage beachtet offenbar nicht, dass „Schlüsselqualifikation“ eine pädagogische Begrifflichkeit ist, deren Einschränkungen gerade durch das Kompetenzkonzept überwunden werden sollte. Würde die Aussage des Referenten so ernst genommen, dann würde er mindestens das Scheitern des pädagogischen Versuchs, die Grenzen des Qualifikationsbegriffs zu überschreiten, behaupten.

Zum Kompetenzbegriff von Bibliotheken

Bibliotheken postulieren immer wieder einmal, dass sie Informationskompetenz oder auch Medienkompetenz vermitteln würden. Das ist dort, wo sich Bibliotheken als Einrichtungen mit Bildungsauftrag positionieren wollen – beispielsweise in Hochschulen – eine wichtige Argumentationslinie. Ebenso ist es bei den Versuchen von Bibliotheken, sich politisch zu etablieren ein gern benutztes Argument, welches tatsächlich von Zeit zu Zeit von anderen Akteurinnen und Akteuren aufgegriffen wird. Das Problem ist nur: Kompetenzen kann man nicht vermitteln.
Kompetenzen werden von den Lernenden aufgebaut, man kann sie dabei unterstützen, sie auch zum Teil dazu anhalten. Aber direkt vermittelt werden können sie nicht. Das, was Bibliotheken zumeist in den Veranstaltungen, die unter dem Kompetenzbegriff angeboten werden, tun, ist das Vermitteln von Wissen bzw. – wenn dies strukturiert ist – von Qualifikationen. Schaut man in die Texte zu den Veranstaltungen selber, egal ob Ankündigungen und Online-Tutorials oder aber theoretischere Texte wie die von Holger Schultka, Wilfried Sühl-Strohmenger oder auch den Arbeitsgruppen, die unter diesem Begriff tagen, wird oft Qualifikation, Kompetenz und Wissen quasi-synonym verwendet. Das ist allerdings nicht ganz richtig.

Der Kompetenzbegriff als kritische Intervention
Der Kompetenzbegriff hat sich, nach einigen Vorläufen, mit den Debatten um die ersten PISA-Studien in Deutschland verbreitet. Es war in den ersten Jahren dieses Jahrtausends eine Inflation des Begriffs zu verzeichnen. Hatten die PISA-Studien anfänglich drei, ab der zweiten Runde vier Kompetenzen benannt und gemessen, wurde der Begriff selber quasi überall verwendet, um Fähigkeiten, Wissen, Können oder aber auch tatsächliche Kompetenzen zu benennen. Der Begriff der Informationskompetenz, welcher zu dieser Zeit in bibliothekarischen Debatten auftauchte, war Teil dieses gesellschaftlichen Diskurses.
Nun passiert dies öfter: die Wissenschaft benutzt einen Begriff, der sich auch im allgemeinen Sprachgebrauch wiederfindet, die Öffentlichkeit greift einige der wissenschaftlichen Daten und Aussagen auf und verallgemeinert dabei die Verwendung des benutzten Begriffes. Es tritt eine Situation ein, in welcher allgemein angenommen wird, dass die mit dem Begriff bezeichneten Sachverhalte auch ohne weitere Definition oder Differenzierung verständlich wären. Das bei der Verwendung des Begriffes in der Wissenschaft noch Definitionen zugrunde gelegt und der jeweilige Begriff oft aus dem Grund benutzt wurde, um einen spezifischen Sachverhalt zu benennen und oft auch handhabbar zu machen, gerät dabei sehr schnell aus dem Blickfeld. Regelmäßig beschweren sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dann – wie auch bei den PISA-Studien –, dass die Öffentlichkeit nicht wahrnimmt, wovon die Wissenschaft berichtet, sondern relativ oft relativ wild spekuliert. Aber damit muss die Wissenschaft wohl leben. Auch der Kompetenzbegriff wird höchstwahrscheinlich nicht mehr auf seine begrenzte und definierte Verwendung in der Bildungsforschung zurückgeführt werden können.
Allerdings: dass es so ist, muss man nicht unbedingt gut heißen. Kompetenz im Sinne der wissenschaftlichen Verwendung ist nämlich kein Synonym für Wissen, Qualifikation oder Fähigkeiten. Vielmehr wurde der Kompetenzbegriff in die Bildungsforschung eingeführt, um Kritik an den Vorstellungen von Fähigkeiten oder Qualifikation – wie sie in der Bildungsforschung verwendet wurden – zu üben. Wird nun in einem allgemeinen Sinne Kompetenz als weiterer Begriff für „Wissen“ genutzt und beständig angeführt, aber die Kritik, die mit ihm verbunden wurde, nicht mit beachtet, dann wird effektiv diese Kritik ignoriert (oder zumindest nicht wahrgenommen). Damit werden auch die Strukturen, die zur Kritik geführt haben, einfach weitergeführt. Da nicht jede Kritik unbedingt berechtigt ist, muss das nicht immer schlecht sein. Aber doch oft. Bei der Informationskompetenz, so wie sie in den meisten bibliothekarischen Texten verstanden wird, ist dem so.

Der Kompetenzbegriff
Was war nun die Kritik, die mit dem Kompetenzbegriff eingeführt werden sollte? Grundsätzlich ging man davon aus, dass es nicht ausreichen würde – wie dies bei der Qualifikation getan wurde – Wissen so zu verstehen und zu vermitteln, dass es zur Lösung für bestimmte Aufgabenstellungen eingesetzt werden könnte. Vielmehr wäre es nötig, Wissen als eine Ressource zu begreifen, die von den Individuen zielgerichtet und effektiv eingesetzt werden könnte, um ähnlich strukturierte Aufgabenstellungen zu bewältigen. Es gäbe kaum noch Wissen, dass direkt auf eine Aufgabenstellung zugeschnitten werden könnte – wie es die Qualifikationen sein sollten. Vielmehr würde Wissen eine potentielle Handlungsfähigkeit der Individuen herstellen. Davon auszugehen, dass das Vorhandensein des „richtigen Wissens“ allein schon dazu führen würde, dass es auch eingesetzt wird, erschien als kritikwürdig. Vielmehr solle Wissen mit dem Willen, es auch einzusetzen und den Möglichkeiten der Individuen, sinnvoll zu entscheiden, wann es eingesetzt werden sollte, verbunden werden.
Kompetenz wurde definiert als ein Wissen, dass es den Individuen ermöglicht, zielgerichtet und effektiv Entscheidungen darüber zu treffen, wie (alltägliche) Aufgabenstellungen gelöst werden können und es dann zu tun. Zusätzlich gehört zur Kompetenz auch die notwendige Motivation, diese zu nutzen.
Gleichzeitig ist der Kompetenzbegriff mit dem Konstruktivismus als pädagogischer Theorie verbunden. Konstruktivistische Ansätze – in der Pädagogik, nicht unbedingt in anderen Themenfeldern, wie zum Beispiel der Philosophie – gehen davon aus, dass Wissen nicht vermittelt, sondern nur von den einzelnen Lernenden konstruiert werden könne. Die Hauptarbeit beim Lernen läge bei den Lernenden selber. Lehrende und Einrichtungen könnten diese Arbeit unterstützen, begleiten, vorstrukturieren, Lernangebote machen, versuchen, diese zu motivieren und auch zu überprüfen. Aber sie wären nicht in der Lage, Wissen direkt zu vermitteln, auch dann nicht, wenn sie es spannend oder anwendungsbezogen präsentieren würden.
Kompetenz wird deshalb auch verstanden als Wissen, dass von den Lernenden selber aufgebaut wird und deshalb nicht vollständig geplant werden kann.
Zuletzt ist der Kompetenzbegriff auch immer mit der Vorstellung verbunden, dass es möglich wäre, Bildung als Kompetenz zu messen. Das ist etwas widersprüchlich – weil Kompetenzen ja weit mehr eine subjektive Sache sein sollen, als beispielsweise leichter zu standardisierende Qualifikationen – und wird aktuell auch immer wieder einmal in Zweifel gezogen. Bislang allerdings geht die Arbeit daran, Methoden zur Messung von Kompetenzen zu entwickeln und mit diesen Methoden immer wieder Messungen durchzuführen, immer weiter. (Ein Grund dafür wird sein, dass die Hoffnung, Bildung politisch steuern zu können, bei solchen Zahlen, wie sie bei der Kompetenzmessung bereitgestellt werden, höher ist, als bei anderen Datenformen.)
In den Kompetenzmodellen werden die jeweilige Kompetenz in messbare Unterthemen differenziert, welche dann oft mittels Testbatterien, dass heißt mehreren Testfragen für ein „Item“ (dass heißt Unterthema oder auch Unter-Unterthema), deren Ergebnisse dann für ein Unterthema zusammengefasst wird. Diese Unterthemen sollen sehr anwendungsbezogen sein. Man kann immer wieder darüber streiten – und tut dies auch –, welche und wie viele Items eine Kompetenz bilden.
Grundsätzlich herrscht aber die Vorstellung vor, dass Kompetenzen messbar sind und dass zumindest ihre Unterthemen – also zum Beispiel die Fähigkeit, Experimente zu entwerfen und durchzuführen, wie dies bei der mathematisch-naturwissenschaftlichen Kompetenz angenommen wird – auch in andere Themenbereiche transferiert werden können.

Kompetenzvermittlung ist ein falsches Wort.
Schaut man jetzt noch mal nach, was als Informationskompetenz in den Bibliotheken vermittelt werden soll, sieht man sehr schnell, dass dies zwar Qualifikationen oder auch teilweise „nur“ ein Grundwissen über die Bibliotheksbenutzung und die Arbeit mit anderen Recherche- und Nachweismitteln darstellt – was hier gar nicht kritisiert werden soll –, aber keine Kompetenzen. Weder gibt es messbare Kompetenzmodelle für eine Informationskompetenz, noch ist klar, was die Transfereffekte dieser Kompetenz darstellen sollte. Es ist auch nicht klar, wie Bibliotheken bei den Lernenden eine Motivation etablieren können oder ob sie nicht eher „nur“ Wissen bereitstellen. Auch bei den didaktischen Methoden, die in der bibliothekarischen Literatur dargestellt werden, ist nicht klar, was daran lernbegleitend oder – wie es im Schul- und Berufsschulbereich heißt – kompetenzorientiert ist. Letztlich scheint bislang nicht so richtig wahrgenommen worden zu sein, warum in der Bildungsforschung überhaupt von Kompetenzen und nicht mehr (nur) von Qualifikationen, Fähigkeiten oder Wissen die Rede war, warum man anfing, weniger vom Vermitteln und mehr vom Anbieten, Begleiten etc. zu reden.
Wie gesagt ist das wirkliche Problem dabei nicht, dass in Bibliotheken offenbar Kompetenz als Buzz-Word benutzt wird. Das Problem ist, dass man dabei quasi die mögliche Kritik an der bisherigen Praxis des – um mal ein altes Wort aus länger vergangenen Debatten zu verwenden – Bibliotheksunterrichts relativ schnell übergangen hat. Jetzt, wo Kompetenz nicht mehr als kritischer Begriff genutzt werden kann, weil sich einfach alle etwas „darunter vorstellen können“, müsste eine solche Kritik, falls sie gewünscht ist, anders geäußert werden. Bis dato allerdings möchte ich allerdings darauf bestehen: Qualifikationen, Fähigkeiten und Wissen kann man vermitteln, Kompetenzen nicht. Informationskompetenzvermittlung ist ein Oxymoron.

Informationskompetenz des 20. oder des 21. Jahrhunderts?

Eine interessante, aber bislang nicht beantwortete Frage stellten Leanne Bowler, Andrew Large und Gill Rejskind in einer 2001 veröffentlichten Studie. [Bowler, Leanne ; Large, Andrew ; Rejskind, Gill / Primary school students, informations literacy and the Web. – In: Education for Information, 19 (2001), pp. 201-223] Nämlich die, ob das, was heute als Informationskompetenz in (kanadischen) Klassenräumen gelernt wird, tatsächlich eine Kompetenz darstellt, die sich auf die aktuellen Medien- und Informationsangebote bezieht und für die alltägliche Praxis der Lernenden sinnvoll ist oder aber, ob es sich nicht eher bei vermittelten Informationskompetenz zumeist um Fähigkeiten handelt, die in einer anderen Zeit mit einem anderen Medienmix notwendig waren:

A generation ago, before such themes as active learning, inquiry-based learning, authentic learning and meaningful learning were part of the vocabulary of educators, school projects that required independent research would have involved finding an article in an encyclopedia, and faithfully copying the text word for word. This level of information literacy was sufficient in a classroom where the expected learning outcome was to find the correct answer to a specific question and know the facts. What information literacy skills do students need in the early twenty-first century? Are the learning objectives in the classroom reflected in the information literacy skills exhibited by students? Do the learning experiences in the classroom facilitate the acquisition of these skills or, have the learning experiences simply been repackaged in the new technologies, giving the impression of being up-to-date, while they remain qualitatively the same as learning experiences from thirty years ago? [p. 201]

Die Ergebnisse ihrer auf diese Frage folgenden Studie basieren auf Daten, sind 1998 gewonnen und deshalb größtenteils überholt. Aber der Trend ihrer Ergebnisse ist dennoch relevant für die Frage, welche Kompetenzen heute eigentlich als „Informationskompetenz“ zu gelten.
Bowler / Large / Rejskind hatten die Suchstrategien von 12-jährigen in einem kanadischen Klassenraum untersucht. Dabei wurden den Schülerinnen und Schülern eine Anzahl mehr oder weniger offener Fragen zu einer Anzahl von Sportarten vorgelegt, die sie in selbstgewählten Kleingruppen mithilfe des Internets [1] beantworten mussten. Aufgabe war dabei, dieses Ergebnisse (zeitgemäß auf Disketten) zu speichern und schließlich anhand eines Posters zu präsentieren. Die Recherche umfasste je nach Arbeitsgruppe drei bis sechs je 30-minütige Sitzungen. Diese Sitzungen wurden auf Video aufgezeichnet und anschließend ausgewehrtet. Zudem wurden die Poster als Ergebnis der Rechercheanstrengungen zur Auswertung herangezogen. Dies ist ein interessanter Schritt, da auf diese Weise nicht überprüft wurde, ob die Schülerinnen und Schüler bestimmte Fakten gefunden hatten, sondern ob sie in der Lage waren, relativ alltagsnah Informationen zu suchen, auszuwerten, darzustellen und zur Beantwortung einer komplexeren Fragstellung zu benutzen. Abschließend wurden ausgwählte Lernende zu ihrem Vorgehen bei der Recherche interviewt. Dieser multidimensionale Zugriff ermöglichte es den Forschenden, mehrere Wahrnehmungsebenen in ihre Analyse einzubeziehen und sich teilweise ergänzen zu lassen. So konnten Beobachtungen auf den Videotapes in den Interviews verifiziert werden.
Schülerinnen und Schüler – so kann man die Ergebnisse der Literaturübersicht und Datenanalyse der Studien zusammenfassen – haben jeweils auch ohne Informationskompetenzvermittlungen eine, auf dem alltäglichen Umgang mit dem Internet basierende, Informationskompetenz ausgeprägt. [2]
Die Recherchen waren dadurch gekennzeichnet, dass sie nicht wirklich geplant waren, bevor sie durchgeführt wurden. Interesanterweise fiel es den Lernenden dadurch schwieriger, konkrete Faktenfragen zu beantworten, während sie offene und relativ weite Fragen gut beantworten konnten.
Weiterhin stellen Bowler / Large / Rejskind fest, dass die effektive Recherche im Netz ein Wissen über die technischen Geräte voraussetzt. Auch wenn die von ihnen festgestellten Probleme (beispielsweise beim Speichern von Daten auf Disketten) sich verändert haben oder auch obsolet geworden sind, ist doch folgende Feststellung weiterhin gültig:

The Web is a technology-dependent platform for information delivery. To use it successfully, one must understand and be able to perform basic functions on the computer. Evidence from the search sessions indicates that the students were hampered by their lack of technical literacy. [p. 208]

Bowler / Large / Rejskind thematisieren dies zwar nicht, aber es ist im Umkehrschluss auch logisch anzunehmen, dass Menschen, die Informationskompetenz im Internet vermitteln wollen, vor der gleichen Herausforderung stehen: die Vermittlung jedweder internetbasierter Informationskompetenz bedarf eines grundlegenden Wissens über die benutzte Technik und die Funktion verschiedener Internetdienste. Dabei geht es, wenn man der Studie von Bowler / Large / Rejskind folgt, nicht einmal um die ständige Nachvollziehung von Hypes. Es geht um die Orientierung an der zeitgenössischen Medienrealität.

[1] Offenbar war es – einen solchen Anschein vermittelt zumindest der Text – 1998 schon normal, dass ein kanadisches Klassenzimmer mit mehreren Computern und Internetzugängen ausgestattet war. In Deutschland hatte sich zwar 1996 die Initiative Schulen ans Netz gegründet worden und galt als extrem fortschrittlich. (Obwohl es auch Stimmen gab, welche diese Initiative vor allem als Werbeveranstaltung der Telekom ansahen, welche sich angeblich auf diese Weise kurz vor der Deregulierung des Telefonmarktes zum Quasi-Monopolist in Sachen Internet aufschwingen wollte.) Allerdings konnte diese Initiative erst 2001 vermelden, dass quasi jede Schule in Deutschland einen Internetzugang ausgestattet wäre. Von Computern im normalen Klassenraum war dann 2001 in Deutschland erst langsam die Rede.
[2] Das war zumindest zum Untersuchungszeitpunkt in Deutschland auch nicht wirklich denkbar. 1998 nutzten rund 10% der Deutschen das Internet gelegentlich. Heute sind dies, laut den aktuellen Internet-Strukturdaten, rund 64%.

Themen bibliotheksbasierter Bildung

Obwohl Öffentliche Bibliotheken zumeist einen umfassenden Bildungsbegriff vertreten und berechtigt darauf hinweisen, dass ihre Bestände unterschiedlichste Lernaktivitäten unterstützen können, konzentrieren sie sich in den von ihnen selber organisierten und durchgeführten Bildungsangeboten hauptsächlich auf einige Bereiche, die sie teilweise als ihre Domäne ansehen. Diese Bereiche und die – allerdings wenig dokumentierte – Praxis der betreffenden bibliotheksbasierten Bildungsangebote war Thema des letztens endlich in der ersten Fassung abgeschlossenen Kapitels meiner Promotion.
Ich denke, alle wichtigen Bereiche erfasst zu haben:

Lesen / Lesenlernen / Lesekompetenz
Dieser Bereich scheint der von den meisten Bibliotheken in unterschiedlicher Weise bearbeitete zu sein. Zumal man, wenn man einmal wildfremde Menschen fragt, was sie denken, wozu Öffentliche Bibliotheken gut sind, diese fast immer als erstes jenen Bereich erwähnen.
Wobei ich immer wieder meine Zweifel habe, ob die Förderung des Lesens, wie es in Bibliotheken praktiziert wird, viel mit dem zu tun hat, was unter dem Konzept der Lesekompetenz verstanden wird. Lesekompetenz heißt hauptsächlich, die Fähigkeit, Lesen problemorientiert anwenden und das Gelesen problemlösend anwenden zu können, anwendungsbereit erlernt zu haben. Dazu gehört selbstverständlich die funktionale Alphabetisierung, doch diese allein reicht nicht aus. Die Lesefreude, die oft in Bibliotheken vermittelt werden soll, hängt auch nicht direkt mit der Lesekompetenz zusammen. Wer lesekompetent ist, liest, um Aufgaben zu bewältigen, nicht um Spaß zu haben oder kontemplativ mit Literatur die eigene Phantasie anzuregen. Umgekehrt sind Menschen, die Spaß am Lesen haben nicht unbedingt lesekompetent. Das eine schließt das andere nicht aus, mit hoher Wahrscheinlichkeit wird es indirekte Zusammenhänge geben. Aber welche und wie genau diese zu fassen sind, ist noch nicht wirklich bekannt.
Dennoch scheint die Förderung des Lesens einer der Hauptbereiche und -aufgaben von Öffentlichen Bibliotheken zu sein. Gleichzeitig ist in diesem Bereich, wie auch in den folgend besprochenen, auffällig, dass ein Großteil der Aktivitäten auf Kinder und Jugendliche ausgerichtet ist. Das mag beim Lesenlernen noch verständlich sein, obwohl die Zahl der Menschen, die funktional analphabetisch sind – die also Texte zwar „entziffern“ aber nicht sinnhaft als wirkliche Einheit interpretieren können –, in Deutschland nicht so klein ist, wie oft angenommen wird. Gleichzeitig fällt auf, dass die Förderung der Lesefreude bei Erwachsenen, welche diese ja oft nicht haben, kaum Thema von bibliothekarischen Aktivitäten zu sein scheint.

Medienkunde / Mediennutzung / Informationskompetenz
Der nächste Bereich, der sich durch das Vorhandensein der zahlreichen und unterschiedlichen Medienformen in Bibliotheken als Thema von Bildungsprozessen aufdrängt, ist die Medienkunde und die Einführung in die Nutzung von Medien. Auch dazu gibt es zahlreiche Veranstaltungen und Präsentationen in Bibliotheken. Wiederum hauptsächlich für Kinder und Jugendliche, obwohl es auch Angebote zum Erlernen der Mediennutzung, gerade von Computern und moderner Kommunikationstechnologien, für andere Zielgruppen (z.B. Frauen und Menschen mit einem spezifischen Migrationshintergrund) gibt und gab.
Was die Vermittlung von Informationskompetenz angeht, die von einigen Bibliotheken als Themenfeld angesehen zu werden scheint, bin ich wieder skeptisch. Erstens muss festgehalten werden, dass hauptsächlich große Öffentliche Bibliotheken (und Hochschulbibliotheken) sich mit diesem Thema beschäftigen. Man kann sich fragen, wieso? Und zweitens stellt sich die Frage, ob die hohen theoretischen Ansprüche, die im Konzept Informationskompetenz formuliert werden (z.B. Informationsbedürfnisse erkennen können, Informationsmittel kennen und beherrschen, Informationen kritisch evaluieren und effektiv zur Lösung von Aufgaben einsetzen zu können), in den unter diesem Label angebotenen Veranstaltungen tatsächlich vermittelt werden können. Vielleicht bedarf es für eine Antwort zu dieser Frage einer größeren empirischen Basis, aber bislang erscheinen die meisten Angebote hauptsächlich in Rechercheschulungen zu bestehen (wobei nichts gegen Rechercheschulung gesagt werden soll, aber das ist noch keine Informationskompetenz). Das hauptsächlich Neue am Konzept der Teaching Library (die allerdings eher im Bereich der Hochschulbibliotheken und weniger im Bereich der Öffentlichen Bibliotheken diskutiert und ausprobiert wird), scheint bisher die Verstetigung solcher Schulungen als Angebot der Bibliotheken und im biographischen Kontext der individuellen Nutzerinnen und Nutzer zu sein. Ob damit wirklich die sich ergebenden pädagogischen Anforderungen bewältigt werden können, welche sich für die erfolgreiche Vermittlung von Informationskompetenzen stellen, scheint mir erstmal zweifelhaft. Eventuell müsste sich erst eine unterstützende Infrastruktur entwickeln, die Bibliotheken bei dieser Vermittlung anleiten kann.
Dabei sind Hochschulbibliotheken in diesem Bereich klar im Vorteil: relativ klares Nutzerinnen- und Nutzerprofil (weil die meisten Angebote auf die Studierenden und nicht auf das wissenschaftliche Personal oder andere Personengruppen, welche diese Bibliotheken auch nutzen, zugeschnitten wird), die Verstetigung der Vermittlungsaktivität ist durch das einige Jahre dauernde Studium besser möglich (d.h. die Studierenden sind besser kontinuierlich zu erreichen, als die Nutzerinnen und Nutzer Öffentlicher Bibliotheken), pädagogische Kompetenz vor Ort in den Hochschulen (sollte zumindest so sein).

Lerntechniken / Das Lernen lernen
Ein nicht ganz so bekanntes Buzz-Word: das Lernen lernen. Aber im europäischen Kontext als Learning to Learn etabliert. Die Idee ist einfach: die Menschen sollen mehr und selbstbestimmt, eigentlich ständig irgendwelche Lernaktivitäten durchführen. Neben der Frage, ob dies überhaupt stimmt und wie Menschen dazu motiviert werden können, wenn es den ein sinnvolle Forderung ist, ist klar, dass sie dieses selbstständige Lernen auch erst einmal erlernt haben müssen. Grundsätzlich wird diese Aufgabe der Erstausbildung (Kinderbetreuungseinrichtung / Schule / berufliche oder akademische Ausbildung) zugeschrieben. Aber auch einige Bibliotheken argumentieren, in diesem Feld Inhalte vermitteln zu können.
Das Lernen lernen als Konzept beinhaltet die Fähigkeiten, Lernbedarfe selber bestimmen zu können, Lernstrategien planen und motiviert verfolgen zu können, Lerntechniken zu kennen und in geübt zu sein in ihrer Beherrschung und über die eigenen Lernfortschritte und Misserfolge reflektieren und die in dieser Reflexion gewonnenen Ergebnisse in die folgenden Lernprozesse einbringen zu können. Die ist kein banales Konzept, das mit der Bereitstellung eines Raumes mit flexibel verstellbaren Tischen und einigen Regalen mit Lernmedien zu lösen ist (wobei auch wieder gegen solche Räume an sich nichts einzuwenden ist).
Und hier bin ich sehr skeptisch, ob Bibliotheken tatsächlich auf diesem Feld schon tragfähige Ansätze entwickelt haben. Letztlich müsste es auch auf diesem Feld um die Bereitstellung einer notwendigen Lerninfrastruktur, die Vermittlung von Fähigkeiten und Kenntnissen und vor allem einer Kontinuität in dieser Vermittlung gehen.

Bibliotheksbenutzung
Ein großes, aber in vielen Darstellungen von Bibliotheken unterschätztes Feld bibliotheksbasierter Bildungsprozesse: die Bibliotheksbenutzung, insbesondere die Nutzung von bibliothekarischen Angeboten über die einfache Buchausleihe hinaus. Die Benutzung einer Bibliothek scheint neben der Vermittlung von Leseerfahrungen im Zentrum der meisten Veranstaltungen in Bibliotheken zu stehen, wobei gerade in diesem Bereich die Bibliothekarinnen und Bibliothekare tatsächlich Fachwissen bereitstellen können. Dabei sollte nicht vergessen werden, dass die eigenständige Nutzung einer Bibliothek tatsächlich keine Selbstverständlichkeit ist und oft eine solche Einführung an spezielle bibliothekarische Dienstleistungen heranführen kann. Nicht zu ignorieren ist der mögliche Effekt, Menschen davon überzeugen zu können, dass eine Bibliothek tatsächlich auch für sie nutzbar ist. (Obwohl dieser Aspekt meines Erachtens in anderen Staaten mehr betont wird, als in Deutschland.)
Aber auch in diesem Bereich sind kritische Anmerkungen angebracht. Es drängt sich der Eindruck auf, dass Bibliotheken solch Einführungen oft sehr auf die spezifische lokale Situation ausrichten und als Werbung für ihre eigene Institution verstehen. Beispielsweise, wenn hauptsächlich auf die lokale Aufstellung Bezug genommen wird oder auf den lokal genutzten OPAC. Man könnte auch argumentieren, dass es das Ziel solcher Veranstaltungen sein sollte, eher auf die Vermittlung allgemeiner Kenntnisse abzuheben, welche die Nutzung unterschiedlicher Bibliotheken ermöglichen sollte. Also beispielsweise eher in das Konzept eines Katalogs einführen und weniger sagen, auf welchen Knopf am bibliothekseigenen OPAC gedrückt werden muss, um den Suchvorgang zu starten. Oder aber eher den Sinn eine systematischen Aufstellung von Medien vermitteln und weniger die spezifische Aufstellung in den lokalen Räumen („Technik links hinten beim Klo, Kinderabteil eine Etage tiefer“). Anderseits ist es verständlich, wenn Bibliotheken versuchen, mit solchen Veranstaltungen möglichst viele neuen Nutzer und Nutzerinnen zu gewinnen, solange die Zahl der eingetragenen Nutzenden bei der Bewertung von Bibliotheken eine immens große Rolle spielt.

Problem: Zielgruppe Kinder und Jugendliche, fehlende Kontinuität
Zwei Dinge fallen bei all diesen Bereichen auf: erstens zielen die meisten Veranstaltungen hauptsächlich auf Kinder und Jugendliche ab, obwohl gerade diese ja schon im Bildungssystem integriert sind. Vielmehr sollte man erwarten, dass Menschen, die nicht mehr in der Ausbildung stecken, angesprochen würden. Zumal, wenn Bibliotheken Orte des selbstbestimmten Lernens sein wollen, welches eigentlich während der gesamten Biographie notwendig ist.
Und zweitens scheint nur im Bereich der Leseförderung eine Kontinuität der Veranstaltungen wirklich vorgesehen zu sein. (Die Ausnahme Hochschulbibliotheken, die teilweise zur Vermittlung von Informationskompetenz Seminare in Semesterlänge anbieten, kann da als Kontrast dienen.) Das erscheint mir fraglich. Bildungsprozesse setzen an sich eine längerfristige Beschäftigung mit einem Thema voraus. Man erinnere sich, dass einer der Hauptkritikpunkte am „Turbo-Abitur“ ist, dass die Schülerinnen und Schüler zu wenig Zeit für den ganzen Stoff hätten. Hingegen scheinen die meisten Veranstaltungen in Bibliotheken einmalig zu sein – vielleicht nicht für die jeweilige Bibliothek, aber für die jeweiligen Teilnehmenden. Dies ist keine neue Kritik. Beispielsweise setzt das Konzept der Spiralcurricula Schule-Bibliothek an diesem Punkt an: nicht einmalige, sondern kontinuierlich durchgeführte Veranstaltungen in Bibliotheken sollen laut diesem Konzept Bildungserfolge zeitigen. Allerdings sind diese Veranstaltungen größtenteils genau einmal mit Schuljahr geplant, was man auch als praktisch-nicht-ganz-so-kontinuierlich-wie-es-auf-dem-Papier-aussieht beschreiben kann. Zudem scheint bei bibliothekarischen Bildungsaktivitäten oft ein Teil zu fehlen, welcher in der Pädagogik zumeist als wichtig angesehen wird, nämlich die Phase des Übens und Reflektierens der jeweils erlernten Fähigkeiten.

Bibliotheken und Lebenslanges Lernen

Am Freitag, dem 07.03.2008, halte ich – in der ver.di-Bundeszentrale – auf dem Workshop „‚Bibliotheksgesetz‘ – Forderung für unsere Bibliothek der Zukunft – Im Mittelpunkt der Mensch der ver.di-Arbeitsgruppe Archive, Bibliotheken und Dokumentationseinrichtungen ein Impulsreferat. Das Thema wird das Konzept Lebenslanges Lernen und die Öffentliche Bibliothek sein.
Ich bin schon mal gespannt, wie das wird. Angesprochen wurde ich für diesen Vortrag von der Arbeitsgruppe unter anderem, weil ich mich auf der Tagung „Campus der Zukunft“ im letzten Jahr zu Wort gemeldet hatte. Ich kann mich nur noch an wenig erinnern, aber ich weiß noch, dass ich mich wieder einmal nicht zurückhalten konnte und in einer Arbeitsgruppe zum Thema vorschulische Bildung in der Bibliothek einwerfen musste, dass Lesenkönnen nichts anderes ist, als eben Lesenkönnen. Und noch lange nicht ‚Lesekompetenz‘ oder ‚Selbstlernkompetenz‘ oder auch nur ‚funktionale Alphabetisierung‘ und dass deshalb Leseförderung zwar wichtig ist, aber halt nicht alles sein kann, was in der Bibliothek unter dem Label Bildung gemacht werden kann. Letztlich hatte ich also wieder einmal etwas gegen die mißverständliche Nutzung von Buzzwörtern, insbesondere so politische aufgeladenen wie Lesekompetenz.
Und ähnliches werde ich wohl auch zum Lebenslangen Lernen zu sagen haben. Also ungefähr, dass Lebenslanges Lernen nicht heißt, dass ganze Leben über etwas zu lernen, sondern ein umfassendes Konzept darstellt. Diese Sichtweise ist selbstverständlich toll, weil sie mehr Möglichkeiten eröffnet, auf irgendetwas Einfluss zu nehmen: auf die Ziele des Konzeptes, auf die Ausgestaltung des Konzeptes, auf die Umsetzung des Konzeptes, auf die Teile des Konzeptes, die aktiv ignoriert oder abgelehnt werden. Wenn man hingegen Lebenslanges Lernen als eine antropologische Konstante versteht, dann kann man auch nichts anderes tun, als es einfach als gegeben hinzunehmen. Dann ist das aber auch keine politische. gesellschaftliche, pädagogische, bibliothekarische oder irgend einem anderen Aspekt zu diskutierende Frage mehr. Allerdings wird es dann meineserachtens schwierig den aktuell stattfindenden Umbau der Bildungssysteme anders zu interpretieren, den als ziellosen Abbau. Aber ob dieser Workshop der richtige Ort sein wird, um das darzustellen, wird sich noch zeigen.
Andererseits: welcher Ort wäre den sonst geeignet? Immerhin möchte die Arbeitsgruppe ihre Forderungen für ein Bibliotheksgesetz (auf Bundesebene) diskutieren. Auf die dazugehörigen Debatten vielleicht etwas Einfluss nehmen zu können, scheint schon eine zu große Chance darzustellen, als das ich sie hätte ablehnen können.

Die Präsentation für das Referat (in der Vorabversion) gibt es hier als Open Document File und hier als PDF.

Die Spiralcurricula Bibliothek/Schule: vor allem uneinheitlich

Neben den Kooperationsverträgen zwischen Bibliotheken und Schulen, sind es aktuell die sogenannten Spiralcurricula, welche als Mittel zur Gestaltung der Zusammenarbeit von Bibliotheken und Schulen propagiert werden. Ein Spiralcurriculum [1] soll aus aufeinander aufbauenden Modulen bestehen, die für Schülerinnen und Schüler in der Bibliothek angeboten werden. Diese Module ergänzen sich und sollen über die Schulzeit verteilt werden können, beispielsweise ein Modul pro Schuljahr. Die Schulen sollen dann mit ihren Klassen zu einem selbst gewählten Zeitpunkt die Bibliothek besuchen können. Ziel dieser Zusammenarbeit sei einerseits, den Schülerinnen und Schülern die Nutzung einer Bibliothek beizubringen und sie gleichzeitig bei der Entwicklung von Lese-, Medien- und Recherchekompetenzen zu unterstützen. Die Organisationsform als Curriculum soll dabei helfen, die Zusammenarbeit von Bibliotheken und Schulen kontinuierlicher gestalten und beiden Seiten eine größere Planungssicherheit zu geben. Zudem – auch wenn das nicht unbedingt ausgesprochen wird – scheint eine solche Zusammenarbeit die Bibliotheken etwas von dem faktischen Druck befreien zu können, jede Bibliotheksführung auch als direkte Werbung von neuen Nutzerinnen und Nutzern verstehen zu müssen.
Insbesondere auf dem Portal schulmediothek.de (das eigentlich als Portal für Schulbibliotheken gedacht ist) wird mit dem Text Wenn Bibliothek Bildungspartner wird : Leseförderung mit dem Spiralcurriculum in Schule und Vorschule und der Broschüre Wenn Bibliothek Bildungspartner wird … : Leseförderung mit dem Spiralcurriculum in Schule und Vorschule von Ute Hachmann und Helga Hofmann für dieses Konzept geworben. [Aber auch hier, hier, hier, hier oder hier]
Auf schulmediothek.de werden auch die in der Broschüre angeführten Beispiele von Spiralcurricula aufgelistet. In einer Tabelle habe ich versucht, diese Beispiele systematischer zu erfassen.




Tabelle als PDF hier

Das Ergebnis dieser Systematisierung ist einigermaßen verwirrend. Jedes Konzept eines Spiralcurriculum scheint für sich alleine zu stehen. Die angesprochenen Alterstufen erstrecken sich von Kindergartenkinder bis zu Schülerinnen und Schüler der 12. und 13.Klasse. Dies aber nicht einheitlich. Die Lernziele sind vollkommen unterschiedlich. Mal wird der Hauptschwerrpunkt auf die Bibliotheksnutzung gelegt – dann erscheinen die Curricula als längerfristig geplante Bibliothekseinführungen – mal liegt der Schwerpunkt auf der Lesekompetenz, mal auf dem Recherchetraining. Ebenso ist die Periodisierung der einzelnen Module uneinheitlich. Mal gelten sie jeweils für ein Schuljahr, mal für die gesamte Grundstufe, die Sekundarstufe I und die Sekundarstufe II. Ebenso ist die Ausformulierung der Konzepte nicht gleich. Einmal sind es genaue Beschreibungen der Angebote an Schulen, ein anderes Mal werden eher umfassende Termini benutzt. Sogar die Namen der einzelnen Konzepte sind relativ unterschiedlich. So werden noch nicht einmal alle Spiralcurriculum genannt, obwohl sie sich auf diese Konzept beziehen sollen.
Das Spiralcurriculum ist ein relativ neues Konzept und zumindest zur Zeit scheint es oft als Fortführung schon längerer betriebener Bibliotheksangebote verstanden zu werden. Von einer Orientierung an den Vorstellungen der Schülerinnen und Schüler, welche einst in dem Projekt „Öffentliche Bibliothek und Schule – neue Formen der Partnerschaft“ der Bertelsmann-Stiftung, in deren Rahmen Spiralcurricula für Bibliotheken erstmals als Konzept mit diesem Namen vorgeschlagen wurden, ist bislang wenig zu sehen. Eventuell wird sich dies mit der Zeit entwickeln, wie auch die Curricula sich vereinheitlichen könnten.

Fußnote:
[1] Auch wenn es in den Dokumenten zu den bibliothekarischen Spiralcurricula nicht erwähnt wird, hat auch diese Vorstellung einen längere Geschichte. Vgl. beispielsweise den Beitrag auf www.learn-line.nrw.de

Die Vorstellung von der Medienkompetenz aus dem Computer

Ein Thema der Folge vom letzten Samstag [mp3-Datei, ab Minute 20:30] beim Blogspiel war die Entwicklung von Medienkompetenz in Schulen. Henning Schluß vom Institut für Erziehungswissenschaft der Humboldt-Universität berichtete über das Projekt Schulen ans Netz, welches 1996 mit dem Ziel gestartet wurde, allen deutschen Schulen einen Internetanschluss zur Verfügung zu stellen und von den heutigen Problemen, in Schulen Medienkompetenz zu vermitteln.

Und man hat aber andererseits gemeint, dadurch, dass man die Schulen ans Netz bringt, würde man automatisch diese ganz wichtige Medienkompetenz erzeugen. Also, man hat sich gar keine weiteren Gedanken gemacht. Man hat gedacht, das reicht völlig aus die Schulen ans Netz zu bringen, da einen Internetanschluss zur Verfügung zu stellen und – so wurde Wahlkampf gemacht. Die SPD – die Älteren unter uns erinnern sich – hatte plakatiert ‚Mäuse für die Schule‘. Und man dachte, damit erzeugt man die Medienkompetenz.
[…]
[Frage: Was verstehen Wissenschaftler unter Medienkompetenz?]
Eigentlich das, was alle anderen auch darunter verstehen. Allerdings: wissenschaftlich versucht man das ja immer noch ein bisschen aufzuschließen. Und dann kann man unterschiedliche Bereiche unterscheiden. Da gehört dazu, natürlich, angemessen Medien rezipieren zu können, mit ihnen Umgehen zu können. Das ist aber nur der eine Teil. Dann gehört dazu, selber was machen zu können, damit. Also selber Medien erzeugen können. Ein bisschen Radio machen, Zeitung machen, eine Schülerzeitung – das ist ja wirklich ein ganz altes Ding. Oder eben mit dem Internet angemessen umzugehen. Es gehört aber auch dazu – und das ist vielleicht noch nicht so überall angekommen -, es gehört auch dazu, dass sich kritisch mit Medien Auseinandersetzen. Also, dass heißt: welche Wirkung haben den eigentlich Medien? Diese Fragen [sind] mit zu bedenken. Und es gehört dazu, zu gucken, was sind den die Hintergründe, wer sind den Medienmacher, welcher Interessen stehen eigentlich hinter Medien?
[…]
[Frage: Wie hat die Anbindung der Schulen ans Netz den Unterricht, den Schulalltag verändert? Welche Projekte kann man beispielhaft aufzählen?]
Das wäre toll, wenn man das so schildern könnte. Also, das ist hier und da passiert und man muss sagen, es hängt einfach an engagierten Lehrern und an engagierten Schülern, gerade auch in den älteren Jahrgängen. Wo das nicht mehr der Fall ist, bricht das einfach sehr schnell weg. Die Chancen sind natürlich toll.
[…]
[Frage: Was muss denn getan werden, damit die Chancen auch genutzt werden können?]
Ich glaube, dazu gehört auf jeden Fall Lehrerfortbildung, nach wie vor. Denn die Reserve gegenüber dem Netz ist bei Lehrern doch immer noch ziemlich groß. Das hängt bestimmt auch damit zusammen, dass Lehrer eben selber nicht ganz genau wissen, was die Möglichkeiten eigentlich sind im Netz – und mit einer Angst vor dem Autoritätsverlust. Denn Schüler und Schülerinnen sind häufig einfach fitter als ihre Lehrer im Bereich des Netzes. Und ja, wenn ich doch in der Lehrerrolle bin und eigentlich der bin, der besser weiß, wie’s langgeht und nun erlebe, dass die Schüler das besser wissen, dass macht was mit Schule. [Moderator: Das wär doch eine Chance.] Das wär eine echte Chance, wenn Lehrer nicht nur inhaltlich fit gemacht würden, sondern auch fit gemacht würden, mit so einer Situation umzugehen. Also tatsächlich mal was von Schülern lernen zu können – und wenn man damit pädagogisch arbeitet. Denn es ist ja nicht nur so, dass allein das technische Können schon ausreicht, um richtig inhaltlich versiert mit dem Netz umgehen zu können.
Denn man muss ja immer noch sagen, dass die Struktur des Lernens sich durch das Internet überhaupt nicht geändert hat. Und da sind die Lehrer Profis. [Moderator: Was meinen sie damit?] Kann man sagen, ne? Also wenn ich Analphabeten eine riesen Bibliothek zur Verfügung stelle, dann habe ich damit noch nicht unbedingt was mit gewonnen. Sondern ich muss die … den Schülerinnen und Schüler beibringen, wie sie diese Bibliothek nutzen können. Nun ist in Zeiten von Web2.0 das Bild von der Bibliothek für’s Netz auch schon ein bisschen nicht mehr ganz stimmig. Aber in dem Punkt stimmt es doch noch, dass Wissen erwerben, also das Lernen so funktioniert, dass es heißt was Neues Einordnen zu können an was, was ich schon weiß. Es verknüpfen zu können. Etwas als Etwas zu verstehen, sagen wir [Erziehungswissenschafterinnen und Erziehungswissenschafter]. Und dafür sind die Lehrerinnen und Lehrer eigentlich Experten, so ein Wissen zu strukturieren.
[…]
[Frage: Woran liegt es, dass die Lehrerinnen und Lehrer diese Aufgabe nicht so gut vermitteln können? Woran hackt das?]
Eben genau an dieser Angst vor dem Autoritätsverlust, ja. Da traut man sich nicht so richtig ran. Und wenn Lehrerinnen und Lehrer das selber noch nicht so machen, selber das Internet nicht so nutzen, was immer noch vorkommt … [Moderator: Also selber nicht medienkompetent sind.] … selber nicht medienkompetent sind, dann werden sie das auch nicht vermitteln können.

Viele dieser Bemerkungen kann man wohl auch auf Bibliotheken übertragen. Die Vorstellung, dass Computer alleine schon irgendwie Kompetenz vermitteln würden, schien durch viele Projekte und Projektbeschreibung bis in die letzten Jahre durch. Die Notwendigkeit, sich mit Medien auseinandergesetzt zu haben, bevor man die Fähigkeit hat, Kompetenz mit diesen zu vermitteln, gilt auch für Bibliotheken.
Allerdings gibt es ebenfalls Unterschiede. So nutzen nicht nur Schülerinnen und Schüler Bibliotheken. Aber wie steht es bei diesen Nutzenden mit den Fähigkeiten im Umgang mit dem Internet? Außerdem lässt sich fragen, ob die Vermittlung von Medienkompetenz im Internet nun das Arbeitsfeld aller Bibliothekarinnen und Bibliothekare sein sollte oder nicht. Schließlich gab es schon „immer“ spezialisierte Felder, wie die Musik- oder die Kinder- und Jugendbibliotheken. Fakt ist aber, dass Bibliotheken diese Kompetenz tatsächlich nur vermitteln können, wenn es auch in ihnen Menschen gibt, die sich darauf einlassen, diese Kompetenzen selber zu erwerben. Wobei es eigentlich einfacher fallen müsste, zu akzeptieren, wenn Nutzerinnen und Nutzer in bestimmten Gebieten einfach mehr wissen, als in Schulen.

Social impact of public libraries (Annahmen)

Svanhild Aabø zitiert in ihrer Doktorarbeit [The Value of Public Libraries, Oslo, University of Oslo, 2005] aus einer Arbeit von Evelyn Kerslake und Margaret Kinnel [Kerslake, E. ; Kinnel, M. / The social impact of public libraries : A literary review. – [London] : British Library Research and Innovation Centre, 1997] eine Übersicht zu (normativen) Annahmen zum Einfluss von Öffentlichen Bibliotheken. Dieser Überblick ist selbstverständlich auf Großbritannien bezogen und lässt sich nicht direkt auf Deutschland beziehen. Zudem ist er hier „zweiter Hand“ wiedergegeben. Aber er ist ein weiterer Ansatz zur Systematisierung.

Social Impact of Public Libraries:

  1. Einfluss auf die Community, in der die Bibliothek arbeitet.
    • Unterstützt lokale Identifikationen/Identitäten und Gemeinschaften
    • Unterstützt Menschen, deren Hauptaktivitäten außerhalb des Arbeitsmarktes stattfinden [interessante Sichtweise, da zu dieser Gruppe gänzlich unterschiedliche Personenkreise gehören: Hausfrauen/-männer, die dies auch langfristig sein wollen; Arbeitslose, die versuchen diesen Zustand zu verlassen (oder resigniert haben und sich mit dieser Situation arrangiert haben); Ehrenamtliche, die ihren Schwerpunkt auf ihr Ehrenamt legen. Dies impliziert unterschiedliche Bibliotheksarbeit.]
    • Pflegt kulturellen Reichtum und Diversität
    • Stellt eine Art sozialen Zusammenhalt in einer Zeit rasanter Veränderungen dar
    • Stellt in Krisenzeiten (persönliche, gesellschaftliche) Informationen bereit
    • Erleichtert die Nutzung neuer Informationsressourcen
  2. Impact on skills
    • Persönlicher und gesellschaftlicher Vorteil (ökonomische, politische und soziale Kompetenzen wachsen durch die Benutzung von Bibliotheken)
  3. Ökonomischer Einfluss
    • kaum dokumentiert, Hinweise auf sie aus folgenden Gründen: (1) Prosperität durch die Regeneration der Stadtzentren [ein britisches Problem], (2) „confronting poverty“, (3) Brücke zwischen „education and leisure“

(Tagebuchfunktion I) bibliothekarisches Glücksversprechen

„Da es nicht sinnvoll ist, die Vermittlung von Informationskompetenz nur theoretisch stattfinden zu lassen, benötigt man einen Lernort, an dem elektronische und gedruckte Informationsressourcen zur Verfügung stehen: die Bibliotheken. Sie besitzen Expertenwissen im Umgang mit Information, in ihnen werden unterschiedliche Informationsressourcen in unterschiedlichsten Medienformen erfasst, selektiert, inhaltlich und formal erschlossen sowie für die Nutzung verfügbar gemacht. Bibliothekare haben täglich mit den unterschiedlichsten Informationssystemen zu tun, sind mit ihnen vertraut und können diese effizient nutzen. So sind die Bibliotheken prädestiniert als ideale Lernorte von Informationskompetenz für die unterschiedlichsten Zielgruppen: z.B. für Schüler.“
[Ulrike Bull / Bibliotheken als Lernorte für Informationskompetenz : eine Analyse der Angebote für Schülerinnen und Schüler. – [Diplomarbeit] . – Potsdam : Fachbereich Informationswissenschaft der Fachhochschule Potsdam, 2003, Seite 5]

Glücksversprechen
So der Beginn einer Diplomarbeit aus Potsdam. Solche Herleitungen finde ich gefährlich.

  1. Ich kann nachvollziehen, dass Bibliothekarinnen und Bibliothekare die Bibliothek gerne als Lernort für Informationskompetenz sehen würden und das aus ihrer Kompetenz, den Medienbeständen und ihrem (nicht unbedingt von der gesamten Profession geteilten) Selbstverständnis als Informationsvermittlerinnen und -vermittler herleiten. Aber das ist doch kein Beweis dafür, dass dies von der restlichen Welt auch so gesehen wird. Über Schulbibliotheken wird gleiches behauptet und doch hatten die Schulbibliotheken, die ich für meine Magisterarbeit besuchte, teilweise nicht mal Computer und wollten auch gar keine haben. Informationskompetenzvermittlung fand in schuleigenen Computerkabinetten statt. Ähnliches kann ich mir für Öffentliche Bibliotheken vorstellen.
  2. „Bibliothekare haben täglich mit den unterschiedlichsten Informationssystemen zu tun, sind mit ihnen vertraut und können diese effizient nutzen.“
    Einige ja. Aber sieht die Realität in Öffentlichen Bibliotheken wirklich so aus oder wird hier nicht einfach ein Ideal von Bibliothekaren als Normativ gesetzt? Ich habe oft genug Anderes erlebt, nämlich das engagierte Kolleginnen und Kollegen viele andere Aufgaben wahrnahmen und wahrnehmen wollten, nur nicht mit Informationssystemen arbeiten. Deren Informationskompetenz beschränkte sich oft auf Google. Das finde ich nicht schlimm. Sie hatten andere Interessenschwerpunkte bei ihrer täglichen Arbeit. Aber werden solche Bibliothekarinnen und Bibliothekare, mitsamt ihrer Arbeit, nicht vollständig dequalifizierte, wenn man bei ihnen Kompetenzen voraussetzt, die sie nicht haben und auch nicht als notwendig für ihre Arbeit ansehen.
    Zumal auch nicht klar ist, wo Bibliothekarinnen und Bibliothekare eigentlich Informationskompetenz für die aktuellen Medien erlernen sollten, wenn sie es nicht in der Ausbildung gelernt haben. Die Fortbildungssituation ist nun mal nicht die beste.
  3. Die Vorstellung, dass Bibliotheken die perfekten Orte zur Vermittlung von Informationskompetenz darstellen, scheint oft den Blick darauf zu verstellen, dass sie beileibe nicht die einzigen Orte darstellen, an denen eine solche Vermittlung stattfinden kann. Führt solch eine Einstellung nicht dazu, andere Lernorte gering zu schätzen und deshalb Zusammenarbeiten (direkt oder indirekt) gar nichts anzudenken? Blickt man darauf, mit wem Öffentliche Bibliotheken im Bildungsbereich zusammenarbeiten, ist offensichtlich, dass es sich fast immer um Schulen handelt. Und denen werden nahezu immer dieselben Angebote gemacht: Lesekisten und Führungen für Schulklassen, mal verbunden mit Rechercheprojekten in der Bibliothek, mal ohne. Teilweise gibt es zusätzlich Vorlesewettbewerbe oder Vorlesestunden für Kinder. Und eventuell gestaltet sich, angeregt durch das Konzept „Spiralcurriculum“, in den letzten Jahren die Zusammenarbeit mit Schulen sogar kontinuierlicher, als zuvor.
    Dennoch sind bei allen diesen Angeboten zwei Dinge auffällig. Erstens scheint immer die Bibliothek für Informationskompetenz und Leseförderung zuständig, zumindest in der Theorie. Was ist dann aber die Aufgabe der Schulen? Ist das schon eine Zusammenarbeit, wenn sie die Kinder und Jugendlichen vorbei bringen? Zweitens fallen die anderen Lernorte in diesen Konzeptionen fort. Dabei lernen heute alle Menschen in einem Lernnetzwerk, dass sich individuell zusammensetzt und in dem unterschiedliche Lernort individuell bewertet und genutzt werden.
    Ich bin mir sicher, dass eine Evaluation von Bildungswirkungen schon durch rein deskriptiv verwendete Interviews mit Nutzerinnen und Nutzern zeigen würden, dass Bibliotheken weder primär als Lernorte für Informationskompetenz wahrgenommen werden, noch dass sich die genutzten Lernorte auf Schule und Bibliothek beschränken.

Normativ
Solche Zitate, wie das oben wiedergegebene, lassen sich dennoch zahlreich finden. Doch jedesmal frage ich mich, wieso eigentlich? Haben Bibliothekarinnen und Bibliothekare es nötig, sich ständig gegenseitig zu versichern, dass ihr Arbeitsbereich wichtig ist? Kann man nicht einfach die Realität klarer wahrnehmen: Einerseits Bibliothekarinnen und Bibliothekare, die gerne eine Einrichtung für Informationsvermittlung hätten, anderseits solche, die andere Funktionen von Bibliotheken betont sehen wollen. Eine Öffentlichkeit, von der man nicht so genau weiß, was sie eigentlich von Bibliotheken hält. Und eine alltägliche Praxis, bei der nicht so recht klar ist, ob Informationskompetenz überhaupt nötig ist oder ob nicht doch die Beherrschung des hauseigenen OPACs vollständig ausreicht, um die gestellten Informationsbedürfnisse zu befriedigen.
Sicher, Informationskompetenz heißt auch, den Nutzerinnen und Nutzern zu zeigen, dass ihr Informationsbedarf vielleicht ein anderer ist, als sie selber annehmen. Das hieße, sie über den OPAC hinaus auf andere Informationvermittlungssysteme zu verweisen. Aber ist das tatsächlich die Arbeit, die in Öffentlichen Bibliotheken geleistet wird? Vielleicht ja, es gibt dazu keine Daten. Aber wenn beispielsweise in Berlin Bibliotheken primär nach den Ausleihzahlen bewertet werden, wäre ein solches Vorgehen vollkommen widersinnig. Erstens leihen informationskompetente Nutzerinnen und Nutzer vielleicht gar nicht mehr so viel aus, wie zuvor. Und zweitens tun sie das vielleicht noch in gänzlich anderen Bibliotheken, die ihren speziellen Informationsbedarf besser bedienen. Damit würde die Informationskompetenzvermittlung nur einen zeitaufwändig erreichten Verlust für die jeweilige Bibliothek bedeuten.
Wenn, dann sollte man die im obigen Zitat steckende Vorstellung als Wunsch ernst nehmen, wie in Bibliotheken gearbeitet werden sollte. Dann kann man darauf auch zuarbeiten, der Öffentlichkeit klarmachen, dass solche Arbeit gemacht werden und unterstützt werden muss. (Beispielsweise müsste sie in Bibliotheksbewertungen einfließen.)

Schülerführung / Schülerprojekte
Abgesehen davon liefert die zitierte Arbeit übrigens eine wichtige Differenzierung zwischen „klassischer Schülerführung“, in denen es vorrangig um die Vermittlung von Bibliothekskompetenz geht und „Schülerprojekten“, welche an der Vermittlung von Informationskompetenz orientiert sind. Diese Unterteilung mag auf den erste Blick banal sein, bieten meines Erachtens aber eine Möglichkeit Lehrprojekte in Öffentlichen Bibliotheken besser und gerechter zu bewerten.
Der Widerspruch ist schließlich offensichtlich zwischen den Selbstdarstellungen von Bibliotheken, die sich die Vermittlung von Informationskompetenz zuschreiben, in deren Klassenführungen dann aber vor allem die Anmeldeformalitäten der jeweiligen Bibliothek und die Funktion des OPACs erklärt wird. Mit einer Differenzierung der Projekte in „klassische Schülerführung“ und „Schülerprojekt“ lässt sich dieser Widerspruch gut erklären. Hinter ihnen stehen zwei unterschiedliche Ziele: die Gewinnung neuer Bibliothekskundinnen und -kunden in den klassischen Führungen, die Informationskompetenzvermittlung bei den Schülerprojekten. Letztere mögen gesellschaftlich relevanter sein (schließlich werden mit Informationskompetenz neben positiven Arbeitsmarkteffekten auch positive Auswirkungen für die gesellschaftliche und politische Teilhabe der Individuen verbunden). Aber von der aktueller Bewertung der Bibliotheken durch die meisten Träger her gesehen sind klassische Führungen produktiver. Die erzeugen immerhin zählbare Zuwächse an Nutzerinnen und Nutzern, zumindest formal.