„It is generally agreed“, so schreiben drei Kolleginnen von der Queen’s University Library in Kingston, Ontario in einem Artikel in der aktuellen Evidence Based Library and Information Practice, „that the term ‚best practice‘ grew out of the manufacturing industry’s interest in and implementation of benchmarking.“ [Druery, Jackie ; McCormack, Nancy ; Murphy, Sharon / Are Best Practices Really Best? A Review of the Best Practice Literature in Library and Information Studies. In: Evidence Based Library and Information Science 8 (2013) 4, http://ejournals.library.ualberta.ca/index.php/EBLIP/article/view/20021/15939, p. 111] Das ist selbstverständlich eine Übertreibung. „Best Practice“ wird als Begriff im Bibliothekswesen oft verwendet, aber das dieser eine Geschichte hat, ist wenig bekannt. Die Autorinnen des besagten Artikels gehen von dieser Ungleichzeitigkeit aus. Es gab eine Zeit, in welcher der Begriff definitorisch einigermassen besetzt war und eine Aufgabe umschrieb: Studien, die mit einem quasi-empirischen Ansatz versuchten, zu identifizieren, welche Praktiken für bestimmte Fragen die bestmöglichen waren. Dies war eingebettet in ein Denken, welches davon ausging, dass mittels eines möglichst objektiven Vergleichs von Kennzahlen und Produktivität innerhalb eines bestimmten Marktsegments bestimmt werden könnte, welche Praktiken dazu führen, dass einige Unternehmen erfolgreich sind und andere nicht – und gleichzeitig aus diesen Vergleichen etwas für die Steuerung von Unternehmen gelernt werden könnte. Best Practice Analysen waren eine Methode, um aus diesen Vergleichen zu lernen. (Wie sinnvoll diese Methode war und wie sinnvoll das dahinterstehende Denken ist eine andere Frage.) Heute leben wir in einer Zeit, in der Best Practice als Begriff im Bibliothekswesen ständig genutzt wird, es aber kaum klar zu sein scheint, welche Methode damit gemeint ist oder welches Denken hinter der heutigen Verwendung von Best Practice steht. Die drei Kolleginnen des erwähnten Artikels wollten mit einer Literaturarbeit die Definitionen und Überlegungen im bibliothekarischen Feld klären.
„Clearly, without an understanding in the profession of what is meant when we use the term [best practice], there is some question about how meaningful the body of ‚best practices‘ literature is and what insights may be gleaned from it.“ [Druery, McCormack & Murphy, 2013, 111]
Sie arbeiteten dabei mit einem Konvolut von 113 englischsprachigen Texten, die sie aus einer Recherche in LISTA gewonnen und nach den Prinzipien der qualitativen Inhaltsanalyse auswerteten. Aber wirklich anders scheint mir die Situation in den deutschsprachigen Bibliothekswesen nicht zu sein. Der Begriff wird auch in ihnen beständig verwendet. Der Call for Paper für den kommenden Deutschen Bibliothekstag verwendet ihn, die bibliothekarische Weiterbildung verwendet ihn, VDB und dbv haben erst kürzlich einen Best Practice Wettbewerb durchgeführt. Und das sind nur ein paar herausgegriffene Beispiele.
Was also sind die Ergebnisse der Studie?
-
Die meisten Artikel thematisieren die Praxis in genau einer Bibliothek. Es wird kein Vergleich angeboten, der zeigen würde, warum gerade diese Praxis eine Best Practice wäre. Das heisst nicht unbedingt, dass ein solcher Vergleich nicht vorgenommen wurde, aber er wird nicht dargestellt, was schon ein erstaunliches Vorgehen darstellen würde.
-
Diejenigen, wenigen Artikel, welche ein methodisches Vorgehen nutzen, um eine Praxis als Best Practice zu identifizieren, nutzen vor allem Literaturreviews und Umfragen unter anderen Information Professionals. Allerdings zeigen diese Artikel trotzdem selten, warum die ausgewählten Beispiele die besten für bestimmte Situationen darstellen. Die Literaturreviews scheinen oft unsystematisch durchgeführt worden zu sein, wie die Umfragen ausgewertet wurden, ist oft nicht klar.
-
Die Autorinnen sind – quai dem Vorurteil der netten Kanadierinnen entsprechend – sehr nett bei ihrer Bewertung: “Literature reviews were rarely systematic; where other published papers declared that a particular method was a ‚best practice;‘ this was accepted as being accurate.” [Druery, McCormack & Murphy, 2013, 114] und “[…], the practices were determined to be best because they were common.” [Druery, McCormack & Murphy, 2013, 117] “Of the papers that did attempt to define ‚best practices,‘ what emerged was far from a common or shared definition. Definitions included practices resulting in better results, standards drafted by associations or organizations, criteria derived through benchmarking and comparison with ’successful‘ organizations, standards appropriate given the circumstances, and practices which have been shown to lead to best outcomes.” [Druery, McCormack & Murphy, 2013, 118] Etwas unhöflicher formuliert: Oft ist nicht klar, warum etwas gut sein soll oder mehr, als “nur” ein Beispiel; wenn einmal formuliert wird, was gut ist, ist diese Definition sehr unterschiedlich. Oder: Best Practice ist mal dies und mal das. Zudem: ”[…], many claims of best practice were based on opinion and anecdotal evidence.” [Druery, McCormack & Murphy, 2013, 120] Die Autorinnen und Autoren einzelner Texte bestimmen, was eine Best Practice ist, nicht ein nachvollziehbarer Vergleich zwischen unterschiedlichen Praktiken zur gleichen Aufgabenstellung.
Dieses Ergebnis wird vielleicht nicht überraschen. Zu oft scheint Best Practice heute einfach als Synonym für “Beispiel” oder “Beispielsammlung” verwendet zu werden. Dies scheint weiteres Exempel für einen äusserst lockeren Umgang mit eigentlich definierten Begrifflichkeiten im Bibliothekswesen. Aber solch ein lockerer Umgang – welcher im Alltag seine Berechtigung hat – hat hier Konsequenzen: Best Practice ist nicht mehr die Suche nach einer guten Praxis, sondern ein Begriff, der auf alles mögliche passt: Auf gute Praxis, auf Beispiele, die man aus unterschiedlichen Gründen berichten möchte, vielleicht auch auf Beispiele, die gewählt wurden, weil nichts anderes zu finden war und Einigem mehr. Druery, McCormack & Murphy (2013) berichten vor allem davon, dass unter dem Schlagwort Beispiele aus der Bibliothek der Autorinnen und Autoren der Texte selber vorgestellt werden – was ohne Frage jeweils einen wichtigen Beitrag für die bibliothekarische Diskussion darstellen kann. Aber es ist halt doch wirklich unwahrscheinlich, dass gerade diese Beispiele immer die Best Practice darstellen würden.
Dadurch, dass Best Practice locker auf unterschiedlichste Texte gepackt wird, gibt es keinen Begriff mehr, um das ursprüngliche Ziel zu verfolgen: Mithilfe von Benchmarks und strukturierten Vergleichen die jeweils bestmöglichen Praktiken herauszufinden und so zu beschreiben, dass sie anderswo übernommen und verbessert werden können. (Sicherlich kann man – wie oben angedeutet – fragen, ob das wirklich ein sinnvolles Ziel ist. Ich wäre wohl einer der Ersten, die Zweifel an Benchmarks als Steuerungsinstrument äussern würden. Aber in der jetzigen Situation ist es noch nicht mal möglich, diese Kritik an Benchmarks im Zusammenhang mit Best Practice zu äussern, weil man erstmal darstellen muss, dass es einen solchen Zusammenhang gibt beziehungsweise geben sollte.) Zumeist scheint bei den “Best Practices” gerade vergessen zu werden, dass es darum geht, sie so zu fassen, dass sie in anderen Bibliotheken (oder anderen Einrichtungen) übernommen werden können.
Die Autorinnen des angeführten Artikels fordern ein Moratorium für den Begriff, ausser für die Fälle, bei denen es sich wirklich um eine “beste Praxis” handelt. Dieses Moratorium soll nicht heissen, dass Bibliotheken aufhören sollten, nach guten Praktiken zu suchen. Das ist sicherlich richtig, da gerade dieses Suchen nach guten Praktiken ein wenig sehr in den Hintergrund getreten zu sein scheint. Wer Beispiele aus der eigenen (oder einer anderen) Bibliothekspraxis vorstellen will, weil sie wichtig oder interessant erscheinen, kann es auch einfach “Beispiel” nennen. Damit würde nichts verloren, aber vielleicht einige Klarheit gewonnen.