Noch einmal zur Podiumsdiskussion Öffentliche Bibliotheken in Forschung und Lehre, die am 04.12.2018 in Berlin stattfand. (https://www.ibi.hu-berlin.de/de/aktuelles/termine/paneldiskussion_oeff_bib) Auf dieser erhoben Dr. Ulrike Koop und Maria Schmidt als Vertreterinnen der Praxis (neben Danilo Vetter, der aber – vielleicht weil er sich zu sehr herausfordert fühlte – eher sagte, was er so macht) einige Forderungen an die Forschung, die dann leider untergingen – wie auf Podiumsdiskussionen immer Dinge untergehen. Ich würde aber gerne auf diese Vorschläge antworten, auch weil sie immer wieder einmal geäussert werden.
Ich bleibe grundsätzlich bei meiner These, dass Öffentliche Bibliotheken strukturell nicht darauf eingerichtet sind, Wissen aus der Forschung zu nutzen. Deshalb sind diese Forderungen, auch wenn sie zuerst vielleicht logisch klingen, unerfüllbar. Es gab (und gibt weiterhin) Versuche, sie zu erfüllen; offenbar wird in der Praxis aber nicht wahrgenommen, dass sie immer wieder scheitern. [Darüber nachzudenken, warum, wäre sinnvoll. Das ist der Sinn meiner These. Es mehr oder minder als Aufgabe an die Forschung abzutreten mit dem Hinweis, dass irgendwie „neu‟ und „anders‟ zu machen – wie Danilo Vetter es tat – ist da letzlich nicht hilfreich. Was da als „neu‟ angesehen wird, ist oft nicht neu, sondern es vielleicht oft einfach nicht mehr erinnerlich, aber oft schon mehrfach gescheitert.]
Das sie immer wieder einmal geäussert werden, zeigt aber auch, dass es da gewisse Wünsche und Hoffnungen gibt, die unerfüllt sind – nur, dass ich mehr und mehr der Meinung bin, dass sie bei der Forschung an der falschen Adresse sind.
1. Forschung soll Trends aufzeigen, insbesondere frühzeitig
Frau Schmidt äusserte den Wunsch, dass Forschung den Bibliotheken Trends aufzeigen sollte, auf die sie schnell reagieren können. Sie habe den Eindruck, dass Bibliotheken immer erst einige Jahre zu spät auf Trends reagieren würden.1
Hinter dieser Forderung steht wohl die Vorstellung, dass die Forschung in der Lage sei, Trends zu erkennen und zu benennen. Und gleichzeitig die Vorstellung, dass es in der Gesellschaft (oder Teilbereichen wie der Technik oder den Schulen) Trends gibt, die man erkennen und bedienen müsse. Wenn sie nur früh genug erkannt und benannt würde, würden Bibliotheken darauf reagieren können.
So ist das aber nicht.
- Bibliotheken reagieren überhaupt nicht darauf, wenn Trends aufgezeigt werden. Was Bibliotheken machen, ist selber Trends auszuwählen, die sie als relevant ansehen und diesen sie dann in grosser Zahl folgen. Es gibt dann oft einen Diskurs, in denen sich Bibliotheken gegenseitig versichern, dass der jeweilige Trend wichtig sei. Es gibt dann eine grosse Überzeugung innerhalb des Bibliothekswesens, die keine richtigen Überprüfung ausgesetzt werden kann. Das zeigt sich immer wieder in der Geschichte der Öffentlichen Bibliotheken. Diese aktuell breit geteilte Überzeugung, dass es einen gesellschaftlichen Bedarf nach etwas, was Bibliotheken „Dritter Ort‟ nennen, gäbe, ist nur eines davon. Die Überzeugung, dass es eine „Schmutz und Schund‟-Literatur gäbe, die vor allem mit guter Literatur (aus Bibliotheken) zu bekämpfen sei, war eine andere, zu einer anderen Zeit. Wieso sich Bibliotheken wann für einen Trend entscheiden, wann sie ihn wieder fallen lassen — das ist nicht so richtig zu bestimmen (scheint mir, vielleicht verstehe ich das eines Tages noch). Aber es hat nichts damit zu tun, ob diese Trends in der Gesellschaft wirklich existieren oder ob und wann diese Trends den Bibliotheken vorgestellt werden. Es sind Bibliotheken, die die als relevant auswählen. Viele andere Vorschläge / Vorstellungen von Trends werden nicht beachtet.
- Bibliotheken reagieren vor allem oft negativ oder zumindest abwiegelnd, wenn darauf hingewiesen werden, dass die Trends, die sie als relevant ansehen, es vielleicht doch nicht sind. Das ist machnmal eine ganz absonderliche Sache. Ich erinnere mich noch gut daran, wie wir auf einem Zürcher Bibliothekstag mal vorstellten, was wir zum „Dritten Ort‟, Stadtentwicklung und so weiter wissen. Das hatten wir aus unserer Forschung an der HTW Chur gezogen. Und das hiess zum Beispiel, dass wir zeigen konnten, dass Bibliothekscafés nicht so funktionieren, wie sich das erhofft wird (aber auch nicht negativ) und das „Dritter Ort‟ in Bibliotheken nicht das heisst, was er bei Ray Oldenburg (der den Begriff geprägt hat) heisst und auch das Bibliotheken mit ihrem Verständnis von „Dritten Ort‟ gar nicht das versuchen zu erreichen, was „Dritte Orte‟ bei Oldenburg erreichen sollten. Die Einzelheiten sind hier egal. Relevant war, dass nachher sowohl die Chefin eines grossen Bibliothekssystems als auch der Vorsitzende eines Bibliotheksverbandes als auch eine Bibliothekarin unbedingt zurückmelden mussten, das sie das nicht so sehen. Die Bibliothekarin fand das noch interessant, weil sie Dinge anders verstanden hatte. Aber die beiden anderen fanden es einfach falsch – nicht, weil sie irgendwelche Fakten hatten, sondern… weil sie es falsch fanden. Es war nicht das, was sie erwarteten. Dabei hatten wir genau das gemacht, was wir sollten: Forschung zu den Trends vorstellen, die Bibliotheken für wichtig ansahen. Wie soll man es sonst machen? Oder: Nach der Podiumsdiskussion in Berlin wurde mir auch vorgeworfen, dass ich für meine Aussage, dass diese Coden mit Robotern in Bibliotheken nicht wirklich funktionieren würde, keine Beweise anbringen hätte – auf einer Podiumsdiskussion, wo niemand die Zeit hat, irgendwelche Beweise anzubringen (und die in einer Bibliothek stattfand, die genügend Literatur zum Thema Coden enthält, wo man die gewünschten „Beweise‟ selber finden könnte – aber das ist noch ein anderes Thema).
- Gleichzeitig, wenn man gut fundierte Trends anspricht, auf die Bibliotheken reagieren könnten oder solten, zum Beispiel die zunehmende soziale Spaltung (in einer Stadt wie Berlin auch die Verdrängungen durch steigende Mieten bei stagnierenden Löhnen) oder aber – ein viel besser fundiertes Thema als z.B. Makerspace – Bibliotheraphie, erntet man bestenfalls ein zustimmendes Nicken, dem aber oft nichts weiter folgt.
In Summa: Die Vorstellung, Forschung solle Trends präsentieren, bricht sich einfach an der Realität, dass (a) Bibliotheken sich selber dafür entscheiden, was sie als relevanten Trend auswählen und was sie als Trend nicht akzeptieren und (b) das auf die Hinweise aus der Forschung teilweise sehr negativ reagiert wird. Es ist also – ganz abgesehen davon, dass so ein Trends-zeigen auch irgendwie finanziert werden müsste – eine aktuell unmöglich zu erfüllende Aufgabe.
2. Forschung soll mehr Fakten darüber liefern, was funktioniert und was nicht funktioniert
Frau Schmidt äusserte auch den Wunsch, dass Forschung mehr zeigt, welche Angebote, Veranstaltungen et cetera wie funktionieren. Sie schien unzufrieden damit, dass ständig neue „Best Practice‟-Vorschläge präsentiert würden und dann Bibliotheken versuchen, denen irgendwie zu folgen – und eben nicht auf gesichertem Wissen aufbauen können.
Grundsätzlich verstehe ich diese Frustration. Mir ist diese Begeisterung für Best Practice, neue Vorschläge und diese vielleicht manchmal fehlende Nachdenken darüber, was eigentlich sinnvoll ist oder zumindest wie es funktioniert, auch unverständlich. Aber: Wie gerade gesagt, reagieren Öffentliche Bibliotheken sehr oft gerade nicht positiv darauf, wenn man Veranstaltungen, Angebote und so weiter kritisch untersucht. Sie entscheiden sich für Projekte, kämpfen sie vielleicht über Jahre hinweg gegenüber der jeweiligen Verwaltung durch und wollen sie dann durchziehen. Oder auch: Sie einigen sich darauf, dass XYZ der richtige Trend ist und wollen dann nicht hören, dass dem vielleicht gar nicht so ist. Das ist dann auch irgendwann einmal (als Forscher) deprimierend.
Abgesehen davon – wie auf dem Podium geäussert – dass viele Abschlussarbeiten vorliegen, die eng an der Praxis orientiert gerade genau das machen, was hier gefordert: aktuelle Angebote prüfen – die dann aber von der Praxis auch nicht wahrgenommen werden.
Wie gesagt: Öffentliche Bibliotheken scheinen nicht daraufhin eingerichtet zu sein, auf solches Wissen zu reagieren. (Meine Vermutung ist schon, dass dies so, wie Projekte in Bibliotheken durchgeführt werden, einfach nicht vorgesehen ist.) Insoweit ist auch dieser Wunsch leider nicht einfach zu erfüllen. Beziehungsweise wird er schon oft erfüllt, ohne das dies viel ändert.
[Es ist halt auch so, dass Forschende sehr wohl Auskunft geben können zu Fragen von Bibliotheken – es muss halt oft finanziert werden. Und es darf nicht mit diesem Confirmation Bias gefragt werden, wie man dem ausgewählten Trend XYZ in der Bibliothek folgen kann (weil der halt oft von Bibliotheken ausgewählt wurde, aber nicht aufgrund dessen, weil er einfach umzusetzen wäre – dass müsste man dann auch hören wollen) oder Ding XYZ, dass Bibliotheken ABC hat (oder angeblich hat) auch haben kann – das kann Forschung oft nicht beantworten, weil dieses Ding oft vor allem ein schönes Bild ist, keine Realität; was Bibliotheken aber auch oft nicht hören wollen. Anderes Thema.]
3. Mehr Weiterbildung mit Informationen aus der Forschung, auch der ausländischen
Beide, Dr. Kopp und Frau Schmidt (wenn ich mich richtig erinnere) wünschten sich mehr Informationen über Ergebnisse aus der Forschung. Sowohl Weiterbildungen, in denen nicht einfach nur neue Angebote vorgestellt werden, sondern Ergebnisse aus der Forschung als auch mehr Informationen über Forschung aus anderen Sprachen.
Dazu: Einerseits organisiert nicht die Forschung die Weiterbildungen, sondern andere Anbieter (in der Schweiz zum Beispiel der Bibliotheksverband). Selbst wenn Hochschulen Weiterbildung anbieten, tun sie das eigentlich immer mit Blick darauf, was Bibliotheken wollen. So oft, wie die gefragt werden, was die wollen, sollte es eigentlich schon solche Weiterbildungen geben, wenn so ein Interesse angemeldet würde. Insoweit: Wenn Bibliotheken den Eindruck haben, dass die Weiterbildungen nicht in die richtige Richtung gehen, wäre zu fragen wieso. Wieso organisieren das die Anbieter nicht, wenn es ein Interesse gibt?
Andererseits ist vielleicht schon klar geworden, dass ich auch meine Zweifel habe, ob es dafür wirklich eine grosses Interesse gibt. Vor allem, wenn es über das Vorstellen von Projekten geht, also wenn vor allem Ergebnisse präsentiert werden. Ergebnisse von Forschung sind nun mal (es ist ja Forschung) fast nie nur positiv bestätigend, auch nicht nur negativ, sondern eher realistisch komplex – mir scheint nicht, dass viele Bibliotheken an dieser Komplexität kein Interesse haben, sondern eher an einfacher fassbaren Bildern. [Ich kann mich täuschen. Aber mal als Forschender: Irgendwann hat man auch keinen Bock mehr, sich als unrealistisch oder unwissend oder so beschimpfen zu lassen, nur weil man Forschungsergebnisse präsentiert und lieber Fakten nennt, als hübsche Bilder zu zeichnen. Würde man hübsche Bilder zeichnen wollen, wäre man in der Bibliotheksberatung; würde man Utopien zeichnen, durchsetzen und dafür auch mal angegangen werden wollen, wäre man in der Politik. Aber es gibt ja Gründe, warum man diese beiden Wege nicht eingeschlagen hat.]
Interessant finde ich aber auch, dass es selbstverständlich Versuche dieser Art gab und gibt. In der LIBREAS haben wir (bekanntlich ?) seit einigen Zeit eine eigene Rubrik „Das liest die LIBREAS‟, in der wir nichts anderes machen, als möglichst kurz Fach- und andere Literatur vorzustellen (selbstverständlich nach unseren subjektiven Interessen, aber nach welchen auch sonst – immerhin entsteht die Zeitschrift in unserer Freizeit). Es gab auch das Portal B2I, welches so eine Verbreitung von Wissen anstrebte – vielleicht nicht so, wie es gewünscht war; aber es hätte während der Zeit, in der es bestand (2006-2015) genügend Möglichkeiten gegeben, Veränderungswünsche anzumelden. Stattdessen ging es unter, ohne dass sich Bibliotheken gross dazu geäussert haben. Der Eindruck, der entsteht, ist – obwohl ich das persönliche Interesse der Personen auf dem Podium ernstnehmen möchte – doch schon eher der, als ob die bestehenden Angebote, das Wissen aus der Forschung zur Kenntnis zu nehmen, zumindest vom grossen Teil des Öffentlichen Bibliothekswesens gar nicht genutzt werden. [Kurz Polemik: Herr Vetter würde jetzt vielleicht, wie auf dem Podium sagen, dann müssen man halt neue und andere Wege begehen – aber welche den noch? Das müsste geklärt werden. Herr Hobohm hat aus dem Publikum auf eine Studie dazu verwiesen, wie Bibliotheken überhaupt Fachliteratur wahrnehmen – mit dem Ergebnis „praktisch gar nicht‟. Und andere Anwesende aus Hochschulen, die zu Bibliotheken forschen und ausbilden teilten diese Einschätzung. So etwas, Jahr um Jahr erfahren, hinterlässt dann schon einen Nachgeschmack. Während ich nicht daran zweifle, dass Prof. Koop und Frau Schmidt Interesse an Weiterbildungen über Forschungsergebnisse hätten, zweifle ich doch, ob das für das Öffentliche Bibliothekswesen im Allgemeinen zutrifft. Ich kann mich täuschen – es läge aber an Anbieter von Weiterbildungen, dass auszuprobieren.]
4. Forschung soll die Rolle und Aufgabe von Bibliotheken klären
Eine weitere Forderung von Frau Schmidt war, dass Forschung die Rolle der Bibliotheken in der heutigen Gesellschaft klären sollte, damit diese nicht einfach immer weiter ausprobieren, wie man sich verändern kann, sondern wüssten, worauf sie aufbauen können.
Das muss ich zweimal zurückweisen:
- Es sind die Bibliotheken, die diesen Kern bestimmen. Bei meinem ongoing Rechercheprojekt zu der Frage, wie sich der Diskurs über „moderne Bibliotheken‟ in den letzten 150 Jahren verändert hat, scheint mir das immer klarer zu werden: Die Bibliotheken sind es, die sich gegenseitig sagen, was sie gerade als Kern ansehen. Es ist nicht die Gesellschaft oder irgendeine Entwicklung, es ist auch niemand von aussen. Fast alles richtigen Veränderungen im Verständnis der Rolle von Bibliotheken kam aus den Bibliotheken selber. Auf einiges mussten sie reagieren, auf Kriege, sinkenden Etat, gesellschaftlichen Rahmenbedingungen – aber nicht halb so sehr, wie sie das vielleicht selber wahrnehmen. (Schon die Langlebigkeit der Thekenbibliothek über verschiedene Gesellschaftssystem und zwei Weltkriege hinweg sollte dafür ein Beispiel sein.) Bibliotheken fühlen sich vielleicht von aussen getrieben, aber eigentlich sie sind es, die sich treiben oder auch nicht treiben. Das zu zeigen: Dafür kann Forschung gut sein. Aber zu sagen, was „der Kern ist‟, dass kann nicht Forschung machen. Die Aufgabe wäre falsch adressiert.
- Die Hauptaufgabe von Öffentlichen Bibliotheken ist weiterhin das Sammeln, Ordnen, Zur-Verfügung-stellen von Literatur, zum Teil auch die Förderung von Literatur. Und der grösste Teil dieser Literatur in gedruckten Medien. Da wäre ein Kern (die Bibliotheksstatistik liefert dafür Daten, aber auch jeder Besuch in einer Öffentlichen Bibliothek), aber das wollen Öffentliche Bibliotheken offenbar nicht hören, vielmehr streiten sie es gerne ab und wehren sich dagegen. Aber was soll Forschung daran ändern? Die Selbstwahrnehmung der Bibliotheken und die Realität der Bibliotheken streben auseinander. Forschung kann das benennen und vielleicht auch fragen, warum das so ist – aber ändern kann sie es nicht. Das wäre vielleicht die Aufgabe von Bibliothekspolitik.
5. Forschung soll – zum Beispiel durch Langzeitstudien – Fakten liefern, die dann als Argumente für Bibliotheken verwendet werden können
Gerade Dr. Koop forderte mehrfach, dass in Langzeitstudien nachgewiesen werden sollte, was Bibliotheken an Leistungen erbringen, welche (positiven) Wirkungen sie haben. Von der Forschung werden sich Fakten gewünscht, die man dann in der politischen und gesellschaftlichen Sphäre nutzen will, um Bibliotheken eine besser Position zu ermöglichen.
Diese Forderung wird nicht selten erhoben, mir scheint da aber ein Missverständnis vorzuliegen: Offenbar wird sich vorgestellt, dass Politik und Gesellschaft rational funktioniert; dass halt die mit den am Besten untermauerten Fakten die sind, die die besten Argumente haben. Dem ist einfach nicht so. Politik funktioniert nicht rational, sondern indem Gesellschaftsentwürfe formuliert werden und dann versucht wird, diese umzusetzen. Man darf sich von dem vorgeblichen Primat ökonomischer Rationalität nicht irritieren lassen: Politik ist ein Machtspiel und eines um die Wahrheit, nicht um das abgesicherste Argument. Gesellschaft verändert sich durch Politik und Diskursverschiebungen.
Wir haben zum Beispiel schon eine ganze Anzahl von Studien, die sich auf das vorgeblich unsere Gesellschaft prägende ökonomische Dispositiv stützen und versuchen, auszurechnen, was „Bibliotheken wert sind‟ (auf dem Bibliotheksportal gibt es sogar den Bibliothekswertrechner); wir haben auch eine ganze Anzahl von Studien, die fragen, wie zum Beispiel Politikerinnen und Politiker Bibliotheken sehen (im Allgemeinen ganz positiv und als wichtig). Was bringt es? Nicht soviel, dass sich Bibliotheken nicht doch ständig als in einer Krise befindlich ansehen.
Forschung kann da nicht einfach noch mehr Daten liefern (man müsste schon sagen, welche es den noch sein wollen – und das müsste die Praxis tun, wenn noch nicht mal der Bibliothekswertrechner ihren Ansprüchen entspricht – und danach fragen, wie es finanziert werden muss [aber über den letzten Punkt herrschte wohl Konsens]).
[Was Forschung tun kann, ist eher diesen Krisendiskurs hinterfragen, aber das ist eine andere Frage.]
Struktur anschauen – Struktur verändern
Wenn ich hier so klinge, als würde ich einfach alle Ansprüche der Praxis abwehren wollen: So ist das nicht. Ich fände es sehr sinnvoll, wenn Praxis und Forschung näher zueinander kommen. (Das ist auch in meiner Arbeit so. Ich suche schon die Nähe zur Praxis, anders geht das heute gar nicht, schon weil man anders gar nicht mehr forschen könnte.) Aber wie ich es am Anfang meiner Statements auf der Podiumsdiskussion sagte: Wir müssen auch mal daraus lernen, dass wir dass alles schon oft angegangen sind. Das Beiheft 102-103 des Bibliotheksdienstes „Bibliothekswissenschaft und öffentliche Bibliothek‟ (1974) und andere Texte aus dieser Zeit enthielen schon fast alle die hier genannten Forderungen. Die Forschung hat versucht darauf zu reagieren. Wie kann es sein, dass wir immer noch am gleichen Punkt stehen?
Nicht, weil nicht genügend versucht wurde, etwas zu ändern, sondern weil es eine Struktur ist. Und nach all meinen Erfahrungen scheint mir klar zu sein, dass die Veränderung dieser Struktur heisst (a) dass diese überhaupt benannt werden muss, (b) dass dann geschaut werden kann, was sich ändern muss (und dabei die Bringschuld nicht einfach auf die Forschung abgeschoben werden kann), (c) dass sich dabei vielleicht zeigt, dass es gar nicht wirklich geht, dass zum Beispiel das Bibliotheken etwas von der Forschung erwarten, was eigentlich sie lösen müssten, weil sie auch das „Problem‟ erst selber produzieren. Und dazu ist es dann auch gut, wenn sich darüber unterhalten wird. (Und, wie ich auch auf dem Podium erwähnte, sinnvoll wäre es, dafür auf die Forschung zum gleichen Thema – wie kommt überhaupt wissenschaftliches Wissen in die Praxis – in der Erziehungswissenschaft, aufzubauen. Man muss ja nicht alles nochmal machen – aber vielleicht denke ich da zu sehr wie ein Wissenschaftler.)
Ich habe nur wirklich kein Interesse (mehr), die gesammelten Erfahrungen mit all den Versuchen der Forschung, auf die Praxis einzugehen, zu ignorieren. Das führt doch nur dazu, dass sie wiederholt werden. Immer und immer und immer und immer wieder. Und wer will das?
Fussnote
1 Mir scheint eigentlich, dass Bibliotheken, im Vergleich zu anderen Kultureinrichtungen, recht schnell darin sind, auf bestimmte Trends (die sie als wichtig anerkennen) zu reagieren. Es fiele mir schwer zu sagen, wer da schneller ist. Theater vielleicht, aber Oper, Museen, gar Archive… nein.