Kompetenz, was ist das? Drei Bücher zur Kritik des Kompetenzbegriffes

Kompetenzen sind ein Thema, dass mich immer wieder ob seiner Verbreitung irritiert. Einerseits sind sie zur Standardvokabel geworden, auch im Bibliotheksbereich. Es gibt gefühlte zehntausend Forschungsprojekte in der Bildungsforschung, die XYZ-Kompetenzen von ABC (Kinder, Jugendlichen, Schülerinnen und Schülern in einer Klassenstufe oder Altersstufe oder im Quervergleich, von Lehrerinnen und Lehrern, von Erzieherinnen und Erziehern, von Eltern etc.) messen und dabei entweder vorhandene Kompetenzmodelle nutzen und weiterentwickeln oder gleich neue entwerfen. Andererseits hat dieses Wachstum der Verwendung des Wortes Kompetenz, insbesondere in zusammengesetzten Substantiven als XYZ-Kompetenz, und die ständige Neumodellierung und Weiterentwicklung nicht dazu geführt, das wirklich klar geworden wäre, was Kompetenz sein soll. Zumal dann nicht, wenn von der Förderung von Kompetenz oder Gestaltung von kompetenzenfördernden Lernorten et cetera geredet wird. Gerade dann, wenn sich aus der eigentlichen Schulforschung hinausbegeben wird und beispielsweise konzipiert wird, dass die Einrichtungen ABC (nicht nur Bibliotheken, auch die Soziale Arbeit, Kindertagesstätten, die berufliche und politische Weiterbildung, die Medienindustrie, NGOs und Vereine, die lokalen Bündnisse für Familien und so weiter) Kompetenzen fördern würden, scheint der Begriff Kompetenz relativ nach Gutdünken der jeweiligen Schreibenden genutzt zu werden. Mal als Fähigkeiten, mal als Potentiale der Individuen, mal als anwendungsbereite Fähigkeiten, mal als Qualifikationen, mal als notwendige Wissensbestände, mal ganz behavioristisch als klar abgrenzbar zu definierende Wissensbrocken, die direkt in die Lernenden hineingegeben werden, mal ganz konstruktivistisch als Bündel von Fähigkeiten, Potentialen und Motivationen von Personen, die sie sich selber als Lernende mit Unterstützung von Lernumgebungen und lernbegleitenden Personen angeeignet haben.
Diese Unterschiede in der Bedeutung von „Kompetenz“ sind nicht trivial. Vielmehr reden wir von sehr unterschiedlichen Vorstellungen davon, was, wie, von wem, wann, wie lange und warum gelernt worden sein soll – und wie es gemessen werden könnte, wenn überhaupt – und das alles unter einem Containerbegriff. Das mag, wie ich in einem anderen Beitrag zum bibliothekarischen Verständnis von Kompetenzen schon einmal ausgeführt habe, nicht mehr zu ändern sein. Eventuell ist das einzige, was noch bleibt, einzufordern, dass die Texte, die mit dem Begriff Kompetenz operieren, jeweils offenzulegen haben, was sie damit genau meinen. Es scheint doch sehr schnell einsichtig zu sein, dass beispielsweise zwischen der Vorstellung, Lesekompetenz sei quasi Lesefähigkeit und der Vorstellung, Lesekompetenz sei ein abgestuft messbares Fähigkeits- und Motivationsbündel, welches in komplexen Zusammenhängen darauf Einfluss nimmt, wie ein Individuum welche Texte und Textsorten für welche Zwecke nutzt, ein unüberbrückbarer Unterschied besteht, den man zumindest anzeigen sollte. So würde auch deutlich, dass oft sehr unterschiedliche Zielsetzungen verfolgt werden, wenn man von der Förderung von Kompetenzerwerb (oder gar von Kompetenzen) redet und dass es kein Wunder ist, wenn bestimmte Angebote, die Kompetenzen fördern sollen, das überhaupt nicht tun: Eben weil dann oft von zwei unterschiedlichen Dingen geredet wird.

Kompetenzen bei PISA beihalteten ein Versprechen
Es ist allerdings erstaunlich. Die PISA-Studien, die ja in Deutschland den Begriff Kompetenz als Teil von Bildung beziehungsweise als Bildungsziel etablierten, hatten eigentlich sehr klar ausgedrückt, dass Kompetenz ein Konzept sei, welches über die Konzepte von Fähigkeit, Schlüsselqualifikation oder einfach nur Lehrinhalt hinausgehen und die individuelle Verarbeitung von Wissen sowie die individuelle Disposition, es anzuwenden, mit einbeziehen würden. Zudem würden Kompetenzen tendenziell die Fachspezifika von Konzepten wie Fähigkeiten überwinden und als Potentiale begriffen werden, die über eine Anwendungsform von Wissen hinausgehen. Doch was ist davon im Diskurs angekommen? Er scheint, wenig bis gar nichts. Allerdings ist das auch mit zahlreichen anderen Aussagen der PISA-Studien geschehen, beispielsweise den Verweis darauf, dass die gemessenen Kompetenzen das Ergebnis von 15 Jahren Lernen der Schülerinnen und Schüler im gesamtgesellschaftlichen Kontext darstellen würden – und eben nicht nur der Schulbildung.
Seit ungefähr zehn Jahren ist der Kompetenzbegriff nun in der gesellschaftlichen Verwendung, was auch bedeutet, dass die ganzen Versprechen des Kompetenzbegriffes langsam überprüft werden können. Kompetenz sollte und soll es möglich machen, Bildung eher auf die tatsächlichen Lernprozesse der Individuen zu beziehen und gleichzeitig zukunftsfähig zu gestalten, dass Konzept sollte es ermöglichen, Qualität von Bildung zu steuern. Ist das geschehen? Was sind die Auswirkungen des Überhandnehmens des Kompetenzbegriffes? Zunehmend erscheinen Arbeiten, die gerade das zum Thema haben, ohne das ihnen – wie es am Anfang des letzten Jahrzehnts geschah – unterstellen zu können, einfach nur aus Radikalopposition „gegen Kompetenz“ zu sein. Sie untersuchen vielmehr vor dem Hintergrund eines Bildungssystems, dass seit einigen Jahren mit dem Kompetenzbegriff agiert, dessen Funktionsweise.

Kompetenzdiskurs ohne Widerstand?
Eines dieser Werke ist die Dissertation von Udo Haeske (Haeske, U. / ‘Kompetenz’ im Diskurs : Eine Diskursanalyse des Kompetenzdiskurses. – [Dissertation]. – Berlin : Pro Business, 2008), in welcher er mit dem Anspruch auftritt, eine Diskursanalyse des Kompetenzbegriffes zu leisten. Die Dissertation ist allerdings sehr langatmig, da sie sich beständig daran abarbeitet, in einer auch für Dissertationen unnötigen Länge und Breite die Diskursanalyse nach Foucault zu erläutern. Dabei geht das Thema „Kompetenz“ in weiten Teilen unter.
Dennoch sind die Ergebnisse zu erwähnen. Als Datenkorpus benutzt Haeske die rund 4000 Veröffentlichungen, die sich bis 2007 im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek nachweisen ließen und die „Kompetenz“ oder eine Zusammensetzung mit diesem Wort [Wobei nicht klar ist, ob im Titel oder auch als Schlagwort. Recherchestrategien zu beschreiben weigert sich der Autor erstaunlicherweise.] beinhalteten. [Der Autor behauptet zudem, dass die zurückgemeldeten Daten der DNB nicht einheitlich gewesen seien und deshalb nachbearbeitet werden mussten. Das kann nicht stimmen, oder?]
In der ersten Sichtung und Ordnung dieses Korpus zeigt Haeske, wenn auch nicht unerwartet, dass die Verwendung des Begriffes Kompetenz keinen Regeln folgt, sondern quer über die Themenfelder, verbunden mit anderen Begriffe oder als eigenständiger Begriff genutzt wird. Zwar gibt es Häufungen im pädagogischen, politischen und ökonomischen Feld, aber keine erkennbaren einheitlichen Verwendungsweisen.
Im nächsten Schritt wertete Haeske die Monographien und Herausgeberwerke, die eine klarere Definition des Kompetenzbegriffes versprechen, inhaltlich auf genau das aus: die impliziten und expliziten Definitionen des Kompetenzbegriffes. Dabei stößt er erstaunlich oft auf das Eingeständnis, dass eine solche Definition nicht existiert und gegeben werden kann. Gleichwohl hält er – was im Anschluss an Foucault eigentlich selbstverständlich ist – fest, dass der Diskurs um Kompetenz eine Subjektivität schafft, auf welche die Individuen reagieren. Dieser Subjektivität ist eine beständige Reflexion der eigenen Handlungen, eine Verortung des eigenen Lernweges anhand von Zielbestimmungen und der Verantwortung, zu lernen eigen (Selbstorganisation der Subjekte). Gleichzeitig enthält der Kompetenzbegriff des Versprechens, Differenzen zwischen Bildung und Anforderungen (gesellschaftlichen und solchen des Arbeitsmarktes) in gewisser Weise zu heilen. Kompetenz würde beständig als Mittel beschrieben, sich an Anforderungen anzupassen. Dabei würde dem Kompetenzbegriff eigen sein, dem Subjekt immer wieder klar zu machen (oder es dazu zu bringen, sich selber klar zu machen), dass es noch nicht ausreichend kompetent sei. Es würde also ständig eine Differenz zwischen möglicher, besserer Kompetenz und der vorhandenen konstatiert, was zu einer fortgesetzten Aneignung und Transformation von Kompetenzen führen solle.
Schließlich weist Haeske auf dem Umstand hin, dass unter „Kompetenz“ immer wieder die Anpassung des Subjektes an Anforderungen verstanden und beschrieben wird, aber nicht die theoretisch wachsende Widerstands-Kompetenz. Wenn ein Subjekt, welches kompetent ist oder dabei ist, es zu werden, beständig zur Reflexion und Neuplanung des eigenen Entwicklungsweges gedrängt wird, wachsen selbstverständlich auch die Widerstandspotentiale der Subjekte. Wer darüber nachdenkt, was er oder sie lernt oder lernen soll, kann auch immer zu dem Ergebnis kommen, es nicht (mehr) tun zu wollen, etwas anderes lernen zu wollen oder aber seine Kompetenz anders zu verwenden. Der Fakt selber istnicht erstaunlich, sondern spätestens seit der Aufklärung immer Teil von Bildungsdebatten gewesen. Erstaunlich ist allerdings, dass dies tatsächlich kaum thematisiert wird, so als ob eine kompetenz-orientierte Bildung zu Subjekten führen würde, die alle bei ihren Zielen von Bildung übereinstimmen würden.

Die Offenheit des Kompetenzbegriffes in der Bildungspolitik
Der Vorwurf, den Anne Müller-Ruckwitt, am Ende ihrer Dissertation (Müller-Ruckwitt, Anne / „Kompetenz“ : Bildungstheoretische Untersuchungen zu einem aktuellen Begriff. – [Bibliotheca Academica, Reihe Pädagogik ; 6]. – Würzburg : Ergon Verlag, 2008) ausformuliert hat, lautet, dass der Kompetenzbegriff, so wie er von den PISA-Studien beziehungsweise dem PISA-Konsortium eingeführt wurde und dann in der Bildungspolitik und -planung verwendet wurde, keine bildungstheoretische Einbindung hat und den eigenen Ansprüchen durch seine relative Beliebigkeit nicht entsprechen kann.
Dabei vertritt sie die interessante, und bei ihr auch durch sprachgeschichtliche und konzeptionelle Fakten untermauerte, These, dass der Begriff Kompetenz gerade nicht, wie es gerne behauptet wird, ein international geteilter wäre, sondern vielmehr – ähnlich wie bei „Bildung“ – einen deutschen Containerbegriff darstellen würde, der zwar übersetzt werden könnte, aber in anderen Gesellschaften (wobei sie weder die österreichische noch die schwitzer Gesellschaft betrachtet) anders verstanden würde, als in Deutschland.
Die PISA-Studien seien auch angetreten, um in gewisser Weise – wie es die Autorin so blumig ausdrückt – den gordischen Knoten des „Zukunftsparadoxons“ zu durchschlagen. Bildung, insbesondere wenn sie längerfristig ist (wie bei Schulen), hat immer mit dem Problem umzugehen, dass sie Menschen jetzt für eine Gesellschaft ausbilden soll, die erst noch kommen wird. Sie muss Wissensbestände vermitteln, die später einmal relevant werden, in einer Zeit, in der die Gesellschaft anders sein wird. Das ist ein beständiges Problem. Wir können heute auf eine Anzahl gescheiterter Versuche zurückblicken, dass zu bewerkstelligen. Selbst die Versuche, direkt aus Berufsanforderung zu vermittelnde Wissensbestände abzuleiten, führten nicht zum gewünschten Ergebnis.
Die PISA-Studien würden nun mit dem Kompetenzmodell versuchen, dieses Problem zu lösen, indem sie eine Grundbildung definieren, die sich als Potentiale zur Lebensbewältigung definieren. Bildung würde, so Müller-Ruckwitt, funktionalistisch und auf die einzelnen Individuen bezogen verstanden. Damit, das alles als Kompetenzen nicht nur eingeteilt, sondern zudem als messbar begriffen wird, würde auch die Vorstellung vermittelt werden, dass praktisch alles lernbar sei und es nur von den Umständen (zum Beispiel der Schule oder der Unterrichtsgestaltung) und den Individuen abhängen würde, ob etwas gelernt oder nicht gelernt würde.
Allerdings, so Müller-Ruckwitt, würde das PISA-Konsortium sich nicht daran versuchen, diese Grundbildung herzuleiten oder gar zu begründen. Es würde auch kein Rückschluss zu Bildungstheorien versucht. Vielmehr würden im Laufe der unterschiedlichen PISA-Studien unterschiedliche Bildungskonzepte relativ beliebig beziehungsweise funktionalistisch aufgerufen. Das würde es allerdings sehr schwer machen, überhaupt über das Kompetenzmodell der PISA-Studien zu debattieren: Es steht ja nicht wirklich fest. Es würden vielmehr Fragen relativ pragmatisch offen gelassen:

„Inwieweit lassen sich Vorstellungen persönlicher und wirtschaftlicher Art miteinander vereinbaren? Handelt es sich um zumindest partiell kongruente Dimensionen oder werden in der Formulierung ‘in persönlicher und wirtschaftlicher Hinsicht’ nicht zwei ganz unterschiedliche Referenzebenen bemüht?
Wie ist es zu verstehen, wenn von der anzustrebenden ‘aktiven Teilnahme am gesellschaftlichen Leben’ die Rede ist? Bemisst sich ‘aktive Teilnahme’ an der Fähigkeit zur Integration in ein im Vorhinein verfasstes gesellschaftliches Leben oder an der bewussten und reflektierenden Mitgestaltung desselben? Geht es in diesem Punkt um den Menschen in seiner gesellschaftlich-kulturellen Rolle und mit seiner berufsbezogenen Qualifikation oder dem Menschen in seinem Personsein?“ [Müller-Ruckwitt a.a.O., S. 34]

„Die PISA-Studien stellen aus sich heraus – entgegen dem selbstgesetzten Anspruch – keinen qualitativen Zugewinn für den Bildungsdiskurs dar. Dass sie aber sehr wohl zur Auseinandersetzung mit der Frage der Aktualität und Noch-Zeitgemäßheit des tradierten Bildungsbegriffs anregen, indem sie mit großer Nachhaltigkeit einen neuen Schlüsselbegriff, i.e. Kompetenz, in die Diskussion um Bildung einführen, ja dass sie mit ihren theoretischen Defiziten und der nachgewiesenen begrifflichen Unkontuiertheit geradezu dazu provozieren, zeigt das bildungs- und schulpolitische Echo, das PISA auslöst.“ [Müller-Ruckwitt a.a.O., S. 55]

Müller-Ruckwitt geht im weiteren Verlauf ihrer Arbeit auf die zahlreichen bildungspolitischen Projekte, die sich im Umfeld der PISA-Studien etablierten, ein und untersucht dort die Verwendung des Kompetenzbegriffes. Das Ergebnis ist, dass sich dort die Verwendung noch weiter als bei den Studien selber auf sehr unterschiedliche Vorstellungen bezieht.
Zudem weist sie auf ein Paradoxon des Kompetenzbegriffes hin: Einerseits geht der Kompetenzbegriff daran, engen Begriffen von Bildung (beispielsweise Qualifikation oder Schlüsselqualifikation) zu widersprechen. Das Individuum und dessen Potentiale soll im Mittelpunkt der komptenzbasierten Bildung stehen. Dies impliziert eine Individualisierung von Bildung. Gleichzeitig geht Kompetenz mit dem Versprechen einher, diese relativ offenen Bildungsinhalte, die ja beispielsweise auch Motivationen umfassen, messen und in unterschiedlichen Kompetenzstufen systematisieren zu können. Das ist tatsächlich paradox und bislang auch nicht aufgelöst. Die Kompetenzmessungen, die in der Bildungsforschung vorgenommen werden, entwerfen immer weiter quantitativ zu erhebende Daten, obgleich der Kompetenzbegriff qualitative Studien nahelegt.
Müller-Ruckwitt sieht im Kompetenzbegriff gerade wegen der Gegnerschaft zu engen Bildungsbegriffen auch Chancen für die Bildung, sobald der Begriff bildungstheoretisch rückgebunden wird. Gleichzeitig zeigt sie auf, dass er bislang relativ beliebig genutzt wird. Zudem zeigt sie, dass auch der Kompetenzbegriff historisiert werden kann und er deshalb gerade nicht, wie das teilweise implizit unterstellt wird, selbstverständlich ist.

Kritik der sozialen Vereinheitlichung
Eine kurze Anmerkung: Aufgabe der Kritik ist es, Kritik zu üben – nicht zu sagen, wie es richtig sein soll. Teilweise scheint dies heute vergessen zu sein. Kritik, im Sinne zum Beispiel der Kritischen Theorie aber auch der Machtanalytik von Foucault, ist immer dazu da, von der Gesellschaft zurückzutreten und ihre Wirkmechanismen zu verstehen, nicht (nur) um sie zu verändern, sondern auch um sich – wie es Max Horkheimer ausgedrückt hat – nicht dumm machen zu lassen. Eine solche Kritik – die sich radikal von Evaluationen unterscheidet, die heute auch gerne einmal als Kritik bezeichnet werden, aber auch von Flamewars – unternimmt Andreas Gelhard (Gelhard, Andreas / Kritik der Kompetenz. – Zürich : Diaphanes, 2011) für den Kompetenzbegriff, obgleich er sich dabei vor allem auf die berufliche Bildung und die berufliche Kompetenz bezieht.
Dabei versteht er Kompetenz und Kompetenztests als aktuelle Version der Kontrollgesellschaft, als Fortsetzung der von Foucault beschriebenen Transformation von Beichte zur Kontrolle im Sinne des benthamschen Panoptikums. Kompetenztests werden bei Gelhard verstanden als Kontrollmechanismen, welche Subjekte formt – beziehungsweise, auch wenn er das nicht so sagt, über Anrufung (nach Althusser) zur beständigen Selbstreflexion und Selbstformung anhält –, ohne direkten Zwang anzuwenden. Vielmehr würden Kompetenztest beständig, aber nachdrücklich auffordern, sich zu messen, zu beobachten und zu verändern. Wie schon Haeske festgestellt hat, wird eine beständige Differenz zwischen notwendig zu erwerbender Kompetenz und vorhandener Kompetenz behauptet, den Subjekten also klar gemacht, dass sie sich verbessern müssten. Dabei bezieht sich dieses Besser-werden gerade nicht allein darauf, besser auf Anforderungen des Arbeitsmarktes zu reagieren, sondern geht immer mit dem Anspruch einher, bessere, im Sozialkontext agierende Menschen zu formen.

„Die zeitgenössischen Testverfahren nehmen nicht das Urteil Gottes vorweg, sondern gleichen die Selbsteinschätzungen des Probanden mit der Beurteilung durch Vorgesetzte, Mitarbeiter und Kollegen ab.“ [Gelhard a.a.O., S. 64]

„Die rapide Verbreitung psychologisch instrumentierter Kompetenztests hat in diesem Zusammenhang also denselben Effekt wie die Verlagerung zahlreicher Prüfungssituationen ins Informelle: Sie erweitert den Bereich überprüfbarer Situationen, Handlungsmuster und seelischer Dispositionen.“ [Gelhard a.a.O., S. 111]

Die Besonderheit in Gelhards Analyse besteht darin, die Kompetenztests im beruflichen Feld zu untersuchen und ihre Wirkungsweisen zu beschreiben. Die Verbindung zwischen den Kompetenzbegriffen im pädagogischen Feld, dem beruflichen Feld und anderen Feldern (beispielsweise dem bibliothekarischen) wurde bislang offenbar noch nicht unternommen.
Gelhard beschreibt aber einige weitere Versprechen, die dem Kompetenzbegriff inhärent sind, aber selten ausgesprochen werden.

„Die Idee einer gerechten Kompetenzförderung [die von Luc Boltanski und Éve Chiapello in ‘Der neue Geist des Kapitalismus’ als moderne politische Forderung angesehen wird, K.S.] lebt von demselben Versprechen, das auch die Leistungsbereitschaft der Arbeitnehmer in der ‘Projektpolis’ aufrechterhalten soll: dass bei noch so unsicheren Arbeitsbedingungen und noch so geringer Bezahlung immer auch etwas für das berufliche Fortkommen abfällt.“ [Gelhard a.a.O., S. 110]

Dieser Verweis ist ernst zu nehmen: Kompetenz wird immer wieder als positives Ziel begriffen, fraglich ist allerdings, ob das unbedingt zutrifft oder ob er nicht auch dazu benutzt wird, politisch zumindest umstrittene Entwicklungen zu begleiten. Gelhard verweist zudem auf die Schwierigkeit, dass der Kompetenzbegriff – und hier kann man sich auch direkt auf das pädagogische Feld beziehen – auf dem Bild einer konfliktlosen Gesellschaft aufbaut, die sich nicht mit dem Bild einer demokratischen Gesellschaft, in der Konflikte ja existieren, geäußert und gelöst werden sollen, deckt.

„Das politische Ideal dieses Systems ist die Auflösung aller politischen Antagonismen durch gezieltes social training oder, mit Arendt gesprochen, die Auflösung des Politischen im Sozialen.“ [Gelhard a.a.O., S. 147]

Dem muss man nicht unbedingt zustimmen. Allerdings kommt Gelhard – wenn auch über einen Umweg über Boltanski und Chiapello, denen zu widersprechen er sich offenbar vorgenommen hat – zu dieser Aussage, indem er etwas tut, was der Kompetenzdiskurs ansonsten gerade nicht zu tun scheint: Er historisiert und verortet den Kompetenzbegriff in der philosophiegeschichtlichen Auseinandersetzung mit der Gesellschaft. Dem zu widersprechen ist eigentlich nur möglich, indem sich auch auf eine philosophische Ebene begeben und die Grundbegriffe des Kompetenzdiskurses dargelegt würde – was, wie Müller-Ruckwitt gezeigt hat, nicht so einfach möglich sein wird. Insoweit übernimmt Gelhard tatsächlich die weiter oben angesprochene Funktion der Kritik. Zumindest aber sollte man also aufpassen, was man „mitmeint“ und welche Grundaussagen über Menschen und Gesellschaft man trifft, wenn man den Begriff Kompetenzbenutzt. Er ist halt – im Guten wie im Schlechten – kein Synonym für Fähigkeit oder Qualifikation.

The Spoony One does Library-Jokes

Letztens besprach ich relativ ausführlich das Phänomen der Internet-Critics. (hier) Einer dieser Critics – einer der besten, um genauer zu sein –, Spoony, hat letzten Samstag eine neue Review veröffentlicht. Besprochen wird der Film „Lord of Magick“, den man offenbar nicht kennen muss. Aber für die Audience hier im Blog: Es ist eine Review mit zahlreichen Verweisen auf (Öffentliche) Bibliotheken. Die Review beginnt damit, dass Spoony sich als Leser und Bibliotheksnutzer bezeichnet. Und ab der 17 Minute fliegen mehrere Bibliotheken auseinander. Und ganz am Ende gibt es einen schon bekannten Library-Gag. Auch wenn man nicht alle Anspielungen versteht (beispielsweise gleich am Anfang die mit Cinema Snob und Lupa, kann ich mir vorstellen), ist das doch alles ein großer Spaß. Ich bin begeistert und empfehle es weiter.

Selfpublishing-Verlage ziehen schlimme Menschen an. Eine Polemik.

Bei der gestrigen Langen Buchnacht in Kreuzberg stellte unter anderem ein Selfpublishing-Verlag seine Angebote in einer Präsentation vor. Der Name ist egal, denn bei anderen Selfpublishing-Verlagen wird es ähnlich sein; auch ist es irgendwie vertretbar, dass so ein Verlag eine explizite Kulturveranstaltung für eigene Werbung nutzt, immerhin haben auch die anderen Verlage ihre Büchertische bei den Lesungen ihrer AutorInnen aufgestellt und der Selfpublishing-Verlag bot selber neben der Produktpräsentation Lesungen an. Zudem muss ein solcher Verlag Werbung für die Selbstpublikation machen, schließlich ist das sein Produkt.

Ich habe die Präsentation aus Interesse gesehen. Nicht, weil ich literarische Ambitionen hätte, sondern um die Unterschiede zwischen diesen und „richtigen“ Verlagen einmal live zu sehen. Das war unerfreulich. Noch nicht einmal wegen der aktuellen Produkte und Arbeitsabläufe, die vorgestellt wurden. Dass man selber zu Layouten hat, außer man zahlt mehr; dass man selber Korrektur zu lesen hat, außer man zahlt mehr; dass man selber für sein Buch Werbung machen muss – geschenkt. Das ist es ja, was man von solchen Verlagen erwartet. Unangenehm war das ständige Grinsen und gut-drauf-sein der hippen, jungen Verlagsangestellten. (Die ehrlich gesagt so hip nun auch nicht waren, aber vielleicht bin ich da zu Berlin-verwöhnt.) Sie strahlten die ganze Zeit weniger ein Interesse an Kultur, Büchern, Literatur aus, sondern eigentlich nur eine Verkaufs- und Dienstleistungsmentalität. Der Verlag halt als reines Unternehmen und weniger als Literaturhaus, aber auch das sehr unentspannt im Gegensatz zum Beispiel in den Kleinverlagen, die ich sonst so näher kenne. Andererseits war dieser Habitus auch vollkommen passend. Und zumindest die Bücher, die dieser Verlag ausgelegt hatte als Beispielprodukte, waren qualitativ vollkommen tragbar, teilweise tatsächlich überraschend kreativ. Insoweit habe ich vielleicht einfach zu wenig diverse Vorstellungen von Verlagsarbeit, dass mir dieser Habitus überhaupt als negativ aufgefallen ist. Zugleich muss man diesem Verlagsmodell zugute halten, dass hier sehr schnell klar wird, was man kauft und was nicht – im Gegensatz zu anderen Verlagen, wo teilweise Leistungen nicht erbracht werden, man das aber sehr spät herausfindet. (Ich schaue da mal heimlich zu einigen Wissenschaftsverlagen ‚rüber, die im Ruf stehen, die Korrektur und das Lektorat praktisch eingespart zu haben.)

Wobei kaufen das richtige Stichwort ist. Wirklich unangenehm scheinen die Menschen zu sein, die sich für diese Selbstpublikationsverlage und deren Angebote interessieren. Selbstverständlich gibt es immer auch sinnvolle Projekte – beispielsweise zahlreiche Jahrbücher und Kataloge, die in diesem Verlag gedruckt und weit qualitativer verarbeitet sind, als die Jahrbücher und Kataloge aus dem Copyshop – und Menschen, die Bücher aus Interesse verlegen. Bei der Veranstaltung gestern fiel allerdings auf, dass die Menschen die ganze Zeit von den Kosten redeten beziehungsweise davon, was sie verdienen könnten. Kein Wort während der ganzen Veranstaltung fiel über Inhalte, keines über Literatur oder pädagogische Zielsetzungen oder Ähnliches. Einzig, wie der Verlag finanziell gegen andere Verlage stehen würde, wo man mehr verkaufen könnte, wo man Dinge einsparen könnte – das schien von Interesse zu sein. Das ganze inklusive einiger Menschen, die immer wieder betonen mussten, dass sie schon soundsoviel Bücher im Selbstverlag publiziert hätten (Ist das eigentlich etwas, worauf man stolz sein kann, heutzutage?), die aber trotzdem in diese Veranstaltung gingen, wohl um zu schauen, ob sie noch zwei Cent sparen oder irgendwelche Leistungen extra kriegen und den kostenlosen Sekt trinken könnten. Zumal diese Menschen dann auch so allgemeine Sachen, wie beispielweise was eine ISBN-Nummer ist und wozu die gut sein könnte, nicht nur nicht wussten, sondern auch nicht verstanden, als es erklärt wurde.

Ich bin ja eigentlich abgestoßen von dem Gejammer, dass Dinge immer schlechter werden, die Jugend immer dümmer etc. (Und sie werden es ja auch nicht. Wie gesagt, gibt es weiterhin relaxte Kleinverlage, die Bücher aus politischen und / oder ästhetischen Interessen verlegen und ungefähr bei Plus-/Minus-Null rauskommen.) Aber es ist doch auffällig gewesen, dass diese Selfpublishing-Verlage einen sehr unschönen Menschenschlag anziehen, zumindest unschön bezogen auf ihr literarisches Verständnis. Menschen, die vergessen – oder auch nie gewusst – haben, dass Geschichten geschrieben werden, weil etwas gesagt werden muss; dass Gedichte gedruckt werden müssen, weil sie etwas aussagen; dass Photobände publiziert sein müssen, weil die ganze Welt das alles sehen muss; dass wissenschaftliche Texte gedruckt werden, um eine wissenschaftliche Kommunikation zu ermöglichen. Das Buch ist diesen Menschen zum reinen Produkt geworden, offenbar nur vorhanden, um sie zu finanzieren oder auf ihrer Publikationsliste zu stehen. „Es gibt kein richtiges Leben im falschen“ flüstert der innere Adorno mir zu. „Die Inwertsetzung aller Produkte ist eine Konstituente der kapitalistischen Gesellschaft.“ (Mein innerer Adorno hat sich zum Teil von der Postmoderne anstecken lassen.) „Schon richtig“, raune ich zurück. Aber wie Martin Büsser immer wieder einmal betonte: Das ist auch kein Grund, nur noch falsch zu leben. Es gibt so etwas wie das falschere Leben im falschen. Und offenbar bringt das Angebot der Selfpublishing-Verlage Menschen zusammen, die sich nicht sehr um das richtigere Leben kümmern. Da mögen die Verlage nichts für können und wie gesagt, werden auch Menschen mit anderen Ansprüchen deren Angebote annehmen, aber es ist kein Menschenschlag, dem man oft begegnen möchte.

Internetcritics – Medienkritisches Handeln der „Internet-Generation“

Ein Ziel der Medienpädagogik ist die Fähigkeit zur kritischen Aneignung von Medieninhalten. Dieses Ziel wird in relativ vielen Projekten – vor allem in Schulen und in der Sozialen Arbeit für Kinder und Jugendliche – auch durch die Produktion eigener Medien geübt. Schulzeitungen sind beispielsweise nicht nur als eine Form der Meinungsäußerung – und damit Teil der Bildung zu kritischen und verantwortlichen Bürgerinnen und Bürgern – anzusehen, sondern auch als medienpädagogisches Projekt, dessen Ziel es ist, zumindest den Beteiligten die Entscheidungsprozesse bei der Erstellung von Medien praxisnah zu vermitteln, um darüber hinaus einen aufgeklärten Umgang mit Medien zu initiieren: Wer einmal eine Zeitung gemacht hätte, so etwas heruntergeborchen die dahinterstehende Überlegung, würde auch bei „großen“ Zeitungen und Medien eher quellenkritische Fragen stellen.
(Selbstverständlich: die Schülerinnen und Schüler, die eine Schulzeitung machen, tun dies nicht, um den Umgang mit Medien zu lernen. Zumeist haben sie etwas zu sagen und sollen es – Demokratie ist ja bekanntlich ein Lernprozess – auch tun. Das steht für sie, berechtigterweise, im Vordergrund.)
Es ist ein Allgemeinsatz, dass sich die verfügbaren der Medienformen in den letzten Jahren immer komplexer gestalten, nicht nur durch die Entwicklungen, welche unter dem „Web 2.0“-Label gefasst werden, sondern auch dadurch, dass sich andere Medienformen wie Comics oder Computerspiele als bedeutungstragende Medien im Alltag etabliert haben. Gleichzeitig hat die Vielzahl der Medien – auch dass ein Allgemeinsatz – zu einer Ausdifferenzierung der Mediennutzungsformen geführt, die sich auch, aber nicht nur, mit Alter/Generation und sozioökonomischen Status zusammen denken lässt. Medienformen werden durch Personen und Personengruppen sehr unterschiedlich genutzt. Teilweise werden Medienformen aus dem Medienalltag von Menschen ausgeschlossen (so zum Beispiel bei der wachsenden Zahl von Menschen, die auf Fernseher verzichten), den Medienformen werden sehr unterschiedliche Bedeutungen zugewiesen.
Dies geht einher mit einer Pluralisierung der Subkulturen, die zudem immer mehr nicht nur als Jugendkulturen gelten können, sondern weitere Teil der Gesellschaft umfassen, einher. Nicht, dass es nicht schon spätestens seit den 1960er Jahren differenzierte Jugendsubkulturen nebeneinander gegeben hätte. Aber seit den 1990er Jahren scheint sich nicht nur die Zahl der Subkulturen vervielfacht, sondern auch deren Nebeneinandersein als gesellschaftliche Normalität etabliert zu sein. Waren Subkulturen zuvor Teilgruppen der Jugendlichen vorbehalten, gilt es heute fast schon als Anforderung an Jugendliche, sich mehr oder weniger eine subkulturelle Identität zuzulegen, welche auch mehrere Subkulturen vereinen kann. Zudem ist die Zugehörigkeit zu Subkulturen weit über das 30 Lebensjahr hinaus zumindest für einige Subkulturen immer akzeptierter.
Wichtig ist hier, dass sich diese Subkulturen zu großen Teilen über Medien und Mediennutzung definieren und organisieren. Teilweise handelt es sich bekanntlich um Subkulturen, die sich um eine Medienform gruppieren (hier kann auf die Cosplay-Szene verwiesen werden, die sich um Mangas gruppiert), während bei anderen Subkulturen andere Merkmale im Mittelpunkt stehen (hier sei auf die Antifa-Szene verwiesen, die sich um ein politisches Grundverständnis gruppiert, obgleich eines ihrer Merkmale die aktive Mediennutzung und -erstellung darstellt).
Auf der einen Seite hat also die Nutzung von Medien als Alltagsinhalt – auch als Objekt, über das inhaltlich kommuniziert wird – zugenommen. Auf der anderen Seite wird die medienkritische Nutzung und Erstellung eigener Medien als wünschenswerter Qutcome medienpädagogischer Programme verstanden.
Internetcritics, die hier im Weiteren besprochen werden sollen, zeigen, dass sich innerhalb der letzten vier bis fünf Jahren eine Internet-Subkultur etabliert hat, in welcher gerade diese medienkritische Anneignung, Reinterpretation und Verarbeitung von Medien umgesetzt wird. Diese Szene zeichnet sich nicht nur durch einen fluenten Umgang mit Medien, Bedeutungsebene von Medien für Alltag und unterschiedliche Subkulturen aus, sondern auch durch eine erstaunliche eigene Kreativität. Sie übernimmt auch eine Selbstermächtigungsfunktion für Medienkonsumierende. Sicherlich ist es nicht einfach, den Einfluss dieser Internetcritics zu bestimmen. Angesichts dessen, das sie in einzelnen Veranstaltungen auf Conventions jeweils mehrere hundert Gästinnen und Gäste anziehen und sich von ihnen geprägte Meme in anderen Subkulturen wiederfinden – sogar in deutschsprachigen, obgleich die einflussreichsten Internetcritics englischsprachig sind – lässt sich davon ausgehen, das sie zumindest für Teile der Jugend- und Subkulturen relevant sind. [Vgl. beispielsweise den Anfang der „Live-Show“ von Linkara auf dem Magfest 2011 (in Alexandria, Virginia): http://thatguywiththeglasses.com/videolinks/linkara/at4w/29508-the-live-show.]

Internetcritics: Merkmale und tgwtg.com als Hub
Internetcritics sind Personen, die sich in Serien in meist kritischer Absicht über andere Medien äußern. Diese Serien werden im Internet verbreitet, wobei teilweise bestehende Videoplattformen, teilweise aber auch eigenständige Homepages – die allerdings technisch oft auf Videoplattformen aufbauen – genutzt werden. Die einzelnen Folgen dieser Serien sind zumeist zwischen zehn und zwanzig Minuten lang, obgleich die Länge der Folgen eher vom jeweiligen Gegenstand der Kritik als von anderen Grenzen abhängig ist.
Nahezu alle Critics haben sich für ihre Serien Figuren geschaffen, die sie – und hier zeigt sich sehr schnell, dass medienkritisches Handeln auch beinhaltet, zu verstehen, wie Medien funktionieren – mit jeweils spezifischen Merkmalen ausgestattet haben. Dazu zählt nicht nur ein oft ähnliches Aussehen – bis hin zu spezifischen immer benutzen Kleidungs- und Ausstattungsstücken, beispielsweise der Hut und Mantel bei Linkara oder der blaue Roboter bei Spoony –, sondern ebenso ein wiederholtes Setting – beispielsweise die grüne Couch vor leerer Wand bei Linkara oder das Jugend/Studierendenzimmer bei PushingUpRoses. Weiterhin bemühen sich die Critics jeweils, den Grundton ihrer Kritiken ähnlich zu gestalten. Sie arbeiten dabei gekonnt mit jeweils zu den einzelnen Critics „gehörenden“ Catchphrases, Haltungen und Gesten, symbolischen Elementen, aber auch der Beibehaltung des jeweiligen Abstands zum kritisierten Medium.
Objekt der Kritik sind (fast) immer Objekte der Medienkultur, wobei sich die einzelnen Critics zumeist auf bestimmte Formen festlegen: Nostalgia Critic bespricht „nostalgische“ Filme und Fernsehserien der 1980er und 1990er Jahre, Linkara bespricht Comics, Angry Joe vor allem aktuelle Videospiele, MikeJ Fortsetzungen von Kinofilme (also American Pie 3, Halloween 2 etc.), Todd in the Shadows Popmusik, Phelous explizit schlechte Horrorfilme, Cinema Snob explizit schlechte „Z List movies“, JewWarrior japanische Famicom-Games (das japanische SNES) und so weiter. Es gibt dabei immer wieder Überschneidungen. Gleichzeitig gibt es auch Critics, die sich inhaltlich nicht ganz klar festlegen und, wie zum Beispiel Sponny, Filme, Fernsehserien und Spiele gleichzeitig besprechen. Darüber hinaus haben einzelne Critics sich mehr oder weniger Nebencharaktere geschaffen, die andere Medien besprechen. Angry Video Gema Nerd, der zumeist SNES-Spiele bespricht, hat mit Board-James eine Figur beziehungsweise Serie, in welcher er Brettspiele bespricht. Nostalgia Critic hat mit The Bum eine Figur, welche aktuelle Filme bespricht.
Dabei darf man das „besprechen“ nicht missverstehen: Die meisten Critics setzen sich nicht vor den Rechner und reden einfach frei (dies wird zum Teil in Vlogs getan, beispielsweise von Brad Jones/Cinema Snob oder wieder Spoony). Vielmehr sind die gesamten Reviews gescriptet, oft verbunden mit eigenen schauspielerischen Elemente. Umfangreich produzierte Reviews erhalten zum Teil in einer weiteren Veröffentlichung „Commentaries“, in welchen die Beteiligten über die eigentliche Folge und deren Produktion selber sprechen, während diese im Hintergrund abgespielt wird.
Einige Critics gehen soweit, ein Figurenensemble aufzubauen, welches in unregelmäßigen Abständen in ihrer Reviews auftritt, so Linkara mit 90’s Kid (von ihm selber gespielt) oder Spoony mit Doctor Insano, Warrior und anderen (ebenfalls von ihm selber gespielt) oder Nostalgia Chick mit Nela und der Make-Over Fairy.
Die Rezeptionshaltung der Internetcritics ist zumeist die der „normalen“ Konsumentinnen und Konsumenten, welche die Medien nutzen (also die Filme sehen, die Spiele spielen, die Comics lesen) würden. Wobei gleichzeitig ein hohes Wissen über andere Medien vorausgesetzt wird. Die Critics sprechen aus der Sicht als kritische Konsumentinnen und Konsumenten zumeist sehr fundiert darüber, warum Filme schlecht, Spiele unspielbar und so weiter sind. Nur selten werden die Medienprodukte vollständig gut besprochen, gleichwohl wird für die einzelnen Bewertungen eine oft sehr ausführliche Begründung gegeben. Dies ist selbstverständlich durch die relativ frei variable Laufzeit der Kritiken möglich.
Diese Haltung führt dazu, die Medien als Objekte der Mediennutzung ernstzunehmen, gleichzeitig aber die Herstellungs- und Produktionsprozesse zu thematisieren und in eine gewisse Form von direktem Kontakt mit den „Fans“ (eine Bezeichnung, die bei den Critics als Bezeichnung für alle Zuschauenden benutzt wird). Letztlich stellen die Critics an die besprochenen Medien den Anspruch als Nutzende in ihrer Intelligenz ernst genommen zu werden.

Das im Folgenden beschriebene Beispiel ist der Homepage tgwtg.com (beziehungsweise in langer Schreibweise: thatguywiththeglasses.com) entnommen. Diese Seite hat sich in gewisser Weise als ein Hub für die englischsprachigen Internetcritics etabliert. Sie besteht seit 2008 und wurde eigentlich erstellt, als Nostalgia Critic mehrere Probleme mit seinem Youtube-Account hatte. Die von ihm produzierten Reviews wurden von Youtube beständig entfernt, so dass die Entscheidung getroffen wurde, eine eigene Homepage aufzusetzen. Als diese etabliert war, wurde sie relativ schnell ausgebaut und nahm weitere Critics auf, wobei der Auswahlprozess unterschiedlich verlief: ein Teil der Critics hatte sich zuvor mit eigenen Accounts auf Videoplattformen und eigenen Blogs etabliert (beispielsweise Spoony, Cinema Snob, Linkara), andere wurden in gewisser Weise auf tgwtg.com als Critics begründet (beispielsweise Nostalgia Chick, die in einem Wettbewerb als weibliches Pendant zu Nostalgia Critic gesucht wurde, heute aber auch stilistisch sehr eigene Wege geht, oder Obscurus Lupa, die ihre ersten Kritiken im Forum von tgwtg.com postete und sich dort etablierte). Heute werden pro Tag zwischen fünf und sechs Episoden unterschiedlicher Critics auf der Seite eingestellt, wobei offenbar ein in mehreren Reviews erwähntes Schuedle existiert. Einige Critics stellen regelmäßig (beispielsweise Nostalgia Critic, mindestens jeden Dienstag oder Linkara, mindestens jeden Montag) Reviews bereit, einige in unregelmäßigeren Abständen. Obgleich einige Critics mit der Zeit aufhören, Reviews zu produzieren (beispielsweise Little Miss Gamer, die eigentlich als Vorbild für weibliche Computerspielerinnen galt, aber Anfang 2010 aufhörte, weitere Videos zu veröffentlichen), kommen regelmäßig neue Critics hinzu, so dass die Seite bislang einem ständigen Wachstumsprozess unterliegt. Die Seite ist so erfolgreich, dass ein Teil der produktivsten Reviewers und unterstützender Personen sich über die Arbeit an diesen Reviews finanzieren kann. Ende 2010 wurde mit Blistered Thumbs eine Unterseite eröffnet, auf der die Reviews zu Videospielen veröffentlicht werden. Gleichzeitig wurden beispielsweise mit The Rap Critic (der, wie dem Namen zu entnehmen ist, Hiphop-Tracks bespricht) Medien anderen Subkulturen als Thema aufgenommen.
Obgleich es weiterhin Critics gibt, die nicht auf tgwtg.com publizieren – allen voran Angry Video Game Nerd, der als einer der Begründer dieser Subkultur gelten kann –, ist die Homepage doch als Hub für diese Szene zu verstehen; nicht nur wegen der schieren Anzahl der Reviewer, die hier regelmäßig Videos (sowie Podcasts und schriftliche Kritiken) einstellen, sondern auch, weil sich zwischen diesen Reviewers eine eigene Kultur entwickelt hat, die sich nicht nur in Kooperationen, sondern auch in beständigen direkten und indirekten Bezügen aufeinander niederschlägt.
Besprochen wird im Weiteren nicht die Community, welche sich um die Seite selber in den Foren und Blogs aufgebaut hat. Aber selbstverständlich ist auch eine solche vorhanden und wird – ebenso wie die Kommentarfunktionen bei den einzelnen Videos – aktuell intensiv genutzt.

The Room Accident
The Room ist ein 2003 veröffentlichter Film, der teilweise als einer der schlechtesten Film aller Zeiten gilt. Grundsätzlich wird in ihm eine Soap-Opera-ähnliche Geschichte eines heterosexuellen, verlobten Paares erzählt. Die weibliche Hauptfigur, Lisa, betrügt ihren Verlobten, Johnny, beständig mit dessen besten Freund, Mark, und scheint wenig Interesse an der Beziehung selber zu haben. Der Film endet, nachdem sich Johnny erschossen und Mark Lisa abgewiesen hat. Diese an sich nicht herausragende Geschichte ist allerdings schlecht umgesetzt, das Schauspiel und die Dialoge sind tatsächlich erstaunlich schlecht. Gleichwohl soll sich der Film eine Fan-Gemeinde, die ihn wegen des „so bad its good“-Charakters feiert, aufgebaut haben.
Wichtig wurde dieser Film für Internetcritics allerdings, weil sich die Produktionsfirma dagegen verwahrte, dass Ausschnitte bei den Kritiken des Filmes bei Nostalgia Critic verwendet wurden.
Die erste Kritik des Film bei tgwtg. erschien am 09.07.2010, als Obscurus Lupa mit dieser Kritik ihren Einstand als regelmäßige Beiträgerin zur Seite feierte. Zuvor hatte Lupa in den Foren der Seite schon Kritiken veröffentlicht, die teilweise viele schauspielerische Elemte enthielten; obgleich die Hauptposition der Serien in einem Jugend/Studierendenzimmer spielt, mit Lupa offensichtlich vor einem Rechner sitzend und in diesen hinein sprechend. [http://www.youtube.com/watch?v=fDEGDMEL77Y] Aufgrund ihrer Popularität wurde Lupa offenbar auf die Frontpage der Seite befördert. [http://thatguywiththeglasses.com/videolinks/teamt/ol/olp/23496-the-room]
Die Review wurde von Lupa als explizit „groß“ angekündigt: „If I go on thatguywiththeglasses, I’ll go big.“ Während die Kritik selber relativ einfach den Film von Anfang bis Ende durchgeht, auf die signifikanten Punkten mit der Unterstützung von Einspielungen eingeht sowie eine Einführung und einem Fazit endet, etabliert Lupa dennoch eine Anzahl von Catchphrases, die im weiteren Verlauf der Rezeption relevant wurden. Sie geht beispielsweise auf die unnötig langen und sich wiederholenden Sexszene ein, betont, dass sich zahlreiche Szene des Films inhaltlich wiederholen – so gibt es ein Gespräch zwischen der Lisas Mutter und Lisa, welches im Film mehr als einmal geführt wird und die Geschichte eigentlich vorantreiben soll, realistisch betrachtet aber immer wieder den gleichen Inhalt hat: Lisa ist gelangweilt von Johnny, die Mutter findet das nicht richtig, zumal Johnny Lisa offenbar finaziert, anschließend ist alles wieder okay –, mehrere Figuren, die während des Films einfach verschwinden (weil mehrere Schauspieler die Produktion während der Drehzeit verließen). Zudem werden mehre, relativ absurde Dialogstellen herausgestellt:

  • Folgender Themenwechsel bei einem Gespräch zwischen Johnny und Mark: „I can not tell you, it’s confidential. Anyway. How’s about your sexlife?“
  • Johnny gegenüber Lisa, vollkommen überzogen und inhaltlich unangebracht: „Don’t you know anything about life? Don’t you?“
  • Ebenfalls Johnny gegenüber Lisa, mit großer theatralischer Geste: „Why Lisa, why?“ „You tearing me apart, Lisa.“ [http://www.youtube.com/watch?v=Plz-bhcHryc], „I gave you seven years of my life.“
  • Johnny gegenüber Mark und anderen: „You just a little chicken. Sheep-sheep-sheep-sheep.“ (Dabei die Arme wie Flügel schlagend.) [http://www.youtube.com/watch?v=okaNIRTXvV0], „Everybody betrayed me. I feed up with this world.“
  • Eine Szene in einem Blumenladen, die etabliert, dass Johnny des Öfteren Blumen für Lisa kauft. [http://www.youtube.com/watch?v=7S9Ew3TIeVQ] Allerdings wird in der Szene ein relativ unverständlicher Dialog geführt. Johnny: „Hi.“ Verkäuferin: „Can I help you?“ Johnny: „Yeah. Can I have a dozen red roses, please?“ Verkäuferin: „Oh hi Johnny, I didn’t know, it was you. Here you go.“ Johnny: „That’s me. How much is it?“ Verkäuferin: „That will be 18 Dollars.“ Johnny: „Here you go. Keep the change. (Streichelt einen Hund, der auf dem Tresen sitzt.) Hey Doggy.“ Yerkäuferin: „You’re my favorite costumer.“ Johnny: „Thanks a lot. Bye.“ Verkäfuerin: „Bye bye.“
  • Eine Szene einem Dach, nachdem Johnny erfahren hat, dass Lisa das Gerücht verbreitet, er wäre gewalttätig. In einer sehr eigenwilligen Diktion führt Johnny ein Selbstgespräch, um am Ende Mark zu begrüßen, den er auf dem Dach antrifft: „I did not hit her. It’s not true. It’s bullshit. I did not hit her. I did not! Oh hi Mark.“

Am Ende des Review hat Lupa nicht nur den Film nachvollziehbar dargestellt, sondern auch seine zahlreichen Schwächen herausgearbeitet. Interessant unter dem Fokus des medienkritischen Handelns ist die Abschlusssequenz ihrer Review nach dem Fazit. Dort spielt ein Bekannter von Lupa einen Auftritt des Hauptdarstellers, Regisseurs, Produzenten et cetera des Filmes, Tommy Wiseau, und beweist dabei ein hohes Verständnis für die im Film eingesetzten Stereotype. Der Dialog mit Lupa ist fast vollständig aus den Catchphrases der Hauptfigur des Filmes zusammengesetzt und zeigt noch einmal das vollkommen unrealistische Handeln dieser Figur, inklusive seines Selbstmordes im Film, auf.
Wenige Tage später, am 13.07.2011, veröffentlichte Nostalgia Critic seine eigene Kritik des Filmes. [http://thatguywiththeglasses.com/videolinks/thatguywiththeglasses/nostalgia-critic/25743-the-room] Die Review beginnt mit einem eigenständigen Twist, bei dem der Critic ankündigt, einen seiner „College Films“ zu besprechen, dann aber von ihm selber „from the Future“ in die Zukunft geholt wird, damit der Film als nostalgisch gelten kann (normalerweise bespricht er Filme aus den 1980er und 1990er Jahren). Dieser Plot ist eine Kopie aus „Zurück in die Zukunft“, was nicht verheimlicht wird. Vielmehr wird auf dem Wissen über diesen Film aufgebaut.
Die anschließende Review selber wiederholt zahlreiche Punkte, die auch Lupa angesprochen hat, ergänzt allerdings eine Punkte. Beispielsweise die Figur Danny, einen Schüler, der ohne erkennbaren Grund ein Quasi-Sohn für Johnny spielt, aber einige erstaunliche Szenen im Film erhielt. So stört er das Paar quasi beim Sex, später erzählt er Johnny, dass er selber Lisa lieben würde. Diese Szene ist tatsächlich erstaunlich, da Johnny nur mit einem „Don’t worry about that. Lisa loves you too, as a person, as a human being.“ reagiert. Außerdem stellt der Kritik die schlechten schauspielerischen Leistungen im Film durch Reenactments klar und betont zu Recht, als wie dumm, egoistisch und eindimensional die Figuren, insbesondere Lisa, entworfen wurden.
Interessant ist neben der Einbindung der Review in den „Zurück in die Zukunft“-Plot der Auftritt mehrere anderer Internetcritics – Lupa, Linkara und Sponny –, welche als Einspielungen versuchen, den Critic vom Schauen des Films abzuhalten. Diese kurzen Szenen tragen zur Kritik selber nichts bei, reflektieren allerdings gekonnt mit den ständigen Übertreibungen des Films.
Innerhalb der nächsten Woche wurde die Review von Nostalgia Critic vom Netz genommen, obgleich sie auf anderen Kanälen selbstverständlich wieder auftauchte und jetzt auch wieder am originalen Ort zu sehen ist. Stattdessen erschien am 20.07.2010 anstelle der wöchentlichen Episode des Critics das Video „The Tommy Wiseau Show“. [http://thatguywiththeglasses.com/videolinks/thatguywiththeglasses/nostalgia-critic/26252-the-tommy-wiseau-show] In diesem Sketch spielt Nostalgia Critic nicht nur einen als geistig beschränkt dargestellten Tommy Wiseau, der selbstverständlich immer wieder Catchphrases aus „The Room“ benutzt, sondern auch „John“ von theroommovie dot com. Offensichtlich ging von diesem John eine Klage gegen die Review von Nostalgia Critic ein, die dazu führte, dass das Video für eine Weile wegen Copyright-Claims vom Netz genommen wurde. Dieser John wird als jemand dargestellt, der alles und jeden verklagt und dabei die Argumente der Filmindustrie auf The Room anwendet. Interessant an der Reaktion von Nostalgia Criitc – der sich auf Fair Use Klauseln beruft, da es sich um eine Review handeln und er deshalb Bilder aus dem Film verwenden dürfte – ist nicht nur, dass er dies in einem Sketch tat, sondern in diesem Sketch über einen Anruf seine eigene Meinung äußern konnte, ohne die einzelnen Rollen zu überschreiten. Zudem zeigte er mit John, der am Ende des Sketches Tommy Wiseau selber verklagen will, weil dieser das Bild von Tommy Wiseau benutzen würde, die Absurdität mancher Argumente der Filmindustrie im Bezug auf das Copyright auf.
Angesichts dessen, dass der Sketch innerhalb weniger Tage entstanden sein muss, ist er tatsächlich eine erstaunliche kreative Leistung. Ganz offensichtlich ist Nostalgia Critic in der Lage, mit den unterschiedlichen Film-Genres umzugehen und diese sogar für seine eigenen Argumentationen zu benutzen. Es ist nicht erstaunlich, dass er in diesem Sketch auch auf dem Streisand-Effekt anspielt. [http://de.wikipedia.org/wiki/Streisand-Effekt]
Ebenfalls am 20.07.2010 stellte Cinema Snob eine Reaktion auf die Sperrung der Review von Nostalgia Critic in seinen Blog ein. [http://thecinemasnob.com/2010/07/20/brad-and-jerrid-watch-the-room.aspx] Dabei tritt Cinema Snob in einer seiner anderen Rollen, als Brad, auf, der mit seinem Mitbewohner Jerrid eine eigene Review von The Room produziert. Nachdem beide allerdings festgestellt haben, dass Videos, die eine Meinung über The Room verbreiten und dabei Bilder aus dem Film benutzen, um ihre Meinung zu untermauern, verklagt werden, spielen sie die herausstechensten Szenen des Filmes – den sie als schlecht bezeichnen – nach. Das ist selbstverständlich absurd, zeigt aber gerade die Absurdität, die auftritt, wenn Filmfirmen tatsächlich das Recht hätten, Reviews der eigenen Filme zu untersagen, wenn in diesen Videoreviews – die ja ein visuelles Medium darstellen – keine Bilder des jeweiligen Filmes verwendet werden. Auch dieser Sketch in offenbar in sehr kurzer Zeit entstanden, er ist auch kürzer, als die sonstigen Beiträge von Cinema Snob, aber er ist trotzdem relativ wirkungsvoll. Vor allem zeigt er auch, wie selbstverständlich Cinema Snob (und Jerrid) mit dem Medium Film umgehen.
Mit diesem Backup wurde die Sperrung der einen Review tatsächlich gemäß dem Streisand-Effekt zu einem Thema zahlreicher Blogbeiträge, Podcasts und anderen Äußerungen, zumindest im englischsprachigen Netz. Der Großteil dieser Beiträge folgte der Argumentation, dass es sich bei der Verwendung von Bildern in Reviews um eine gerechtfertigte Nutzung handeln würde. Gleichwohl finden sich auch einige Äußerungen, die – allerdings sehr oft in der polemischen Terminologie, die zur gleichen Zeit von der Tea Party Bewegung genutzt wurde – dem widersprechen. Zudem wurde das Thema größer, als sich nur auf eine Website zu beschränken.
Eine relativ späte Äußerung, die erst am 16.08.2010 erschien, als die Review von Nostalgia Critic schon wieder freigegeben war, ist ein Sketch von Obscurus Lupa, der sich im Rückblick als ein gewisses letztes Nachtretten interpretieren lässt. [http://thatguywiththeglasses.com/videolinks/teamt/ol/sketches/27503-day-tommy-wiseau] „A Day in the Life of Tommy Wiseau“ stellt zu Beginn eine Verballhornung von Tommy Wiseau dar, inklusive einer Szene, in der Obscurus Lupa von Tommy niedergeschlagen wird, geht dann aber sehr schnell in eine Collage unterschiedlicher Internetcritics (Linkara, Cinema Snob, Nostalgia Critic, Todd in the Shadows und Phelous) über, die allesamt als Tommy Wiseau absurde Gespräche über das Telefon führen. Dieser Sketch kann seine Anlehnung an britische Comedy nicht verhehlen, auch wenn er nicht ganz die Qualität erreicht. Für das einmalige sehen – und zudem unter den gegebenen technisch und infrastrukturell geringen Mitteln – ist er erstaunlich vielschichtig und spielt mit der Figur Tommy Wiseau genauso wie mit dem gesamten Gestus von The Room.
Alles in allem zeigt diese Reihe von Videos, die sich auf The Room bezogen, dass Medienkompetenz im Sinne der Beherrschung von Medien und der kritischen Aneignung derselben zumindest von den sogenannten Internetcritics ausgebildet wurde. Sicherlich stellen diese eine besonders aktive Gruppe der „Internet-Generation“ dar. Aber zumindest für diese Gruppe ist ersichtlich, dass sich das demokratisierende Versprechen, welches oft mit dem Internet verbunden wurde, ebenso erfüllt hat wie die Hoffnung, dass der Umgang mit Medien und die Demokratisierung der Produktionsmittel für Internetmedien zu einem medienkritischen Handeln führen wird.