In diesem Post werde ich ein Thema ansprechen, dass mir wichtig, aber kaum greifbar erscheint. Kaum greifbar, weil es strukturell (wohl) so funktioniert, dass es kaum nachzuweisen ist. Es ist auf viele Vermutungen, Indizien, Geschichten, die unter der Hand erzählt werden (davon aber viele) angewiesen. Und vielleicht deute ich mal wieder vieles negativer, als es ist.
Das Schweigen nach den Calls (for Papers)
Wir in der LIBREAS-Redaktion gehen bei neuen Aufgaben immer gleich vor: (1) Wir einigen uns intern auf ein Thema, von dem wir hoffen, dass es interessant genug ist, um ausreichend viele Beiträge für eine Ausgabe einzuwerben. (2) Wir schreiben einen Call for Papers, der zu Einreichungen aufruft, inklusive offenen Fragen, an denen man anschliessen könnte und dem Angebot, mit der Redaktion über Ideen für Beiträge zu diskutieren. (3) Wir werben direkt Artikel ein, aber eigentlich warten wir auf Einreichungen von Kolleginnen und Kollegen, die wir nicht schon kennen. Aber nur ein ganz kleiner Teil der Beiträge, die bei uns erscheinen, sind direkt eingereicht. Das ist, wie wir feststellen konnten, bei fast allen deutschsprachigen Zeitschriften im Bibliotheksbereich ebenso, auch den lange etablierten. Von bibliothekarischen Konferenzen und Tagungen wird ähnliches berichtet. Sicher, der Bibliothekstag hat immer zu viele Einreichungen (zumindest für Vorträge und Workshops, aber für Poster und Clips scheint es auch anders auszusehen), aber andere Konferenzen sind oft darauf angewiesen, Sprecherinnen und Sprecher direkt einzuladen.
Es gibt nach den meisten Calls for Papers (oder ähnlichem) im Bibliotheksbereich vor allem eines: Ein grosses Schweigen. Egal zu welchem Thema, egal zu welchen Formen von Beiträgen, egal in welcher Form die Calls jeweils gestaltet sind.
Warum ist das so?
Neben all den Vorschlägen, wie man die Calls ändern könnte oder die Konferenzen ändern könnte oder die Form der Beiträge in Zeitschriften ändern könnte oder ähnlichem, hört man immer wieder eine Variation folgender Antwort: Wir dürfen nicht. Oder: Es ist schwierig, alles muss erst mit der Chefetage abgesprochen und von denen abgenickt werden.
Es scheint, als gäbe es in vielen (nicht allen!) Bibliotheken Strukturen, Vorschriften und Arbeitskulturen, die jede Äusserung nach aussen extrem eng kontrollieren und steuern wollen. (Und das macht es selbstverständlich schwer überprüfbar, weil: Wie soll das wer bestätigen oder zeigen, wenn auch diese Aussage erst durch die Ebenen kontrolliert werden müsste?)
Man sollte sich aber keine Illusionen machen: Das sind keine Einzelfälle, sondern das hört man oft von kleinen Bibliotheken und von riesig grossen, von gut etablierten und von gänzlich unbekannten, aus Öffentlichen Bibliotheken und aus Wissenschaftlichen.1
Ein Effekt dieser Strukturen scheint zu sein, dass viele Kolleginnen und Kollegen zu demotiviert sind, Beiträge zu verfassen (oder Vorträge, Workshops etc. bei Konferenzen einzureichen). Es mag andere Effekte geben, ich würde hier aber gerne über diese Demotivation nachdenken, denn sie hält meiner Meinung nach die offene Diskussion über die tatsächlichen Entwicklungen, Probleme und Lösungen im Bibliothekswesen auf.
Zum einen ist es eine Hürde für die, die etwas publizieren könnten; eine weitere Hürde zu all den anderen. Man kann dann nicht einfach eine Idee für einen Beitrag haben und die angehen, sondern muss von einer Idee erst überzeugt genug sein, um überhaupt dafür diese Hürde anzugehen. Je höher sie ist, umso eher wird sie nicht angegangen werden. Je öfter man an ihr scheitert (weil die Zustimmung ganz verweigert wird oder weil zu sehr in Beiträge eingegriffen wird, so dass vielleicht der Eindruck entsteht, dass man bestimmte Ideen, Diskussionen etc. eh “nicht durchbringt”) umso eher wird sie nicht (mehr) angegangen. Sicherlicher: Die ein oder andere Person ist überzeugt genug, um es doch zu tun. Aber es ist eine Einschränkung. Zum anderen ist es eine Hürde dafür, ehrlich über Ideen, Vorstellungen, Probleme zu diskutieren, wenn man den Eindruck hat, dass die Direktion oder die Marketingabteilung oder jemand anders die Beiträge, die publiziert werden dürfen, eh immer in eine bestimmte Richtung lenkt: Sei es, dass die Bibliothek nach aussen gut dasteht, sei es in Richtung der Lieblingsthemen der Direktion.2
Sicher: Das sind alles Annahmen, aber mir scheint, es sind keine an den Haaren herbeigezogenen Annahmen. Wichtig ist hier: Auch kleine Hürden sind Hürden, die nicht alle immer abhalten, aber viele immer wieder mal.3
Wenn dies aber nicht nur in einigen Bibliotheken der Fall ist (denen, von denen unter der Hand immer berichtet wird, dass sie eine schreckliche Arbeitskultur hätten), sondern ein weit verbreitetes Phänomen ist, dann hätte dies auch Auswirkungen darauf, wie sinnvoll eigentlich z.B. die bibliothekarische Literatur für eine gemeinsame Diskussion an bibliothekarischen Themen ist. Wenn da eh nur eine kleine Anzahl von Personen sich traut, zu publizieren (die, die über diese Hürden springen, weil sie überzeugt von Ihrem Beitrag sind; die, die in Einrichtungen arbeiten, wo sie nicht abgehalten werden oder wo Publikationen gar gefördert werden; die, die im Auftrag oder Sinn der Direktionen und Marketingabteilungen schreiben.), dann scheint das eine sehr enge Auswahl zu sein, die eben keine repräsentativen Bereich des Bibliothekswesens abdeckt.
Was könnten Gründe für diese Haltung sein?
Ich denke nicht, dass Bibliotheksdirektionen absichtlich Diskussionen verunmöglichen oder ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter demotivieren wollen. Aber das heisst nur, dass es andere Gründe für diese Strukturen geben muss. Welche könnten das sein?
- Die erste Vermutung ist wohl immer wieder die, dass die Direktionen oder Marketingabteilungen Angst vor einem “Gesichtsverlust” haben. Irgendetwas könnte ein unerwünschtes Bild von der Bibliothek vermitteln: Das sie nicht (nur) innovativ ist; das nicht alle in ihr einer Meinung sind; das auch mal was schief geht; was auch immer sonst für Ängste vorherrschen. Das ist selbstverständlich vollkommen aussichtslos: Irgendeine Meinung bilden sich die anderen Bibliotheken immer, deswegen wird ja so viel unter der Hand besprochen und gelästert auf den Tagungen, Weiterbildungen, anderen Treffen. Die Träger hingegen nehmen die bibliothekarische Literatur eh kaum wahr. Warum auch? Sie sehen es wohl eher als gegeben an, dass die Bibliotheken untereinander diskutieren und sich gemeinsam entwickeln. Wenn die Vermutung stimmt, dann würden Diskussionen im Bibliothekswesen nur auf einer Ebene verhindert (mit welchem Aufwand?), um unter der Hand doch aufzutauchen. Vor wem soll dann hier eine “Gesichtsverlust” verhindert werden? Vor wem will man – und wieso – eigentlich “gut dastehen”? Den anderen Bibliotheken? Was soll das bringen? Eventuell könnte man es noch einer Marketingabteilung nachsehen, dass Sie denkt, immer für ein gutes Aussenbild sorgen zu müssen. Irgendwie ist das ihre Aufgabe. Man müsste ihr aber trotzdem untersagen, in Fachdiskussionen einzugreifen, weil das doch eine Überinterpretation ihrer Aufgabe ist.
- Eine andere Vermutung könnte sein, dass es eine gewisse Angst vor den eigenen Angestellten gibt. Wäre so etwas möglich? Will man die Meiungen und Gedanken des eigene Personals gar nicht hören? Unter der Hand – wieder: vor allem unter der Hand – wird auch solches aus Bibliotheken berichtet. Nur wieso nicht? Traut man dem Personal nicht zu, Aussagen über bibliothekarische Themen zu machen? Hat man Angst, dass der eigenen Direktion widerspricht? Wäre das wirklich so schlimm? Vielleicht, wenn man als Direktion eine autoritären Stil pflegt, wo die oben nachdenken und dann sagen, was zu tun ist, während die unten schweigen und ausführen. Aber das ist ja kein sinnvolles Vorgehen, egal welche Einrichtung man leitet, schon gar nicht, wenn die so viel mit eigenem Denken und Handeln zu tun hat, wie Bibliotheken.
- Menschen, die (viel) schreiben, sind meist auch Menschen, die viel lesen. Irgendwie muss man ja zu der Überzeugung gelangen, dass es sinnvoll ist, sich an Diskussionen etc. zu beteiligen; wirkliche Beteiligung gibt es nur, wenn man die anderen Stimmen (ergo Texte) auch wahrnimmt. Insoweit könnten die Barrieren auch heissen, dass man (als Direktion) gar nicht davon ausgeht, dass das Personal an bibliothekarischen Diskussionen teilnehmen soll. (Sondern nur die Direktionen?) Das kann natürlich zusammenhängen: Wenn man eh davon ausgeht, dass nur die Direktionen nachdenken und Entscheidungen treffen sollen, das restliche Personal nur ausführen darf, dann wäre es auch folgerichtig, dass nur die Direktionen die bibliothekarische Literatur lesen und dann an Debatten partizipieren sollten. Aber wie will man eine Bibliothek sinnvoll steuern, wenn das Personal die bibliothekarische Literatur gar nicht wahrnehmen soll?
- Damit zusammenhängend könnten Direktionen die bibliothekarische Literatur und Diskussion auch geringschätzen und nicht wahrnehmen wollen. Teilweise ist dies der Eindruck, wenn man sieht, wie wenig von dem, was in bibliothekarischen Medien publiziert wird, jemals wieder zitiert oder irgendwie anders als Teil einer Diskussion wahrgenommen wird. Wenn in einigen Zeitschriften viele Beiträge sich wie Presseerklärungen lesen, dann scheint es manchmal, dass hier vor allem aneinander vorbei geredet wird. (Was nicht heisst, dass die Beiträge nicht irgendwie anders wahrgenommen und genutzt werden.) Eine solche Geringschätzung würde aber Potentiale eine lebendigen Diskussion verschenken, gleichzeitig aber auch erklären, warum man Barrieren aufbaut. Dann wäre es vielleicht gar nicht gewünscht, dass das Personal gar noch Arbeitszeit für die Beteiligung an diesen Diskussionen nutzt.
- Vielleicht aber ist den Direktionen auch gar nicht bekannt, dass eine Anzahl ihres Personals – sicher nicht alle, ich habe auch schon Kolleginnen und Kollegen getroffen, die explizit nicht in die Wissenschaft, sondern in die Bibliothek gegangen sind, um nicht publizieren zu müssen – tatsächlich gerne an Debatten teilnehmen oder zumindest etwas publizieren würde. Eventuell wollen Direktionen hier ihr Personal schützen, obwohl es selber für sich alleine gut klarkommen würde. Weitergedacht könnte da auch viel Diskussionspotential in Bibliotheken vorhanden sein, dass mit etwas Förderung genutzt werden könnte.
- Und ein Zusammenspiel dieser Faktoren wäre auch immer möglich: Vielleicht wollen gerade Personen in Leitungsfunktionen nicht publizieren oder sehen das als schwer an und können deshalb gar nicht richtig reagieren, wenn ihr Personal da anders funktioniert und publizieren will? Vielleicht sehen sie die bibliothekarische Literatur als unwichtig an, weil sie sie als reine Darstellung von positiven Presseberichten wahrnehmen und halten deshalb mehr oder minder ihr Personal ab, etwas zu publizieren (obwohl sie vielleicht etwas ganz anderes publizieren würden)?
Wie wirkt so etwas nach innen?
Wie gesagt: Ob die Situation wirklich so ist, wie sie erscheint, ist nicht ganz zu klären. Es scheint aber so. Warum sie eventuell so ist, kann noch mehr nur vermutet werden. Man kann aber sogar noch einen Schritt weitergehen und Vermutungen darüber anstellen, wie diese Situation sich in Bibliotheken selber manifestiert: Wie fühlt es sich an, in einer solchen Bibliothek tätig zu sein?
Mir scheint, so hat der Post ja begonnen, mit einer grossen Demotivation des Personals, gewiss nicht des gesamten, aber schon einer ganzen Anzahl von Personen. Sonst würde man solche Klagen nicht immer wieder hören. Es wäre auch verständlich: In Bibliotheken arbeitet eine ganze Anzahl von Personen, die sehr gut ausgebildet sind (egal, ob sie direkt über Ausbildung oder Studium ins Bibliothekswesen gekommen sind oder ob sie erst anderes studierten und dann über das Referendariat einstiegen) und die deshalb oft ein Interesse haben werden, ihre Fähigkeiten einzusetzen oder auch einmal etwas Neues, Interessantes zu machen. Wenn diesen Personen Barrieren in den Weg gestellt werden (und es ist ja zu vermuten, dass, wenn es Barrieren zur Publikation gibt, es auch andere Barrieren gibt, z.B. bei der Beteiligung an internen Projekten), selbst dann, wenn sie diese immer wieder einmal “überspringen” können, führt dies wohl zu Demotivationen. Es kann gut sein, dass das Personal Vertrauen in einige seiner Fähigkeiten (z.B. zu Argumentieren, wenn Argumente eh nicht geäussert werden können, oder die Übersicht zu einem Thema zu haben, wenn das ausreichende Lesen bibliothekarischer Literatur eh nicht gewünscht ist) verliert. Gesteigert werden kann dies, wenn die Barrieren beinhaltet, dass alles, was publiziert werden soll, auch noch von verschiedenen Stellen abgesegnet werden muss. Dann kann man sich gut vorstellen, wie der Eindruck entsteht – auch wenn er nicht gewollt ist –, dass man beim Publizieren überwacht wird, was freie Kommunikation ebenfalls einschränkt.
Aber es wird nicht nur auf das Personal selber wirken. Die Bibliotheksleitungen erzeugen mit einem solchen Verhalten gegenüber ihrem Personal vielleicht den Eindruck, Angst vor Diskussionen und Publikationen zu haben. Vielleicht auch Angst vor mehr, vor kompetentem Widerspruch aus der eigentlich Praxis? Vor Störungen in der eigenen Strategie? Vor inhaltlichen Auseinandersetzungen mit dem Personal selber? (Und noch weiter: Vielleicht auch vor Auseinandersetzungen mit anderen Bibliotheken? Vielleicht ist die Leitung dann noch nicht mal in der Lage, ihre Strategien mit dem Wissen anderer Bibliotheken abzustimmen, sondern nur in der Lage, ihren eigenen Vorstellungen zu folgen, ohne diese z.B. mit Erfahrungen aus anderen Einrichtungen abzugleichen?) So oder so: Eher schwach, nicht kompetent.
Wie wirkt so etwas nach aussen?
Die geschilderte Situation ist nicht nur für die Zeitschriften und Teams, die Konferenzen veranstalten, ärgerlich. Es leidet auch das gesamte Bibliothekswesen darunter. Wenn keine ordentliche Diskussion zustande kommt, weil Texte entschärft, nicht publiziert oder gar nicht erst geschrieben bzw. angedacht werden, dann verbleiben die Diskussionen bestenfalls an der Oberfläche. Es werden dann nur noch schöne, fertig Lösungen präsentiert, ohne so richtig fragen zu können, wie die Lösungen zustande kommen, ob es wirklich die besten Lösungen sind, ob die Probleme, die gelöst werden, überhaupt wirklich die relevanten Probleme sind. Und man kann vor allem gar nicht aus Fehlern lernen, nicht nur nicht der anderen, sondern auch der eigenen; wenn immer gleich daraufhin gezielt wird, Positives darzustellen. Damit entfernt sich dann die bibliothekarische Literatur auch von der – bekanntlich nicht so einfach in richtig oder falsch, präsentierbar oder Fehler – Realität. Sie wäre dann tatsächlich kaum noch ein Ort für die Funktion, die sie eigentlich haben sollte, nämlich ein Ort für Debatten.
Es gibt dann auch gar keinen Ort, an dem Theoriearbeit stattfindet. Man kann so überhaupt nicht durchdenken, was sich z.B. im Bibliothekswesen wieso ändert, sondern man muss darauf vertrauen, dass das schon irgendwie von irgendwem erkannt wird. Aber diskutieren kann man darüber nirgends.
Letztlich würde dann auch methodische Arbeit an Herausforderungen gar nicht mehr gemeinsam, also innerhalb des Bibliothekswesens, stattfinden können, sondern nur noch in den Bibliotheken selber. Sicherlich gibt es auch andere Wege solche methodische Arbeit zu organisieren, durch Kooperationen und Arbeitsgruppen und so weiter. Aber auch das verhindert wohl nicht die, im besten Fall, entstehende Doppel- und Dreifacharbeit.
Wie es auch sein könnte
Wie gesagt, vielleicht schätze ich das alles falsch ein und es gibt z.B. andere Gründe dafür, dass es schwer ist, Bibliothekarinnen und Bibliothekare zu finden, die publizieren oder auf Konferenzen auftreten wollen. Vielleicht ist es ein Zeichen der Zeit.
Und dennoch kann ich mir ein anderes Bibliothekswesen vorstellen: Es sollte eigentlich das Ziel von Bibliotheken sein, eine funktionierende bibliothekarische Diskussion zu etablieren, in der auch offen methodische und theoretischen Arbeit geleistet werden kann und in der auch Probleme, potentielle Fehlentwicklung etc. diskutiert werden können. Das heisst nicht, dass nicht auch Lösungen präsentiert und Erfolge gefeiert werden könnten, aber gerade nicht nur und nicht immer wieder in diesem Pressemitteilungsstil. Und auch nicht immer wieder so auf eine Bibliothek bezogen, sondern kontextualisiert in einer gemeinsamen bibliothekarischen Diskussion. Schon, weil es für alle Beteiligten zu einer besseren bibliothekarischen Praxis (okay, zu einer besser informierten bibliothekarischen Praxis zumindest) führen sollte.
Dafür müssten Fachkräfte als das wahrgenommen werden, was sie sind: Fachkräfte mit spezifischen Kompetenzen und Interessen; in der Lage, sich selber Gedanken zu machen und sich zu äussern; oft auch mit einer akademischen Ausbildung. Es sollte das Ziel sein, auf dieser Fachkompetenzen zurückzugreifen. Sonst wäre die ganze Ausbildung eigentlich unnötig und auch das Einstellen von Fachpersonal. In der Bibliothek sollte es das Ziel der Direktionen sein, dass das Personal seine Arbeit gut machen kann – und das kann es oft, wenn es den Eindruck hat, nicht ständig kontrolliert zu werden und wenn es die Möglichkeit hat, sich auszutauschen. Direktionen sollten darauf abzielen, dies zu ermöglichen.
Das heisst nicht, dass ein Review von Publikationen immer falsch wäre. Wenn eine Bibliothek Personal und Zeit dafür hat und wenn das Review darauf abzielt, eine Publikationen oder einen Vortrag etc. besser zu machen (z.B. inhaltlich zu glätten) und nicht darauf abzielt, den Ruf der Bibliothek zu sichern, dann kann es sinnvoll sein. Aber nur dann. Personal sollte dazu motiviert werden, sich zu äussern. Wer publiziert liest nicht nur oft mehr, sondern nimmt sich auch beim Schreiben die Zeit für Reflexion und Darstellung von Problemen, Angeboten, Lösungsansätzen etc. Schreiben oder Vortragen führt zum Nachdenken über die bibliothekarische Praxis – was wiederum der Praxis selber hilft. Die Motivation muss nicht regellos erfolgen. Es ist schon okay darauf zu bestehen, dass bestimmte Regeln eingehalten werden (aber sinnvolle Regeln, so sollte keine Kritik verboten, aber vielleicht potentialorientierte Kritik eingefordert werden). Wenn die Gründe für bestimmte Regeln genannt werden, ist schon zu erwarten, dass sie eingehalten werden – wie gesagt arbeitet in Bibliotheken Fachpersonal, meist hoch engagiert. Da kann man erwarten, das guten Gründe überzeugen.
Marketing und bibliothekarische Fachpublikationen sollten strikt getrennt werden. Es bringt nichts, wenn eine Bibliothek sich gesondert gut in der bibliothekarischen Literatur darstellt. Was sollte dadurch auch gewonnen werden? (Gutes Personal? Das gewinnt mal wohl eher, wenn man den begründeten Eindruck vermittelt, dass das Personal auch ernstgenommen wird.4)
Sicherlich: Das ist ein Vorschlag, wie es sein könnte; nicht mehr. Aber mir scheint, über das Problem (Phänomen) sollten wir schon mal reden, und das nicht nur in Redaktionen und Organisations-Teams, sondern auch im gesamten Bibliothekswesen.
Fussnoten
1 Es gibt unter der Hand auch immer wieder Bemerkungen über Bibliotheken, die “immer auf dem Bibliothekstag sind” oder “immer schreiben”, unterfüttert mit der Vermutung, dass diese sich unnötig stark in den Vordergrund drängen würden. Aber vielleicht sind es auch einfach Bibliotheken, in denen nicht solch eine Arbeitskultur herrscht? Das bekannteste Beispiel ist wohl die Stadtbibliothek Köln, die (also deren Chefin und andere Kolleginnen und Kollegen) ständig irgendwo auftauchen. Was die vortragen oder publizieren ist schon manchmal kritikwürdig, aber niemals hat man den Eindruck, hier würde wer kontrolliert und müsste Beiträge erst lange absprechen. Eher im Gegenteil. Mir scheint aber, dass das vor allem auffällt, weil es in anderen Einrichtungen nicht so verbreitet ist.
2 Hier sei nur auf die Darstellungen verwiesen, die offiziell von der ZLB in Berlin publiziert werden und die, welche der Personalrat der ZLB publiziert. Durch den Personalrat und seine gesicherte Stellung gibt es in dieser Bibliothek immerhin eine Möglichkeit, anders zu publizieren als über die Direktion. In anderen Bibliotheken ist das nicht möglich.
3 Bei der Diskussion im staatliche Zensur hat sich der Begriff “Chilling Effects” eingebürgert, um diese Wirkungen zu beschreiben. Er würde inhaltlich hier schon passen, aber selbstverständlich geht es nicht um Zensur in diesem Ausmass.
4 Zumindest persönlich: Ich habe schon Bewerbungen auf ausgeschriebene Stellen nicht geschrieben, wenn mein Eindruck war, dass das Personal in diesen Einrichtungen nicht ernstgenommen wird. Dafür habe ich mich auch schon in Bibliotheken beworben, an denen ich anderes auszusetzen hatte – vor allem, wofür sie nichts können, dass sie nicht “in und bei Berlin” liegen –, aber wo mein Eindruck war, dass dort Fachpersonal auch als solches akzeptiert ist. Ich kann mir nicht vorstellen, der Einzige zu sein, der oder die das so handhabt.
Ich denke, dass die „hausinterne Überprüfung“ durchaus eine Hemmschwelle sein kann.
Aber meinem Eindruck nach gibt es bei vielen Kolleg:innen eine andere, noch davorliegende Hürde namens „Für sowas habe ich keine Zeit“.
Während es in einigen Fällen wirklich so sein mag, dass das Alltagsgeschäft kaum „Ausflüge“ für Publikationen oder Tagungen zulässt, ist es m.E. oft eher ein Problem des intrinsischen Motivation und des Priorisierens – wenn mir etwas nicht wichtig ist, schaufle ich dafür auch keine Zeit frei – und/oder der „externen Motivation“: Kolleg:innen, die durchaus Spannendes zu berichten hätten, werden dazu (z.B. von ihrer Direktion) nicht aufgefordert, und/oder es gibt im Haus keine „Anerkennungskultur“; warum sollte man sich dann zusätzliche Arbeit machen, wenn man davon „nichts hat“?
Danke für den Artikel. Mir kommt es auch so vor, dass viele der wirklich wichtigen Dinge, deren Diskussion die Profession enorm weiterbringen würde (nicht nur die Hindernisse beim Verfassen und Veröffentlichen von Fachartikeln), öffentlich nicht angesprochen und nur unter der Hand ausgetauscht werden.
Ich möchte noch einen weiteren Grund dafür ergänzen, der sich auf Veröffentlichungen bezieht, in denen Produkte und Projekte anderer einer deutlichen Kritik unterzogen werden: Es gibt Akteure in der Bibliothekswelt, die nicht davor zurückschrecken, Druck auf Institutionen auszuüben, aus deren Inneren öffentlich Kritik an den Handlungen eben jener Akteure geübt wurde. Dies kann ein Unternehmen sein, von dessen Daten- und/oder Softwareprodukten die Bibliothek abhängig ist (es gibt nicht viele Kunden, die in den USA klar & öffentlich OCLC kritisieren oder in Deutschland die ekz) oder bibliothekarische Institutionen, deren Leitung etwa Einfluss auf DFG-Förderentscheidungen ausüben kann etc.
Mit anderen Worten: Es geht Bibliotheksleitungen beim Kontrollieren der Veröffentlichungen nicht unbedingt um das Außenbild, sondern in einigen Fällen schlicht ums Geld, weil sie als Antwort auf kritische Beiträge konkrete Nachteile befürchten, sei es beim Erwerb von Fremddaten oder von Lizenzen für Software und Schnittstellen oder beim Einwerben von Drittmitteln.
(Da sind Diskussionsformen und -foren hilfreich, bei denen eine anonyme Beteiligung möglich ist. :-)
Vielen Dank für diesen wertvollen Beitrag. Bibliothekartage sind genau deshalb zunehmend von Langweile gekennzeichnet und gerade wegen den in dem Beitrag genannten Gründen. Wenn der Leiter xy aus einer Stadt in NRW kommt, weiß ich schon, was er sagen wird, da ich die letzte BuB-Ausgabe kenne und weiß, dass seine Papers meist angenommen werden, auch wenn seine Inhalte und die Neuheit und Interessantheit an Vorträgen die letzten Jahre sukzessive abnahm. Seinen Inhalt konnte ich 1:1 schon vorab in der Fachzeitschrift lesen und ähnlich war es mit der Bibliothekarin aus der Stadt N in Süddeutschland.
Beide sind aber Mitglied im Landesvorstand des Verbandes z und es wird wieder eine Selbstbeweihräucherung jeder Einrichtung geben. Besucht man diese, stellt man fest, dass alles Propaganda war. Marketing, das so durchschaubar ist, wie eine durchsichtige Glaskugel, ist dann eben nur noch eine Werbeveranstaltung und hat mit Fortbildung, Lern- und Bildungseffekten nur noch wenig zu tun. Jahr für Jahr entsteht das Gefühl, dass die Referenten ohnehin immer fast dieselben sind. Wer regelmäßig Fachzeitschriften und Blogbeiträge liest oder drei Jahre hintereinander einen Bibliothekartag besucht, gewinnt schnell den Eindruck, dass Bibliothekar A aus der Stadt B und Bibliothekarin F Stammgäste sind und eigentlich deren Beiträge nicht immer so originell sind, wie bei anderen, deren Papers durch die große Kommission abgelehnt wurden. Status, Bekanntheit und Position des jeweiligen
„Einreichers“ eines Papers wirkt oft höher und kompetenter als das eines anderen „Einreichers“ einer Person, die vielleicht gerade Berufsanfänger ist, aus einer kleinen Einrichtung kommt oder deren Originalität keine Rolle spielt, da es
sich um eine einfach Angestellte handelt. Dabei entsteht der Eindruck, dass nun
das „kleine Bibliothekswesen“, welches nur einfache Angestellte ist, sich nicht (zu-)traut oder nicht mehr den Mut ein Paper einzureichen, denn große Einrichtungen aus finanzstarken Bibliotheken überwiegen das Feld der Referenten. Von wegen Vielfalt, es scheint von Seiten verschiedener Einrichtungen keine Wertschätzung zu geben und von Seiten der Organisatoren nur wenig Mut zu geben ja nicht den Eindruck zu erwecken Prof. xy oder Leiter
abc darf dieses Jahr nicht sprechen, obwohl ja Herausgeber oder Mitglied im Verband defg ist. Genau aus den im obigen Text genannten Gründen scheint
sich der Untertanengeist im Öffentlichen Dienst durchgesetzt zu haben und gab es schon mal eine Abmahnung für einen Vortrag? Bildungsurlaub gibt es dann eben nicht, wenn der Chef oder die Chefin dagegen sind, dass Mitarbeiter XY einen Votrag gerne halten will. Die Anreiz- und Aufstiegssysteme im Öff. Dienst
sind in vielen Kommunen einfach nur begrenzt, starr und fördern eher Stillstand
und Dienst nach Vorschrift
Es wird sicher stimmen, dass es Bibliotheksleitungen gibt, die Texte kontrollieren wollen. Das finde ich aber aus den schon im Beitrag beschriebenen Gründen ebenfalls falsch und abschreckend.
Trotzdem ist es meiner Meinung nach eher die berühmte Spitze des Eisberges. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, in der Vergangenheit schon für ungläubiges Staunen gesorgt zu haben, wenn ich mich interessiere, was im Bibliothekswesen so läuft und auch damit eher anzuecken als Kolleginnen, die einfach nur friedlich ihre täglichen Aufgaben erfüllen. Ich denke, manche Bibliotheksleitungen haben nichts gegen desinteressierte Mitarbeitende, weil es bequem ist, ihre Macht nicht in Frage stellt, keine Auseinandersetzungen oder Begründungen erfordert, man nicht streiten muss, ob man Freistellung/Geld für Konferenzteilnahme o.ä. investieren will. Der Haken: wo kein Interesse, da gedeiht auch kein Engagement und keine Kompetenz bei neuen Themen und Entwicklungen.
Wenn es um das Schreiben von Fachbeiträgen geht, sehe ich noch ein paar Hürden. Für Forschende des Bibliothekswesens ist es klar, dass es zu ihrem Job gehört, sich an öffentlichen Diskursen ihres Wissenschaftsbereiches zu beteiligen und wissenschaftliche Beiträge zu verfassen. Es ist dagegen nicht so sicher, ob das bei Bibliothekarinnen und Bibliothekaren auch zu den Arbeitsaufgaben zählt. Vermutlich ist es in vielen Einrichtungen gar nicht explizit verboten, aber unklar, ob man es während der Arbeitszeit tun sollte oder dürfte. Und wird eine Beteiligung an der öffentlichen Fachdiskussion von der Leitung gefordert, gefördert, anerkannt oder zumindest geduldet?!
Bei wissenschaftlichen Beiträgen kommt noch der Anspruch dazu, die bereits veröffentlichte Literatur des Themas genau zu kennen und zu zitieren. Ein nicht zu verachtender Zeitaufwand. Und hier wieder die Frage: während der Arbeitszeit oder in der Freizeit?!
Dann wäre da noch die Themenfindung. Leute in Bibliotheken kümmern sich vor allem um das umfangreiche Tagesgeschäft. Eventuell wird mal nach Entwicklungen geschaut und überlegt, ob man neue Services in der eigenen Einrichtung ebenfalls anbietet. Inhalte, die tatsächlich eine Weiterentwicklung für sich beanspruchen könnten und als publizierenswert erscheinen, sind vermutlich nicht so häufig.
Das es weit mehr Barrieren zur Teilnahme an der bibliothekarischen Diskussion gibt, als die im Beitrag besprochenen, ist selbstverständlich richtig. Es ging mir hier um dieses eine Thema; vielleicht hätte ich das mehr herausstellen sollen.
Erstaunt bin ich aber immer wieder, wenn bibliothekarisches Personal, dass an Hochschulen ausgebildet wurde, sich nicht traut zu publizieren. Ich verstehe schon, dass die Welt der Publikationen unklar oder uneinladend erscheinen kann, wenn Kolleginnen und Kollegen das als Berufsausbildung gelernt haben und sie vielleicht auch nicht gefördert werden, es doch zu versuchen. Aber am Ende einer akademischen Ausbildung? (Vielleicht ein Thema für einen anderen Beitrag.)
Für mich ganz persönlich ist es auch die Frage der Zeit. Beim besten Willen fehlt mir die Kraft und die Motivation mich *zusätzlich* zur Vollzeitstelle noch über alles zu informieren und mich zu beteiligen, auch wenn mir das grundsätzlich liegt.
Zwar habe ich nie explizit bei der Leitung nachgefragt, ob eine Beteiligung „gefordert, gefördert, anerkannt oder zumindest geduldet“ ist. Allerdings haben wir auch so schon mehr Aufgaben, als das vorhandene Personal in angemessener Zeit erledigen kann. Diverse Projekte werden immer wieder verschoben. Man kann sich die Reaktion auf eine solche Nachfrage also selbst zusammenreimen. Denn sich mit einem Thema zu beschäftigen kostet Zeit. Richtig viel Zeit, wenn man es ernst nimmt. Und ich selbst möchte auch keine halben Sachen machen ; also lasse ich es lieber ganz.
Vielen Dank für den Blogeintrag. Aus meiner Sicht haben Sie da ein ganz wesentliches Problem festgestellt.
Im Übrigen möchte ich noch anmerken: Es ist ein Problem, dass sich nicht dadurch lösen lässt, dass man (wie das manche Kollegen z.B. über inetbib gerne schon einmal tun) sämtliche Bibliotheksmitarbeiter ob ihrer angeblichen Faulheit und/oder Meinungslosigkeit beleidigt. In diesen Fällen wäre weniger Beteiligung ausnahmsweise einmal wünschenswert gewesen.