Wissen diffundiert – Zur Idee vom «Elfenbeinturm Wissenschaft» und dem Bibliothekswesen

Das hier ist ein Blog, also kann ich auch einmal etwas persönlich werden. Es gibt nämlich eine Aussage, die ich immer wieder einmal höre, und die mich manchmal tierisch nervt, aber oft auch einfach nur traurig macht. Und zwar die Behauptung, Forschung zu Bibliotheken würde «im Elfenbeiturm» stattfinden und deshalb an den Interessen der Bibliothekspraxis vorbeigehen. Diese Aussage höre ich erstaunlich oft. Verschiedentlich, wenn das Thema Verhältnis Praxis und Forschung direkt besprochen wird, aber oftmals auch einfach fast aus dem Blauen heraus in irgendwelche Gesprächen.

Es gibt zwei Ebenen, warum mich gerade diese Aussage so auslagt: Eine persönliche und eine inhaltliche. Im weiteren möchte ich hier die inhaltliche Seite besprechen, weil sich – so denke ich – auch für Bibliotheken etwas Positives daraus lernen lässt, einmal über diese nachzudenken. Aber vorher kurz zur persönlichen Ebene (kann auch übersprungen werden).

Kurz: Persönlich Ebene

Als, well, Forscher in der Bibliothekswissenschaft muss ich sagen: Es ist eine beleidigende Aussage einfach schon, weil sie so falsch ist. Man muss sich nur anschauen, was an den Hochschulen an Texten oder Weiterbildungen oder so produziert wird, um zu merken, dass das nicht stimmt. So viele Arbeiten – sowohl von Forschenden als auch Studierenden, beispielsweise deren Abschlussarbeiten – enden explizit mit Abschnitten dazu, wie das jeweils in der Arbeit erstellte Wissen in der Praxis benutzt werden kann, so viele To-Do-Listen, Handreichungen, praxisorientierte Zusammenfassungen werden geschrieben, so oft werden die vor der Publikation nochmal mit Kolleg*innen aus der Praxis durchgegangen… Es ist einfach nicht fair, zu behaupten, in der Forschung würden sich keine Gedanken über die Praxis gemacht.

Gleichzeitig scheint die Aussage auf einem gänzlich falschem Bild davon zu basieren, wie Forschung gerade in Fachhochschulen passiert und finanziert wird. So oft ist mir schon die Vorstellung begegnet, dass Forschende einfach Zeit haben an dem zu forschen, was sie interessiert. Das ist aber überhaupt nicht so. Grundsätzlich muss jede Forschung an Fachhochschulen irgendwie mit Drittmitteln finanziert werden (auch die «Eigenmittel», von denen sich manchmal vorgestellt wird, dass Fachhochschulen sie hätten, die gibt es praktisch nicht – nur für das Einwerben von mehr Drittmitteln). Was nicht finanziert wird, wird nicht gemacht. Der Zugang zu Mitteln der grossen Forschungsförder ist den Fachhochschulen, an denen die meiste Forschung im Bibliotheksbereich stattfindet, strukturell praktisch verschlossen (also: Offiziell steht der Weg offen, aber praktisch sind die Evaluationskritierien und die Infrastruktur, die von der DFG oder dem SNF bei den Hochschulen vorausgesetzt werden, auf die Unis ausgerichtet, die immer einen übergrossen Vorteil haben, auch wenn manchmal hier und da eine FH mit viel Aufwand und Glück «durchschlüpft»). Das heisst, die Drittmittel für die Forschung im Bibliothekswesen im DACH-Raum kommen fast alle aus Stiftungen oder dem Bibliothekswesen selber. Und dazu müssen die Forschenden eigentlich immer die möglichen Mittelgebenden davon überzeugen, dass die jeweilige Forschung in der Praxis eine Relevanz hat. Sie sind also schon von der Struktur der Hochschulen her gezwungen, an der Praxis orientiert zu sein. (Das ist von den jeweiligen Gesetzgebern auch so gewollt.) Die Idee, dass da irgendwer «im Elfenbeinturm forschen» könnte, ist einfach vollkommen absurd.

Ich weiss schon, dass solche Aussagen oft gemacht werden, um anderes überdecken. In anderen Zusammenhängen kommen ähnliche Aussagen auch immer wieder. Beispielsweise ist es meiner Erfahrung nach offenbar fast schon «notwendig», wenn man Bibliotheken bei der Erstellung von Strategien berät, dass irgendwann jemand aus dem Personal den jeweiligen Berater*innen vorwirft, keine Ahnung zu haben und nur irgendwelchen komischen Vorstellungen umsetzen wollen – und das ist dann meist der Punkt, wo bei den Beteiligten wirklich klar wird, dass Bibliotheksstrategien dazu führen, dass sich etwas verändert, aber halt auch der Punkt, wo diese Veränderung dann tatsächlich angedacht wird.1 Vielleicht lässt sich das nicht ändern, vielleicht «muss es» zu so Aussagen wie dem vom «Elfenbeinturm» kommen, bevor man überhaupt über das Verhältnis von Praxis und Forschung nachdenken kann. Aber dennoch will ich hier versuchen, zu erklären, warum das nicht sinnvoll ist.

Inhaltliche Ebene

Wie eben schon gesagt, ist die Aussage inhaltlich überhaupt nicht haltbar: Es gibt für die Forschung im Bibliothekswesen (im DACH-Raum) keine Elfenbeinturm, in dem Forschende das beforschen können, was sie interessant finden (oder was sie zum Beispiel gesellschaftlich relevant finden), sondern praktisch nur die Infrastruktur Fachhochschule, wo Personen zusammengezogen werden, die wissenschaftlich arbeiten können und Infrastruktur wie zum Beispiel Fachbibliotheken vorgehalten werden; aber wo alle konkrete Forschung nur über Drittmittel zu finanzieren ist, die dann fast nur aus der Praxis oder praxisnahen Stiftungen selber kommen können.2

Aber wieso erscheint es dann doch immer wieder so vielen Kolleg*innen aus der Bibliothekspraxis richtig, von «Elfenbeinturm» und fehlender Relevanz von Forschung für die Praxis zu reden? Ich bin überzeugt, dass dies unter anderem strukturell bedingt ist: Die Praxis weiss nicht, woher das Wissen überhaupt kommt, dass sie verwendet. Das gilt nicht für Wissen aus der Forschung, aber bleiben wir hier einmal dabei. Mir scheint, der Eindruck, die Praxis würde vom Wissen aus der Forschung nicht profitieren, kommt auch daher, dass nicht so richtig bekannt ist, was da tatsächlich doch Einfluss hat. (Und – deswegen meine Rede von der Struktur – das ist nicht der Fehler einer einzelnen Bibliothek oder so, sondern es ist dadurch zu erklären, wie sich Wissen im Bibliothekswesen verbreitet.)

Neben der ständigen Wiederkehr des oben genannten Vorwurfs an die Forschung kann ich nämlich auch etwas anderes in der Bibliothekspraxis beobachten: Das Wissen, welches in der Forschung produziert wird, findet sich doch im Bibliothekswesen wieder, oft an ganz unerwarteten Stellen und oft auch nicht zu 100% nachzuweisen. Aber es ist überhaupt nicht selten, Kolleg*innen aus der Praxis zuzuhören – in direkten Gesprächen oder wenn sie auf Konferenzen wie letztens dem Bibliothekstag berichten – und zu denken, «das kenne ich doch». So viele Angebote von Bibliotheken, so viele Überlegungen oder auch Themensetzungen scheinen in andere Kontexte transportierte Gedanken, Projekte, Diskussionen aus Texten von Kolleg*innen aus der Forschung (oder direkt aus meiner Arbeit, die ich selbstverständlich noch besser kenne, als die der Kolleg*innen und wo es mir vielleicht deshalb noch mehr auffällt) zu sein. Nicht immer ganz nachzuweisen. Es gibt bestimmt auch immer Dinge, die «in der Luft» liegen oder Angebote, die zufällig ähnlich sind und die deshalb vielleicht am mehreren Stellen «entstehen». Aber solche Tagungen, wie halt der Bibliothekstag, sind für mich je länger je mehr auch Gelegenheiten, wo ich regelmässig dieses déjà vu-Gefühl habe: Formulierungen, die nicht ganz zu passen scheinen (und die dann oft an mehreren Stellen auftauchen), aber die so in bestimmten Artikeln stehen. Strukturen von Angeboten, die auch anders sein könnten, aber zufällig immer wieder ähnlich sind – so, wie sie in einem bestimmten Projekt, dass man aus einer Fachhochschule kennt (wenn man es kennt), formuliert wurden. Argumentationen, die auf einmal an verschiedenen Stellen auftauchen, aber die ich eher aus bestimmten Publikationen kenne (die oft ein paar Monate-Jahre alt sind).

Mein aktuelles Beispiel (nur eines von mehreren) ist, dass erstaunlich viele Fachstellen jetzt Mobile Makerspaces für Öffentliche Bibliotheken zur Verfügung stellen (als Boxen, als Koffer, bestimmt auch noch anders) und es sind fast immer vier Boxen mit den Themen Roboter, Technik, Basteln und Film – genauso, wie im Projekt, dass ich an meiner FH vor fünf Jahren durchgeführt habe. Sicherlich: Ich bin auch damals nicht aus Spass an der Freude auf diese Boxen und ihre Themen gekommen, aber… es ist doch erstaunlich ähnlich. (Ich war auch schon mehr als einmal erstaunt, bei bestimmten Bibliotheken von Themen zu hören, von denen ich sicher war, dass ich diese im Unterricht vermittle, aber immer mit der Ansage, dass die in der bibliothekarischen Literatur im DACH-Raum fast nicht vorkommen – und dann merkte, dass ehemalige Studierende meine Hochschule in der jeweiligen Bibliothek arbeiten. Das kann Zufall sein, schliesslich habe ich mir die Themen im Unterricht auch nicht einfach ausgedacht. Aber… auch das ist nicht nur einmal passiert.)

Woher haben Bibliotheken eigentlich ihr Wissen?

Aber denke ich das nur oder stimmt es, dass das Wissen aus der Forschung irgendwie doch in der Praxis ankommt? Die Frage kann man umdrehen: Woher haben den Bibliotheken das Wissen, dass sie benutzen, um Entscheidungen zu treffen, beispielsweise wenn sie sich für (oder gegen) bestimmte Angebote entscheiden oder wenn sie über bestimmte Problemstellungen im lokalen Raum nachdenken? Kurz gesagt: So genau weiss das niemand. Es ist nicht untersucht (es wäre spannend, aber wie oben gesagt, wenn es niemand finanziert wird es auch nicht erforscht, ausser jemand macht das in der Freizeit). Sicherlich gibt es, wenn man mal nachfragt, einige Hinweise: Vieles wird in Netzwerken von anderen Bibliotheken gelernt oder zum Beispiel, wenn es von Fachstellen und Regionalbibliotheken vermittelt wird. Oft wird auch davon berichtet, dass sich Kolleg*innen bei anderen Bibliotheken oder Beispielen aus der Literatur haben «inspirieren» lassen. Manchmal werden auch Weiterbildungen oder die Ausbildung respektive das Studium einzelner Bibliothekar*innen erwähnt. Aber, so genau kann es niemand sagen. Für einzelne Entscheidungen einer Bibliothek schon, aber selten für alle.

Denkt man das noch ein bisschen weiter, fällt auf, dass es im Bibliothekswesen auch gar keine Kultur gibt, darauf zu verweisen, woher Ideen, Themen, Problemstellungen und so weiter kommen. Es geht immer wieder darum, Entscheidungen für die Praxis zu treffen, was oft dazu führt, dass auch dann, wenn diese Lösungen anderen Bibliotheken präsentiert werden – beispielsweise auf dem Bibliothekstag – sie oft so erscheinen, als wären sie vor Ort von der jeweiligen Bibliothek erarbeitet worden. Das ist gewiss nicht absichtlich so. Ich würde nicht vermuten, dass in Bibliotheken versucht wird, die Quellen der eigenen Arbeit zu verheimlichen. Das ist eher strukturell: Es ist einfach eine Frage, die sich sehr selten stellt. Im Mittelpunkt steht oft die eigene Arbeit, die ein*e Bibliothekar*in beim Treffen einer Entscheidung, Erstellen eines Angebots und so weiter geleistet hat. Aber es ist nicht nur das. Es gibt auch gar keine richtigen kulturellen Skripts, wie solche Hinweise, auf welchen Quellen dabei aufgebaut und welches Wissen dafür verarbeitet wurde, im Bibliothekswesen dargestellt werden können.

Dies fällt auf, wenn man andere «Kulturen» als Vergleich heranzieht. In der Wissenschaft ist es klar: Alles, was als Quelle verwendet wird, muss zitiert werden. Punktum. Es gibt unterschiedliche Kulturen des Zitierens in unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen und Teil der wissenschaftlichen Ausbildung ist es, diese jeweils zu erlernen. Aber es gibt für Forschende keine Frage, wo sichtbar gemacht wird, auf welchen Quellen ihre Arbeit aufbaut – das steht in den Zitationen und im Literaturverzeichnis. Das setzt sich dann beispielsweise auch bei Vorträgen fort, wo die theoretische Rahmung immer auch ein Nachweis der Quellen ist, wenn auch abgekürzt. Auch in anderen Kulturen gibt es mehr oder minder etablierte Strukturen, um auf die genutzten Quellen zu verweisen.

(Den halben Witz habe ich schon mal gemacht, egal, es passt hier.) Wenn zum Beispiel Gang Starr (in «Credit is Due», 1991) rappt «Now give the credit. where it is due / Give the credit y’all. where it’s due», dann verweisen sie darauf, dass es im HipHop die Erwartung gibt, von Zeit zu Zeit denjenigen Respekt zu zollen, auf deren Vorbild man selber seine Musik und Texte aufbaut. Und wie, dafür gibt es eine Struktur: Man tut dies, indem man sie in Texten erwähnt oder / und in Interviews. Oder eine andere – wenn auch verwandte – Kultur: Graffiti. Blättern man einige Graffiti-Magazine durch, zumindest solche mit Text (beispielsweise Stylefile, Streetlove oder SAM), wird sichtbar, dass es hier die Erwartung gibt, dass sich Maler*innen zu Vorbildern äussern. Und das tun sie dann auch, vor allem in Interviews und eigenen Texten. Niemand sagt, dass er/sie sich das alles selber ausgedacht hat, was sie/er so malt, sondern immer wird sich in gewisse Traditionen verortet und andere Maler*innen erwähnt, die wichtig gefunden werden.

Personen, die sich in diesen und anderen Kulturen bewegen, wissen erstens das sie zeigen sollen / müssen, was ihre Quellen sind und zweitens wie sie dies tun. Das gilt für das Bibliothekswesen nicht. Sicherlich gibt es immer wieder Beiträge aus Wissenschaftlichen Bibliotheken, die sich am Wissenschaftssystem orientieren und mit Zitationen arbeiten. Und sicherlich gibt es bei Vorträgen Öffentlicher Bibliotheken immer wieder einmal Hinweise darauf. Aber nicht systematisch und als Normalität, sondern eher schon als etwas Besonderes.3

Mir geht es gar nicht darum, jetzt dazu aufzurufen, dass Bibliotheken ihre Kultur ändern und zum Beispiel anfangen müssten, ihre Arbeit – wie in der Wissenschaft – als fortlaufende Entwicklung von Wissen, dass immer auf schon vorhandenem Wissen aufbaut, zu verstehen. Oder das sie ein System entwickeln müssten, um diese Quellen nachzuweisen. Das ist im Wissenschaftssystem sinnvoll, weil es dort um die Produktion von nachvollziehbarem und weiterführendem Wissen geht. Darum geht es im Bibliothekswesen ja nicht, sondern eher darum, die Bibliothekspraxis weiterzuentwickeln.

Aber was mir zu sagen wichtig ist, ist, dass man Bibliothekswesen nicht weiss, wo das Wissen, dass man selber für Entscheidungen verwendet, herkommt. Manchmal kann man einige Schritte verfolgen, beispielsweise den Workshop benennen, auf dem man bestimmte Sachen das erste Mal gehört hat, aber man kann selten den ganzen Weg des Wissens zurückverfolgen. Doch deswegen kann man auch gar nicht einfach behaupten, dass «die Forschung im Elfenbeinturm sitzt», nur weil man selber vielleicht nicht weiss, was an Wissen in der Forschung produziert wurde. Das Wissen, dass man benutzt, kann oft von der Forschung über mehrere Schritte in die Praxis diffundiert sein. Die Vorstellung, dass Wissenschaft im Elfenbeinturm sitzen würde, hat zum Teil wohl auch damit zu tun, dass im Bibliothekswesen gar nicht sichtbar ist, welches Wissen aus der Forschung in Praxis eigentlich alles benutzt wird.

[Elke Oestreicher hat in ihrer Dissertation den Wissenstransfer von Forschung in die Praxis der Sozialen Arbeit untersucht und benutzt dort auch das Bild4 vom Transfer über mehrere Schnittstellen, die im Gegensatz zu direkten, selten Kontakten von Forschung und einer bestimmten Praxis – also einer Person, die vollständig im Praxisfeld steht – kontinuierlich ein gewissen Kontinuum bilden. Innerhalb dieses Kontinuums nutzen Personen mal bewusst, mal weniger bewusst; mal kontinuierlich, mal anlassbezogen Wissen, dass oft in der Forschung entsteht – auch nicht kontextlos, sondern in ständiger Verbindung mit der Praxis –, was aber am Punkt der Nutzung dann aber oft nicht mehr bekannt ist, weil das dann gar nicht die Frage ist: Die/der Jugendarbeiter*in vor Ort will dann zum Beispiel konkret wissen, wie sie eine Hilfsleistung aufsetzt und nicht, warum überhaupt bekannt ist, dass eine bestimmte Art von Hilfe effektiver ist als eine andere.]

Exkurs: Should you give credit, where credit is due?

Ein Problem über dieses Thema zu schreiben ist, dass es schnell so klingt, als ginge es mir eigentlich nur darum, dass meine Arbeit irgendwie wertgeschätzt werden sollte. Aber darum geht es nicht. Ich will verstehen, wie diese beiden Beobachtungen – der Vorwurf, im Elfenbeinturm Forschung zu betreiben bei gleichzeitig sichtbarem Diffundieren von Wissen in die Praxis – zusammenpassen. Und dennoch drängt sich die Frage auf, ob Bibliotheken mehr, well, credit geben sollten, where credit is due.

Persönlich, als Forschender, würde es mich selbstverständlich freuen, den genannten Vorwurf nicht mehr hören zu müssen. Wie oben auch gesagt habe ich schon verstanden, dass es offenbar dazu gehört, als Forschender (oder Berater) von Zeit zu Zeit als eine Art Blitzableiter zu fungieren. Gleichzeitig ist es auch nicht so, als wäre das die einzige Erfahrung. Es ist zum Beispiel auch nicht selten – aber seltener – dass aus heiterem Himmel ein*e Kolleg*in aus der Praxis oder – öfter – Studierende, die gerade ihre Abschlussarbeit geschrieben haben (nicht bei mir), mir eine Mail schreiben und sich für Arbeiten von mir bedanken, auf die zurückgreifen konnten. Angesichts dessen, dass man an Hochschulen oft arbeitet, ohne genau zu wissen, was den Ergebnissen der eigenen Arbeit über das konkrete Projekt hinausgeht, ist das schon jedes mal erfreulich. Bestimmt nicht nur für mich, sondern auch für andere Kolleg*innen in der Forschung. Solche Mails kann man schon machen, aus persönlichen Gründen.

Wobei es aber tatsächlich sehr helfen würde, Rückmeldungen zu erhalten, wenn Wissen aus der Forschung benutzt wird – und warum Bibliotheken es sich angewöhnen sollten, es zu tun – ist, dass wir an den Fachhochschulen ständig Anträge an Stiftungen und andere potentielle Förderer schreiben, um Forschungsgelder einzuwerben, die dann zu Forschung führen, die der Praxis weiterhelfen können. Für solche Anträge ist es immer hilfreich zeigen zu können, die dass vorhergehende Forschung einen positiven Einfluss in der Praxis hatte. Wenn Bibliotheken sich angewöhnen würden, zurückzumelden, wenn sie Wissen aus beispielsweise Artikeln oder Workshops von Forschenden benutzt haben, würden sie damit helfen, dass mehr und vielleicht auch sinnvollere Projekte in der Forschung für das Bibliothekswesen erfolgreich finanziert werden können.

Ein anderer positiver Effekt, wenn sich Bibliotheken angewöhnen würden, gegeneinander Rechenschaft darüber abzulegen, welches Wissen aus welchen Quellen sie genutzt haben, wäre auch, dass sie sich untereinander dafür mehr Respekt geben würden. Hier im Blogpost ging es um die Beziehung von Praxis und Forschung, aber ein Thema war ja, dass Wissen wohl über mehrere Schritte diffundiert. Oder anders gesagt: Das an vielen Stellen im Bibliothekswesen auch Wissen produziert, geteilt und so weiter wird. Es kann überhaupt nicht schaden, wenn Bibliothek X von Bibliothek Y hört, dass zum Beispiel ihre Darstellung eines neuen Angebots und der Probleme mit diesem dazu beigetragen haben, dass Bibliothek Y nicht von vorne anfangen musste, als sie ein ähnliches Angebot aufbaute.


Fussnoten

1 Mit etwas Küchenpsychologie könnte man darauf verweisen, wie schon bei Freud (in den «Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse») dargestellt wird, dass fast bei jeder Analyse der Punkt auftritt, bei dem die Person, die bei der Analyse ist, einen Hass (vorher eine Anhänglichkeit) auf ihre Psychiater*in äussern, dann darüber hinwegkommen und dann ein «Durchbruch» in der Analyse erreicht wird. Freud erklärt das mit Trieben, die sich erst lösen müssen. Relevant scheint mir aber diese Beschreibung, dass offenbar solche «negativen» Momente zu bestimmten Prozessen dazugehören und das Freud zeigt, dass es dabei nicht um die tatsächliche Person der/des Psychiater*in geht. Man sollte sich nicht angegriffen fühlen. Dennoch, nervig ist es. Und so ähnlich kommt mir das auch bei der Forschung (oder Beratung) im Bibliothekswesen vor.

2 Wäre es anders, ich würde schon lange an anderen Themen forschen, beispielsweise endlich mein Buch zur Geschichte der Vorstellung von modernen Bibliotheken schreiben oder zur Bibliotheraphie arbeiten. Aber das ist alles nur in der Freizeit möglich. Selbst mein Buch zu Armut und Bibliotheken, wo man sagen kann, dass es (hoffentlich) eine gesellschaftliche Relevanz hat, habe ich an Abenden, freien Tagen und Wochenenden geschrieben – weil es keine Drittmittel dafür gab, aber ich auch nicht einfach was beforschen kann, nur weil es sinnvoll wäre. Ein Grund mehr, warum mich diese Aussage manchmal nervt: Weil es so viel besser wäre, wenn man an der Hochschule einfach etwas sinnvolles forschen könnte.

3 Und ja, selbstverständlich gibt es immer Personen, die verschiedenen dieser «Kulturen» angehören, was sich manchmal auch zeigt. Fussnoten mit Literaturnachweis in Graffiti-Magazinen gab es genau so schon, wie versteckte Hinweise in bibliothekarischen Texten, dass die Autor*in weiss, wie man ein Wohlecar malt.

4 Oestreicher, Elke (2014). Wissenstransfer in Professionen. Grundlagen, Bedingungen und Optionen. Opladen, Berlin, Toronto: Budrich UniPress, 2014: 148.

«Mit den Menschen reden gehen.» Einige Überlegungen zur Popularität von Design Thinking, Partizipation etc. im Bibliotheksbereich

Eine Frage, die mich schon eine ganze Weile umtreibt (auch schon vor der Pandemie), ist die, warum solche Methoden / Methodensätze wie «Design Thinking» eigentlich so populär im Bibliothekswesen sind. Nicht nur Design Thinking, auch vieles was unter dem Label «Partizipation» läuft, obwohl es «nur» um die Entwicklung / Weiterentwicklung von bibliothekarischen Angeboten unter Einbezug von einigen Nutzenden geht oder auch verschiedene «Technology Acceptance Models», die in einer Anzahl von Bibliotheken auch für diese Aufgaben herangezogen werden. Sicherlich: Alles, was präsentiert wird als hippe, neue Methode, die so mal nix Probleme lösen soll, die angeblich früher nicht gelöst worden wären, löst bei mir Vorsicht aus. Das klingt eher nach Marketingbehauptung als nach Tatsachen. So oft gibt es die angeblichen Probleme gar nicht wirklich, so oft löst die Methode auch gar nicht ein, was über sie behauptet wird. Aber mir scheint, es ist nicht nur das.

Was soll eine Methode in der Forschung? Was soll sie in der Praxis?

Grundsätzlich habe ich als Wissenschaftler vielleicht einen anderen Anspruch an Methoden als Bibliotheken. Für mich gilt: Eine Methode muss immer zur Frage passen. Genauer: Die Anwendung der Methode muss es ermöglichen, eine konkrete Frage zu beantworten, ein Problem zu lösen und so weiter. Sicherlich kann bei der Anwendung einer Methode noch einiges schief gehen: Umfragen können nicht beantwortet werden, Fragen können sich als unbeantwortbar herausstellen, Probleme können komplexer sein, als erwartet und so weiter. Aber man sollte bei einer Methode zumindest annehmen dürfen, dass sie zur Lösung der jeweiligen Frage oder des jeweiligen Problems beiträgt. Die Frage «Welche Schwerpunkte sollen wir beim Bestandsaufbau setzen» beantwortet man nicht mit einer Experiment, ein Problem mit der Beleuchtung im Lesesaal geht man nicht sinnvoll mit einer Fokusgruppe an. Und nicht zuletzt sammelt sich in der Forschung mit der Zeit Wissen darüber an, welche Methoden für welche Fragen gut oder weniger gut funktionieren.

Und wenn man diesen Anspruch anlegt, dann schneidet Design Thinking zum Beispiel sehr schlecht ab. Zwar wird gerne behauptet, dass man mit diesem Prozess / Methodenset kreative Lösungen für Probleme finden würde, bei denen mehrere Blickwinkel einbezogen werden. Aber eigentlich kommen immer nur Lösungen heraus, die erstaunlich eng gefasst sind, deren Kreativität man schon bezweifeln kann (sicher: Wie Kreativität bewerten? Aber auffällig ist, wie oft praktisch die gleichen Lösungen herauskommen) und bei denen am Ende notorisch schwierig zu bestimmen ist, ob sie wirklich Lösungen für die behaupteten Probleme sind. Vor allem fällt auch auf, wie oft Design Thinking im Bibliothekswesen genutzt wird, wenn es gar nicht um die Lösung von Problemen geht sondern zum Beispiel darum, eine Situation zu verstehen. Man könnte das noch weiter ausführen (beispielsweise diskutieren, warum gerade die Profession des Design ein positives Vorbild sein soll) und auch die anderen oben genannten Methodensets anschauen, aber das soll hier nicht der Punkt sein. (Zumal es schon genug kritische Literatur gerade zu Design Thinking gibt, auch wenn sie im Bibliothekswesen nicht so recht rezipiert wird.1) Nehmen wir hier einfach einmal als gegeben an, dass die Methoden wirklich kaum zu den Fragen passen und sich auch nicht «beweisen», also das nicht gezeigt werden kann, dass sie besser Antworten oder Ergebnisse liefern, als andere Ansätze. Mir geht dann um etwas anders: Die Frage, warum sie dennoch so beliebt zu sein scheinen oder zumindest, warum sie immer und immer wieder angewendet werden.

Eines fällt nämlich auf: Nicht nur die «üblichen Verdächtigen» – die Berater*innen, welche Design Thinking als Beratungsangebot verbreiten, die Kolleg*innen an Hochschulen und Bibliotheken, welche immer sehr schnell dabei sind, neue Entwicklungen auszuprobieren und anzupreisen – zeigen sich einigermassen begeistert. Sondern auch Kolleg*innen in Bibliotheken, die Projekte mit diesen Methoden durchgeführt haben, äussern sich nachher recht positiv, wenn man sie privat / halb-privat fragt. Gleichzeitig scheinen (das ist jetzt nicht empirisch untermauert – aber alle können das selber nachvollziehen, indem sie im eigenen Umfeld Bibliothekar*innen, die solche Projekte mitgemacht haben, befragen) die Kolleg*innen nicht so richtig sagen zu können, was genau an den Ergebnissen so besonders oder anders wurde durch die jeweils im Projekt genutzten Methoden. Aber grundsätzlich fanden sie es immer gut.

Mich erinnert das an die Ergebnisse einer Studie zu Berater*innen in kanadischen Bibliotheken: Dort wurden Bibliothekar*innen befragt, was die jeweiligen Berater*innen, die an ihren Bibliotheken tätig waren, eigentlich getan hatten und was sich durch sie verändert hätte – im Ergebnis konnten das die Bibliothekar*innen nicht genau sagen, hatten aber dennoch eine positive Meinung von den Berater*innen (nicht unbedingt vom eigenen Management, welche die Berater*innen engagiert hatte).2 Die beiden Autorinnen dieser Studie konnten sich aus diesem Ergebnis keine richtigen Reim machen und so ein wenig fühle ich mich manchmal auch, wenn ich die tatsächlichen Ergebnisse von «Design Thinking»-Projekten in Bibliotheken anschaue auch.

«Etwas verändern» als Ziel

Aber: Ich denke, das hat auch etwas mit der Perspektive zu tun. Wie gesagt ist für mich klar, dass eine Methode zur jeweiligen Fragestellung beziehungsweise zum jeweiligen Problem passen muss. Und das sie deshalb auch danach bewertet werden kann, wie sehr sie am Ende dazu beigetragen hat, die jeweilige Frage zu beantworten oder das jeweilige Problem zu lösen. (Oder, in der Studie aus Kanada: Berater*innen und ihre Arbeit sollten danach bewertet werden können, wie sie helfen, die jeweiligen Probleme zu lösen – aber das ist nicht, wonach sie dann bewertet wurden.)

Aber offenbar muss man den Blickwinkel wechseln und fragen, was Bibliothekar*innen (und Bibliotheken) eigentlich aus den Projekten ziehen. Denn: Das Methoden helfen sollen, Fragen zu beantworten, ist selbstverständlich der Blick aus dem Wissenschaftssystem, in dem es ja immer darum geht, neues Wissen zu produzieren, indem Fragen gestellt und möglichst systematisch beantwortet werden. Das ist in Bibliotheken aber nicht die Aufgabe, dort geht es vor allem darum, bibliothekarische Arbeit zu organisieren und Probleme, die in dieser Arbeit auftreten, so zu lösen, dass sie nicht mehr als Probleme erscheinen (was nicht heissen muss, dass sie wirklich gelöst sind, sondern das man irgendwie mit ihnen arbeiten / leben kann). Und oft geht es – zumindest aus der Sicht vieler Bibliotheksleitungen – darum, Veränderungen so zu organisieren, dass sie vom Personal mitgetragen werden (und nicht zum Beispiel als Angriff «von oben» auf das Bibliothekspersonal verstanden werden).

Das ändert aber alles: Um die Aufgaben zu erfüllen, die Bibliotheken an die Projekte stellen, müssen nicht unbedingt Fragen gut (und systematisch) beantwortet werden oder Probleme gelöst werden. Vielmehr müssen sie dabei helfen, die Arbeit von Bibliotheken so zu organisieren, dass sie anschliessend verändert und besser erscheint. Weder müssen das die bestmöglichen Lösungen sein, noch die effektivsten – das wird selten überprüft. Es müssen einfach am Ende Veränderungen stattgefunden haben, die im Idealfall besser funktionieren als die vorherigen Lösungen. (Sicherlich ist der Anspruch immer, eine möglichst gute Lösung zu finden, aber es fällt auf, dass das selten überprüft und schon gar nicht auf die in Projekten genutzten Methoden zurückgeführt wird.) Die Methoden werden also – beispielsweise von Berater*innen oder Bibliotheksleitungen – gar nicht dafür genutzt, um strukturiert neues Wissen zu erarbeiten, wie das in der Forschung der Fall wäre, sondern um Veränderungsprozesse zu strukturieren. (Und damit unterliegt das am Ende doch entstandene Wissen, dass in neue Angebote, Gebäude und so weiter fliesst, auch nicht den gleichen Bewertungen, wie es Wissen in und aus der Forschung unterliegt – was eigene Probleme mit sich bringt, die aber vielleicht Thema für einen anderen Post sein sollten.)

Fragen wir unter diesem Blickwinkel, was solche Methoden wie Design Thinking, «Partizipation» und so weiter für Bibliotheken mit sich bringen, fällt etwas auf: Wenn sie auch immer wieder mit anderem Gestus präsentiert werden, verbindet diese alle, dass sie – richtig durchgezogen, was auch nicht immer der Fall ist – immer wieder ein ähnliche hintergründige Struktur haben:

  1. Zuerst wird bestimmt, über was man bei den Projekten überhaupt reden und was man verändern möchte. Beim Design Thinking nennt es sich oft «das Problem definieren», anderswo heisst es «das Thema bestimmen» oder ähnlich. Aber grundsätzlich kommt es auf immer wieder das gleiche heraus: Es wird umrissen, um was es im Projekt genau geht und es wird allen Beteiligten – dass sich vor allem die Bibliothekar*innen – vermittelt, dass die jeweilige Veränderung grundsätzlich notwendig ist.3
  2. Anschliessend werden die Bibliothekar*innen mehr oder minder direkt gezwungen, «aus der Bibliothek hinauszugehen», also mit Nutzer*innen und anderen Personen direkt zu kommunizieren. Manchmal heisst das, wirklich explizit anderswohin zu gehen (zum Beispiel auf den Marktplatz, durch die Innenstadt, in den Kiez / das Quartier), manchmal heisst das mit Umfragen, Interviews und so weiter räumlich mehr in der Bibliothek zu bleiben, aber trotzdem mit Nicht-Bibliothekar*innen zu kommunizieren.
  3. Ergebnis dieses «Hinausgehens» ist dann oft, dass die Rückmeldungen gegenüber der Bibliothek grundsätzlich positiv sind. Es scheint, wenn man mit Bibliothekar*innen redet, die solche Projekte mitgemacht haben, dass sie gerade das überrascht. Irgendwie scheinen sie (oft) erwartet zu haben, dass die «Menschen da draussen» sie negativ sehen und das sie Probleme haben werden, wenn sie mit ihnen reden. Aber am Ende geht das immer wieder gut aus und der Grossteil der Menschen hat eine positive Sicht auf Bibliotheken. [Das könnte man auch so wissen – weil es immer wieder das Ergebnis von Umfragen et cetera ist. Aber… offenbar gibt es immer wieder diese Angst.]
  4. Am Ende der Projekte kommt es dann zu einer Art von Umsetzungen von neuen Angeboten, dem Um- oder Neubau von Bibliotheken und so weiter. Zumindest erscheint es am Ende immer so, dass das Projekt «nicht umsonst» war. (Auch hier könnte man empirisch schauen, ob die Lösungen überhaupt zu den «Problemen» aus Schritt eins passen – das scheint nicht immer der Fall zu sein. Aber wieder ist das vielleicht auch die falsche Frage aus der Forschung heraus, die einen solchen Zusammenhang vermuten würde. Aus der eigenen «Beratungspraxis» kenne ich das auch, dass während solcher Projekte die Themen auf einmal wechseln, aber trotzdem alle einigermassen zufrieden scheinen, wenn überhaupt am Ende irgendetwas herauskommt.)

Einerseits sieht man hier den einen… Trick, den man als Berater*in mit solchen Methoden vollführen kann. Die Methoden, gerade Design Thinking, führen immer dazu, dass es am Ende ein Ergebnis gibt und da Veränderung an sich das implizite Ziel solcher Projekte zu sein scheint, liefert man mit einem solchen Methodenset am Ende genau das: Eine Struktur, die eine Veränderung provoziert. You can’t go wrong.

Aber andererseits sticht für mich gerade der zweite Punkt heraus: Der Zwang – erzeugt durch die Struktur, welche die Methode vorgibt – «herauszugehen». Wie gesagt ist das ein Eindruck und keine empirisch untermauerte Erfahrung, aber mit scheint, dass ist es, was Bibliothekar*innen am Ende positiv erinnern: Das sie sich trauen mussten, mit Menschen ausserhalb ihres eigenen Kreises über ihr Bibliothek reden zu müssen und das dies letztlich eine positive Erfahrung war.

Das kann man auch so organisieren

Nur – dafür braucht es kein Design Thinking oder Partizipations-Projekt oder auch nur unbedingt ein Projekt, dass irgendwie in einer Veränderung enden soll. Was die Begeisterung für solche Projekte aktuell auszumachen scheint ist, dass es für Bibliothekar*innen offenbar nicht zur Normalität gehört, solche Gespräche ausserhalb der eigene Komfortzone zu führen. Die Methoden scheinen jeweils eine gewisse Dynamik, vielleicht auch einen Druck, zu produzieren, solche Gespräche doch zu führen. Im Idealfall strukturieren sie diese auch vor (mit Fragebögen, Ziele, warum man die Gespräche führt und so weiter) und geben damit eine gewisse Sicherheit beim Führen der Gespräche. (Nicht zuletzt scheinen sie dazu zu führen, dass solche Gespräche gemeinsam geführt werden. Kaum je werden Bibliothekar*innen alleine losgeschickt, um sie zu führen, sondern eher in Paaren oder kleinen Gruppen.)

All das lässt sich auch so gestalten und mir scheint, es wäre sinnvoll, es von den hippen Methoden und Veränderungsprojekten zu trennen. Es liesse sich in die normale bibliothekarische Arbeit integrieren. Regelmässig organisiert würde es auch dazu führen, dass es für die einzelne*n Bibliothekar*in zur Normalität wird, nicht zu etwas, dass man sich irgendwie trauen muss. Es wäre dann sogar möglich, Erfahrungen aus diesen Gesprächen zu sammeln, reflektieren und so Kompetenzen im Planen und Führen dieser Gespräche aufbauen. Man wäre auch nicht mehr von den grundsätzlich positiven Rückmeldungen erfreut oder erleichtert, sondern könnte konkreter auf die Zwischenstimmen hören.

Was wäre dafür zu tun?

  1. Man müsste regelmässige Anlässe für solche Gespräche schaffen und nicht Bibliothekar*innen einfach so «hinaus schicken». Aber alle ein, zwei Jahre finden sich immer Projekte, bei denen Angebote evaluiert, Wissen drüber, wie bestimmte Angebote in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden, gesammelt oder – ja, das auch – Angebote verändert, eingestellt oder neu eingefügt werden sollen und bei denen es sich anbietet, irgendeine Form von Gesprächen «ausserhalb der Bibliothek» zu führen: Interviews, Umfragen, Meinungssammlungen zu bestimmten Vorschlägen der Bibliothek. Das zu organisieren, wäre eine Leitungsaufgabe. (Auch, dass alle Kolleg*innen immer wieder diese Aufgabe übernehmen dürfen / müssen – wie gesagt, scheint es immer wieder bei solchen Projekten auch einen gewissen Mut zu benötigen, der erst durch die Logik des jeweiligen Projektes – «das muss jetzt getan werden» – aufgebracht wird, zumindest bei einigen Kolleg*innen; aber dann nach dem Projekt als positiv erlebt wird. Wenn das so ist, wird das auch im «normalen» Bibliotheksbetrieb so sein.)
  2. Die grundsätzliche Struktur, die oben geschildert wurde, kann ruhig beibehalten werden. (1) Eine konkrete Fragestellungen formulieren, die auch zu einer gewissen Änderung im Bibliotheksalltag führen kann, (2) dann Personen «ausserhalb der Bibliothek» direkt ansprechen, (3) nachher auswerten und, wenn sinnvoll, tatsächlich eine Veränderung durchführen (oder gemeinsam entscheiden, aufgrund der Ergebnisse, sie nicht durchzuführen, aber so, dass die Ergebnisse der Gespräche auch einen sichtbaren Einfluss haben). Wenn man das regelmässig – und für alle transparent – durchführt und nicht nur bei expliziten Veränderungsprojekten, die irgendwie als Besonderheiten herausragen, wird sich eine gewisse Normalität einstellen, auch wenn dann schon neue Methoden und nicht mehr Design Thinking als hip gelten werden. Grundsätzlich sollte es zu einer professionell arbeitenden Bibliothek gehören, solche Gespräche zu führen und deren Ergebnisse in die Entscheidungen über die Bibliotheksarbeit einzubeziehen. Das Erstaunliche ist eher, dass es das offenbar in vielen Bibliotheken nicht ist.

Fussnoten

1 Vgl. Gram, Maggie (2019). On Design Thinking. In: N+1 (2019) 35, https://nplusonemag.com/issue-35/reviews/on-design-thinking/.

2 Vgl. Dymarz, Ania; Harrington, Marni (2019). Consultants in Canadian Academic Libraries: Adding new voices to the story. In: In the Library with the Lead Pipe, 30.10.2019, http://www.inthelibrarywiththeleadpipe.org/2019/consultants/.

3 Was sich oft zeigt, ist ja, dass das Ergebnis dieses Schritts nicht sein kann, «es gibt kein Problem». Ein wenig ist das dann auch ein Trick bei solchen Projekten – irgendwas muss sich immer ändern, weil sie so strukturiert sind, dass sie als Misserfolg gelten, wenn man feststellt, dass alles schon optimal ist.