Let’s talk about Änderung des Urheberrechtmodells. Maybe.

Aaron Swartz ist tot. Der Suizid des Internetaktivisten war in den letzten Tagen ein wichtiges Thema der betreffenden Presse. [1] [2] [3] [4] [5] [6] Sicherlich tragen zu einer Entscheidung, dass eigene Leben zu beenden, immer sehr viele unterschiedliche Situationen, Erfahrungen, Strukturen bei. Das ist niemals monokausal zu erklären. Dennoch scheinen sich Viele sicher zu sein – und das mit einigem Recht –, dass die aktuelle Urheberrechtssituation, die Umsetzung dieser Gesetze aber auch der Diskurs um sie, ein relevanter Grund für den Suizid von Swartz war. Seine Familie und Partnerin schreiben vom kriminellen Justizsystem und ihnen wird dabei breit zugestimmt. [7] [8] [9]

Hier soll gar nicht auf das Leben von Swartz und die betreffende Auseinandersetzung (eher Auseinandersetzungen) näher eingegangen werden. Das lässt sich anderswo nachlesen. Was ich hier kurz und unstrukturiert thematisieren will, weil es mir im Kopf herumgeht, ist etwas anderes: Wir haben einen Toten. Die ganze Problematik um Urheberrechte, Zugangsrechte, die gesellschaftliche Nutzung von Informationen, closed access, die Contentindustrie, die Strukturen wissenschaftlicher Kommunikation, die Wege, wie wir als Bibliothekssysteme und wie die Menschen im Allgemeinen mit diesem Konstrukt Urheberrecht und dem Lobbyismus von Contentindustrie, Verlagen, Verwertungsgesellschaften und so weiter umgehen – all das, was in den letzten Jahren beständig thematisiert wurde, was Witze hervorgebracht hat, neue Verhaltensformen, neue bibliothekarische Strukturen und eine gesellschaftliche verbreitete Informationskompetenz, die sich über die Barrieren hinwegsetzt, all das scheint nicht mehr lustig.

Wie war das bisher? Lustig?

Sicher: Auch bislang war das kein reiner Spass. Menschen werden mit Knast bedroht oder hoch verschuldet, weil sie Kulturgüter getauscht haben (sollen). Wissen wurde nicht geteilt. Bibliotheken sind übervorsichtig, was sie anbieten und nicht anbieten. Die Bibliotheksetats sind von Zeitschriften und Datenbanken aufgebraucht, bevor auch nur ein Buch gekauft werden kann. Menschen haben tierischen Stress. Aber trotz allem fühlten wir uns doch immer auf der richtigen Seite in einem grossen Kampf, den die Gegenseite an sich schon verlohren hatte. All die Argumente der Contentindustrie, die Behauptung, Künstlerinnen und Künstler, die Qualität wissenschaftlicher Publikationen und was weiss ich zu sichern, haben doch immer auch ein mitleidiges Lächeln auf unsere Lippen gezaubert.

War es nicht das? Internetausdrucker vs. (irgendwie) Nerds. Hollywood und Gema vs. gesunder Menschenverstand. Verknöcherte Justiz und Politik, die die Welt nicht verstehen vs. Anonymous und Kim Dotcom und Richard Stallman und Linus Torvalds und Horden von hippen jungen Leuten, die sich doch downloaden, was sie wollen.

War es nicht das? Es war stressig. Wir haben uns aufgeregt, als Jammie Thomas 1.2 Millionen Dollar zahlen sollte, weil sie ein paar Musikstücke angeboten haben soll. Wir haben gerade in der Wissenschaftscommunity gerne vorgerechnet, welches Wissen der Welt vorbehalten bleibt. Und wenn sich Verlage dann einmal darauf einliessen, zu erklären, wie sie zu den hohrenden Summen für wissenschaftliche Zeitschriften kommen, haben wir innerlich den Kopf geschüttelt: Halt Leute von Vorgestern. o.o o.O O.O LOL ROFL n00bs :-) (^o^)

Das klang alles ärgerlich, aber irgendwie schien es, dass wir am Ende eh gewinnen würden. Vielleicht würde es ein paar Generationen dauern, aber es würde sich schon irgendwie regeln. Kein Medium bleibt ungeknackt. Kein Geschäftsmodell lebt auf ewig. (Jetzt erinnert das schon ein wenig an die Haltung, die Thomas Kuczynski in seinem Dialog mit meinem Urenkel schrieb, nämlich dass er als Kommunist nicht daran zweifelt, dass der Kommunismus kommen wird, sondern dass er sich nur fragt, wie lange es dauert und was getan werden kann, um dieses Kommen zu beschleunigen. Tja…)

Und sicher: Gerade bei der Wissenschaft konnten wir immer darauf verweisen, wie viele Krankheiten nicht geheilt, wie viel Wissen über das Heilen von Krankheiten oder das Verhindern von Unfällen et cetera nicht geteilt wurde, alles wegen den aktuellen Urheberrechtssystemen. Auch das wird Menschenleben gekostet und die Qualität des Lebens von anderen Menschen eingeschränkt haben. Zumindest einige von uns wird das wütend gemacht haben. Aber ehrlich: Das war inhaltlich richtig, allerdings schwer greifbar. Kim Dotcom in Neuseeland am Strand war ein viel greifbareres Bild.

Doch jetzt haben wir es: Ein Opfer des Urheberrechtssystems. Sicherlich: Niemand – nun ja, vielleicht ein bestimmter Staatsanwalt – wird daran ursächlich Schuld sein, dass Aaron Swartz seine schlussendliche Entscheidung traf. Und sicher werden viele, die wir hier, von „der guten Seite“ aus, als mitverantwortlich sehen, sich bestürzt zeigen.

Was soll das immer noch?

Aber seien wir doch einmal ehrlich, offen und direkt: Das ist doch Unsinn.

Das gesamte Urheberrechtssystem, die ganzen Argumente der Contentindustrie und Verlage, die ganzen Drohungen mit dem Gesetz, das ist alles einfach nicht mehr lustig. Es ist keine Auseinandersetzung um Geld und Macht mehr, es geht offenbar um Menschenleben. Und wir wissen es ja auch alle. Wenn wieder einmal behauptet wird, das Urheberrecht müsste dazu beitragen, Künstlerinnen und Künstlern, Autorinnen und Autoren fair zu entlohnen, denken wir doch alle, dass das Unsinn ist. Wir wissen es. Quasi niemand der oder die schreibt, singt, malt lebt vollständig davon. Quasi niemand hat es bislang getan. Dafür ist das Urheberrecht nicht da und dafür war es auch nie da. Es war einmal dazu da, die gesamte Gesellschaft und deren Fortschritt zu fördern und es ist heute dazu da, um Geld einzuspielen. Und gerade nicht für die kleinen, netten, kulturell oder politsch engagierten Verlage, Labels, Filmstudios und so weiter, die ständig um das Überleben kämpfen und niemand ordentlich bezahlen können und von ständiger Selbstausbeutung leben. Auch das wissen wir. Und wir wissen doch auch, dass es bei den Kosten für wissenschaftliche Publikationen nicht um Qualitätssicherung geht. Wir – jetzt als Studierende und Lehrende im Bibliothekswesen – haben es doch oft genug in unseren Seminaren durchgesprochen, gelehrt und irgendwie versucht, objektiv alle Seiten darzustellen. (Wobei wir einfach objektiv sagen könnten: Wenn BWLerinnen und BWLer Verlage leiten, machen sie halt das, was sie gelernt haben. Es ist nur nicht gut für die Gesellschaft, dass sie das tun.) Vielleicht ist es der Jahresanfang, aber mir scheint, dass wir – jetzt nicht unbedingt das Bibliothekswesen, aber die Leute, die wissen, was Chanspeak heisst und wieso Kim Dotcom lustig ist – zu lange gespielt haben. Mag sein, dass das Urheberrechtssystem und alles was daran hängt, irgendwann eingehen wird. Aber mir scheint, dass die Entscheidung von Aaron Swartz – die, um das klar zu sagen, eine persönliche war, die man nicht als Fanal umdeuten sollte – einen ersten Endpunkt markiert. Hier bringt sich jemand, der relevant war für die Entwicklung des Internets und der Open Access Bewegung, wie wir sie kennen, um, weil er wegen absurder und moralisch falscher Gesetze bedroht wird. (Wieder: Gewiss nicht nur deshalb, aber auch deshalb.) Das darf nicht sein. Das muss aufhören. So einfach ist das.

Vielleicht sind das viel zu unausgegorene Gedanken, vielleicht ist es auch die Midlifecrisis, aber mir scheint, dass jetzt ein Zeitpunkt ist, wo eine radikale Bewegung gegen dieses Urheberrechtssystem nötig und möglich wäre. Es wurde schon oft gesagt, aber: Menschen sterben deswegen. Das gesamte System ist unmoralisch. Alle, die es aufrecht erhalten oder verschärfen wollen, sind auf der moralisch falschen Seite. Alle, die es weiter nur reformieren wollen, sind auf der moralisch falschen Seite. Alle, die weiter implizit darauf hoffen, dass man es mit Witz umgehen kann und es schon absterben wird, haben nicht Unrecht, sollten sich aber fragen, ob es nicht moralisch richtiger wäre, endlich klare Forderungen zu erheben und die, die Unsinn reden, auch so zu nennen: Die, die Unsinn reden; weil sie zuviel Geld verdienen wollen, weil sie nicht wissen, was sie erzählen und / oder weil sie moralisch falsch sind.

Bei SOPA haben wir gesehen, dass sich Gesetze verhindern lassen. Jetzt gälte es zu beweisen, dass Urheberrechtssysteme – die ja, wie alles Recht, zuvorderst menschengemacht sind – abgeschafft werden können. Dieses ganze Gedöns, dass zum Beispiel die Piratenparteien veranstalten, mag ja manchmal nett sein, aber es ist nicht ausreichend. Was die Welt eigentlich bräuchte, wäre eine starke Bewegung, die mit Massenaufläufen und klaren Positionen zeigt, dass es Zeit ist, alle Inhalte zu befreien. (Dabei geht es nicht darum, in den Tod von Aaron Swartz im Nachhinein einen Sinn zu interpretieren. Es geht darum zu sagen, hier ist offenbar geworden, was das Urheberrecht und seine Durchsetzung anrichten.) Manchmal ist es vonnöten, angriffig zu sein. In einer solche Situation ist es vonnöten, angriffig zu sein.

Ein Kommentar zu „Let’s talk about Änderung des Urheberrechtmodells. Maybe.

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