Schulbibliotheken in Berlin, 2015. Wie stetig sind die existierenden Schulbibliotheken?

Schulbibliotheken sind – abgesehen von ihrem möglichen Wert für den Alltag und Unterricht in Schulen und den Potentialen, die sie für die Schülerinnen und Schüler bieten – ein interessanter Gegenstand für die Untersuchung der Bedeutung von Bibliotheken in der Gesellschaft. Sie sind, auch da kaum verlässliche Infrastrukturen zur Unterstützung von Schulbibliotheken – insbesondere der kontinuierlichen Finanzierung von Personal und Bestand – existieren1 und der Unterricht in den deutschen Schulen so organisiert ist, dass per se keine Schulbibliothek benötigt wird, um erfolgreich zu unterrichten, Einrichtungen, die dann gegründet oder weitergeführt werden, wenn sich Schulen und Schulgemeinschaften für diese Einrichtungen interessieren und sie als Bereicherung ihres Alltags ansehen, wobei es recht unterschiedliche Vorstellungen davon gibt, was Bereicherung heisst. Es bedeutet immer einen Aufwand, Schulbibliotheken einzurichten, insoweit werden sie erst aufgebaut, wenn es für sie in der Schule genügend Unterstützung gibt. Gleichzeitig schreiben sich dabei die jeweiligen Engagierten in die Schulbibliothek ein. Während die bibliothekarische Literatur die Schulbibliothek vor allem als Einrichtung begreift, die auch nach bibliothekarischen Regeln geführt werden muss – inklusive Katalog, ständig erneuertem Bestand, Reglementen für die Nutzung – werden sie in den Schulen teilweise sehr anders begriffen. Wie, dass bestimmt sich auch immer daraus, wie Bibliotheken im Allgemeinen verstanden werden. Ein Beispiel sind Schulbibliotheken mit einem festen, unveränderlichen Bestand, der aber vom Personal als ausreichend und qualitativ gut angesehen wird.

Methode und Interesse hinter der Sammlung

Jährlich im April wird an dieser Stelle über die Anzahl der Schulbibliotheken in Berlin und deren Verteilung in den unterschiedlichen Schulformen berichtet. Diese Sammlung ist Teil einer Untersuchung zu Strukturen der Verteilung von Schulbibliotheken, die dabei vor allem als Einrichtungen verstanden werden, die gegründet werden, wenn sie den Schulen – als Teil der Gesellschaft – als sinnvoll erscheinen. Die fortlaufende Ergebnisdarstellung wird in diesem Beitrag mit einer im Gegensatz zu den Vorjahren umfangreicheren Auswertung für 2015 fortgesetzt.

Diese Angaben entstehen mit einer relativ einfachen, aber kontinuierlich angewandten Methode: die Homepages der, laut Schulverzeichnis des Berliner Senats, im April (innerhalb des jeweiligen Schuljahres) existierenden Schulen werden aufgesucht und nach Hinweisen auf Schulbibliotheken durchsucht.2 Dabei werden alle Hinweise gezählt, auch wenn es sich nur um kurze Erwähnungen, beispielsweise als Anstrich unter „Ausstattung der Schule“, handelt. Genutzt werden dabei alle Möglichkeiten der jeweiligen Homepage, inklusive zur Verfügung gestellter Suchfunktionen und eingestellter Dokumente. Ausgeschlossen werden Einrichtungen, die erkenntlich für die Schülerinnen und Schüler nicht zur freien Nutzung offenstehen (beispielsweise explizit keine Öffnungszeiten haben oder nur in Begleitung von Lehrpersonen besucht werden können) und Einrichtungen, die reine Lehrbuchsammlungen darstellen.

Dabei wird darauf vertraut, dass Schulen sich über ihre Homepages einer breiteren Öffentlichkeit präsentieren, was allerdings durch die Notwendigkeit, jährlich neue Schülerinnen und Schüler zu gewinnen und durch die Vorgaben der Berliner Schulpolitik auch zu erwarten ist. Allerdings werden mit dieser Methode Schulbibliotheken erst dann sichtbar, wenn sie auch auf den Homepages erwähnt werden. Allerdings ist zu vermuten, da Schulen regelmässig möglichst viele ihrer Angebote auf den eigenen Homepages präsentieren, so dass Einrichtungen, die zwar existieren, aber nicht erwähnt werden, im Alltag der jeweiligen Schule auch wenig Relevanz haben. Gleichzeitig sind über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg die Homepages des Schulen aussagekräftiger geworden.

Grundidee hinter der Untersuchung ist es, die Entwicklung des Schulbibliothekswesens in einem Bundesland über einen längeren Zeitraum zu betrachten. Dabei bietet sich Berlin unter anderem wegen den Unterschieden im Bibliotheks- und Schulwesen in seinen Bezirken sowie die relativ schnellen Veränderungen in der Bevölkerungsstruktur in seinen Quartieren an. Bislang gibt es, soweit sichtbar, im deutschsprachigen Raum keine solchen Zeitreihen über die Verteilung von Schulbibliotheken für einen grösseren Raum wie ein Bundesland. Für Berlin selber liegen gar keine anderen Daten über die Verbreitung von Schulbibliotheken vor. Die Daten, die von der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft im Schulverzeichnis vorgelegt werden, enthalten zum Beispiel keine konsistenten Angaben. Bislang wurden in Deutschland, zumindest soweit veröffentlicht, nur Daten über die Verteilung von Schulbibliotheken zu jeweils einem Zeitpunkt erhoben.

Der Vergleich der Verteilung von Schulbibliotheken über einen längeren Zeitraum – geplant sind mindestens zehn Jahre, wobei jetzt Daten für acht Jahre vorliegen – ermöglicht, andere Phänomene mit zu untersuchen:

  • Aus Kontakten zu Schulen und anderen Untersuchungen ist bekannt, das viele Schulbibliotheken, wenn sie eröffnet werden, keine Neugründungen darstellen, sondern oft eine Wiedereröffnung von ehemals vorhandenen Bibliotheken bedeuten. In vielen Schulen existieren offenbar in mehr oder minder verschlossenen Räumen oft noch alte Bestände und Möbel von Bibliotheken; eine Aufgabe bei der Neueröffnung besteht dann oft darin, diese Bestände und Möbel zuerst zu sichten. Mit einer Betrachtung der Verteilung über einen längeren Zeitraum ergeben sich mehrere Möglichkeiten: So lässt sich untersuchen, ob es Muster in der Eröffnung und Schliessung von Schulbibliotheken gibt, beispielsweise ob bestimmte Einrichtungen eine gewisse durchschnittliche Lebensdauer haben und wenn ja, wie sich diese erklären liesse. Zu denken wäre zum Beispiel an die Fluktuation der Schülerinnen und Schüler, da Schulbibliotheken oft von deren Mitarbeit oder aber in Grundschulen der Mitarbeiter ihrer Eltern abhängig sind, die dann nicht mehr vorhanden sind, wenn die Lernenden die Schulen verlassen. Gleichzeitig lässt sich untersuchen, ob und wie viele Schulbibliotheken längerfristig existieren, beispielsweise über den gesamten Untersuchungszeitraum.

  • Eine Momentaufnahme, also die Erhebung der vorhandenen Schulbibliotheken zu einem bestimmten Zeitraum, kann Auskunft über die momentane Verteilung geben. Beispielsweise wurde bei der ersten Erhebung in dieser Untersuchung klar, dass in Berlin die Chance in der Sekundarstufe eine Schulbibliothek nutzen zu können, grösser war, wenn Schülerinnen und Schüler Gymnasien besuchten anstatt andere Schulen der Sekundarstufen. Untersucht über einen längeren Zeitraum lässt sich sehen, ob solche momentanen Tendenzen strukturell angelegt sind oder zufällig vorhanden waren. Daraus liessen sich unter anderem für politisches Engagement wichtige Aussagen generieren, aber auch weiterführende Fragen zur Wirkung von Schulbibliotheken stellen.

  • Daten, die über einen längeren Zeitraum gesammelt werden, ermöglichen es auch, Hinweise zur Wirksamkeit bestimmter Interventionen zu geben. Sicherlich sind im schulischen Rahmen einzelne Interventionen nie alleine ausreichend, um Veränderungen durchzusetzen, insoweit liefern Datenreihen keinen Beweis für Wirksamkeiten, dennoch gibt es alleine im jetzigen Untersuchungszeitraum mindestens folgende drei Interventionen, die eine Wirkung auf die Anzahl der Schulbibliotheken erwarten liessen: Die Schulreform in Berlin, welche Haupt-, Real- und Gesamtschulen abschaffte und bis 2011 in Integrierte Sekundarschulen zusammenführte sowie die weitmöglichste Inklusion unterschiedlich befähigter Schülerinnen und Schüler anstrebt; die Aktivitäten der Arbeitsgemeinschaft Schulbibliotheken in Berlin und Brandenburg, insbesondere deren Wettbewerb „Schulbibliothek des Jahres“, der 2011 und 2013 durchgeführt wurde sowie die Publikation von insgesamt drei Monographien, die sich mit der Gründung und dem Führen von Schulbibliotheken befassen (nachdem die letzte vergleichbare Schrift in den 1980er Jahren erschien) und Schulen sowie einzelne Engagierte dabei unterstützen wollen, Schulbibliotheken zu betreiben.3

  • Geht man von den Publikationen zu Schulbibliotheken in Deutschland seit den 1970er Jahren – dem Jahr, in welchem in einem Projekt der Goethe Universität, welches den Aufbau von modernen Schulbibliotheken in Deutschland organisieren wollte, die erste umfassende Übersicht diesen Einrichtungen entstand4 – und anekdotischen Evidenzen aus Bibliotheken aus, scheint es Phasen des massiven Aufbaus von Schulbibliotheken und unterstützenden Einrichtungen gegeben zu haben, die von Phasen des massiven Rückbaus dieser Einrichtungen gefolgt wurden. Mit einer längeren Datenreihe lässt sich nach Hinweisen dafür suchen, ob dies (weiterhin) zutrifft und ob sich der Status und damit auch die Stellung von Schulbibliotheken zeittypischen Veränderungen unterworfen ist.

Ergebnisse: Schulbibliotheken in Berlin, 2015

Unter den Voraussetzungen der weiter oben genannten Grenzen der genutzten Methode der Datensammlung, stellt sich die Verteilung der Schulbibliotheken in Berlin, erhoben vom 01.-03. April 2015, wie folgt dar:5 („Schulen mit Förderschwerpunkten“ sind dabei solche, die nicht in anderen Schulen integriert sind. Grundsätzlich sinkt deren Zahl aufgrund der Inklusionsbemühungen in Berlin über die Jahre.)

schulbibliotheken_2015_tabelle

Sichtbar ist, das eine grosse Zahl von Schulen Schulbibliotheken unterhält, gleichzeitig aber über 50% der Schulen aktuell offenbar keine solche Einrichtungen anbieten. Angesichts dessen, dass die Literatur zu Schulbibliotheken davon ausgeht, dass sich solche für alle Schulen anbieten und die Möglichkeit eröffnen, Unterricht und Schulalltag zu verbessern, gleichzeitig aber betont wird, dass Schulbibliotheken nur dann sinnvoll sind, wenn sie auch in der Schule genutzt werden – was das Engagement der Lehrenden voraussetzt – ist dies eine sinnvolle Verteilung. Schulbibliotheken stehen immer in Konkurrenz zum möglichen Engagement des Lehrkörpers oder anderer Engagierter für andere ergänzende Einrichtungen wie zum Beispiel Biotope oder musikalische Angebote, insoweit ist nicht zu erwarten, dass sie aktuell in allen Schulen sinnvoll wären. Eine Verteilung von 31,8 % also rund einem Drittel – der Schulen in Berlin, die eine Schulbibliothek betreiben, ist also beachtlich.

Gleichzeitig fällt die ungleiche Verteilung über die unterschiedlichen Schultypen auf: Schulbibliotheken finden sich öfter in Grundschulen – die in Berlin bis zur sechsten Klasse geführt werden – als in anderen Schulen, dass heisst auch, dass die dort tätigen Personen auf die Interessen und Bedürfnisse von Kindern und Grundschulen orientiert sind. In den weiterführenden Schulen steigt die Chance der Schülerinnen und Schüler, eine Schulbibliothek nutzen zu können, mit dem gesellschaftlichen Status der Schulen: 36,3% der Gymnasien, aber nur 20,7 % der Integrierten Sekundarschulen und 20,0% (der im Berliner Schulverzeichnis gesondert geführten Walddorfschulen) haben solche Einrichtungen. Das heisst ausserhalb der Gymnasien haben rund 1 von 5 weiterführende Schulen eine Schulbibliothek, bei den Gymnasien sind es 2 von 5. Dies weisst hin auf eine an den sozialen Status gebundene Chance, eine Schulbibliothek nutzen zu können.

Vergleich der Daten über den Zeitraum 2008-2015

Wie erwähnt werden die Daten zu Schulbibliotheken jetzt über acht Jahre erhoben, was es ermöglicht, die Daten für 2015 mit den vorhergehenden Jahren zu vergleichen. Dies geschieht hier in einer graphischen Darstellung, wobei die angegebenen Wert die jeweiligen Prozentwerte (wieviel Schulen dieses Schultyps in Berlin hatten in betreffenden Jahr eine Schulbibliothek im Vergleich zur Gesamtheit dieses Schultyps in Berlin):6

diagramm_gesamt_2015

Anzumerken ist hier, dass im Jahr 2011 die Entwicklung der Zahlen für Haupt-, Real- und Gesamtschulen abbrechen, da diese in diesem Jahr ausliefen, dafür startet im gleichen Jahr eine Angabe für Integrierte Sekundarschulen, die ab diesen Jahr eingeführt wurden (mit einer Übergangszeit, genau 2011, in der alle diese Schulformen existierten). Die meisten dieser Integrierten Sekundarschulen entstanden durch eine Zusammenführung von je einer Haupt- und Realschule oder aber durch die Umwandlung von Gesamtschulen.

Die Anzahl der Schulbibliotheken in Berlin ist in konkreten Zahlen (2014: 226, 2015: 251) leicht gestiegen, in Prozentzahlen (2014: 32,4%; 2015: 31,8%) leicht gesunken, weil zugleich die Zahl der zugelassenen Schulen in Berlin gestiegen ist. Gleichzeitig ist diese Steigerung über den gesamten Zeitverlauf gesehen wenig auffällig. Ein Teil dieser Veränderung kann auch auf neu gestaltete oder inhaltlich bestückte Homepages von Schulen zurückgeführt werden. Es wurden sowohl Schulbibliotheken neu eröffnet oder zumindest für so wichtig begriffen, dass neu auf den Homepages eingestellt wurden, als auch Schulbibliotheken nicht mehr erwähnt werden, die noch in den letzten Jahren auf den Homepages zu finden waren, und deshalb mit hoher Wahrscheinlichkeit geschlossen wurden. Das ist sinnvoll, da sich auch die Berliner Schullandschaft in ständiger Bewegung befindet: Einerseits verändert sich kontinuierlich die Bevölkerungsstruktur, auch im Bezug auf das Alter, im gesamten Stadtraum, so das Schulen teilweise geschlossen oder zusammengeführt werden, während andere erweitert oder neubegründet werden müssen. Andererseits sind Schulen in Berlin dazu angehalten, sich als Einrichtungen in ständiger Veränderung zu begreifen und diese Veränderung auch planend zu gestalten. Beginnend 2006 müssen Schulen in Berlin in einem schulinternen Prozess Schulprogramme verfassen, in welchem sie ihre Potentiale und Probleme identifizieren und gleichzeitig realistische Veränderungen planen. Diese Programme müssen regelmässig fortgeschrieben werden, setzen also einen ständigen Veränderungsprozess als gegeben voraus, wollen ihn aber immer auch selber motivieren.7

These: 30%-35% als zu erwartender Wert

Grundsätzlich stieg die Zahl der Schulbibliotheken in Berlin von 2008 bis 2011 – also dem Jahr, in welchem die oben erwähnten Schulreformen in Berlin im Bezug unter anderem im Bezug auf Integrierte Sekundarschulen direkt umgesetzt wurden – auf 31,6% an. Seitdem bewegen sie sich im Rahmen von 31,6% (2011) und 34,7% (2013), grob gefasst also in einem Korridor zwischen 30% und 35% der Schulen in Berlin. Angesichts dessen, dass das Vorhandensein von Schulbibliotheken immer das Ergebnis von Entscheidungsprozessen in Schulen und deren Umfeld (Fördervereine, Freiwillige, Vereine) darstellt, kann aufgrund dieser Datensammlung die (noch schwach begründete) These aufgestellt werden, dass unter den jetzt gegebenen Voraussetzungen (teil-autonome Schulen, differenzierte und ständig fortgeschriebene Schulprofile, nur geringe Unterstützungen für Schulbibliotheken aus den Öffentlichen Bibliothekswesen, bestimmte Strukturen der Freiwilligenarbeit und der relativen Praxisorientierung des Schulunterrichts etc.) stetig rund ein Drittel der Schulen in Berlin eine Schulbibliothek betreibt und betrieben wird. Stimmt dies, dann wird sich eine Änderung dieser Zahl nur durch eine Änderung der Umstände, die zu den Entscheidungen der Schulen und Schulgemeinschaften führen, bewerkstelligen lassen.

Soziale Spreizung bei der Chance, Schulbibliotheken nutzen zu können

Beunruhigender sind die Entwicklungen zwischen Gymnasien und Integrierten Sekundarschulen. Letztere wurden eingeführt, um die oft kritisierten Probleme des gegliederten deutschen Schulsystems zu überwinden. In ihnen wurden Haupt-, Real- und Gesamtschulen zusammengeführt. Die Schülerinnen und Schüler haben die Möglichkeit, die Integrierten Sekundarschulen mit den Abschlüssen aller drei Schulstufen zu verlassen. Die Zusammenfassung hebt zum Beispiele die relative Undurchlässigkeit der Haupt- und Realschulen nach oben auf. Es wird sich erhofft, dass Schülerinnen und Schüler durch das Vorbild der anderen Lernenden und durch die einfache Möglichkeit, länger in der Schule zu verbleiben, verstärkt höhere Schulabschlüsse anstreben werden. Dies ist konsistent mit den Entwicklungen in anderen Bundesländern.

Im Bezug auf die Schulbibliotheken wurde weiter oben schon festgestellt, dass sich die Chance, eine Schulbibliothek nutzen zu können, sich mit der Wahl eines Schultyps verändert: Entscheiden sich Schülerinnen und Schüler, und mit ihnen zusammen zumeist ihre Eltern, für ein Gymnasium, ist die Chance fast doppelt so hoch, wie bei der Entscheidung für eine Integrierte Sekundarschule. Geht man davon aus, wie es zum Beispiel die bibliothekarische Literatur zu Schulbibliotheken tut, dass das Vorhandensein einer Schulbibliotheken einen positiven Einfluss auf den Lernergebnisse von Schülerinnen und Schüler haben kann, bedeutet dies, dass die ehedem schon mit überdurchschnittlichen Chancen ausgestatteten Schülerinnen und Schüler am Gymnasium (in Berlin) auch im Bezug auf Schulbibliotheken strukturell besser unterstützt werden, als andere.

Ein Blick in die Datenreihe zeigt nun, dass dies Teil einer längerfristigen Entwicklung zu sein scheint. Vergleicht man nur die Zahl der Integrierten Sekundarschulen und der Gymnasien (genauer: die Prozentzahl dieser Schultypen) mit Schulbibliothek, ergibt sich folgendes Bild:

diagramm_sekundar_2015

Die Differenz zwischen den beiden Schulformen (hier in Schwarz dargestellt) ist in den letzten drei Jahren – also nachdem die ersten Verwerfungen im Rahmen der Schulreform selber ausgestanden waren – rasant gewachsen. Setzt sich dieser Trend in den folgenden Jahren fort, dann würde die eine wachsende schulische und damit auch soziale Spaltung im Bezug auf Schulbibliotheken bedeuten.

Gleichzeitig könnte dies aber auch auf ein anderes Phänomen hindeuten: Schulbibliotheken fördern als Einrichtungen bestimmte Formen des Lernens und der Gestaltung des Alltags, nämlich stark textlastiger. Diese Formen der Lernens sind in Gymnasien, die ja direkt für das Studium und intellektuell basierte Karrieren ausbilden, eventuell stärker vertreten und in gymnasialen Rahmen auch erfolgreicher, als weniger textlastige – zum Beispiel mehr praxisorientierte – Formen des Lernens. Die Verbreitung der Schulbibliotheken – die ja, wie gesagt, immer als Entscheidung der Schulgemeinschaften entstehen – könnte dies reflektieren. Schulbibliotheken könnten auch verstärkt da sinnvoll erscheinen, wo mit Texten gearbeitet wird. Aber auch dies wäre ein Hinweis auf eine zunehmende soziale Spaltung, da intellektuell basierte Karrieren in der heutigen Gesellschaft zu besseren Lebenschancen, besseren Möglichkeiten zur Gestaltung des eigenen Lebens und auch ganz basal Jobs mit besseren Löhnen und höherer gesellschaftlicher Absicherung führen.8

Lebensdauer von Schulbibliotheken

Möglich wird durch die Datensammlung, die hier genutzt wird, auch, Aussagen über die Kontinuität der Existenz von Schulbibliotheken zu machen. Auch hierzu gibt es unterschiedlicher anekdotische Evidenzen. Einerseits gibt es Berichte von Schulbibliotheken, die von bestimmten Schülerinnen und Schülern begründet wurden und nur solange existierten, solange diese die jeweilige Schule nicht verlassen hatten. Dies wird von Berichten unterstützt, die auf die Wiedereröffnung und -belebung von Schulbibliotheken berichten. Gleichzeitig gibt es Schulbibliotheken, die auf Jahrzehnte der Existenz verweisen können. Insoweit ist das Bild nicht einheitlich.

Die Daten der konkreten Schulen wurden dafür in einer einfachen SQL-Datenbank gesammelt und strukturiert (wobei die Entwicklung der Schullandschaft in Berlin, bei der Schulen zusammengelegt, wieder aufgetrennt und zudem oft Umbenannt werden, dies unerwartet kompliziert machte). Die Sammlung dieser Daten zeigt eine Unstetigkeit in der Datensammlung auf, die allerdings so oft auftritt, dass sie nicht einfach mit einem Fehler in der Datensammlung zu erklären ist: Eine ganze Anzahl von Schulen geben kontinuierlich an, dass sie eine Schulbibliothek besitzen, ausser in einzelnen „Zwischenjahren“, beispielsweise die Mövensee-Grundschule und die Lynar-Grundschule, die beide 2008-2009 und 2011-2015 eine Schulbibliothek angeben, aber nicht für 2010. Es ist zu vermuten, dass eine Anzahl der Schulen bei Umstrukturierungen ihrer Schulhomepages Schulbibliotheken ausblenden und erst später hinzutragen. Gleichzeitig gibt es ganz offensichtlich Schulen, in den Schulbibliotheken geschlossen wurden. Die Kurt Schwitters Oberschule oder die Friedrich Ebert Oberschule geben zum Beispiel beide von 2009 bis 2011 an, eine Schulbibliothek zu haben, danach aber nicht mehr. Da beide von 2012 bis heute keine Schulbibliothek erwähnen, ist davon auszugehen, dass die einmal vorhandene geschlossen wurde.9 Eine Anzahl von Schulen bestätigt diese Annahme: Vier Schulen (die Grundschule am Pegasuseck, das Lilienthal Gymnasium, die Grundschule an der Pulvermühle und die Fritz Kühn Schule) gaben 2008 an, eine Schulbibliothek zu besitzen, anschliessend über Jahre nicht mehr. Zwischen April 2014 und 2015 eröffneten alle vier ihre Schulbibliotheken offenbar neu, zumindest tauchten sie wieder auf den Homepages auf. Das Wald-Gymnasium (ehemals Wald-Oberschule), welches 2010 einmal eine Schulbibliothek aus wies, dann aber nicht mehr, spricht jetzt, 2015, explizit von „Neubelebung unserer Schul-Bibliothek [sic!] als einem einladenden Ort zum Lesen mit aktueller Jugendliteratur.“10

Angesichts dieser Überlegungen wurde die Datenbank bezüglich der Kontinuität der Schulbibliotheken in Berlin ausgewertet. Dabei wurde wie folgt vorgegangen: Wurde die Schulbibliothek in einem Jahr erwähnt, im darauf folgenden nicht, dann im nächsten Jahr aber wieder (also, anders ausgedrückt, wenn ein Jahr „übersprungen“ wurde), wurde davon ausgegangen, dass diese Schulbibliothek weiterhin existiert hatte.11 Wurde sie aber zwei Jahre hintereinander nicht erwähnt, wurde davon ausgegangen, dass sie geschlossen wurde. Bezieht man dies ein und unterstellt zudem den Bibliotheken, die 2014 erwähnt wurden, aber nicht 2015, dass sie 2016 wieder erwähnt werden, ergeben sich folgende Daten (bei, zur Zeit, 765 Schulen in Berlin):

schulbibliotheken_2015_kontinuität

Dabei kann bei den Bibliotheken, die in diesem oder dem letzten Jahr das erste Mal erwähnt wurden, noch nicht wirklich von einer Kontinuität ausgegangen werden kann. Gleichzeitig zeigt sich über die Jahre, dass sich eine relativ hohe Anzahl von Schulbibliotheken (2008 bis 2013 zusammengenommen immerhin 197, was erstaunliche 81,1% der 2015 gezählten Schulbibliotheken darstellt) kontinuierlich etabliert hat.

Insgesamt enthält die Datenbank 479 Schulen, die in den Jahren 2008 bis 2015 mindestens einmal angegebenen hatten, eine Schulbibliothek zu besitzen. Diese Zahl lässt sich nicht direkt mit der Zahl der heute vorhandenen Schulen in ein Verhältnis setzen, da einige der Schulen inzwischen geschlossen oder mit anderen Schulen zusammengelegt wurden. Aber grundsätzlich ist zu sehen, dass innerhalb der untersuchten acht Jahre rund 60% der Schulen in Berlin einmal mit einer Schulbibliothek ausgestattet waren und ein grosser Teil von diesen heute keine Schulbibliothek mehr hat.

Daraus können, bei aller Vorsicht, zwei Schlüsse gezogen werden:

  • Die Schulbibliotheken, die sich fest in den Schulen etablieren, existieren dann über einen längeren Zeitraum und bieten damit einen verlässlichen Punkt im Schulalltag.

  • Viele Schulen führen Schulbibliotheken ein, aber ein relevanter Teil der Schulen entscheidet sich auch dafür, diese relativ schnell wieder zu schliessen. Offenbar überzeugen diese – oder zumindest der Aufwand, der für sie nötig ist – die Schulgemeinschaften nicht.

Dies ist wieder relevant für Fragen des Engagements für Schulbibliotheken: Schulbibliotheken, die langfristig existieren, können auch beginnen, auf einen Erfahrungsschatz zurückzugreifen und diesen untereinander auszutauschen. Sie haben mit hoher Wahrscheinlichkeit eine relativ gesicherte Position in der jeweiligen Schule (immer im Rahmen der Möglichkeiten), und können es deshalb auch wagen, bestimmte Experimente einzugehen. In anderen Worten: Diese Schulbibliotheken – die aktuell den Grossteil der existierenden Schulbibliotheken darstellen – können, insbesondere in Zusammenarbeit mit ähnlichen Einrichtungen, eine Professionalisierung vorantreiben. Sie können sich auch mit anderen Fragen beschäftigen, als der, wie Schulbibliotheken begründet werden können.

Gleichzeitig gibt es offenbar immer eine Anzahl von Schulbibliotheken, die nur eine kurze Zeit offen sind. Hier wäre es interessant zu wissen, was diese Einrichtungen auszeichnet. Ist es zum Beispiel tatsächlich vor allem ein Ergebnis des Engagements einzelner Schülerinnen und Schüler, die dann irgendwann die Schule verlassen? Ist es abhängig von der Laufzeit einzelner Förderungen, beispielsweise für geringfügig Beschäftigte? Entscheidet sich die jeweilige Schulgemeinschaft explizit gegen diese Schulbibliotheken? Insbesondere, wenn diese Schulbibliotheken tatsächlich das Projekt einzelner Schülerinnen und Schüler ist, sollte das nicht zu gering geachtet werden: Sie hätten dann in prägenden Jahren ihrer Jugend mit dem Führen einer Bibliothek gewiss wertvolle Kompetenzen erworben und eine grosse Selbstwirksamkeit erfahren. Eventuell müssen solche Projekte dann immer wieder beendet und andere begonnen werden, damit nachfolgende Generationen von Lernenden die gleich Selbstwirksamkeit erfahren können.

Interessant wird dann für eine Auswertung nach zehnjähriger Laufzeit sein, wie lange solche Bibliotheken, die wieder geschlossen werden, im Durchschnitt existieren.

Einfluss von Interventionen

Weiter oben wurden Interventionen angesprochen, deren Wirkung sich eventuell in den gesammelten Daten zeigt könnte. Überprüft man dies nun, ergibt sich ein – wie immer mit extremer Vorsicht zu geniessendes – uneinheitliches Bild.

  • Die Schulreform in Berlin, die lange Zeit vorbereitet wurde und somit die Schulen auch nicht unerwartet traf, fällt quasi mit dem Ende der massiven Steigerung der Zahl von Schulbibliotheken zusammen. Nachdem 2011 alle Haupt-, Real- und Gesamtschulen in Integrierte Sekundarschulen zusammengeführt wurden und sich die Schulen anschickten, die 2006 das erste Mal erstellten Schulprogramme zu überarbeiten, also auch dieses Steuerungsmittel langsam Routine entwickelte, wurde der weiter oben angesprochene Korridor von 30%-35% der Schulen in Berlin, die eine Schulbibliothek betreiben, erreicht. Offenbar erzeugt die nach der Reform gegebene Struktur dieses Ergebnis mit, obwohl ein kausaler Zusammenhang nicht zu bestehen scheint. Einzig, dass Schulen eine Verantwortung für ihre Angebote übernehmen müssen – ausgedrückt in den Schulprogrammen – und deshalb unter Umständen regelmässig über das Einrichten oder Schliessen von Schulbibliotheken nachdenken.

  • Der Wettbewerb Schulbibliothek des Jahres, der 2011 und 2013 von der Arbeitsgemeinschaft der Schulbibliotheken in Berlin und Brandenburg durchgeführt wurde, zeigt sich nicht in den Daten selber. Auf einer Anzahl der Homepages von Schulbibliothek und Schulen finden sich allerdings die Urkunden dieses Wettbewerbs, insbesondere, aber nicht nur, bei Bibliotheken, welche in diesem gewonnen haben. Der Wettbewerb selber, der erklärtermassen auch dazu beitragen soll, gute Schulbibliotheken als Vorbild zu präsentieren und Schulbibliotheken dazu anzuregen, dass sie sich nach aussen präsentieren, fällt in die Zeit, in der sich die Zahl der Schulbibliotheken zu stabilisieren scheint. Das heisst nicht, dass der Wettbewerb keinen Einfluss haben muss: Gezählt wird in dieser Untersuchung ja nur die Anzahl und Verteilung der Schulbibliotheken, nicht die Qualität der Arbeit der vorhandenen Einrichtungen. Gleichzeitig lässt sich die These aufstellen, dass ein solcher Wettbewerb auf eine gewisse Höhe der Professionalisierung der Schulbibliotheken und der Arbeitsgemeinschaft schliessen lässt.

  • Interessant sind die Zeitpunkte des Erscheinens der weiter oben genannten Praxisbücher für Schulbibliotheken. Diese sind alle mit dem Anspruch publiziert worden, das Eröffnen und das Weiterführen von Schulbibliotheken zu unterstützen. Allerdings erschienen sie allesamt zu einem Zeitpunkt, in welchem sich die Zahl der Schulbibliotheken in Berlin zu stabilisieren scheint. In gewisser Weise erscheinen sie für ihren eigenen Anspruch einige Jahre zu spät. Wieder sagt dies nichts darüber aus, ob sie nicht dabei geholfen haben, die Qualität der schulbibliothekarischen Arbeit zu unterstützen (oder in anderen Bundesländern wirksam waren). Eine andere mögliche Interpretation liegt allerdings ebenso nahe: Die drei Bücher könnten auch als Ergebnis einer bestimmten Professionalisierung der Schulbibliotheken gedeutet werden, also als Ausdruck einer gewissen Entwicklung, die inhaltlich eher darstellen, was Schulbibliotheken heute sein können oder sollen – und weniger als Einführungen für bislang nicht mit Schulbibliotheken vertraute Personen.

Einige Beispiele

Zum Abschluss sollen einige bemerkenswerte Beispiele für die Entwicklungen in Schulbibliotheken in Berlin gezeigt werden, um ein Bild von der Lebendigkeit, die hinter den einfachen Zahlen verschwindet, zu vermitteln. Dabei steht hinter allen Schulbibliotheken immer eine Anzahl von äusserst engagierten Personen, die diese Arbeit selbstverständlich nicht für die Zahlen in diesem Beitrag leisten, sondern aus guten, anderen Gründen: Weil sie Schulbibliotheken sinnvoll finden.

Neue Schulbibliotheken

  • Die offenbar neuste Gründung einer Schulbibliothek fand offenbar am 13.03.2014 in der Schule am Fennpfuhl (einer Schule mit besonderen Förderschwerpunkten statt).12 Die Meldung dazu besteht aus vier Bildern, die immerhin eine Lesetreppe, Sitzsäcke und einen kleinen Bestand. Das erscheint vielleicht wenig, ist aber mehr an Information, als zu vielen anderen Schulbibliotheken zu finden ist.

  • Das Rosa Luxemburg Gymnasium hat seiner Schulbibliothek eine eigene Homepage kreiert, nachdem die Bibliothek erst im letzten Jahr neu angekündigt wurde.13 Die Homepage umfasst neben den Angaben zur Schulbibliothek selber auch Hinweise zu Veranstaltungen und zum Team der Einrichtung.

  • Während einige Schulbibliotheken geschlossen werden, bauen andere ihre Infrastruktur so weit aus, dass sie eigene Online-Kataloge schaffen. Stellvertretend steht dafür die Grundschule an Bäke.14 Solche OPACs stellen selbstverständlich auch eine Verpflichtung dar, die Bibliothek längerfristig zu betreiben.

Artefakte ehemaliger Schulbibliotheken

Gleichzeitig, die ist schon mehrfach angedeutet worden, schliessen Schulbibliotheken. Manchmal hinterlassen sie für eine gewisse Zeit auch auf den Homepages – und nicht nur in den Schulen selber – Artefakte. Auch diese gehören zu einer lebendigen (aber offenbar nicht auf ein Ziel wie „Schulbibliotheken in allen Schulen“ zulaufenden) Schulbibliothekslandschaft.

  • Die Hermann Schulz Grundschule erwähnt unter der Eigendarstellung eine „Schülerbücherei (im Aufbau)“.15 Ob dieser Aufbau jemals fertig wird, ist nie abzuschätzen. Teilweise verschwinden solche Erwähnungen auch nach einigen Jahren einfach wieder.

  • Die Hauptmann von Köpenick Schule (eine Grundschule) erwähnt in ihrem schulinternen Curriculum explizit die Schliessung ihrer Bibliothek, inklusive des Schliessungsgrundes: „Schülerbibliothek wurde wegen Personalmangel eingestellt“16 Mit hoher Wahrscheinlichkeit heisst dies, dass der Bestand der geschlossenen Bibliothek noch vorhanden ist. Hinweise mit dem Verweis auf fehlendes Personal finden sich relativ oft.

  • Sehr schön ist folgende Meldung aus der Historie des Fördervereins der – nota bene! – Till Eulenspiegel Grundschule: „2008 Es werden Bücher für die geplante Schulbücherei in der SaPh angeschafft.“17 Diese Schulbibliothek scheint bislang nicht zu existieren, was heissen könnte, dass irgendwo bei einem Mitglied des Fördervereins die einst gekauften Bücher lagern könnten – oder, dass die Schulbibliothek zwar existiert, aber der Schule nicht wichtig genug ist, um auf der schuleigenen Homepage erwähnt zu werden.

 

Liste der Schulen mit und ohne Schubibliotheken in Berlin, 20105

Beiträge zur Anzahl der Schulbibliotheken in Berlin aus den letzten Jahren

 

Fussnoten

1 In Berlin sichtbar ist nur die „Schulbibliothekarische Arbeit“ in Treptow-Köpenick, die dem Schulamt untersteht, und die Unterstützung der Stadtbibliothek Spandau für einige Schulen in diesem Bezirk.

2 Dabei gibt es immer eine Differenz zwischen der Anzahl der Schulen im Schulverzeichnis und der Anzahl der Schulen, die in der amtlichen Schulstatistik erwähnt werden. Wieso, ist unklar.

3 Wolf, Sabine ; Schuldt, Karsten (2011): Praxisbuch Schulbibliotheken. Schwalbach/Ts. : Wochenschau (inhaltsgleich mit dies. (2013): Schwalbach/Ts. : Debus Pädagogik); Holderried, Angelika ; Lücke, Birgit (Hrsg.) (2012): Handbuch Schulbibliothek : Planung – Betrieb – Nutzung. Schwalbach/Ts. : Debus Pädagogik; Kirmse, Renate (2013): Schulbibliothek (Reihe Praxiswissen). Berlin : De Gruyter Saur. Hinzu kommt: Schlamp, Günther K. (2013): Die Schulbibliothek im Zentrum: Erfahrungen, Berichte, Visionen. Berlin : BibSpider, das allerdings nicht den Anspruch einer Praxishilfe erhebt, sondern als Erfahrungsberichts und Argumentation für einen nicht-bibliothekarischen Blick verstanden werden will.

4 Doderer, Klaus et al. (1970): Die moderne Schulbibliothek : Bestandsaufnahme und Modell ; Untersuchungen zur Situation der Schulbibliotheksverhältnisse in der Bundesrepublik und in West-Berlin ; Vorschläge zu ihrer Verbesserung ; Ergebnisse einer Teamarbeit des Instituts für Jugendbuchforschung der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main (1970) (Schriften zur Buchmarktforschung, 19). Hamburg : Verlag für Buchmarktforschung.

5 Erhoben wurde dies in allen vom Senat für das deutsche Schulwesen zugelassenen Schulen der Primar- und Sekundarstufen, was sowohl staatliche Schulen als auch private Ersatzschulen einschliesst, aber sowohl Ergänzungs- und Berufsschulen als auch ausländische Schulen (ausser denen, die auch deutsche Abschlüsse anbieten) ausschliesst.

6 Für die genauen Zahlen sei auf die Beiträge aus den anderen Jahren verwiesen, die im Anhang dieses Beitrags verlinkt sind.

7 Festzustellen ist allerdings, dass die Schulen in Berlin diese Schulprogramme heute weniger als früher auf ihren Homepages publizieren. Wurden diese in den letzten Jahren relativ oft verlinkt und konnten als Quelle für die Ausstattung der Schulen genutzt werden, sind sie heute oft verschwunden, teilweise mit dem Hinweis, dass sie überarbeitet würden.

8 Wobei diese Aussage als Hinweise auf eine mögliche Entwicklung zu betrachten ist. Entgegen steht dem zum Beispiel, dass in den rund zehn Freien Waldorfschulen in Berlin kontinuierlich nur zwei bis drei Schulen (insgesamt über die Jahre sind es auch nur drei der zehn) Schulbibliotheken ausweisen, obwohl die Schülerinnen und Schüler in diesen Schulen bekanntlich aus relativ hohen Sozialschichten stammen. Ebenso vermitteln die Privatschulen ein uneinheitliches Bild. Auch hier sind vor allem Kinder und Jugendliche aus hohen Sozialschichten zu finden und einige der Einrichtungen weisen relativ kontinuierlich Schulbibliotheken aus, aber bei Weitem nicht alle und auch nicht alle grossen. Man kann also nicht hohe Sozialschicht direkt mit der Möglichkeit der Nutzung einer Schulbibliothek gleichsetzen, zumal gerade in Grundschulen, die darauf hinweisen, sich in sozialen Brennpunkten zu befinden, Schulbibliotheken existieren.

9 Was noch nichts darüber sagt, wie diese Räume jetzt genutzt werden, ob dort zum Beispiel noch immer die alten Bestände stehen, die bei einer Neueröffnung durchgesehen werden müssten oder ob die Räume vollständig umgestaltet und die Bestände entsorgt oder in einen Keller verschoben wurden.

11 Zumal dies immer auch ein Fehler bei der Aufnahme darstellen könnte.

Das nahe Ende der Hauptschulen. Auswirkungen für Bibliotheken?

In nicht allzu ferner Zeit wird es in Deutschland keine Hauptschulen mehr geben. Was vor einigen Jahren noch eine gewagte, wenn auch zu untermauernde, These war, ist langsam, aber sicher eine Gewissheit. Der Bundesvorstand der CDU hat nun offenbar in einem Entwurf für den nächsten Parteitag die bisherige Position der CDU zum dreigliedrigen Schulsystem aufgegeben und favorisiert ein Schulsystem, in welchem nach der Grundschule zwei Schultypen folgen: Oberschule und Gymnasium, wobei die Oberschule explizit Haupt- und Realschule miteinander verbinden soll. Falls dieser Antrag zum Parteiprogramm wird, bricht eine der letzten bildungspolitischen Stützen der Hauptschule weg. Die FDP hat eine ambivalente Haltung zu ihr, Grüne, SPD und Linkspartei haben sich eh schon länger gegen sie ausgesprochen. Somit würden von den relevanten Institutionen nur noch die CSU und eine Anzahl von pädagogischen Verbänden die Hauptschule verteidigen.

Einige Gründe für den Niedergang der Hauptschulen

Allerdings wird in der Bildungsforschung eh schon seit längerem davon ausgegangen, dass die Hauptschule verschwinden wird. Die Frage war immer nur, wann. Es gibt einige Gründe dafür. So ist allgemein bekannt, dass die Hauptschule ihre Rolle als allgemeinbildende Schule, die ihr im dreigliedrigen Schulsystem zugeschrieben wurde, seit Jahrzehnten nicht erfüllt, falls sie es überhaupt jemals getan hat. Sie sollte als „Volksschule“ zur einfachen Berufsreife führen, ist aber mehr und mehr zur „Restschule“ geworden. Besuchte in den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik noch ein Großteil der Schülerinnen und Schüler die Volksschule, aus der sich die Hauptschule entwickelt, sinkt dieser Anteil immer weiter. [1] Dieser Trend wird sich nicht aufhalten lassen.

Bildungsaufstiege

Grund für diesen Rückgang der Schülerinnen- und Schülerzahlen ist nicht nur der so gerne angeführte demographische Wandel. Vielmehr gibt es einen Trend zum Bildungsaufstieg in der Gesellschaft. Bekanntlich „vererbt“ sich in Deutschland sozial so einiges, darunter auch der Bildungsstand innerhalb einer Familie. Das ist bekannt: Kinder mit zwei Elternteilen, die beide das Abitur haben, werden mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit auch das Abitur abschließen; Kinder mit zwei Elternteilen, die den Hauptschulabschluss erworben haben, werden mit hoher Wahrscheinlichkeit auch einen statusniedrigen Bildungsabschluss erwerben.

Allerdings haben, allen gegenteiligen Behauptungen über bildungsferne Familien zum Trotz, auch solche Familien ein Interesse daran, dass es ihre Kinder möglichst besser haben sollen, als sie selber. Deshalb gibt es auch von diesen Familien den Drang, ihre Kinder mindestens zum gleichen Bildungsabschluss zu führen, den sie auch erworben haben, wenn nicht gar zum „nächsthöheren“. Kinder, die einen niedrigeren Abschluss erwerben, als ihre Eltern, gibt es in Deutschland – zumindest in der längerfristigen Perspektive, wenn ein Großteil der Jugendlichen, die ihre Schule abbrechen, einige Jahre später ihre Abschlüsse nachgeholt haben – kaum. Langfristig gesehen führt das selbstverständlich dazu, dass die statusniedrigste Schulform, also die Hauptschule, „austrocknet“. Immer weniger Familien schicken ihre Kinder dorthin.

Neben dieser generellen Aufstiegsrichtung trägt dazu auch bei, dass der Status der Hauptschulabschlüsse nachgelassen hat. Die Möglichkeit, eine Ausbildung oder Anstellung mit einem Hauptschulabschluss zu finden, ist über die Jahrzehnte gesunken. Einerseits ist der Anteil von „angelernten“ Arbeitsverhältnissen zurückgegangen – beispielsweise durch den Rückgang der Arbeitsplätze in der Forst- und Landwirtschaft, bei gleichzeitiger intellektueller Aufwertung der vorhandenen –, andererseits gibt es einfach immer mehr Schülerinnen und Schüler mit Realschulabschluss und sogar Abitur, die sich auf Stellen und Ausbildung bewerben, die einst als Perspektive für Schülerinnen und Schüler mit Hauptschulabschluss galten. Auch das ist ein an sich naheliegender Effekt: Wenn immer mehr Menschen höhere Bildungsabschlüsse machen, dann nimmt deren sozialer und ökonomischer Wert ab, gleichzeitig sinkt der Wert der „darunterliegenden“ Abschlüsse noch weiter. Das ist einer der Gründe, warum immer weniger Eltern ihre Kinder auf Hauptschulen schicken, schließlich ist der sinkende Wert von Hauptschulabschlüssen bekannt.

Migration „rettet“ die Hauptschule nicht

Ein Faktor, welcher in den letzten Jahrzehnten die Hauptschulen entgegen diesem Trend zum Teil „auffüllte“, war die Migration nach Deutschland. Bekanntlich waren ein Großteil der Personen, die nach Deutschland migrierten, gerade solche, die für Aushilfstätigkeiten angeworben wurden und deshalb auch in ihren Herkunftsstaaten keine oder niedrige Bildungsabschlüsse erworben hatten. Die politische Migration oder die Migration gut ausgebildeten Personals, die es selbstverständlich ebenso immer gab, war zahlenmäßig weit geringer, als die Arbeitsmigration in statusniedrige Arbeitsplätze. Zu einem guten Teil war der Besuch einer Hauptschule, zu der Kinder in diesen Migrationsfamilien angehalten wurden, schon ein generationeller Aufstieg. Selbstverständlich hatte diese Situation auch ihre strukturell rassistischen Komponenten. Allerdings: Die Migration nach Deutschland ist rückläufig, [2] insbesondere die in statusniedrige Arbeitsplätze. Die Familien mit Migrationshintergrund sind grundsätzlich aufstiegsorientierter, als Personen ohne Migrationshintergrund und steigen generationell viel schneller aus den Hauptschulen auf, als dies bei „deutschen Deutschen“ der Fall war. [3] Die Migration wird die Hauptschulen nicht retten.

Hin zu den zweigliedrigen Schulsystemen

Die Situation der Hauptschule ich nicht neu. Vielmehr haben die neuen Bundesländer die Hauptschule – mit der Ausnahme einiger Experimente in den frühen 1990er Jahren in Mecklenburg-Vorpommern – gar nicht erst eingeführt. Nur Berlin übernahm sie, als das Schulsystem in Berlin (Ost) dem in Berlin (West) angepasst wurde. Die neuen Bundesländer nahmen in den 1990er Jahren früh die Chance wahr, nicht einfach das Schulsystem aus den westlichen Bundesländern zu übernehmen, sondern teilweise zumindest bei der Einführung zu „reformieren“. [4] Seitdem hat eine Zahl der alten Bundesländer – Berlin, Saarland, Schleswig-Holstein, Hamburg – die Hauptschulen auch abgeschafft oder ist aktuell dabei. Dazu bei trug die Interpretation der large-scale-Schulstudien wie PISA, die eine Überlegenheit von Schulsystemen mit Einheitsschulen oder zumindest einer weit längeren gemeinsamen Schulzeit aller Schülerinnen und Schüler, als in den deutschen Grundschulen üblich, anzuzeigen scheinen.

Nicht zuletzt gibt es die bildungspolitische Position, dass eine Trennung der Schülerinnen und Schüler in statusverschiedene (und auch unterschiedlich ausgestattete) Schultypen sozial ungerecht sei und deshalb abgeschafft werden sollte. Diese Position wird nun von den empirischen Daten und gesellschaftlichen Entwicklungen unterstützt.

Pro Hauptschule

Es gibt, wie gesagt, auch Positionen, die eine Differenzierung der Schülerinnen und Schüler in verschiedene Schultypen als potentiell sinnvoll ansehen und die Hauptschulen verteidigen. Sicherlich wird weithin abgelehnt, dass die Zuteilung der Schülerinnen und Schüler eng mit deren sozialen Hintergründen und Chancen korreliert. Schülerinnen und Schüler sollen auf die unterschiedlichen Schulen gehen, weil sie bestimmte Zielvorstellungen von ihrem Leben haben und dabei unterstützt werden sollen, diese Ziele zu erreichen. Zudem sollen sie sich nach ihrer tatsächlichen Leistung verteilen. Dass dies nicht so passiert, wird als Problem angesehen. Dennoch werden die Hauptschulen als Orte verteidigt, die ein stark praxis- und alltagsorientiertes Lernen ermöglichen.

Die nächste Zukunft: Gymnasium, Oberschule, Gesamtschule

Allerdings muss man feststellen, dass diese Argumente immer weniger an Wert zu haben scheinen. Im großen und ganzen ist die Frage nur, wie und wann die Hauptschulen in den unterschiedlichen Bundesländern abgeschafft werden und wie die darauf folgenden Oberschulen strukturiert sind. [5] Darauf läuft die Entwicklung zur Zeit hinaus: Nach den Grundschulen folgen drei Schultypen: Das Gymnasium, dass in fast allen Bundesländern nach 12. Schuljahren zum Abitur führt, die weiterhin existierenden Gesamtschulen, welche alle drei Bildungsabschlüsse anbieten und die (sehr unterschiedlich benannten) Oberschulen, welche teilweise Haupt- und Realschulabschlüsse anbieten, teilweise alle drei Abschlüsse, wobei das Abitur dann zumeist mit 13. Schuljahren erworben werden kann. [6] Die interne Struktur der Oberschulen ist sehr unterschiedlich. Unterrichten sie alle Schülerinnen und Schüler zusammen? Teilen sie intern in Hauptschul-, Realschul- und Gymnasialklassen? Wie gestalten sie dann die Übergänge zwischen diesen Klassen? Zudem ist nicht immer klar, was der Unterschied zwischen Ober- und Gesamtschulen ist.

Wird es Auswirkungen auf die Bibliotheken geben?

Die hier interessante Frage ist nun allerdings, ob dieser relativ massive Umbau der Schulsysteme in den Bundesländern einen Einfluss auf Bibliotheken haben wird und wenn ja, welchen. Das ist so einfach nicht zu beantworten. Vielleicht muss man für eine sinnvolle Antwort dieser Frage erst einmal weitflächig Erfahrungen sammeln. Es ist leider bislang in der bibliothekarischen Literatur auch relativ wenig dazu publiziert worden, ob sich die bisherige Dreiteilung des Schulsystems auf die Bibliotheken auswirkt. Gleichzeitig ist es bekanntlich so, dass Öffentliche Bibliotheken immer wieder den Kontakt zu den Schulen suchen. Es lassen sich aber immerhin einige Dinge anmerken.

  1. Der größte Teil der Arbeit Öffentlicher Bibliotheken für und mit Schulen scheint sich auf die Grundschulen zu konzentrieren. Auch in Grundschulen finden aktuell massive Reformen statt, diese sollen hier einmal nicht Thema sein. Beachtet man allerdings, dass durch die Zusammenführung der Haupt- und Realschulen auch die Chance der Schülerinnen und Schüler wachsen soll, den Übergang zwischen den Schultypen (nach oben) besser zu bewältigen, könnte man vermuten, dass sich dies auch langfristig auf die unteren Klassenstufen auswirkt. Unter Umständen wird der Druck auf die Schülerinnen und Schüler in den letzten Grundschulklassen, von dem zum Teil berichtet wird, abnehmen, wenn die Weichen ihrer schulischen Zukunft nicht schon zu diesem Zeitpunkt gestellt werden. Dies könnte sich auf die Klassen, mit denen Bibliotheken zusammenarbeiten, auswirken.
  2. Es ist in der bibliothekarischen Literatur nicht wirklich besprochen, ob und vor allem wie man einen Bestand für Schülerinnen und Schüler der unterschiedlichen Schultypen aufbaut und entwickelt. Wenn dies allerdings vorgenommen wird, dann wird sich die Bestandsentwicklung auch an den neuen Schulstrukturen anpassen müssen.
  3. Ein Vorteil der Zusammenführung unterschiedlicher Schultypen soll die wachsende Heterogenität der Klassen sein. Ob dies funktioniert, ist noch nicht ganz geklärt. Heterogenität wird aktuell in der erziehungswissenschaftlichen Literatur zumeist als positiv angesehen. Die Schülerinnen und Schüler sollen in ihren Eigenheiten und vor allem ihren individuellen Potentialen wahrgenommen und gefördert werden. Es soll nicht auf ein vorgebliches Leistungsmittel hin unterrichtet werden, sondern so, dass alle Kinder und Jugendlichen auf ihren Lernwegen unterstützt werden. Die Lehrerinnen und Lehrer hingegen äußern immer wieder Bedenken, vor allem im Bezug auf die Umsetzbarkeit dieser Ziele, nicht im Bezug auf die Ziele selber. Sollten allerdings die Klassen, mit denen die Bibliotheken bei Führungen et cetera zu tun hat, tatsächlich heterogener werden und die Schülerinnen und Schüler, welche die Bibliotheken aufsuchen, tatsächlich immer mehr gewohnt sein, dass sie individuell im Bezug auf ihre Potentialen gefördert werden, dann sollten sich eigentlich auch die Angebote von Bibliotheken darauf einrichten. Kann man zum Beispiel immer noch auf hauptsächlich eine Form von Bibliothekseinführungen, Recherchetraining und so weiter setzen, wie das zum Teil in Bibliotheken offenbar getan wird? Auch hier fehlt ein ausreichendes Wissen darüber, was eigentlich heute wirklich in Bibliotheken getan wird, um sagen zu können, was sich daran ändern könnte oder müsste.
  4. Eigentlich sollte der Hauptschulabschluss die Berufsfähigkeit nachweisen, der Realschulabschluss die Fähigkeit, komplexere und leitende Berufe zu erlernen und das Abitur grundlegende Fähigkeiten zum wissenschaftlichen Arbeiten. Es ist immer unklarer, ob dieser Anspruch überhaupt eingehalten wurde. Nimmt man ihn aber der Einfach halt halber einmal ernst, dann stellt sich die Frage, ob mit dem Verschwinden der Hauptschulen und anschließend wohl langfristig auch der Hauptschulabschlüsse überhaupt noch Wert auf die Berufs- und Alltagsfähigkeit gelegt wird, ob nicht alle Schülerinnen und Schüler letztlich so ausgebildet werden, als ob sie nach der Schule leitende Berufe ausführen oder Studieren würden? Das wird immer auch schief gehen und einer nachholenden Sozialarbeit bedürfen. [7] Aber davon abgesehen wird es durch diese Änderung der Bildungsziele auch zu einer Veränderung der Ansprüche an Bibliotheken kommen. Schließlich leiten sich viele Anfragen von Schülerinnen, Schülern und Schulen an Bibliotheken aus den Bildungsinhalten und der jeweiligen Schule her.
  5. Der Trend zum Bildungsaufstieg kann einen weiteren, interessanten Effekt haben. Auf der einen Seite kann er die Hoffnungen auf einen individuellen sozialen Aufstieg durch Bildung zu Nichte machen. Das man mit Bildung bessere soziale Positionen erreicht gilt ja nur, wenn nicht auch alle anderen mehr Bildung akkumulieren. Ansonsten „verschwindet“ der Vorsprung und die Bildung wird eher zur Bringpflicht, weil man ansonsten hinter andere und deren Bildungsakkumulation zurückfallen würde. Auf der anderen Seite kann der Trend aber auch zur allgemeinen Hebung des Bildungsniveaus in der Gesellschaft führen, zu einer mehr gebildeten Gesellschaft. Nimmt man einfach mal den kurzen Weg der undifferenzierten Brachialargumentation, kann das auch zu einer aufgeklärteren Gesellschaft führen. Obgleich es immer auch eine Kritik daran gab und gibt, dass Bildung, insbesondere wenn sie als Mittel für ökonomischen Erfolg verstanden wird, und Aufklärung, gar die Selbstaufklärung der Gesellschaft und der Individuen, etwas sehr anderes ist [8]; gibt es immer das Phänomen, dass man als Gesellschaft offenbar eine höhere Bildung nicht ohne ein größeres Selbstbewusstsein der Individuen und dem wachsenden Wunsch nach individuellen Freiheiten haben kann. Nun leben wir aktuell schon im freiesten und demokratischsten Deutschland, dass es bislang gab. Aber man kann trotzdem mal die Frage stellen, was eigentlich passiert, wenn es tendenziell ein Bildungswachstum gibt (das sich nicht unbedingt in bessere Arbeitsplätzen niederschlagen muss). Werden dann mehr Menschen Bibliotheken nutzen? Werden sie Bibliotheken anders nutzen? Werden sie sich selbstbewusster ehrenamtlich engagieren? Das alles hat indirekt etwas mit dem Abschied von der Hauptschule zu tun.

Die Zukunft des Schulsystems?

Dies führt abschließend zu der Frage, was den eigentlich nach dem Ende der Hauptschulen mit dem Schulsystem werden wird. Auch das wird ungeklärt bleiben müssen. Denkbar sind mehrere Entwicklungsrichtungen. Die ganz optimistische könnte davon ausgehen, dass dies der Anfang einer Transformation des Schulsystems zu einem gerechteren darstellen könnte. So alle Voraussagen zum positiven Wert gemeinsamen Unterrichts verschiedener Leistungsgruppen und der erhöhten Durchlässigkeit im Bildungswesen zutreffen, sollte man dies erwarten.

Realistisch gesehen ist das Schulsystem, dass ja nie alleine, sondern immer im sozialen Zusammenhang existiert, viel zu komplex für solche einfachen Voraussagen. Die Versprechen werden sich nicht und zumindest nicht so erfüllen, wie sie gegeben werden.

Die negativst denkbare Reaktion könnte das Entstehen einer weiteren Schulform oder zumindest Differenzierung darstellen, welche die Dreigliedrigkeit des Schulsystems wieder herstellt. Wenn beispielsweise das Fachabitur eine Zwischenposition oberhalb des Realschulabschlusses, aber unterhalb des allgemeinen Abiturs einnimmt. Die Gesellschaft tendiert bekanntlich dazu, Strukturen auch wieder zu reproduzieren, wenn einmal Veränderungen eintreten. Diese Reproduktion ist niemals nur Kopie, aber nie nur neu.

Was passieren wird, ist also bislang nicht zu klären. Das Schulsystem wird sich aber verändern und wenn Bibliotheken das nicht im Blickfeld haben, wird die dazugehörige gesellschaftliche Transformation sie vielleicht vollkommen unvorbereitet treffen.

Fußnoten

[1] Vgl. Statistisches Bundesamt / Fachserie 11 Reihe 1 : Bildung und Kultur ; Allgemeinbildende Schulen ; Schuljahr 2009/2010. – Wiesbaden : Statistisches Bundesamt, 2011, S. 45. – http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Content/Publikationen/Fachveroeffentlichungen/BildungForschungKultur/Schulen/AllgemeinbildendeSchulen2110100107004,property=file.pdf. (Siehe auch die gesamte Fachserie 11 Reihe 1: http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Content/Publikationen/Fachveroeffentlichungen/BildungForschungKultur/AlteAusgaben/AllgemeinbildendeSchulenAlt,templateId=renderPrint.psml).

[2] http://www.bildungsserver.de/innovationsportal/bildungplus.html?artid=764.

[3] Vgl. Maaz, Kai ; Baumert, Jürgen ; Gresch, Cornelia ; McElvany, Nele (Hrsg.) / Der Übergang von der Grundschule in die weiterführende Schule. Leistungsgerechtigkeit und regionale, soziale und ethnisch-kulturelle Disparitäten. – [Bildungsforschung ; 34]. – Bonn ; Berlin : Bundesministerium für Bildung und Forschung, Referat Bildungsforschung, 2010. – http://www.bmbf.de/pub/bildungsforschung_band_vierunddreissig.pdf.

[4] Vgl. Zymek, Bernd / Nur was anschlussfähig ist, setzt sich auch durch : Was man aus der deutschen Schulgeschichte des 20. Jahrhunderts (gerade auch der der DDR und der ostdeutschen Bundesländer) lernen kann. – In: Die deutsche Schule, 102 (2010) 3, S. 193-208.

[5] Vgl. Tillmann, Klaus-Jürgen / Der Schritt in die zweigliedrige Sekundarstufe : Aufbruch oder Sackgasse?. – In: Köker, Anne ; Romahn, Sonja ; Textor, Annette: Herausforderung Heterogenität. Bad Heilbrunn: Klinkhardt, 2010, S. 136-145. Und: Bos, Wilfried; Müller, Sabrina; Stubbe, Tobias C. / Abgehängte Bildungsinstitutionen : Hauptschulen und Förderschulen. In: Quenzel, Gudrun ; Hurrelmann, Klaus (Hrsg.): Bildungsverlierer. – Wiesbaden: VS, 2010, S. 375-397.

[6] Zeitgleich ist es Bestreben der Bildungspolitik, die Sonderschulen möglichst vollständig abzuschaffen. Obgleich es weiterhin Ausnahmeschulen geben wird, beispielsweise die Krankenhausschulen, sollen die Hauptschulen als standardmäßige Schulform verschwinden und sind auch auf dem Weg dorthin.

[7] Vgl. Die grundsätzlichen Überlegungen in: Sturzenhecker, Benedikt / Demokratiebildung als Antwort auf „Bildungsverweigerung“. – In: Dörr, Margret ; Herz, Birgit (Hrsg.) / „Unkulturen“ in Bildung und Erziehung. – Wiesbaden : VS, 2010, S. 39-52.

[8] Vgl. prominent Adorno, Theodor W. / Theorie der Halbbildung. – Frankfurt am Main : Suhrkamp, 2006 (1959).