In einem aktuellen Discussion Paper des WZB Berlin stellen Kristof De Witte und Benny Geys die These auf, dass Öffentliche Güter immer von der Öffentlichkeit, für die diese Güter zur Verfügung gestellt werden, mit generiert werden. Mit Öffentlichen Gütern sind Dinge wie Bildung (z.B. über Schulen, Volkshochschule), Kultur (z.B. über Museum, Oper), Gesundheit (z.B. über Ärztinnen und Ärzte, Gesundheitsbildung) oder Sicherheit (z.B. über Polizei, Gesetze, Feuerwehr) gemeint. Mit dem Mitgenerieren ist gemeint, dass die Öffentlichkeit nicht einfach ein Angebot wahrnimmt, sondern die Effekte eines Angebots erst dadurch realisiert werden, dass sie das die Öffentlichkeit das Angebot (a) wahrnimmt, (b) interpretiert und verarbeitet sowie (c) umsetzt.
Ein Beispiel: Eine Ärztin kann jemand darüber beraten, gesünder zu leben. Das kann sie nur, wenn diese Person auch in die Praxis kommt und sich beraten lässt (Puntk (a)). Allerdings wird die Person diese Beratung selber interpretieren (Punkt (b)) und entscheiden, wie sie zum Beispiel den Hinweis „sich mehr zu bewegen“ versteht und dann im Laufe der Zeit diesen Ratschlag umsetzen oder nicht umsetzen (Punkt (c)). Dabei, so die Argumentation von De Witte und Geys, kann die Ärztin wenig dafür, wie Punkt (b) und (c) umgesetzt werden. Egal, wie gut oder schlecht die Beratung der Ärztin ist, es gibt immer den nicht von ihr beeinflussbaren Punkt der Umsetzung. Deshalb aber sei es schwierig bis unmöglich, mit einfacher Effektmessung auf die Qualität dieser Beratung zu schliessen. Man kann also nicht schauen, wie viel gesünder Personen leben, nachdem sie von der Ärztin eine Beratung erhalten haben und damit dann begründen, dass deren Arbeit gut oder schlecht wäre. Wie das Öffentliche Gut Gesundheit umgesetzt wird, liegt irgendwann ausserhalb des Einflussbereiches der Ärztin. Oder weitergefasst: Wie die Öffentlichen Güter umgesetzt werden, hat immer mit der jeweiligen Öffentlichkeit zu tun und entzieht sich dem Einfluss der Öffentlichen Einrichtungen. Das heisst nicht, dass die Arbeit der Öffentlichen Einrichtungen irrelevant wäre. Aber es lässt sich kein direkter Bezug von ihrer Arbeit und zur Qualität des Öffentlichen Gutes ziehen. Soweit die These.
Nun sind Öfffentliche Bibliotheken Öffentliche Einrichtungen, die Öffentliche Güter produzieren. De Witte und Geys testen ihre Hypothese gerade an Öffentlichen Bibliotheken im flamischen Teil Belgiens, zu denen ausführliche statistische Daten vorliegen. (Und wo ein Bibliotheksgesetz existiert, welches vorschreibt, dass jede Kommune eine Öffentliche Bibliothek haben muss.)
Citizen Coproduction and Efficient Public Good Provision: Theory and Evidence from Local Public Libraries, wie das Arbeitspapier heisst, zeigt mit einem einfachen Modell, dass es nicht ausreicht, die Arbeit von Bibliotheken an Buchausleihe et cetera zu messen, um ihren Einfluss zu bestimmen. Vielmehr führt die qualitativ gleiche Arbeit in den Bibliotheken zu unterschiedlichen Ergebnissen, die, so zumindest De Witte und Geys, durch die lokale Öffentlichkeit und deren Nutzung der Angebote verstehen lässt. Selbstverständlich: Die Arbeit von De Witte und Geys hat ihre Schwierigkeiten. So wird die Arbeit von Bibliothek gleichgesetzt mit der Ausleihe von Medien, was vielleicht im Rahmen des Modells Sinn macht, aber selbstverständlich nicht ausreicht, um die gesamte Arbeit zu beschreiben. Auch muss man dem Modell, dass De Witte und Geys aufstellen, nicht unbedingt folgen.
Aber was die beiden Autoren hier einführen, ist tatsächlich eine Herausforderung: Sie beschreiben Nutzerinnen und Nutzer von Bibliotheken als aktive Partnerinnen und Partner bei der Herstellung der Wirkungen bibliothekarischer Arbeit. Ganz explizit erklären die Autoren, dass die Nutzerinnen und Nutzer nicht als Kundinnen und Kunden verstanden werden, die einfach nur möglichst hochwertige Produkte / Leistungen nutzen wollen, welche möglichst sinnvoll an ihre Anforderungen angepasst werden. Als Ko-Produzentinnen und -Produzenten des Öffentlichen Gutes „Wirkung der Öffentlichen Bibliothek“ sind sie eigenständig aktiv. Sie kommen nicht mehr in einen Laden, der möglichst effektiv geführt wird, und wählen dort die sie interessierenden Produkte, sondern sie produzieren diese Produkte mit.
Auf den ersten Blick scheint das vielleicht nicht bedeutsam, aber es ist eine Herausforderung für Versuche, die Qualität bibliothekarischer Arbeit zu bestimmen und vergleichbar mit anderen Bibliotheken zu machen. De Witte und Geys argumentieren, dass mit ihren Ergebnissen gezeigt werden kann, dass eine schwache lokale Gemeinschaft sich auch darin niederschlägt, dass die bibliothekarische Arbeit schwach bleibt. Aber für die lokale Gemeinschaft kann die Bibliothek wenig (sie kann daran arbeiten, sie zu verbessern, aber das ist eine andere Frage). Wenn dem aber so ist, dann wäre ein Vergleich der Arbeit von Bibliotheken auf der Ebene von einfachen Daten, wie sie zum Beispiel beim BIX genutzt werden, immer ungerecht. Man müsste dann mindestens die Effekte der Mitproduktion der Effekte durch die lokale Gemeinschaft miteinberechnen – etwas, dass zumindest De Witte und Geys zur Zeit als noch nicht wirklich möglich ansehen. (Was dann eine Forschungsaufgabe wäre.)
Nimmt man aber an, dass die beiden Recht haben – und wenn es nur zum Teil ist –, dann liefern sie mit ihrer Arbeit auch ein Argument gegen Diskurs, der Nutzerinnen und Nutzer von Bibliotheken als Kundinnen und Kunden versteht und vorschlägt, „einfach“ Methoden aus der Betriebswirtschaft zu übertragen. Das sollte zumindest einmal diskutiert werden.
Literatur: De Witte, Kristof & Geys, Benny / Citizen Coproduction and Efficient Public Good Provision: Theory and Evidence from Local Public Libraries (Discussion Paper ; SP II 2012–108 ). Berlin: Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, 2012. http://bibliothek.wzb.eu/pdf/2012/ii12-108.pdf