Medienkritik von links. Von wichtigen Fragen und älteren Antworten.

Die Phase 2 ist eine seit zehn Jahren erscheinende Zeitschrift der radikalen Linken in Deutschland. Entstanden aus dem Antifa-Umfeld der späten 1990er Jahre und der dort geführten Debatten, hat sie sich heute als einigermaßen theorielastige Zeitschrift für die gesamte aktivistische Linke etabliert, gleichwohl gerade der Teil der Linken, der inhaltlich irgendwo in den 1980er Jahren steckengeblieben ist (in der Terminologie der Szene: „die Antiimps“), mit der Phase 2 nichts zu tun haben will. Aber das sind andere Debatten.

Man darf sich die Zeitschrift auch nicht als leninistisches Theorieorgan vorstellen, die bei den K-Gruppen (oder halt früher kommunistischen Parteien) die Aufgabe hatte, vor allem die Revolution theoretisch vorbereiteten und Anweisungen zur Umsetzung der Theorie von der Revolution zu geben. Solche Zeitschriften existieren weiterhin, werden aber nicht wirklich wahrgenommen.

Die radikale Linke in Deutschland – die sich zumeist netzwerkartig in kleinen Gruppen und Projekten organisiert – hat kein einheitliches Theorieorgan, sondern eine ganze Reihe von Zeitschriften, die mehr oder minder akzeptiert sind. Inhaltlich wird in diesen Zeitschriften nicht versucht, die Revolution zu organisieren oder zu begründen, sondern vor allem, die Gesellschaft zu verstehen, Bruchlinien und emanzipatorische Potentiale zu verorten und zu beschreiben und die eher kampagenmäßige Politik der radikalen Linken inhaltlich zu begleiten. Das driftet dann manchmal in reine Propaganda ab, aber auch lange nicht so oft, wie man sich das vorstellen könnte. Vielmehr ist die radikale Linke in Deutschland – im Gegensatz zu allen Darstellungen, die so aus dem aktuellen Familienministerium oder dem Freistaat Sachsen kommen – mit einem historischen Gewissen ausgestattet, dass bei aller Kritik an den Verhältnissen immer auch darauf verweist, dass sich einfache Gesellschafts- und Revolutionsvorstellungen nach dem Stalinismus und den anderen Formen des Realsozialismus verbieten. [1]

Nach diesem Vorwort, dass begründen sollte, warum man bei „radikale Linke“ nicht in antikommunistische Reflexe verfallen sollte, also nochmal: Phase 2 ist eine Zeitschrift der radikalen Linken in Deutschland und die gerade noch aktuelle Ausgabe 40 ist auch für die Bibliothekswissenschaft nicht uninteressant. Der Schwerpunkt der Ausgabe lautet „Gegendruck: Linke Medien und Medienkritik“, was ein passendes Thema für ein Jubiläumsausgabe darstellt. Geliefert wird eine Übersicht zu den vorhandenen Medienkritiken, der (linken) Kritik an den Medienkritik sowie der Publikations- und Arbeitspraxis einer linken Zeitschrift.

Die Matrix der Medienkritik

Im ersten Text (Hesse, Christoph / Besichtigung eines Baukastens : Zur unglückliche Geschichte linker Medientheorie. – In: Phase 2, 10 (2011) 40, S. 6-10) liefert Hesse vor allem eine Geschichte der gescheiterten Medientheorien, insbesondere der linken. Grundsätzlich, so Hesses Analyse, habe sich die Linke immer wieder mit den modernen Kommunikationsmitteln auseinandergesetzt und versucht, jeweils das emanzipatorische Potentiale auszuloten. Hesse fängt bei unterschiedlichen Äußerungen Lenins – als Erinnerung an eine Zeit, in der, wie Slavoj Žižek es formulierte, die Revolution bevorstand – und Adornos an, die beide der Kommunikation eine Rolle notwendige Rolle bei der gesellschaftlichen Veränderung zuschrieben. Allerdings, wie es sich für die beiden gehört, aus sehr unterschiedlicher Sicht.

Lenin hätte die Kommunikation als Motor der Revolution entworfen, damit aber auch ein Urbild der linken Medienkritik formuliert, die letztlich immer wieder gescheitert sei. Adorno hingegen hätte Kommunikation als dialektisches Problem verstanden.

„Der von Lenin imaginierte Umbau des Staates zu einem der Masse verfügbaren Kommunikationsapparat kann als Urszene dessen gelten, was man sich landläufig unter linker Medientheorie vorstellt. Medien fungieren demnach als Motoren gesellschaftlicher Veränderung, als Werkzeuge, die handhabbar und somit auf menschlichen Willen bezogen bleiben sollen.“ (Hesse, S.6)

Der Witz dieses Ansatzes bei Hesse liegt nun darin, dass er über Brechts Radiotheorie ein Linie zur heutigen Medientheorie zieht, die Internet und Netzwerke als Antriebskraft gesellschaftlicher Veränderungen sehen.

„Emanzipation [so Hesse zu Brechts Radiotheorie] mag man sich also etwa so vorstellen, dass die Menschen sich zusammen mit den Produktions- auch die Kommunikationsmittel aneignen, um in wechselseitigem Ratschluss über die Einrichtung der Gesellschaft, in der sie leben wollen, zu befinden.“ (Hesse, S. 6)

„Wie schon die Theoretiker aus dem Umkreis der frühen sowjetischen Avantgarde ging er davon aus, dass mit der Inbetriebnahme der Kommunikationsmittel durch das Proletariat die technischen Medien eine ganz neue Funktion erfüllen würden: Befreit von den bornierten Interessen einer Klasse, unter deren Obhut auch den Medien nur eine bornierte Funktion zukomme, würden sie einer freien, nunmehr auf die Bedürfnisse der Bevölkerung ausgerichteten Verständigung Raum geben. Den entscheidenden Unterschied zu den sonstigen Produktionsmitteln erkannte Brecht darin, dass die Kommunikationsmittel in weitem Maße bereits vergesellschaftet seien.“ (Hesse, S. 8)

„Der Traum von der Assoziation der Freien und Gleichen [das eine Skizze Marx dazu, was der Kommunismus sei, K.S.] […] nimmt Zuflucht zu den Projektionen einer networking community, in der einst die ganze Welt in virtueller Nachbarschaft solidarisch zusammenarbeiten soll.“ (Hesse, S.7)

Während nun aber die Naivität bei Lenin durch die Zeit „in der die Revolution bevorstand“ verständlich wäre, so die implizite Unterstellung Hesses, sei sie heute nur noch naiv. Die Frage ist tatsächlich interessant: Wieso ziehen neue Medien eigentlich immer wieder die gleichen Hoffnungen auf sich? Wieso springt gerade auch die Linke, die eigentlich viel auf ihr Geschichtsbewusstsein hält, darauf an? Allerdings lässt Hesse – genauso wie die restlichen Autorinnen und Autoren des Heftes – gerade das Gegenteil aus: Die Kritik an neuen Medien, die in gewisser Weise rückwärtsgewandt, aber immer wieder auch historisch mit sozialen Bewegungen verbunden ist, ob nun die Ludditen und Neo-Ludditen oder die Computerkritik in den 1960er bis 1980er Jahren.

Hesse versucht hingegen mit Adorno gerade die bessere Frage zu stellen. Nicht, wie kommuniziert wird, sondern was und vor allem, was dabei an Erkenntnis und Vernunft vermittelt würde, sei die relevante Frage. Ein kritische Theorie hätte in ihrer gesellschaftlichen Anwendung die Verhältnisse zu klären. Und das in einer Gesellschaft voller Kommunikation. Hesse weist dabei auf Marx zurück, der Medien als Werkzeuge für die Kommunikation verstanden hätte, nicht als Entitäten eigenständigen Wertes.

Im weiteren Verlauf des Textes kompliziert Hesse seine Fragestellung. Während der eine Teil der Medienkritik immer affirmativer geworden sei und sich – festgemacht an Hans Magnus Enzensberger und Friedrich Kittler – immer mehr darin verfangen habe, eine Theorie von der Entwicklung der Kommunikationsmedien zu erarbeiten (und immer weniger eine von der Kommunikation in der Gesellschaft), sei die restliche Medientheorie zu einem Zitatenschatz geschrumpft, die alte Thesen für neue Medien wiederholen, aber nicht mehr die Fragen stellen würde, die Brecht und Lenin immerhin noch antrieben. Oder anders: Lenin und Brecht gaben zwar Antworten auf die Frage, was Kommunikation wofür sei, die sich als naiv herausstellten, aber die aktuelle Medientheorie würde noch nicht einmal diese Frage richtig stellen. Und das, obgleich die Medien sich unbestreitbar entwickeln würden.

„Während also eine auf Apparate fixierte Medientheorie [Kittler, K.S.], über gesellschaftliche Fragen scheinbar erhaben, die Lage als eine nur mehr technisch zu erfassende schildert, bleiben versuchsweise kritische Stellungnahmen über Medien (von der regelmäßig bekundeten Empörung über Machtkonzentration und Manipulation einmal abgesehen) in jenem von Jahr zu Jahr älter werdenden Baukasten [der Medientheorie, K.S.] stecken, mögen sich auch die Werkzeuge unter der Hand in eigensinnige Maschinen verwandeln.“ (Hesse, S. 9)

Und hier trifft sich Hesse, ohne es zu wissen, mit einem Problem der Wissenschaften von den Medien selber (also der Bibliothekswissenschaft ebenso wie den Medienwissenschaften). Die gesellschaftlichen Fragen im Bezug auf Medien und Medienwirkungen scheinen mit veralteten Modellen und naiven Annahmen zu hantieren, ohne sich sichtbar zu entwickeln, während die Geschichte der technischen Entwicklung weiter geschrieben wird. Dies wird eher zufällig in einem weiteren Text der Phase 2, in welchem über die Arbeiten zur Kulturindustrie von Adorno im Bezug auf den cineastischen Betrieb berichtet wird, deutlich. An dessen Ende steht keine Weiterentwicklung, sondern wenig mehr als eine bekannte Anmerkung, die nicht unbedingt falsch, aber auch kaum mehr theoriebildend ist.

„Es gibt keinen Bereich, von dem Kulturindustrie abgetrennt ist oder sein will, und die Invasivität von Medien ins Privateste und Öffentlichste zugleich ist nur ein Symptom dessen. Nicht besonders heimlich haben sich die Politikerreden, der universitäre Betrieb, die Protestaktionen, auch und gerade die linke Kultur nach dem Prinzip der Kulturindustrie geformt.“ (Riedel, Felix / Un-Möglichkeiten : Fragmentarisches über Kulturindustrie und die Aktualität dialektischer Kritik. – In: Phase 2, 10 (2011) 40, S. 12-15, hier S. 15)

Oliver Jelinski versucht immerhin das einzulösen, was Christoph Hesse eingefordert hat, und skizziert die Anforderungen an eine emanzipatorische Medienkritik. (Jelinski, Oliver / A Means to an End : Über Medientheorie und -kritik von Adorno bis Enzensberger. – In: Phase 2, 10 (2011) 40, S. 16-19.) Interessant ist dabei, dass er indirekt auch eine Kritik an der auf dem Sender-Empfänger-Modell orientierten Medientheorie übt, aber auch das ist nicht wirklich innovativ.

„Das Grundproblem aller […] Medientheorien von Brecht über Adorno bis Enzensberger ist, dass das, was an den Medien kritisiert wird, ebenso wie dasjenige, was als deren Potential gesehen wird, alles auf der Ebene der Repräsentation liegt. […] Die Frage, um die es eigentlich ginge, ist nicht die nach einer besseren Repräsentation, sondern die nach einer veränderten Produktion von Wissen und Erkenntnis. […] Der Erkenntnisprozess findet in einer Weise statt, die mit dem Modell von Senderin und Empfänger nicht annähern zu fassen ist. […] Wo Emanzipation noch nicht stattgefunden hat, [das heißt in der aktuellen Gesellschaft, K.S.] muss die emanzipatorische Praxis nicht die Medien zu verändern suchen, sondern sie sollte dort, wo sie Wirken kann, einen Erkenntnisprozess, kollektiv oder zunächst in kleineren Gruppierungen, befördern.“ (Jelinski, S. 19)

Publiziert man anders, wenn man links ist?

Gleich drei Texte beschäftigen sich mit den Besonderheiten des Publizieren in linken Medien. Das Interessante: So groß scheint der Unterschied zwischen linken Medien und wissenschaftlichen Open Access Zeitschriften gar nicht zu sein. Doris Akrap, jetzt bei der taz, reflektiert eher allgemein über die Freiheiten als Autorin und Autor in linken Zeitschriften (Akrap, Doris / Alleinstellungsmerkmal „links“? : Über die Schwierigkeiten des linken Publizierens. – In: Phase 2, 10 (2011) 40, S. 24-25), Juri Dadarin berichtet aus der Phase 2-Redaktion selber [2] (Dadarin, Juri / Mehr als eine unabgeschlossene Phase unserer Jugend : Wie die Zeitschrift gegen die Realität zwischen Anspruch und Wirklichkeit vermittelt und warum sie sich dafür ändern muss. – In: Phase 2, 10 (2011) 40, S. 26-29) und in einem Interview diskutieren ein linker Bloger, ein Redakteur aus der Jungle World, eine Redakteurin der Phase 2 und ein Redakteur des fsk über ihre Arbeit („Wenn man das nicht mehr machen will, sucht man sich halt was Anderes“ : Ein Gespräch zwischen Lizas Welt, Jungle World, Freies Sender Kombinat und Phase 2. – In: Phase 2, 10 (2011) 40, S,. 30-35).

Akrap hält fest, dass es ihrer Meinung nach gerade die linken Medien gewesen seien, die zur Entwicklung von Gestaltung, Themensetzung und Form der Medien geführt hätten. Durch ihre Freiheit wären sie auch Labore gewesen, die zum Beispiel die Ironie als Mittel des Journalismus eingeführt hätte. Neben diesen Innovationen, die von anderen Medien übernommen wurden, gibt es für Akrap thematisch wenig, was linke von anderen Publikationen unterscheidet. Zwar seien einige Themen mehr vertreten, insbesondere soziale Konflikte, auch seien mehr und sozial abseitigere Stimmen mehr vertreten. Dennoch würden sich linke Medien fast immer an den gleichen Themen abarbeiten, wie andere Medien (wobei hier Akrap nicht explizit sagt, dass sie sich auf die „Qualitätsmedien“ bezieht, auch wenn das zu vermuten ist). Vielmehr sei das Interessante die Schreibenden selber.

„Oft können ambitionierte AutorInnen linker Publikationen nicht schreiben, haben aber ein großes Mitteilungsbedürfnis und sind Infojunkies. Das sind die Nerds, die es in der Regel aber irgendwann auch zu einiger Berühmtheit schaffen und das ist ein Faktor, den man nicht unterschätzen sollte. Langjährige AutorInnen, die berühmt berüchtigt sind für ihre Positionen, sind Teil der Öffentlichkeit; in Zeiten des Internets, dessen Gedächtnis allzu groß ist, umso mehr, auch wenn in der Regel die Facebook-Freunde der Publikation zahlreicher sind als die Abonnenten.“ (Akrap, S. 25)

„Natürlich ist der Aufwand in linken Medien größer als der Ertrag. Aber wer das Gefühl hart, dass sich Aufwand und Ertrag nicht lohnen, der sollte sofort aufhören, denn dann kommt nur noch Mist raus. Weiterzumachen, obwohl man frustriert ist, aber der Sache dienen will, lohnt nicht; protestantischer Eifer führt in der Regel nicht zu satisfaktionsfähigen Ergebnissen.“ (Akrap, S. 25)

Das Auffällige ist allerdings, dass sich die Strukturen linken Publizierens nicht wirklich von denen in wissenschaftlichen Publikationen im Open Access Bereich oder auch wissenschaftlichen Blogs unterscheidet. Dann, wenn wissenschaftliche Publikationen sich nicht einem großen Verlag unterordnen, der sie eher standardisiert, sind sie oft auch Publikationen, die von Infojunkies betrieben und in viel unbezahlter Arbeit erstellt werden. Dieser Eindruck wird in der Reflexion von Juri Dadarin zur Arbeit der Phase 2 selber nur verstärkt. Hier wird festgehalten, dass sich die Zeitschrift gerade durch und bei denen etabliert hat, die im akademischen Betrieb angekommen sind. Dadarin plädiert dafür, dass als gegeben zu akzeptieren. Offenbar gleichen sich das Erkenntnisinteresse in der aktuellen radikalen Linken (die ja, um das noch einmal aufzugreifen, nicht in einer Zeit lebt, in der die Revolution bevorsteht) und zumindest der Geisteswissenschaften oft, ebenso wie die Erkenntniswege.

Die Lektüre der aktuellen Phase 2 wirft, auch wenn man sich gar nicht als links begreift, tatsächlich dazu, etwas intensiver über Medien nachzudenken. Egal, ob es gefällt oder nicht, die Artikel werfen immer wieder die Frage auf, warum und wozu eigentlich Publikationen gemacht werden. Eben weil jemand kommunizieren will, nicht weil sie da sein müssen.

Fußnoten

[1] Spätestens mit der Publikation und positiven Aufnahme von Bini Adamczaks „Gestern Morgen“ [Adamczak, Bini (2007) / Gestern Morgen : über die Einsamkeit kommunistischer Gespenster und die Rekonstruktion der Zukunft. – Münster : Unrast, 2007.] wurde auch klar, dass in der deutschen Linken akzeptiert ist, dass die Geschichte (und Zukunft) der radikalen Linken (beziehungsweise bei Adamczak direkt des Kommunismus) nicht ohne Trauer über die Opfer des Kommunismus verstanden werden kann. Man mag den Pathos des Buches nicht schätzen, aber sollte sich klar werden, dass Vorwürfe an die Linke, sie wäre geschichtslos und potentiell terroristisch (im Sinne des stalinistischen Terrors) nicht mehr einfach gemacht werden können. (Zumal dieser Vorwurf nie für die ganze Linke galt, aber auch das ist eine andere Diskussion.)

[2] Dabei, dass muss einfach angemerkt werden, tut er das gerade aus dem Blickwinkel der Phase 2 selber. Gerade der Beginn der Geschichte der Zeitschrift wird von anderen Linken gänzlich anders beschrieben. Dadarin beschreibt beispielsweise, wie die Phase 2 sich explizit als Übergangsprojekt begriff, während der Rest der Linken eher eine weitere Zeitschrift wahrnahm, die von Gruppen, deren Vernetzung zuvor gescheitert war, gegründet wurde.