Hier ein Geständnis von mir (vielleicht ist es auch keines): Die neu eröffneten Bibliotheken, welche gerade durch die bibliothekarische Presse gereicht werden und bei denen in den Begleittexten oft in den Vordergrund gestellt wird, dass Aat Vos an ihrer Gestaltung beteiligt war – ich finde sie alle abstossend. Hässlich ist das falsche Wort – aber weder einladend noch gemütlich (wie sie immer wieder genannt werden), sondern auf Effizienz und genaue Aufgaben hin durchgeplant; ausgestattet wie diese Co-Working-Spaces, die auf Firmen ausgerichtet sind und den Vibe ausstrahlen, dass man in ihnen einerseits so tun muss, als wäre man gerade heftig entspannt kreativ und entspannt, bei denen aber andererseits fühlbar ein „travail travail travail‟ über allem geschrieben steht. Wie eine unbelebte Bühne, wo alles zu sauber, neu, ungebraucht dasteht, aber einen cooles Café darstellen soll. Halt wie Räume, die auf Effizienz, Arbeitssamkeit und korrekte Manieren hin geplant wurden. Aber selbstverständlich könnte das ein rein subjektives Empfinden sein. Das Leute Dinge mögen, die ich nicht ausstehen kann – das ist mein Leben.
Doch mir scheint, es ist komplizierter, als das man es einfach auf subjektive Eindrücke reduzieren könnte. Die Bibliotheken, welche in den betreffenden Texten begeistert beschrieben und in den Bildern dargestellt werden, scheinen mir erstaunlich klar einen eindeutigen Habitus auszustrahlen. Während andere („alte‟) Bibliotheken mit ihren offenen Flächen zwar auch bestimmte Dinge zu „fordern‟ scheinen, scheinen sie mir doch immer offener zu sein als die Bibliotheken „von Aat Vos‟. Oder anders: Letztgenannte, „neue‟ Bibliotheken scheinen mir – entgegen ihrem Anspruch – viel einschränkender zu sein, als die heute im Bibliothekswesen offenbar als langweilig wahrgenommenen Bibliotheken des letzten Jahrzehnts. Und gleichzeitig auch entgegen dem eigenen Anspruch eben nicht „alle‟ ansprechend, sondern sehr klar vor allem gutsituierte Personen. Sozial Schwache, so scheint es mir, werden aus diesen „neuen‟ Bibliotheken eher draussen gehalten werden – obwohl selbstverständlich der Anspruch ist, das sie auch die Bibliothek nutzen sollen – wie sie halt praktisch aus den höherpreisigen Coffeeshops und Co-Workingspaces herausgehalten werden, die so aussehen, wie diese Bibliotheken.
Wie diesen Vibe fassen? Wo kommt dieses Feeling, dieses Unbehagen her? Wie es über den subjektiven Eindruck hinausheben, der alleine ja nichts sagt und allgemein auch als nicht zu diskutieren gilt? Das denke ich langsam zu wissen und möchte er gerne hier zeigen. [Und, dass ist mir wichtig: Es geht mir nicht darum die Person Aat Vos zu kritisieren. Das hier ist keine Polemik und kein persönlicher Angriff. Er wird nur immer und immer wieder als Designer erwähnt, deshalb erwähne ich ihn. Wie so oft geht es mir um strukturelle Fragen. Es ist ja zum Beispiel nicht nur Vos, seine Beratung und seine Arbeit anbietet, sondern es sind auch immer Bibliotheken, die diese annehmen.]
Soziologie, Ethnologie
Bourdieu und Lefebvre – beziehungsweise die Arbeiten dieser beiden Soziologen scheint mir eine gute Grundlage, um das Unbehagen besser zu fassen und auch das Nachdenken (und dann das Verändern, wenn das gewünscht ist) dieser Situation zu ermöglichen. [Und ja, es fällt auf, dass dieser Text durchgehend von Männern spricht; offensichtlich gäbe es sowohl bei der Kritik als auch der Gestaltung von Bibliotheken andere Bezugspersonen, die gewiss das Design vielfältiger und die Kritik inhaltlich besser machen würden.]
Zu Bourdieu: Was gemütlich ist, ist schichtspezifisch
Pierre Bourdieus „Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft‟ (Original: „La distiction. Critique sociale du jugement‟, 1979) ist (bekanntlich?) eine empirische Studie zum Zusammenhang von sozialer Position und ästhetischen Urteilen; also grundsätzlich der Frage, ob das, was als schön, sinnvoll, gemütlich et cetera angesehen wird ein individuelles Charakteristikum ist – oder aber in einem Zusammenhang mit der sozialen Position steht, die eine Person einnimmt. Oder noch anders: Ob Reiche, Arme und die Menschen dazwischen jeweils einen eigenen Stil haben (in der Wohnungseinrichtung, dem Bezug zur Kunst, dem, was sie schön oder hässlich finden…), oder ob das zufällig verteilt ist. Die Daten dazu sind heute alt (erhoben in den 1960er und 1970er Jahren) und aus Frankreich, aber die Ergebnisse wurden grundsätzlich immer wieder auch in anderen Zusammenhängen bestätigt. Die Struktur scheint zu stimmen, nur die Ausprägung ändert sich.
Und die Ergebnisse waren (bekanntlich?), dass: Ja, die ästhetischen Urteile und die soziale Lage eng miteinander verknüpft sind. Was in der einen Sozialschicht als schön, gut et cetera galt, gilt in anderen Sozialschichten nicht auch als gut, schön und so weiter. Teilweise, aber nicht immer, gilt es explizit als hässlich, als Ausdruck eines schlechten Geschmacks, eines falschen Lebens. Diese Geschmacksurteile, die als subjektiv gelten (siehe oben, die Vermutung, dass meine Wahrnehmung der genannten Bibliotheken rein subjektiv sein könnte), sind sehr sehr eng daran gebunden, welcher sozialen Schicht wir entstammen oder welcher wir zugehören. Deshalb lässt sich auch nicht so einfach etwas finden, was „alle‟ schön, gemütlich oder zumindest okay finden (ausser, die sozialen Schichten sind nicht weit voneinander entfernt, aber unsere Gesellschaft strebt ja eher auseinander als aufeinander zu).
Bei Bourdieu geht es dann auch darum, wie sich diese Geschmacksurteile in die Körper einschreiben und dazu führen, dass sich Angehörigen einer Sozialschicht „erkennen‟. Aber schon in der originalen Datenaufnahme – im Buch dargestellt – geht es darum, wie Menschen aus unterschiedlichen Schichten ihre Wohnungen einrichten. Dabei wird sichtbar, dass dies selbstverständlich auch damit zu tun hat, wie viel Geld jemand für die Einrichtung einer Wohnung investieren kann, aber nicht nur. Menschen bezeichnen unterschiedliche Stile als schön, gemütlich und nannten auch ganz andere Kriterien, nach denen sie ihre Wohnungen bewerten würden. Die Wohnungen von Menschen mit wenig Geld sehen nicht aus wie billige Kopien der Wohnungen von Menschen mit viel Geld – sondern wirklich anders. (Im Buch neigen Menschen mit wenig Geld zum Beispiel zu einem „praktischen Stil‟, also dazu, dass als schön angesehen wird, was auch praktisch ist – aber das kann sich geändert haben.) Das heisst nicht, dass die soziale Schicht den Geschmack, den Stil und so weiter vollständig determiniert. Es gibt immer persönliche Unterschiede und Ausnahmen. Aber was Bourdieu et al. zeigten, war, dass der Zusammenhang sehr, sehr eng ist.
Mir scheint, dass lässt sich selbstverständlich auch auf Räume wie Bibliotheken übertragen. Bibliotheken behaupten gerne – und wieder einmal in den Texten, welche die hier thematisierten neu gebauten / eingerichteten Bibliotheken beschreiben – Orte sein zu wollen, die für alle offen sind. Aber wie baut man Räume, die „für alle offen sind‟, wenn sich das, was als schön, gemütlich und so weiter gilt, je nach sozialer Schicht unterscheidet? Vielleicht, indem man sie sehr einfach und funktional macht. Zumindest aber nicht, indem man einfach behauptet, dass es eine spezifisch „gemütlichen‟ Stil gäbe, der die meisten Menschen ansprechen würde. Und schon gar nicht so, wie das in diesen Bibliotheken gemacht wird: mit Möbeln aus dem höherpreisigen Design-Möbelgeschäften, vollgestellten Räume, überall Designelemente und so Pseudo-verspielte-Garten-Farben. Wenn man erst einmal akzeptiert hat, dass die soziale Schicht auch den Stil mitbestimmt, und dann auf diese Räume blickt, dann fällt schnell auf, dass die vor allem für den Geschmack einer gut-situierten Schicht gebaut scheinen; einer Schicht, die einen Stil (vielleicht) gemütlich findet, der Arbeit und Freizeit nicht wirklich voneinander trennt. Wie halt, wie oben schon gesagt, Co-Working-Spaces, die Gemütlichkeit eher simulieren und eher zum Arbeiten auffordern, zum etwas-machen, zum aktiv sein auffordern. Andere soziale Schichten trennen aber zum Beispiel Arbeit und Freizeit ganz explizit.
Zu Lefebvre: Was der Raum ist, bestimmt nicht das Design allein
Noch etwas irritiert mich bei den ganzen positiven Darstellungen dieser neuen Bibliotheken immer wieder: Es wird über das Design berichtet, auch über die Prozesse, wie über die Umbauten / Neubauten entschieden wurde und es werden Bilder aus den Räumen publiziert. Aber das ist das schon der Raum Bibliothek?
Hier kommen mir immer und immer wieder die Arbeiten von Henri Lefebvre darüber in den Sinn, wie Städte „funktionieren‟. (Vor allem, aber nicht nur „Das Recht auf Stadt‟, Original „Le droit à la ville‟, 1968.) Hauptthese bei ihm – die auch wieder nicht aus der Luft gegriffen, sondern theoretisch und empirisch untermauert und bis heute immer wieder genutzt und bestätigt wird – ist, dass das „Funktionieren‟ von Städten und Räumen sich nur verstehen lässt aus dem Zusammenspiel von Gebautem Raum (Infrastruktur) – Wahrgenommenen Raum (Was soll er? Was sind die „sozialen Regeln‟ des Raumes? Was „gehört‟ sich und was nicht?) – Gelebten Raum (Wie wird sich verhalten? Wie wird der Raum „bewohnt‟). Ein Raum, seine Struktur, seine Ausstattung hat immer einen mehr oder minder klaren Aufforderungscharakter: Was in ihm passieren soll. Dazu hat jeder Raum aber auch seine eigenen Regeln, die sich sozial ergeben. Nicht nur, was erlaubt oder verboten ist, sondern auch was sozial erwünscht ist und was nicht, was als schicklich gilt oder nicht. Und daneben gibt es das, was im Raum wirklich passiert.
Ohne das gleich empirisch zu fassen, lässt sich das ganz gut nachvollziehen, wenn man nur ähnliche Räume in unterschiedlichen Gesellschaften oder auch nur Städten / Gemeinden besucht und dann jeweils eine Zeit lang in ihnen aufhält. Jetzt gerade sitze ich zum Beispiel in einem Café in Basel, dass so leicht alternativ ist, mit intellektuelleren Zeitschriften und eher linken bis mitte-linken Zeitungen in der Auslage, WLAN, kleinen Speisen, gutem Kaffee etc. Es könnte sich so auch gut in Berlin, Wien, Lausanne befinden, mit dem gleichen Aufbau, dem gleichen Fokus und so weiter. Aber es würde sich anders anfühlen. In Berlin oder Lausanne zum Beispiel nicht so arbeitssam, auch nicht so „zur Stadt passend‟. Wieso, wenn die Möbel und die Infrastruktur die gleichen sein könnten? Weil der „wahrgenommene Raum‟ und der „gelebte Raum‟ nicht der gleiche ist. Die sozialen Regeln sind in schweizerischen Grosststädten halt etwas anders als in deutschen oder österreichischen Metropolen und in der Deutschschweiz auch anders als in der Romandie. Sie sind schwieriger (aber bei genau Zeit auch nicht unmöglich) zu fassen, als einfache Auszählungen von Nutzer*innen. Auch das Leben ist leicht anders. Sonst wären die Städte ja alle gleich – was sie bekanntlich nicht sind. [Man kann das aber auch selber an anderen Beispielen überprüfen, wenn man Cafés nicht mag. Ich war in den letzten Wochen zum Beispiel auch in Öffentlichen Bibliotheken mehrerer Städte, die alle mit dem Möbeln des gleichen Bibliotheksausstatters gestaltet wurden und deshalb auch in vielem gleich waren – aber doch gänzlich unterschiedlich laut, benutzt und so weiter. Ich bin der Überzeugung: Hätte ich etwas mehr Zeit in ihnen verbracht und nicht nur einen kurzen Blick in sie geworfen, wären mir mehr Unterschiede aufgefallen. – Das Experiment kann jede und jeder auch selber einmal durchführen, wenn sie oder er mir das nicht glaubt.]
Aber, bezogen darauf, wie die neu gestalteten Bibliotheken dargestellt werden, scheint das überhaupt nicht thematisiert zu werden. Hier scheint eher die Überzeugung vertreten zu werden, dass es praktisch nur auf das Design der Räume ankäme, um sie zu verändern. Das scheint mir leicht absurd: Was ist den mit denen anderen Bereichen? Wie soll man den etwas über die Wirkung der Bibliotheken sagen können, wenn man nur über Design redet und Bilder der Räume (meiste ohne Menschen drin) zeigt? Mir scheint, wenn man einmal mit Lefebvre den Blickwinkel einnimmt, dass Räume nicht einfach nur durch den gebauten und designten Raum funktionieren, stellt sich schnell die Frage, was alles in der Planung und Darstellung fehlt (beziehungsweise zu fehlen scheint): Neben der Frage nach dem sozialen Charakter der Räume, die da gebaut werden (siehe oben), auch die Frage nach den sozialen Regeln, die mit den Räumen aufgerufen werden und denen, die tatsächlich etabliert und dann gelebt werden.
Kurz noch Habermas, Oldenburg
Gleichzeitig wird in den Texten zu diesen Bibliotheken immer wieder behauptet, dass sie gebaut würden, um eine Ort herzustellen, in dem sich alle zusammenfinden sollen und so Gesellschaft entsteht. Es wird auf den „Dritten Ort‟ verwiesen und darauf, dass „heute‟ Bibliotheken als Ort wichtig würden, an denen Vertrauen geschaffen wird und so weiter. Die immer gleichen Schlagworte und immer wieder genutzten Formulierungen sind wohl bekannt.
Aber nochmal: Am Ende wird in den Texten vor allem von Design und Planungsprozessen geredet; nicht vom sozialen Leben. Mir scheint, dass oft eine sehr einfache Überlegung im Hintergrund steht: Nähe von Personen wird mit Kommunikation über soziale und andere Grenzen hinweg gleichgesetzt. Oder anders: Weil die Räume gemütlich wären, würden sich hier viele unterschiedliche Menschen einfinden und dann beginnen, miteinander zu reden. Der Raum scheint dafür oft als genügend anregend zu gelten. Abgesehen davon, dass der Stil meiner Meinung nach eher zu einer Verengung der sozialen Schichten, welche diese Bibliotheken gerne nutzen, führen wird: So funktioniert Gesellschaft selbstverständlich überhaupt nicht.
Mir scheint hier ein ganz vereinfachtes – so einfach, dass es falsch ist – Verständnis von öffentlichen Raum vorzuliegen. Das wird gerne mit Habermas und seinen Arbeiten zum Entstehen der bürgerlichen Gesellschaft durch Kommunikation in Verbindung gebracht, aber selbstverständlich ist das nicht das, was bei Habermas drin steht. Bei ihm geht es auch um soziale Unterschiede, um Kommunikationsbarrieren, um Themensetzungen und so weiter.
Bei den Texten zu den neuen Bibliotheken scheint es aber die Vorstellung zu geben, dass man einfach Räume bauen könne, in denen soziale Unterschiede, Unterschiede in Verständnis, Wahrnehmung, Interpretation von sozialen Regeln, Erwartungen und so weiter verschwinden – und dadurch dann schon Leute miteinander reden und deshalb Gesellschaft herstellen. Das müsste man aber nachweisen (und meiner Meinung nach kann man das nicht nachweisen, weil es so nicht passiert). Wenn man Räume baut, in denen Menschen miteinander reden sollen (ganz abgesehen davon, dass nicht klar ist, ob das überhaupt schon Gesellschaft ausmacht), dann muss man über die Funktion dieser Räume nachdenken – und das funktioniert nicht durch Infrastruktur oder Design, sondern durch aktives Tun: Irgendetwas oder irgendwer muss die Kommunikation erst motivieren oft auch am Laufen halten.
Sicherlich kann man Räume bauen, die praktisch Kommunikation verhindern – deshalb ist es ganz gut, wenn man darüber nachdenkt, wie man das gerade nicht tut. Aber einfach gemütliche Räume bauen und dann hoffen, dass das schon ausreicht – – – das funktioniert selbstverständlich nicht. Das führt nur dazu, dass Menschen, die sich schon kennen, miteinander reden und die anderen daneben vor sich hinarbeiten / hinleben. (Auch das kann man in den Cafés, auf die sich implizit ja bei den ganzen „gemütlichen Bibliotheken‟ bezogen wird, beachten. Wenn es keinen Grund gibt, miteinander zu reden, sitzen die Menschen auch da getrennt voneinander. Auch hier: Jetzt sitze ich seit vier Stunden in diesem gemütlichen, kleinen, hellen Café in Basel und habe genau mit den beiden Herren am Tresen gesprochen, sonst niemand. So wie andere auch. Die Idee, dass es in solchen Räumen zu Kommunikation kommen würde, scheinen mir oft Menschen zu haben, die sich praktisch nie in solchen aufhalten. – – – Auch hier mein Hinweis: Wer es nicht glaubt, kann ja mal ein paar Stunden in solchen Cafés verbringen und sich das selber anschauen.)
Dabei: Allgemein wird bei solchen Bibliotheken ja auf den „Dritten Ort‟ verwiesen und das wiederum könnte auf das Buch von Ray Oldenburg („The Great Good Place‟, 1989) zurückverweisen, in dem er diesen Begriff „Dritter Ort‟ geprägt hat. Ich weiss, das wird gerne ignoriert und der Begriff eher gefühlt als begründet. Aber ist doch auffällig, dass Oldenburg bei der Prägung des Begriffes immer und immer wieder darauf verweist, dass die Orte, die er als „Dritter Ort‟ beschreibt, „plain‟ sein: Einfach, ohne notwendig grossen Schnick-schnack, ohne grosses Design. Sehr offen in der Nutzung. Nur so könnten sie funktionieren (und dazu würden sie noch einige andere Dinge brauchen, beispielsweise „anregende Getränke‟ und „Kommunikation als Hauptzweck‟ und „Stammnutzer*innen‟, welche erst die sozialen Regeln etablieren und leben). Das „gemütlich‟, von dem Oldenburg spricht – und im Buch anhand von Bildern illustriert – ist etwas anderes als das, was in den neuen Bibliotheken gebaut wird und auch etwas anderes als das, was Bibliotheken unter „erhöhter Aufenthaltsqualität‟ zu verstehen scheinen. Oldenburg ist schlecht im Begründen seiner Thesen, aber ich denke, was er andeutet ist, dass „Dritte Orte‟ vor allem so sein müssen, dass sie weniger dem Stil einer sozialen Schicht folgen, sondern offen genug sind, damit sie zumindest nicht den bevorzugten Stilen mehrerer sozialer Schichten widersprechen. (Oder die unterschiedlichen Stile verbinden. Deswegen ist er so begeistert von englischen Pubs, in denen so unterschiedliche Räume nebeneinander untergebracht sind.) Vielleicht gilt das ja viel eher für Bibliotheksräume, die als „langweilig‟ bezeichnet werden, als für die neu gebauten? Zumindest ist es schon erstaunlich, wie weit eigentlich diese „neuen‟ Bibliotheksräume von den Thesen sind, auf die sie sich vorgeblich – durch die Verwendung des Schlagworts „Dritter Ort‟ – beziehen.
Nicht zuletzt bin ich auch deshalb über das Fehlen von allen Aussagen dazu, wie diese Räume „funktionieren‟ (sollen) bei gleichzeitiger Behauptung, sie wäre für die Herstellung von Gesellschaft geschaffen, so irritiert, weil es selbstverständlich eine ganze Wissenschaftsdisziplin gibt, die sich damit beschäftigt, wie Gesellschaft auf der Ebene von Individuen und Gruppen hergestellt wird: Der Ethnologie. In ihr geht es um gelebte soziale Regeln, Erwartungen, Rituale, Verhaltensweisen und so weiter. Wie kann man diese ganze Disziplin ignorieren? (Klar, wie ich schon sagte: Indem man behauptet, die Bereitstellung des richtig gestalteten Raumes sein schon ausreichend. Aber das ist doch erstaunlich, wenn man aus der Ethnologie eigentlich lernen könnte, wie viel Arbeit erst von Menschen dareingesteckt wird, Gesellschaft auf lokaler Ebene herzustellen. Wäre es so einfach, dass man dafür einfach nur den richtigen Raum bereitstellen müsste, dann bräuchte es diese ganze Disziplin überhaupt nicht.)
Wieso ist das so?
Zusammengefasst: Ich habe ein grossen Unbehagen mit den neu gebauten Bibliotheken, die aktuell durch die bibliothekarischen Publikationen als neu und zukunftsweisend gereicht werden. Und mit etwas Theorie scheint mir das Unbehagen mehr als eine rein subjektive Abneigung. Mir scheint sogar, ungewollt aber doch real, hat man hier Räume gebaut, die noch mehr ausgrenzen, als man das schon von „langweiligen Bibliotheksräumen‟ vermutet hat. Stimmt das? Das müsste empirisch überprüft werden. (Aber man kann es erst überprüfen, wenn man den Verdacht äussert und zeigt, wieso es so sein könnte – was ich hier versuche.)
Aber wieso ist das so? Es ist ja nicht so, dass Bibliotheken Räume bauen wollen, die ausgrenzen. Ganz im Gegenteil. Und auch Aat Vos würde ich so was nicht unterstellen. Grundsätzlich kann man bei allen Beteiligten von good wil ausgehen. Nur: good wil alleine führt noch nicht zu guten Ergebnissen – „nur‟ zu gut gemeinten.
Ich denke, es sind zwei Dinge, die hier hineinspielen.
Zuerst, da es in den Texten auch immer um Aat Vos geht, soll es hier auch um Aat Vos gehen: Der ist Designer (und „Kreativ-Coach‟, ich weiss aber nicht, was ein Kreativ-Coach macht; aber was Designer*innen machen weiss ich ein bisschen). Als solcher muss er wohl davon überzeugt sein, dass vor allem Design die Welt retten oder zumindest besser machen wird. Es gibt im Design und der Architektur (bekanntlich?) eine lange, lange Tradition, sich gerade nicht an „the man‟ verkaufen und nur für Reiche irgendetwas Hübsches designen oder bauen zu wollen – sondern etwas, was besser ist für alle Menschen. Mit sozialem Anspruch Designen und Bauen. Wir haben gerade noch „100 Jahre Bauhaus‟, da sollte so eine Aussage nicht irritieren. Aber immer und immer wieder wurden Dinge designt, Gebäude gebaut, Plätze und Städte geplant, damit es allen besser geht und die Gesellschaft besser funktioniert – immer wieder auf der Basis von spezifischen Überzeugungen der Personen, die Designen oder Planen, was gut für die Gesellschaft wäre, wie die Gesellschaft funktioniert und so weiter. (Auch da ist das Bauhaus ein gutes Beispiel für.) Einiges hat zu einem besseren Leben beigetragen, vieles ist eher gescheitert (die „New Towns‟ in GB, die Banlieus in Frankreich, die sozialistischen Kollektivhäuser in der frühen Sowjetunion), noch mehr wurde anders genutzt, als geplant (zum Beispiel die ganzen Bauhaus-Wohnungen, die dann von Bewohner*innen doch nicht spartanisch und funktional durchgeplant belassen, sondern vollgestellt wurden). Diese Tradition ist da – und selbstverständlich ist es sympathischer, wenn mit so einem Anspruch geplant und designt wird. Aber sie wird auch fast „nur‟ mit Mitteln des Designs und der Architektur reflektiert und interpretiert, also eher mit einem Ansatz der Untersuchung von Beispielen mit ästhetisch und anderen Kriterien, aber zum Beispiel wenig soziologischem Verständnis. In einem solchen Denken kann es als ausreichend gelten, die funktionierende Gesellschaft auf lokaler Eben als eine zu verstehen, in der Menschen miteinander reden und dann nach Design-Lösungen zu suchen, die das ermöglichen würden.
Nachvollziehbar. Aber nur, weil Designer*innen davon überzeugt sind, dass Design die Welt besser machen würde, müssen Bibliotheken das nicht gleich glauben. Schon die Geschichte all der gescheiterten Interventionen durch Design sollte zeigen, dass diese eher Scheitern als Funktionieren. Darum scheint mir die Soziologie (und Ethnologie) weit besser zu erklären als das Design. Mich erstaunt deshalb, wie umstandslos Behauptungen aus dem Design in bibliothekarische Texte (und wohl auch bibliothekarisches Denken) übernommen zu werden scheinen.
Das dies so einfach übernommen wird scheint mir – das ist der zweite Punkt – ein Ergebnis der Untertheoretisierung von Bibliotheksbau und Raumplanung (und der tatsächlichen Funktion von Bibliotheken) zu sein. Eigentlich haben wir, wie oben gezeigt, genügend Wissen darüber, worauf und wohin wir zumindest schauen müssten, wenn wir darüber nachdenken, Bibliotheken umzubauen oder neu zu bauen. Aber weil das Bibliothekswesen eher schlecht darin ist, wirklich öffentlich und nachvollziehbar darüber nachzudenken, scheint es manchmal, als könnte einfach jemand etwas über die Wirkung von Räumen behaupten – und wenn das nur selbstbewusst und oft genug gemacht wird, dann wird das übernommen.
Das ist nicht perfekt, weil es nicht per se gute Räume baut (sondern auch zu solchen führen kann, die vielleicht eher ausschliessen). Sicherlich: Ich könnte es zu meiner Mission machen, auch selbstbewusst und oft etwas über Räume und Bibliotheksbau zu behaupten. Aber das kann ja nicht die Lösung sein. Sinnvoller wäre es wohl, Design und Architektur als das zu sehen, was sie sind: Design und Architektur. Und die Aussagen und das Nachdenken über Gesellschaft und Wirkung von Bibliotheksräumen nicht diesen zu überlassen, sondern eher auf die Disziplinen zurückzugreifen, die das Wissen dazu systematisch erwerben. Das ist halt vor allem die Soziologie.
Sinnvoll als Praxis wäre es wohl auch, regelmässig mit einem soziologischen Blick Bibliotheksräume zu interpretieren. Übung macht dabei auch die Anwendung soziologischer Modelle besser. Ich hoffe, es ist klar geworden, dass diese Theorien nicht „einfach dahergesagt‟ sind, so wie Berater*innen einfach vieles auf der Basis ihrer eigenen Überzeugung dahersagen, sondern auf Empirie, Theoretisierung und wiederholter Anwendung / Testung beruhen. Sie erklären auch etwas – und mehr, als doch eher einfache Annahmen über die Funktion von Räumen und Gesellschaft, welche aktuell das Nachdenken über Bibliotheksräume zu prägen scheint.
Aber irgendetwas muss man ja bauen…
Sicherlich: Bibliotheken werden ständig um- oder neugebaut. Deshalb müssen auch immer wieder Entscheidungen darüber getroffen werden, was gebaut / in den Raum gestellt wird und wie. Das kann nicht einfach unentschieden gelassen werden, bis die best-mögliche Lösung erarbeitet ist. Irgendwas muss halt doch gebaut werden. Und es ist auch richtig, dass dafür bestimmte Methoden verwendet werden müssen. Und grundsätzlich wäre es wohl richtig zu sagen, dass alle Methoden erst mal sinnvoll sein können, wenn sie nur je zum zu lösenden Problem oder den gestellten Fragen passen.
Bei den „neuen Bibliotheken‟ ist es aber auffällig, wie oft diese – am Ende ja doch immer wieder ähnlich aussehenden – Bibliotheken mit vor allem einer Methode, nämlich Design Thinking verbunden werden. Wenn etwas zum eigentlichen Entscheidungsprozess für diese Neu- und Umbauten in den betreffenden Texten mitgeteilt wird, dann, dass es diese Methode war. Und, wie gesagt, die Bibliotheken scheinen mir gerade viel geschlossener und nicht offener zu werden. Die Vermutung liegt nahe, dass die Methode doch etwas damit zu tun hat, das die Bibliotheken am Ende immer wieder so werden, wie sie werden. Es wäre deshalb sinnvoll, sich diese doch noch einmal genauer anzuschauen, bevor sie weiter einfach immer wieder als vorgeblich zeitgemässe, innovatives Vorgehensweise genutzt wird. Mir scheint, dass zumindest Teile der Methode dafür verantwortlich sind, dass ständig einer offenbar stark verkürzte Vorstellung davon, wie Gesellschaft und Räume funktionieren, gefolgt wird und das immer wieder diese, meiner Meinung nach, ausschliessenden Räume gebaut werden. [Drei Vermutungen: Das „Kritikverbot‟, welches oft am Anfang der Methode eingeführt wird, führt dazu, dass offensichtliche Widersprüche nicht genannt werden. Der Fokus auf „Tun‟ (Making, Rapid-Prototyping etc.) verengt den Blick und das, worüber man nachdenken soll / kann auf Design-Lösungen. Der vorgeblich kreative, spielerische Ansatz zieht Personen aus bestimmten Sozialschichten – die Arbeit und Freizeit beziehungsweise Arbeit und Spiel nicht wirklich voneinander trennen – an und stösst andere eher ab. Aber das nur erste Vermutungen.]
Was sein könnte
Grundsätzlich aber scheint mir, dass gerade diese neuen Bibliotheken eine Aufforderung darstellen, mehr über die tatsächliche Nutzung und Wirkung von Bibliotheksräumen nachzudenken; dabei nicht nur einer Erzählung über „kreative Räume‟ und so weiter zu glauben, sondern auch das einzubeziehen, was als einigermassen gesicherter Wissensbestand über Gesellschaft, Stil, Wahrnehmung bekannt ist. Und es wäre sinnvoll, vielleicht wieder andere Methoden mit zu benutzten – und nicht eine, die so eindeutig aus dem Design kommt, ungefragt zu übernehmen. Was dabei rauskommen wird? Keine Ahnung, das wäre ein (gemeinsamer) Prozess.
Ich könnte mir aber gut vorstellen, dass am Ende klar wird, dass das, was als „langweiliger Raum‟ beschrieben wird (nicht als schlechter, lauter, billiger; sondern als langweilig und bland) sich als sinnvoller Raum herausstellen kann, wenn man wirklich dem Ziel folgen will, Räume „für alle‟ zu bauen. Und ich kann mir auch vorstellen, dass man dahin kommt, Planung von neuen Bibliotheken gar nicht erst rein als Design- und Architekturprojekt zu verstehen und zu präsentieren, sondern als umfassender: Mit Raum und Infrastruktur, aber auch Angeboten, Regeln, die man durchsetzen möchte, Dingen, die man ermöglichen möchte (und wie) und so weiter. Und vor allem kann ich mir vorstellen, dass man nicht mehr einzelne BeraterInnen als Wissensquelle benutzt und deren Thesen einfach zu übernehmen scheint.
Was sich aus so einem Nachdenken wie hier meiner Meinung nach auch ergibt, sind zahlreiche Forschungsfragen, die mal angegangen werden könnte – und sei es, um meine Wahrnehmungen zu widerlegen (anstatt einfach zu behaupten, dass sie nicht stimmen). Beispielsweise, wie Menschen aus verschiedenen Sozialschichten diese (und andere) Bibliotheken wahrnehmen und nutzen. Oder wie und ob die erhofften (und in vielen Texten zu den neuen Bibliotheken ja explizit erwähnten) Kommunikationen zwischen Nutzer*innen überhaupt stattfinden. Oder ob andere Methoden, bezogen auf die gleichen Aufgaben, bessere Ergebnisse hervorbringen und es tatsächlich eine Methodenfrage ist. (So funktioniert Theorie, wenn sie angewandt wird: Sie lenkt den Blick darauf, was zu beobachten sein müsste.) Aber das nur als Aufforderung.