Zitat: „Schulbibliotheken mit ihrer Censur“

Gerade darüber gestolpert: Ein Zitat, dass in gewisser Weise zur historischen Forschungsarbeit bezüglich Schulbibliotheken aufruft:

Die Volksbibliothek sollte nicht danach trachten, den Charakter einer gelehrten Bücherei anzunehmen; der Ausschuss sollte keine engherzige Censur üben. Wenn man aber Bücher, welche von Liebe handeln und welche politische, religiöse, sociale Fragen berühren, ausscheidet, wenn der Bibliothekar jeden Leser darauf hin prüft, ob ein Buch für ihn passt, kann er es leicht dahinbringen, dass das Volk die Volksbibliothek meidet.

Wohin es die deutschen Schulbibliotheken mit ihrer Censur gebracht haben, ersieht man aus dem hohen Procentsatz, welcher in den Volksbibliotheken auf Schüler entfällt. [Fussnote: In Oesterreich ist es den Volksbibliotheken verboten, Bücher an Schüler abzugeben. Ich halte diesen Erlass für illusorisch, da die Eltern doch nicht verhindert werden können, ihren Kindern Bücher nach eigenem Ermessen zu verschaffen.]

Der Vorstand der Schulbibliothek geht leider oft von dem pädagogisch falschem Princip aus, man dürfe die Bücher nur den braven Schülern gewissermassen als Belohnung geben; ferner gibt die Behörde dem betreffenden Bibliothekar (in Oesterreich) keine Remuneration und fordert keine statistischen Ausweise, endlich bieten diese Büchereien dem Schüler eine Auswahl von Büchern, welche so viele Censursiebe passiren mussten, dass selbst der brave Schüler wenig Lust verspürt, von seinem Privilegium Gebrauch zu machen.

Der junge Mensch hat aber nach der Schularbeit doch wahrlich auch das Recht, ein erquickendes Buch zu lesen. Wenn die Schulbibliothek diesem unabweislichen Bedürfniss der jungen Seelen nicht gerecht werden, müssen die jungen Leute sich wohl anderswo versorgen.

Freilich können wir das besagte Verlangen officiell unterdrücken, dann sucht und findet der junge Mensch aber seine Sättigung auf heimlichen Wegen, und manches dieser heimlich entlehnten und entwendeten Werke dürfte nicht gerade zu den besten Büchern gehören.

Wir können die berechtigte Lust wohl unterdrücken, dann erwachen aber Gelüste, Heimlichkeit und Verlogenheit – das sind die Früchte der Censur.“

(Reyer, Ed. / Entwicklung und Organisation der Volksbibliotheken. Leipzig : Wilhelm Engelmann, 1893, S. 23f.)

  • Was genau ist den in den Schulbibliotheken, die Reyer offenbar als bekannt voraussetzt, an Censurpraxis gang und gäbe?
  • Woher hat Reyer sein Kenntnis? Sind Schulbibliotheken 1893 in Deutschland und Österreich Allgemeingut, so dass all dies allgemein bekannt wäre? Eigentlich doch nicht.
  • Stimmt die Aussage von Reyer über die Ausleihpraxis in den Schulbibliotheken?
  • etc.

PISA / TIMSS / Bildungsbegriff? [Zitat]

Neben „Evaluation“ taucht der Begriff „Bildung“ in der gegenwärtigen einschlägigen Diskussion immer wieder auf. So sollen zum Beispiel Kindertagesstätten neuerdings Bildungseinrichtungen sein. Allerdings scheint bei der breiten Diskussion um die richtige Bildung der Bildungsbegriff, oder besser: das Problem der Bildung auf der Strecke zu bleiben. Denn das, was beispielsweise PISA oder TIMSS untersuchen, hat eher mit Kompetenzmessung zu tun als mit der Frage, ob die Schülerinnen und Schüler gebildet sind. Tatsächlich findet man in den PISA-Studien keine Bildungstheorie, sondern lediglich drei Dimensionen, die geprüft werden: die Lesekompetenz, mathematische Grundbildung und naturwissenschaftliche Grundbildung. Immerhin taucht das Wort Bildung hier auf, freilich ohne näher ausgeführt zu werden. PISA misst nur Teilbereiche, und die mit großer Intensität. Doch erst im Zusammenspiel mit weiteren Aspekten machen die erwähnten Teilbereiche „Bildung“ aus. Wie auch immer: IM Gefolge von PISA wird der Unterricht von Schulinspektorinnen und -inspektoren beobachtet, bewertet und beurteilt; und ganze Schulklassen müssen Jahrgangsprüfungen absolvieren, um Daten für die Einschätzung des Gelernten zu erhalten. Es fehlt allerdings eine grundsätzliche Diskussion darüber, was denn überhaupt „guten Unterricht“ kennzeichnet — und es bleibt die Frage, ob ein komplexes Geschehen wir Unterricht überhaupt in sinnvolle Kategorien gefasst werden kann und welche das gegebenenfalls wären.
[Blech, Thomas ; Wahle, Manfred (2009) / Einleitung. — In: dies. (Hrgs.) / Erzieher/in-Ausbildung auf dem Prüfstand : Beiträge zur aktuellen Reformdebatte. — (Dortmunder Bieträge zur Pädagogik ; 43). — Bochum ; Freiburg : projekt verlag, 2009, S. 10f.]

Über Vorhersagen zum zukünftigen Bildungsbedarf [Zitat]

Wenn ein Viertel aller IT-Firmen zehn Prozent ihrer „überflüssigen“ Angestellten „freistellen“, ist das in der Arbeitslosenstatistik kaum spürbar. Das liegt auch daran, dass ein Teil der Leute bei anderen Arbeitgebern unterkommt. (Wenn auch selten zum gleichen Gehalt.) Andererseits bleiben neben dem verschüchterten Restpersonal in den Fire-Firmen auch ein paar Fragen zurück, beispielsweise: Warum haben die Betriebe überhaupt erst zehn Prozent mehr Menschen eingestellt als sie brauchen? Zum Abarbeiten der vielen künftigen, zusätzlichen Aufträge, die nun vielleicht nicht kommen? Wäre dem so, müsste der Arbeitsalltag im letzten Jahr dort sehr beschaulich gewesen sein. Schwer zu glauben
Zweite Frage: Was macht eigentlich der Fachkräftemangel? Wer sich erinnern mag: Noch vor einem halben Jahr – da waren übrigens die US-Immobilienkredite auch schon faul – lamentierte die Wirtschaft über Aufträge, die sie nicht abarbeiten könne, wegen hunderttausender fehlender Informatiker, Programmierer oder Biotechnologen. Mal angenommen, diese Spezialisten wären Absolventen-busseweise aus dem Nichts in die Betriebe gekarrt worden – was täten die heute? Ihre kurzen Lebensläufe in Bewerbungsmappen heften.
[Kleinert, Jan (2009) / [Editorial] Auf Verlangen. – In: Linux-Magazin 03/09, S. 5]

Zum Medienwechsel (Zitat)

Wie das sein wird, wenn „Digital Natives“ eines Tages die Sofakartoffeln vollständig verdrängt haben werden, entzieht sich logischerweise unserem Vorstellungsvermögen. Werden Kinder eines Tages zur Pflege der historischen Kulturtechnik Fernsehen ermuntert, so wie es bildungsbürgerlich beflissene Eltern heute mit dem Theater halten? Werden die Kinder von Langeweile gebeutelt, wenn sie nichts klicken dürfen und stattdessen Chips essen müssen? Wird man den Sinn und Zweck der Werbepause noch verstehen? Wir werden es wissen, allerdings erst in etwa 70 Jahren.
[Waldt, Anton (2008) / Alles ist Werbung : Das Ende der Werbepause. – In: De:Bug 128/2008, Dezember 2008]

Naja, Kulturkritik

Das Verbrechen der Vernunft von Robert B. Laughlin [Laughlin, Robert B. / Das Verbrechen der Vernuft : Betrug an der Wissensgesellschaft. – Frankfurt am Main : Suhrkamp, 2008 (edition unseld ; 2)] ist eher eine Dystopie als eine Analyse. Grundthese ist, dass es im Gegensatz zum Verständnis der Überzeugung, dass wir in einer Wissensgesellschaft leben würden, eine verstärkte Abschließung von Wissen gäbe. Laughlin weist dabei zuerst auf „gefährliches Wissen“, bei dem die Gesellschaft offenbar der Meinung ist, dass es geschützt werden müsse, hin. Als paradigmatisch gilt ihm dabei das Wissen um den Bau von Atombomben, aber auch um biologische und chemische Waffen. Das scheint noch nachvollziehbar, auch wenn Laughlin von absurden Situationen zu berichten weiß, die sich aus dem Verschluss dieses Wissens ergeben. Anschließend stellt er allerdings dar, dass Wissen seiner Meinung nach auch als ökonomisches Gut nur verwertet werden kann, wenn es beschränkt und versteckt wird. Die Argumente für ein schwaches Copyright – wie es im deutschen Sprachraum ja vor allem Kuhlen vroschlägt – oder der gesamten Open Access Bewegung ignoriert Laughlin gänzlich. Nur Wissen, das eingeschränkt werden kann, gilt ihm als ökonomisch sinnvoll, deshalb wird es auch eingeschränkt.
(Interessant ist, dass er dabei nicht nur von Patenten spricht, sondern von dem Phänomen, das über bestimmtes Wissen einfach nicht mehr geredet wird, was aber nicht auffällt, weil es zahlreiche andere Informationen zum gleichen Thema gibt – so gäbe es zum Beispiel zwar zahllose Informationen über bestimmte technische Apparate, die im Alltag verbreitet ist, aber ohne dass es Informationen darüber gäbe, wie genau diese funktionierten. Das würde aber nicht auffallen, bis gezielt nach diesen Informationen gesucht wird, zum Beispiel um diese Geräte nachzubauen oder ihre Funktion zu verstehen. Die hergestellten Wissenslücken gehen dieser These nach im Rauschen unter. Sie erschienen auch oft als nicht so gravierend, da man davon ausgeht, sie würden schon irgendwo zu finden sein, wenn sie benötigt würden.)
Das Problem bei diesem Text ist allerdings, das nicht klar wird, ob Laughlin die gesamten Entwicklungen (beispielsweise im Patentbereich) zwar teilweise absurd, aber doch okay findet, ob er davon ausgeht, dass dies alles nichts bringt, weil alle Wissensbeschränkungen doch beständig umgegangen werden – durch Kopieren, neue Forschungen oder Lücken im System. Oder aber – was auch möglich wäre – er möchte die Situation nur sarkastisch beschreiben, geht aber davon aus, dass es eh nicht mehr geändert werden kann. (Immerhin ist Laughlin Physiker und hat am MIT studiert – es wäre also nicht überraschend, wenn er selber diese Art von Geek-Humor teil, den sonst nur andere Geeks verstehen. Aber wenn das alles ein Witz ist: muss man daraus gleich ein ganzes Buch machen?) Oder er will dazu aufrufen, dass alles zu ändern oder zumindest drüber nachzudenken. Das bleibt einfach vollkommen unklar. Zumal, wie schon angedeutet, der Text zwar nicht unbedingt die neuesten Entwicklungen ignoriert, aber Laughlin doch viele Debatten und Entwicklungen, die seiner Beschreibung entgegenstehen, einfach nicht wahrzunehmen scheint. Und dann endet er auch noch in dem seit der Postmoderne eigentlich obsoleten Bild der grundsätzlich neuen Gesellschaft irgendwo da draußen, welche die jetzige Menschheit und deren Grundprobleme einfach zurücklässt. (Hier sind es junge Menschen, die auf den Mond auswandern.)
Letztlich hinterlässt das Buch den gleichen Eindruck, wie zeitgenössische kulturkritische Besinnungsaufsätze: An einigen Stellen nickt man, an vielen will man einfach widersprechen, weil die Vorraussetzungen der Behauptungen, die gemacht werden, einfach falsch sind. Aber letztlich weiß man am Ende nicht, wozu dieser Text da ist, wem genau er was sagen will.

Dennoch, eine großartige Stelle gibt es, die ich gerne zitieren will. Deshalb das Posting:

Die mit dieser [beschriebenen] Entwicklung einhergehende Einstellungen zum Wissen werfen äußerst beunruhigende Fragen nach dem Grundrecht des Menschen auf, Fragen zu stellen und nach Erkenntnis zu streben. Mehr und mehr erscheint der „Geistesblitz“, die plötzliche Einsicht in eine Sache und deren Folgen, die wir bei Galilei und Newton bewundern, als Verletzung von Patentrechten oder als Gefahr für die Staatssicherheit. Mehr und mehr erweist sich selbständiges Denken als potentiell kriminelle Handlung. [Laughlin (2008), S.10]

Woher kamen eigentlich die PISA-Studien?

Vor einigen Jahren dominierten in Deutschland die PISA-Studien die öffentliche Debatte, die Bildungspolitik und auch die bibliothekarischen Konzeptpapiere und Texte. Das scheint heute anders geworden zu sein, so richtig wurde PISA 2006 nicht mehr wahrgenommen und langsam verschwindet die Phrase, dass man an den PISA-Studien sehen könnte, wie schlecht das deutsche Bildungssystem ist und das deshalb eigentlich sofort xxxx [1], wieder aus diesen Texten.
Was allerdings in diesen Debatten und auch heute nicht so richtig gefragt wurde, war, wieso es eigentlich diese Studien gab. Immerhin kosteten sie jeweils (für Deutschland) rund 30 Millionen Euro. Und sie waren auch nicht die einzigen Studien im Feld der Bildungsstatistik. Hinzu kamen unter anderem die IGLU-Studien, die Stefi-Studie, die DESI-Studie und weitere lokale Studien wie Markus, QuaSum, LAU und LaC. Nicht zu vergessen die Anstrengungen, eine nationale Bildungsberichtserstattung aufzubauen (nicht nur – wie schon länger praktiziert – für die Weiterbildung, sondern auch für Kindertagesstätten oder den gesamten Bildungssektor). Hingegen erschienen die PISA-Studien in den meisten Texten, die sich auf sie bezogen, quasi vom Himmel gefallen zu sein. Irgendwie schien irgendwer (die OECD, wenn man genauer nachschaute) auf den Gedanken gekommen zu sein, diese Studien durchzuführen und irgendwie konnten sie dann auch relativ einfach durchgeführt werden (was immerhin hieß, dass jeweils rund 5.000 Schülerinnen und Schüler drei Stunden Tests schreiben und zudem von allen beteiligten Schulen Fragebögen ausgefüllt werden mussten). Die eigentlich selbstverständliche Frage, welche Aufgaben diese Studien haben, wie sie initiiert und durchgeführt wurden, schien kaum gestellt zu werden, bevor sie jeweils zur Untermauerung des eigenen bildungspolitischen Standpunkts herangezogen wurden.
Dabei sind diese Studien Teil einer relativ grundlegenden Wende der deutschen Bildungspolitik. Es herrscht heute die Vorstellung vor, dass Bildungseinrichtungen nur durch eine möglichste breite und große Unterstützung durch wissenschaftliche Methoden politisch gesteuert werden könnten. Euphemistisch wird diese Hinwendung zu Vergleichsstudien gerne als Anpassung an internationale Gepflogenheiten dargestellt. Das ist selbstverständlich so nicht richtig. Es gibt einige Staaten, in denen in der Bildungspolitik ein Focus auf die externe und interne Evaluationen gelegt wird und es gibt auch Staaten, die sich nicht auf solche Evaluationen konzentrieren oder in denen die Bedeutung von Bildungsevaluationen (schon wieder) zurückgeht. [2] Letztlich ist das immer eine politische Entscheidung, egal wie sehr sich darauf berufen wird, dass es sich bei den Studien um wissenschaftliche Werke handeln würde. [3]
Diese Umorientierung in der Bildungspolitik ist – egal, was man von ihr hält – weit relevanter, als dies in den meisten Bezügen auf die PISA-Studien thematisiert wurde. Die Hinwendung zu empirischen Bildungsberichten verschiebt die Wahrnehmung der Politik von der Aufgabe und Funktion von Bildungseinrichtungen relevant. Letztlich machen diese Bildungsstudien das Versprechen, dass es möglich ist, Bildungsqualität empirisch zu messen und dies sogar in einer solchen Weise, dass (faire) Vergleiche zwischen Bildungseinrichtungen möglich werden und sich aus diesen Ergebnissen Handlungsoptionen für die Bildungspolitik ableiten lassen. Dieses Versprechen wird seit etwas mehr als zehn Jahren in der deutschen Bildungspolitik allgemein geteilt, auch wenn der gesellschaftliche und journalistische Hype um die PISA-Studien offenbar vorbei ist. Letztlich ist dieser Paradigmenwechsel auch relevanter, als beispielsweise jede Aussage über die Lesekompetenz deutschen Schülerinnen und Schüler im Vergleich zu Lernenden in anderen Staaten, die mithilfe der PISA-Studien gemacht wurde.
Eine sehr übersichtliche Zusammenfassung der Versprechen, welche sich die Bildungspolitik von dieser empirischen Wende macht, liefert Isabell van Ackeren [Ackeren, Isabell van (2007) / Nutzung großflächiger Tests für die Schulentwicklung : Exemplarische Analyse der Erfahrungen aus England, Frankreich und den Niederlanden. – Bonn ; Berlin : Bundesministerium für Bildung und Forschung. – (Bildungsforschung ; 3)] im ersten Teil ihrer Untersuchung über verschiedene Ansätze der Nutzung des in solchen Vergleichsstudien generierten Wissens.

Der Blick über die nationalen Grenzen zeigt, dass in vielen Schul­systemen Europas die Einzelschulen in den letzten Jahren immer stärker dazu angehalten werden, Verantwortung über ihre Leistun­gen abzulegen. Zentral organisierte Leistungsmessungen und Eva­luationsprogramme spielen dabei eine wichtige Rolle. Mit ihrer Hilfe werden Auskünfte über die Qualität der Einzelschule einge­holt und öffentlich oder/und vertraulich verschiedenen Zielgrup­pen zur Verfügung gestellt. Großflächige externe Evaluationsfor­men stellen ein wichtiges Element grundsätzlicher, auf die Anhe­bung des Leistungsniveaus eines Bildungssystems ausgerichteter Reformen dar: Die Schulen vieler Länder sind zum Subjekt einer Gesetzgebung und Politik geworden, die große Veränderungen in Bereichen wie ‚Curriculum’, ‚Leistungsmessung’ und ‚Schulauto­nomie’ mit sich brachten. So sind die curricularen Forderungen restriktiver geworden, Testverfahren, aber auch regelmäßige Schul­inspektionen wurden ausgeweitet, Bildungspolitik wurde bei gleichzeitiger Dezentralisierung der Verantwortung für ihre Imple­mentierung stärker zentralisiert und verschiedene Regierungen haben versucht, Marktelemente im Bildungsbereich einzuführen, indem Eltern verstärkt Schulwahlmöglichkeiten eingeräumt wur­den und die Finanzierung der Schulen an die eingeworbene Schü­lerzahl gekoppelt wurde. In diesem Kontext ist ein Denken in be­trieblichen Begriffen auch im schulischen Bereich nicht mehr ungewöhnlich. Unterricht wird durchaus als ein Produktionsprozess gesehen, mit dem Inputs in Outputs transformiert werden. Die Ausprägung solcher Reformen variiert von Land zu Land aufgrund historischer, kultureller, institutioneller und politischer Faktoren. Es gibt einige gemeinsame Elemente, die sich über die Ländergrenzen hinweg identifizieren lassen; großflächige, extern gesteuerte Evaluationsformen sind ein Beispiel dafür, obgleich solche Reform­elemente im Kontext des jeweiligen nationalen Bildungssystems einschließlich seines historischen und gegenwärtigen sozialen Zusammenhangs zu betrachten sind. Vor diesem Hintergrund stre­ben Regierungen vieler Länder der ganzen Welt nach Möglichkeiten, Wissen und Kompetenzen zu testen und sie interessieren sich dafür, ob und wie dadurch das Lehren und Lernen mit den entsprechenden Arbeitsergebnissen kontrolliert werden kann. Die Etablierung von Tests, Prüfungen und Studien wird als wichtiger Steuerungsmechanismus in vielen Ländern angesehen: Alle Schü­ler/innen werden demnach zur Teilnahme an standardisierten Tests und Prüfungen verpflichtet. Das Erreichen bzw. Nicht-Errei­chen der geforderten Standards ist nicht selten mit positiven bzw. negativen Sanktionen, z. B. finanzieller Art, verknüpft, um in Schu­len und Klassenräumen Änderungen zu erreichen und dadurch insgesamt Reformen in Bildungssystemen umzusetzen. Die erhofften Möglichkeiten einer testbasierten Reform scheinen dabei auch aus Kostengründen attraktiv. Tests sind offensichtlich weniger teuer als Reformen, die direkten Einfluss auf das Unterrichtsgeschehen nehmen wollen.
[Ackeren (2007), S. 8f.]

Diese Versprechen werden sich nicht im erhofften Maße erfüllen – dies ist aufgrund internationaler Erfahrungen und der Erfahrung aus anderen Bildungsreformen in Deutschland, schon jetzt problemlos vorher zu sagen. Allerdings ist ein teilweises Scheitern von Reformen im Rahmen demokratischer Prozesse auch kein wirkliches Problem, sondern Triebfeder gesellschaftlicher Auseinandersetzungen. Deswegen wird auch dieses Scheitern insgesamt nicht zum Untergang des deutschen Bildungssystems führen, auch wenn solcher Szenarien immer wieder gerne aufgerufen werden. Trotzdem bestimmen diese Vorstellungen aktuell die Wahrnehmung von Bildungseinrichtungen durch die Bildungspolitik. Und, auch dies ist kein wirklich schwierige, Vorhersage, wenn Bibliotheken Einrichtungen sein wollen, die irgendetwas mit Bildung zu tun haben wollen, dann werden sie gezwungen sein, sich unter dieses Regime zu ordnen. Die PISA-Studien sind nicht vom Himmel gefallen, sie sind Teil eines politischen Paradigmenwechsels. Und dieser ist – wie alle Paradigmenwechsel – weder eindeutig zu begrüßen noch eindeutig abzulehnen.

Fußnote:
[1] Hier beliebige bildungspolitische Massnahme einsetzen. Gerade in der Hochzeit der Debatte schien es, als könnte einfach jede politische Entscheidung (von der egalitären Ganztagsgesamtschule bis zur Förderung der Bildung im Familienverband) und kulturelle Veranstaltung mit den PISA-Studien begründet werden, auch wenn das die eigentlichen Studien bei genauerem Lesen eher selten hergaben.
[2] Dies hat auch lange nicht so viel mit den in Deutschland gerne gepflegten modernen Feindbildern zu tun, wie dies auf den ersten Blick erscheinen könnte. Beispielsweise ist Englang ein Land, in welchem fast ausschließlich Evaluationen und (sich ständig ändernde) Bildungsstandards zur Steuerung von Bildungseinrichtungen eingesetzt wird, wohingegen in Schottland nicht einmal ein allgemein akzeptiertes landesweites Curriculum für Bildungseinrichtungen existiert. In Wales und Nordirland haben Evaluationen ebenso nicht die Bedeutung, die sie in England haben. Ähnlich verhält es sich mit den USA, in dem die Bedeutung von Vergleichsstudien für die nationale Bildungspolitik groß ist – was allerdings in seiner Wirkung dadurch eingeschränkt ist, dass die Bundesregierung keinen verfassungsrechtlichen Anspruch auf die Bildungspolitik der Staaten hat und wenn überhaupt, dann durch die Vergabe von Finanzmitteln Einfluss auf die Bildungspolitik nehmen kann. In einigen US-amerikanischen Bundeststaaten ist die Bedeutung solcher Studien ebenfalls groß, in anderen ist sie praktisch sehr gering. Auch die in Deutschaldn gerne als Vorbild begriffenen skandinavischen Staaten sind ähnlich divers. Norwegen setzt stark auf Bildungsevaluationen und die Veröffentlichung der auf diesem Weg gewonnen Daten, während Schweden sehr verhalten damit umgeht. Auch in Finnland, dass in Deutschland gerne als „PISA-Gewinner“ begriffen wird, haben Bildungsstatistiken einer eher geringen Wert. Und das Frankreich ebenso wie Deutschland in den PISA-Studien eher schlecht abschnitt, hat die dortige Bildungspolitik nicht wirklich groß tangiert. Man sollte also mit einfachen Erklärungen, warum in einem Land empirische (und teilweise auch pseudo-empirische) Bildungsberichterstattungen eine große Bedeutung haben und in anderen nicht, sehr zurückhaltend sein. Dies scheint sehr von der nationalen Bildungspolitik und den dort vertrenden Ansichten beeinflusst zu sein.
[3] Was für einige Studien, die außerhalb Deutschlands eingesetzt werden, teilweise bestritten werden kann.

Materialien zur Frage Bildung und Soziale Gerechtigkeit

Aus der Baustelle des Kapitels zur Frage Soziale Gerechtigkeit und Bildung eine kurze Thesensammlung und eine Polemik.

Thesen:

  1. Soziale Gerechtigkeit muss heute mit Ermöglichung individueller Freiheit einhergehen. Sie ist nicht gleichzusetzen mit sozialer Gleichheit.
  2. Soziale Gerechtigkeit bezieht sich auf unterschiedliche Felder, darunter die Ausgestaltung des individuellen Alltags, die berufliche/ökonomische Sphäre und die Teilhabe an gesellschaftlichen Prozessen.
  3. Bildung kann einen relevanten Beitrag zur Herrstellung sozialer Gerechtigkeit leisten, wirkt aber aktuell vorrangig daran mit, gesellschaftliche Ungleichheitsstrukturen zu reproduzieren.
  4. In einer sozial gerechten Gesellschaft lassen sich soziale Unterschiede nur mit persönlichen Leistungen und individuellen Entscheidungen begründen. Andere Strukturen [z.B. ökonomische Voraussetzung, Bildungszugang, Geschlecht, Herkunft, Wohnort], die ungleich wirken, sind skandalisierbar.
  5. Eine sozial gerechte Gesellschaft würde sich durch große soziale Durchlässigkeit auszeichnen.
  6. Die Frage, was Soziale Gerechtigkeit ist, ist letztlich eine politische. Es kann allerdings ein Diskursraum gezeichnet werden, in dem sich die politische Debatte um Soziale Gerechtigkeit abspielt. Für Deutschland ist dieser Diskursraum gezeichnet durch:
    • Zustimmung zu einer materielle Grundsicherung für alle
    • Positionen zur Verteilung gesellschaftlichen und privaten Reichtums
    • Positionen zur Verteilung von Chancen der Individuen, dass eigene Leben zu gestalten und den Möglichkeiten, diese Chancen zu nutzen
    • Positionen zu Bereichen, in denen staatliche Eingriffe legitimiert oder nicht legitimiert werden können
    • Zustimmung zur Gerechtigkeit in der Bewertung und Entlohnung von Leistungen
    • Zustimmung zur Ermöglichung größtmöglicher demokratischer Teilhabe
    • Akzeptanz des Themas Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit den direkt folgenden und den historisch weiter entfernten Generationen gegenüber
    • Positionen zum Thema Gerechtigkeit im internationalen Rahmen, sowohl materielle als auch rechtlich
    • Vorausgesetzt werden kann bei allen Positionen innerhalb dieses Diskursraumes
      1. die Akzeptanz demokratischer Entscheidungsprozesse und Gesellschaftsformen
      2. die Betonung der größtmöglichen Entscheidungsfreiheit der Individuen
      3. die vollkommene oder zeitweise Akzeptanz des Kapitalismus und seiner Grundprinzipien als vorherrschende Organisationsform der Ökonomie
  7. Mithilfe der von John Rawls vorgeschlagenen modifizierten Anwendung der Vertragstheorie lassen sich Bewertungskriterien dafür generieren, eine Position oder Gesellschaft als sozial gerecht oder ungerecht zu bewerten. Diese Kritierien sind als moralische und nicht als handlungsleitende zu verstehen. Eine mögliche Kurzfassung der Rawl’schen Methode lautet: Als sozial gerecht kann eine Position oder gesellschaftliche Tatsache bezeichnet werden, wenn ihr von Menschen in einem vorgestellten Urzustand unter dem Schleier des Nichtwissens [d.h. der Annahme, dass sie wissen können, welche Auswirkung ihre Entscheidung auf Menschen in unterschiedlichen gesellschaftliche Positionen haben wird, aber gleichzeitig dem Nichtwissen darüber, welche Position sie selber in einer Gesellschaft einnehmen würden, über die sie im Urzustand entscheiden] zustimmen könnten.

Gerade die letzte These klingt einigermaßen weird. Moralphilosophie hat keinen guten Ruf mehr [Kant ist nun schon eine Weile nicht mehr diskursbestimmend] . Insbesondere, wenn sie auf liberalen Traditionen fusst, wie die von John Rawls, ist es für Moralphilosophie in Deutschland, welche hierzulande selber eher von den Auseinandersetzungen Kants und der deutschen Aufklärung geprägt ist – und weniger von der schottischen Aufklärung, wie Rawls – noch schwieriger.
Ich habe versucht, mich dem Thema der Sozialen Gerechtigkeit von drei Blickwinkeln zu nähern: dem politischen, dem sozialwissenschaftlichen und dem philosophischen. Die Analyse politischer Positionen hat zum oben skizzierten Diskursraum geführt. Der sozialwissenschaftliche Zugriff, insbesondere das International Social Justice Project, hat zu einer Verkomplizierung des Themas geführt. Kurz gesagt, ist die Vorstellung, was sozial gerecht ist, offenbar nicht nur von der Gesellschaft, in der ein Mensch lebt, sondern auch von der sozialen Stellung stark geprägt.
Auch der philosophische Zugriff hat seine Grenzen. Rawls packt – verkürtzt gesprochen – heutige Menschen mit dem Wissen über sozial Zusammenhänge virtuell in einen Urzustand, in dem sie darüber entscheiden sollen, welche Grundregeln in einer Gesellschaft gelten sollen, damit diese allgemein als gerecht akzeptiert werden kann. Dabei wissen diese vorgestellten Menschen allerdings nicht, wer sie in dieser Gesellschaft sei werden, aber sie wissen, dass sie mit ihrer Entscheidung werden leben müssen [das, damit sie auch wirklich einen Entscheidungsdruck haben]. Außerdem sollen sie nicht eine Gesellschaft aus dem Nichts erschaffen [wie das bei Hobbes im Leviathan geschieht], sondern auf ihnen vorgelegte Fragen anworten, beispielsweise: sollten Religionen verboten werden, sollte eine Religion Staatsreligion sein und alle anderen verboten werden oder sollten die Menschen glauben können, was sie wollen, ohne dass es Einfluss auf den Staat haben darf? Die Menschen wissen, dass sie unterschiedliches glauben (oder auch gar nichts). Aber sie wissen im Urzustand nicht, was oder ob sie ordentliche Atheistinnen und Atheisten sein werden. Und deshalb würden sie sich für eine säkuläre Gesellschaft entscheiden, so die Vorstellung von Rawls. Das hat alles sehr mit Gedankenspielen zu tun, aber nachdem ich verschiedene Ansätze verfolgt habe, bin ich zu dem Ergebnis gekommen, dass bessere und verallgemeinerbare Aussagen ermöglicht, als alle anderen Ansätze. Bisher.
[Dabei war ich nie Philosoph und mit Moralphilosophie hatte ich auch wenig zu tun. Selbstverständlich habe ich in meiner Jugend auch philosophische Werke rezipiert. Aber wenn übrhaupt, dann bin ich eher mit Foucault, Sarte, Butler, Deleuze, Guattari, Marx/Engels und der Frankfurter Schule bekannt – so, was halt in dedn 1990er wichtig war: Existenzialismus, Adorno und Postmoderne. Aber mit der Aufklärung und liberaler Philosophie … eher wenig.]

Und noch eine Polemik gegen die einseitige Betonung von individueller Verantwortung im Bildungsbereich, die mir in ihrer Zuspitzung sehr zusagt. Sie zeigt, dass in gewissen Diskursen, wenn sie weiter gedacht werden, bestimmte Grundrechte negiert werden.

Materielle und kulturelle Armut auf der einen und der Mangel an Bildungschancen auf der anderen Seite bedingen einander und stabilisieren sich gegenseitig. Bildungsarmut erschient daher nicht nur als ein Tatbestand des mangelnden Zugangs zu qualifizierter Aus- und Weiterbildung, sondern auch als Folge wie Voraussetzung sozialer Armut. Es gibt im Bildungssystem der Bundesrepublik Deutschland Verfestigungs- und Schließungstendenzen, die längst wieder an die Verhältnisse in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts erinnern. […]
Es geht nicht darum zu sagen, wenn das Arbeiter- oder Migrantenkind gute schulische Leistungen erbringe, müsse es die höhere Schule besuchen dürfen. Dies ist in der bürgerlichen Gesellschaft ein selbstverständliches recht. Vielmehr geht es um das Aufheben und Aufspüren struktureller Benachteiligungen im Bildungs- und Beschäftigungssystem, z.B. um die Klärung der strukturellen Voraussetzungen für eine Praxis, schulische Leistungen entlang sozialer Merkmale zuzurechnen.
[Kaßebaum, Bernd (2006) / Bildung und soziale Gerechtigkeit, Seite 193. – In: Grasse, Alexander ; Ludwig, Carmen ; Dietz, Berthold (2006) / Soziale Gerechtigkeit : Reformpolitik am Scheideweg ; Festschrift für Dieter Eißel zum 65. Geburtstag. – Wiesbaden : VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2006, S. 191-202]

Anforderungen an Lernarrangements

Mit Bezug auf die verstärkte Betonung des selbstbestimmten Lernens in den zeitgenössischen bildungspolitischen Debatten, beziehen sich auch Bibliotheken immer wieder auf das Konzept von Lernarrangements. Es geht dabei, vereinfacht ausgedrückt, darum, einen Raum zu schaffen, der individuelle Lernprozesse motivieren soll.
Rolf Arnold hat in einem Beitrag zur Erwachsenenbildung und der seiner Meinung nach notwendigen Hinwendung zur „konstruktivistischen Erwachsenendidaktik“ (die letztlich akzeptiert, dass Lernprozesse indivduell durchgeführt werden und wirken, gleichzeitig aber nicht vollständig individuell motiviert und durchgeführt werden können) Anforderungen an solche Lernarrangements definiert.

Es geht der konstruktivistischen Erwachsenendidaktik weder um Belehrung, noch um Selbstlernen, sondern um die möglichst ‚hilfsbereite‘ Aufbereitung von Lernumgebungen, in denen beides integriert gelingen kann: die didaktisierte Bereitstellung des für die Kompetenzentwicklung ’notwendigen‘ Wissens einerseits sowie seine aktiv-selbstgesteuerte Aneignung und kognitive ‚Anverwandlung‘ andererseits. Nicht die ‚Erzeugung‘ von Kompetenz ist dabei das Ziel der Weiterbildung, sondern die diaktische Weiterbildung der Zukunft benötigt Lernarrangeure und Professionals, die reale oder multimediale Lernumgebungen gestalten können. Sie benötigt aber auch einen Markt, auf dem sie um Nutzer werben kann, sowie öffentliche verantwortete Beratungs- und Qualitätssicherungsstrukturen, die Zugangmöglichkeiten, Chancengleichheit und Verbraucherschutz gewährleisten.
[Arnold, Rolf / Vom ‚autodidactic‘ zum ‚facilitative turn‘ – Weiterbildung auf dem Weg ins 21. Jahrhundert, S.12 – In: ders. ; Gieseke, Wiltrud [Hrsg.] / Die Weiterbildungsgesellschaft : Band 1 Bildungstheoretische Grundlagen und Perspektiven. – Neuwied ; Kriftel : Luchterhand, 1999, S. 3-14. – (Grundlagen der Weiterbildung)]

Interessant am letzten Satz des Zitates ist, dass auch in den jetzt neun Jahren seit der Veröffentlichung des Textes, solche angedachten Strukturen in Deutschland nicht wirklich geschaffen wurden.

Grenzen des Effizienzpotentials

[Neben anderen Tendenzen] steht Deutschland an erster Stelle betriebswirtschaftlicher Effizienz, auch die Weiterbildung ist und wird dieser Perspektive weiterhin unterzogen werden. Doch weitere Einsparungen verträgt das lebenslange Lernen in der Weiterbildung nicht, zumal wenn neben der Unterstützung beim lebenslangen Lernen auch neue individualisierte Lernformen und Konzepte entwickelt werden sollen. Es wird langfristig negative Auswirkungen haben, wenn unterbezahltes Personal angestellt werden muß. Das hier hervorstechende mangelnde oder nachlassende Interesse an Verantwortungsübernahme ist nach einigen Berichten auch in der Erstausbildung zu beobachten. Wenn diese Tendenzen sich tatsächlich realisieren würden und kein Widerstand und keine Einsicht dagegen Gehör findet, steuern wird nicht auf eine Weiterbildungsgesellschaft zu. Eher müssen wir mit einem Absinken de Qualifikationsniveaus für die breite Masse der Bevölkerung, bei gleichzeitigem Ansteigen der Anforderungen im Bereich der Hochqualifizierten, rechnen. Ein Konzept des selbstorganisierten lebenslangen Lernens könnte dann schnell in einen solchen Prozeß eingebunden werden. [Arnold, Rolf ; Gieseke, Wiltrud / Einleitung: Theorie und Praxis des lebenslangen Lernens, S. IX. – In: dies. [Hrsg.] / Die Weiterbildungsgesellschaft : Band 1 Bildungstheoretische Grundlagen und Perspektiven. – Neuwied ; Kriftel : Luchterhand, 1999, S. VII-XIII. – (Grundlagen der Weiterbildung)]

[Über die langfristigen Entwicklungen im britischen Hochschulbereich, insbesondere die beständig neu formulierten Evaluationsmethodiken] Now as it seems to me, the ’no standing still‘ conception of excellence flies in the face of experience. Sometimes things are as god as we are going to get them, and to recognize this is not a matter of complaceny but of realism. In fact, continuous enhancement may be an incoherent ideal. If we have realistic standards of what can be achived, then we should be able to achieve them. To achieve them is to have done the best we can, in which case there is no scope for still further ‚enhancement‘. Of course, we could resonably suppose this to be the case if what is at issue is not educational attainment, but customer satisfaction, and it is striking that in introducing Enhancement as a replacement for Quality Assurance, goverment ministers were quick to assert that student satisfaction would play an important part in its implementation. [Graham, Gordon / The Institution of Intellectual Values : Realism and Idealism in Higher Education. – Exeter : Imprint Academic, 2005, S. 79 – (St Andrews studies in philosophy and public affairs ; 5)]

Lernbarriere als logische Reaktion

„Die Motivation zu lernen ist eng mit dem Interesse an der Welt verbunden. Lernmotivationen lassen sich als biografisch verwurzelte und in soziale Kontexte eingebundene Handlungsdispositionen definieren. Dies trifft ebenfalls für Lernwiderstände und -barrieren zu. Weiterbildungsabstinenz ist demnach nicht bloß Folge mangelnder Motivation, sondern kann vielmehr als subjektiv logische Reaktion auf Überforderung gesehen werden. Besonders problematisch erscheint die Tatsache, dass das Weiterbildungssystem selber dazu beiträgt, vor allem bildungsbenachteiligte Zielgruppen systematisch auszuschließen, statt sie zu integrieren.“
[Fuchs-Brüninghoff, Elisabeth / Vorbemerkungen. – In: Siebert, Horst ; Jäger, Christiane (Mitarb.) / Lernmotivation und Bildungsbeteiligung. – Bielefeld : W. Bertelsmann, 2006. – (Studientexte für Erwachsenenbildung), S. 7]

Der von Elisabeth Fuchs-Brüninghoff in diesem Zitat für die Erwachsenenbildung angesprochene Zusammenhang, ist auch für die Bibliotheken, welche sich als pro-aktive Bildungseinrichtungen verstehen wollen, wichtig. Die Motivation für eigenständige Lernprozesse muss von den Individuen aufgebracht werden. Das wird sie vor allem dann, wenn sie als subjekt sinnvoll angesehen wird. Und diese subjektive Sinnhaftigkeit ist – insbesondere wenn keine weitere größere Motivation, wie beispielsweise der praktische Zwang zur Weiterbildung zum Erreichen von Karrierezielen – vorrangig geprägt von den bisherigen subjektiven Lernerfahrungen. Gleichzeitig prägen diese Lernerfahrungen die Wahrnehmung von tatsächlichen und imaginierten Barrieren. So kann es für Individuen sehr sinnhaft sein, nicht zu lernen. Jedwede Bildungseinrichtung, die mehr anbieten will, als einfach nur Lernmedien bereitzustellen, muss sich dieser subjektiven Ebene bei den Individuen, die sie ansprechen will, bewusst sein. Lernmotivation ist nicht per se vorhanden, schon gar nicht in einer Einrichtung, die man freiwillig aufsuchen oder nicht aufsuchen kann.
Gleichzeitig weißt Horst Siebert in dem Buch, aus dem das Zitat stammt, sehr richtig darauf hin, dass Lernmotivation alleine noch keine Lernaktivität hervorbringt. Die Frage nach der Beteiligung und Nicht-Beteiligung an Bildung wird von ihm weit komplexer erläutert.