Praxisbuch Schulbibliotheken

Okay, dass ist jetzt schamlose Eigenwerbung. Aber es ist mein erstes eigenes Buch. Und die Belegexemplare lagen gerade im Briefkasten, also ist es jetzt tatsächlich da: Das Praxisbuch Schulbibliotheken.

Es gibt nicht so viel zu erzählen, was sich nicht aus dem Titel selber ergibt. Das Buch soll dabei helfen, Schulbibliotheken aufzubauen und zu erhalten. Sabine Wolf hat, wenn ich ehrlich bin, die meiste Arbeit geleistet, ich habe mich eher angehangen. Deshalb hat das Buch aber auch zwei Blickwinkel. Einerseits sehr klare Zahlen, Werte und Praxistipps aus Sabine Wolfs Erfahrung und einige grundsätzliche Reflektionen aus meiner Forschung zu Schulbibliotheken sowie Anmerkungen zur Nutzung von Schulbibliotheken im schulischen Kontext.
Interessant ist vielleicht, dass wir im Buch versuchen, Schulbibliotheken nicht nur aus der bibliothekarischen Perspektive zu sehen, sondern als Einrichtungen in Schulen zu begreifen. An verschiedenen Orten hatte ich darauf hingewiesen, dass die Situation bislang so ist, dass die bibliothekarische Diskussion und die pädagogisch-didaktische Diskussion um Schulbibliotheken in weiten Teilen ohne Bezug nebeneinander geführt wird. Dies wollten wir umgehen und ein Buch vorlegen, welches für alle Personen, die etwas mit Schulbibliotheken zu tun haben, sinnvoll sein kann. Zudem gehen wir davon aus, dass es keine „fertigen“ Schulbibliotheken gibt, sondern immer wieder neue Entscheidungen getroffen und Entwicklungsrichtungen eingeschlagen werden müssen. Ansonsten haben wir das Buch mit der Hoffung geschrieben, dass Menschen, die mit Schulbibliotheken arbeiten wollen, hier einige Hilfe finden. Ob uns das gelungen ist, müssen andere entscheiden. Es ist definitiv nicht das letzte Wort in Sachen Schulbibliotheken, sondern eine Praxishilfe (die ja auch mit dem Wochenschau Verlag in einem Haus veröffentlicht wurde, dass sich durch Praxishilfen für den schulischen Bereich einen Namen gemacht hat) und ein Diskussionsangebot.

Das Inhaltsverzeichnis findet sich auf der Homepage des Verlages [hier].

Ist eine bibliothekswissenschaftliche Unkonferenz notwendig? Zur frei am 10.06.2011

Ein Team aus dem Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaften der Humboldt-Universität und der Redaktion der LIBREAS ruft bekanntlich für den Freitag, an dem der diesjährige Bibliothekstag in Berlin endet, zu einer bibliothekswissenschaftlichen Unkonferenz, frei<tag>, auf. Nach dem Ende der großen Fachtagung des Bibliothekswesens soll ermöglicht werden, die Forschenden und potentiellen Forschenden der Bibliotheks- und Informationswissenschaft zusammenzubringen. Die Frage, ob das sinnvoll ist, ist ein wenig rhetorisch gestellt – schließlich organisiere ich die Veranstaltung mit. Insoweit ist meine Position klar. Aber ich würde die Veranstaltung gerne noch einmal begründen.
Wichtig ist: frei<tag> ist keine Konkurrenz zu irgendeiner anderen Veranstaltung. Sie ist als potentieller Anschluss gedacht. Es gab einige Stimmen, die anderes behaupteten. Aber der Grund, warum die Veranstaltung nach allen anderen Angeboten des Bibliothekstages durchgeführt wird, ist ja, dass sie sich nicht als Ersatz für irgendetwas anderes oder gar als Alternative versteht. Die Chance ist nur einfach zu gut, um sie einfach vorbeigehen zu lassen. Mit der Universität in Berlin und der Fachhochschule in Potsdam haben wir in und um Berlin wohl die größte Konzentration von bibliothekswissenschaftlich Interessierten im deutschsprachigen Raum, inklusive der Studierenden dieser Fächer. Zudem werden zum Bibliothekstag zahlreiche andere Interessierte in Berlin anwesend sein.
Gleichzeitig ist der Bibliothekstag keine wissenschaftliche Veranstaltung, trotz wissenschaftlichem Beirat. Es ist eine Fachtagung und in gewisser Weise auch ein sozialer Event. Nicht, dass die Wissenschaft gar nicht vertreten wäre. Sie ist es, aber doch sehr ausgewählt, halt unter dem Blickwinkel, was für Bibliotheken sehr praxisnah zu verwenden ist. Dieses Vorgehen ist gewiss sinnvoll. Aber: die Bibliothekswissenschaft ist selbstverständlich mehr.
Es ist nicht zu bestreiten, dass die Bibliothekswissenschaft in vielen Forschungsfragen sehr nah an der bibliothekarischen Praxis bleibt. Doch im Gegensatz zu dem Ruf, den sie teilweise hat, ist sie weder nur die Ausbildungswissenschaft für das höhere Bibliothekswesen, noch eine spezialisierte Verwaltungslehre. Wissenschaft ist, und das ist ihre explizite Differenz von der Praxis und systematisierten Verwaltungslehren, ein erkenntnisgeleiteter Prozess. Bei allen Versuchen, die Wissenschaft zu ökonomisieren oder zur reinen Beratung der Praxis zu reduzieren, kann doch als konstituierende Eigenschaft der Wissenschaft nicht gestrichen werden, dass es den wissenschaftlich Tätigen in ersten Linie um Erkenntnis geht. Sie wollen etwas herausfinden, was noch nicht herausgefunden wurde und zwar in einem strukturierten Erkenntnisprozess. Die Anwendbarkeit dieser Erkenntnisse steht nicht im Mittelpunkt der Forschung. (Deshalb entwickeln sich ja auch beständig Einrichtungen beziehungsweise Abteilungen und Projekte in und bei wissenschaftlichen Einrichtungen, die eine solche Beratungsfunktion für die Praxis übernehmen – weil sich Wissenschaft im Allgemeinen eben nicht darauf reduzieren lässt.) Ich zum Beispiel mache meine jährliche Schulbibliotheksstatistik für Berlin nicht, weil solche Daten eventuell in der politische Argumentation für Schulbibliotheken verwendet werden könnte, sondern weil ich es interessant finde zu verfolgen, wie sich die Zahl, Verteilung, Ausstattung, Zielsetzung et cetera von Schulbibliotheken entwickelt. Allerdings habe kein Problem damit, wenn jemand anders diese Daten verwendet, um politisch zu argumentieren oder aber, um einem Berliner Bezirk Schulbibliotheken zu finden. Dafür stelle ich die Daten ja auch zur Verfügung.
In diesem Zwiespalt zwischen Erkenntnis, welche Forschung vorantreibt, und der relativen Anwendungsnähe vieler Ergebnisse bewegt sich die Bibliothekswissenschaft. (Ben Kaden möchte, wenn ich es richtig verstanden habe, in seiner Reihe zu den Aufgaben der Bibliothekswissenschaft auf eine Erkenntnisfunktion fokussieren, welche etwas weiter von der direkten Praxis entfernt ist, was zu diskutieren wäre.) Aber diese von mir gerade beschriebene Differenz zwischen Erkenntnisinteresse und Praxis ist es, die es auch verständlich macht, warum die Bibliothekswissenschaft auf dem Bibliothekstag nur zum Teil vertreten ist: die Veranstaltung hat nun einmal einen anderen Fokus, als es ein explizit bibliothekswissenschaftliches Treffen haben könnte.
Gleichzeitig ist die Kommunikation zwischen den aktiv Forschenden in der Bibliothekswissenschaft in Deutschland nicht wirklich ausgeprägt. Wenn wir ehrlich sind, wissen wir kaum, wer alles an welchen Themen arbeitet. Sicherlich versuchen wir in der LIBREAS durch unsere Schwerpunktsetzungen jeweils interessante Schwerpunktbereiche anzusprechen und haben in der Redaktion auch erfreulich diverse Interessen. Aber das reicht nicht aus, um wirklich zu sagen, was es an Forschungsrichtungen und -inhalten tatsächlich gibt. Zumal viele Bibliothekswissenschaft bis heute in den Abschlussarbeiten von Studierenden durchgeführt wird. Diese Studierenden lassen dann leider oft ihre wissenschaftlichen Interessen – falls sie vorhanden sind – nach dem Abschluss wieder fallen. Dies wird auch damit zu tun haben, dass es nicht nur kaum Karrieremöglichkeiten – und damit, sagen wir es doch einmal klarer, wenig Möglichkeiten, von der Wissenschaft zu leben – in der Bibliothekswissenschaft gibt. Es gibt auch keine richtigen bibliothekswissenschaftlichen Diskurs, der antreibend und anregend wirken könnte. Der Großteil der wissenschaftlichen Arbeit müsste neben anderen Karrieren – ob jetzt im bibliothekarischen Feld, in anderen Wissenschaften oder in angrenzenden Feldern – unternommen werden. Aber das muss nicht unbedingt schlecht sein. Die Soziale Arbeit zeigt zum Beispiel, dass das sehr gut möglich ist, wenn nur genügend Infrastrukturen aufgebaut werden, um solchen Arbeiten zu unterstützen, sei es durch kurzfristige Finanzierungen, durch Publikationsmöglichkeiten oder aber durch die Anregung von wissenschaftlichen Debatten. Auch die Forschung zur Sozialen Arbeit ist sehr eng mit der Praxis verbunden, aber nicht mit dieser identisch.
Aus dieser Situation heraus wird aber auch klar, dass man nicht einfach eine bibliothekswissenschaftliche Konferenz mit wissenschaftlichen Beirat, Themensetzung et cetera organisieren könnte. Wer sollte dort entscheiden, welche Themen sinnvoll und für die Bibliothekswissenschaft repräsentativ sind? Wer sollte entscheiden, wer alles bibliothekswissenschaftlich tätig ist und wer nicht (mehr)? Zumal: das Unkonferenzen funktionieren können und Ergebnisse hervorbringen, hat nicht nur die Free Software Bewegung gezeigt, sondern im Bibliothekswesen auch sehr explizit das Bibcamp, welches heutzutage als verankert angesehen werden kann.
Deshalb – und selbstverständlich auch, weil wir in gewisser Weise der junge Nachwuchs sind, der alles anders machen will (beziehungsweise machen wollen muss, dass ist ja oft auch eher eine Annahme, dass der Nachwuchs immer erst einmal alles ändern will) – wollen wir diese Unkonferenz veranstalten. Diejenigen, die sich auch für die „reine Bibliothekswissenschaft“ oder die Grauzone zwischen Erkenntnisinteresse und Anwendungsbezug interessieren, sollen die Möglichkeit haben, zusammen zu kommen und einmal zu bestimmen, welche Themen und Forschungsfragen für sie interessant sind. Es soll auch (wieder einmal) ein Anstoß gegeben werden, die Bibliothekswissenschaft von ihrem Image als Verwaltungslehre zu befreien und klar zu machen, dass der Bereich Bibliothek und Information genügend Raum für wissenschaftliche Fragestellungen gibt. Zudem soll die Nähe zum Bibliothekstag klar machen, dass zwar eine Differenz zwischen Praxis und Forschung besteht, aber keine, die nicht immer wieder in beide Richtung überschritten werden könnte, wenn die Spezifika beider Bereiche akzeptiert werden.
Letztlich ist dieses Posting also auch eine Einladung, nach dem Freitag des Bibliothekstages (an dem ich übrigens meinen Vortrag halte, falls das jemand interessiert: früh morgens in der 9.00 Uhr Session zur Leseförderung – was nicht ganz dem Thema „Grenzen der Bildungswirkungen“ entspricht, aber so ist das halt), nach Mitte zur frei<tag> zu kommen. Es wird gewiss eine interessante Veranstaltung.

frei<tag>: 10.06.2011, 14-18 Uhr, im Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin, Dorotheenstraße 26 (Bahnhof Berlin-Friedrichsstraße)
Mehr Informationen und Wiki zur weiteren Planung: www.bibliothekswisschaft.eu
Die Einladung zum Ausdrucken: [hier]
Logo zu frei<tag>

Wie die Freie Software Bewegung einmal aus dem Oracle auszog ins gelobte Land der Freiheit. Eine Pessachgeschichte.

Zur Pessachzeit passt eine aktuelle Geschichte, die erzählt zu werden lohnt, den sie zeigt, dass man sich nicht immer den Vorstellungen anderer unterordnen muss, um erfolgreich zu sein. Es ist eine Geschichte davon, wie ein wichtiges Projekt der Freien Software Bewegung einmal zu einem finanziellen Zugpferd einer großen Software-Firma werden sollte, sich aber von diesem Schicksal befreite und am Ende richtig gewann.

Die ganze Geschichte begann mit einigen Gerüchten im Frühjahr 2009. Oracle, eine Firma, die mit Datenbanksystemen und Bürosoftware groß geworden ist, hätte vor, Sun Mircosystems zu kaufen.

Sun war vor allem eine Hardwarefirma, die aber auch Software verkaufte. Seit Längerem folgte Sun einer Open Source Strategie: Freie Software wurde teilweise massiv gefördert, Entwickler für diese Software wurden extra angestellt. Dabei profitierte Sun von der Verbreitung dieser Software, aber auch von den Entwicklerfähigkeiten, die in den Open Source Communities vorhanden waren. Bekannt war das Betriebssystem OpenSolaris, welches eine freie Version der jeweils aktuellen Entwicklungsversion des von Sun vertriebenen Betriebssystems Solaris darstellte. Hier wurden Neuigkeiten getestet und – so zumindest die Theorie – Verbesserungen integriert, die dann dem kommerziellen Produkt Solaris eingegliedert wurden.

Den guten Ruf von Sun in der Freien Software Bewegung etablierte allerdings ein anderes Produkt: OpenOffice.org. 1999 hatte Sun den Hersteller der Office-Suite StarOffice gekauft, 2000 wurde – obgleich StarOffice weiter verkauft wurde – mit OpenOffice.org eine Open Source Variante veröffentlicht. Diese hatte besonders am Anfang ihre Probleme, aber durch die massive Förderung von Sun, die Entwickler – und bestimmt auch Entwicklerinnen – einstellte, eine Community organisierte und OpenOffice.org massiv bewarb, wurde das Programm zu einem der Vorzeigeprogramme der Freien Software Bewegung. Für die breite Öffentlichkeit gab es in der zweiten Hälfte des letzten Jahrzehnts neben Firefox wohl kein anderes Programm, dass die Potentiale Freier Software besser repräsentierte, als OpenOffice.org. (Das hat sich durch Google, genauer Chrome und Android, etwas geändert. Aber die erschienen beide erst 2008 das erste Mal.)

Selbstverständlich gab es auch immer Bedenken. War es gut, dass die Community direkt bei einer Firma angesiedelt war, auch wenn die Firma offensichtlich ein sehr großes Interesse an Freier Software hatte? War OpenOffice.org tatsächlich die bestmögliche Office Suite? (Es gab und gibt daneben auch immer andere freie Office Suites wie Abiword. [http://www.abisource.com] Die Alternativen beschränkten sich nie auf Word oder OpenOffice.org, auch wenn manchmal dieser Eindruck entstand.) Aber alles in allem war OpenOffice.org eine sehr gute Werbung für Freie Software und das dahinter stehende Modell: Eine sinnvolle und nutzbare Office Suite und ein Firma, die trotz der massiven Förderung von Freier Software Geld verdiente. Eine Symbiose.

Die dunklen Wolken ziehen auf am Sommerhimmel

Allerdings verdiente Sun nicht genug Geld (was nicht unbedingt an der Freien Software lag). Zumindest gab es länger anhaltende Probleme mit der Firma und im Januar 2010 kaufte Oracle – nachdem auch andere Bieter im Gespräch waren – Sun. Nun hatte Oracle in der Freien Software Bewegung nicht den guten Ruf, den Sun hatte, aber auch nicht den schlechtesten. Oracle ist nicht Mircosoft. Es war also nicht so richtig klar, was mit der OpenSource-Strategie von Sun geschehen würde, zumal Sun nicht vollständig in Oracle eingegliedert, sondern als Tochterunternehmen weitergeführt werden sollte.

Im Januar 2010 verkündete Oracle noch, dass weiterhin Geld in Open Source Projekte investiert werden sollte. [http://www.golem.de/1001/72712.html] Aber es wurde sehr schnell klar, dass die Firma eine andere Strategie hatte. Den Anfang macht OpenSolaris. Im August 2010 wurde klar, dass es nicht weitergeführt würde [http://www.heise.de/newsticker/meldung/Oracle-kehrt-OpenSolairs-den-Ruecken-1059146.html], im August löste sich das OpenSolaris Governing Board auf [http://www.heise.de/open/meldung/OpenSolaris-Government-Board-tritt-zurueck-1064247.html], nachdem Oracle quasi jede weitere Kommunikation verweigert hatte [http://www.golem.de/1008/77213.html]. Es wurden mit Illumos [http://www.illumos.org] und OpenIndiana [http://openin.org] Projekte gestartet, um OpenSolaris außerhalb von Sun/Oracle am Leben zu halten. Die Frage drängte aber: was wird mit OpenOffice.org geschehen?

Im Sommer 2010 sah es noch relativ gut aus. Die erste neue Version mit Oracle aus Hauptsponsor der Community (Version 3.2.1) wurde veröffentlicht. [http://www.golem.de/1006/75575.html] Auch wurde der nächste größere Versionssprung auf die Version 3.3 angekündigt. [http://www.golem.de/1008/77103.html]

Doch zu dieser Zeit gab es schon intern große Spannungen zwischen Oracle und Community, die auch an die interessierte Öffentlichkeit drangen. Oracle hatte klar gemacht, dass sie die Oberhand über OpenOffice.org verstärkt ausüben wollten. Es ging darum, aus OpenOffice.org ein kommerziell erfolgreiches Produkt zu machen, bei dem eine bezahlte Version weit vor einer jeweils freien Version erscheinen sollte. Das ist kein ungewöhnliches Modell und Oracle wollte offenbar von dem guten Namen OpenOffice.org profitieren. Allerdings: die Community wollte dies nicht. Sie hatte nicht an der Suite gearbeitet, damit jetzt eine Firma, die noch nicht einmal richtig in diese investiert hatte, aus ihr Profit schlagen konnte.

Let my people go

Das Unbehagen mit Oracle zog sich eine Weile hin, dann entschloss sich ein großer Teil der Community zum nächsten Schritt: Sie gründeten eine Stiftung [http://ww.golem.de/1009/78259.html], die Document Foundation [http://www.documentfoundation.org]. Diese Stiftung sollte die Arbeit an OpenOffice.org weiterführen. Auch das ist kein neues Modell: die Linux Foundation [http://www.linuxfoundation.org] und die Free Software Foundation [http://www.fsf.org] sind nur die zwei größten Stiftungen der Freien Software Bewegung. Es gibt hunderte andere, die sich damit beschäftigen, einzelne Software zu entwickeln und zu verbreitetn. Allerdings ist der Schritt, eine Community quasi auszugründen immer ein gewagter. Die Stiftung hoffte darauf, dass Oracle auf diesen Schritt positiv reagieren würde und lud die Firma ein, der Stiftung beizutreten und die Rechte am Namen OpenOffice.org mit einzubringen. (Die Software selber stand und steht unter einer freien Lizenz, so dass es ohne Probleme möglich war, diese weiter zu pflegen beziehungsweise zu forken.) Oracle allerdings lehnte ganz offen ab [http://www.golem.de/1010/78448.html] und verkündete, OpenOffice.org künftig selber herausgeben zu wollen. [http://www.golem.de/1010/78626.html]

Daraufhin begann der Exodus. Die Entwickler und Entwicklerinnen verließen Oracle und wechselten zur Stiftung. [http://www.golem.de/1010/79035] 40 Tage und 40 Nächte berieten sie und kamen mit dem Plan hernieder, die Office Suite unter einem neuen Namen weiter zu betreiben: LibreOffice [http://www.libreoffice.org] wurde geboren. [http://www.golem.de/1011/79298.html] Firmen aus dem Open Source Bereich traten sehr schnell der Stiftung bei. Es war eine Wüste, durch die die Open Source Community schritt, aber dann brannte ein Busch und veröffentlichte im September 2010 die ersten Zahlen [http://www.golem.de/1010/78468.html] und es teilte sich das Wasser vor ihnen: 80.000 mal wurde die erste Beta-Version des ersten LibreOffice allein in der ersten Woche heruntergeladen.

Der Pharao Oracle spie Gift und Galle: Wer sich an der Document Foundation beteilige, könne sich nicht gleichzeitig an der OpenOffice.org-Community beteiligen. [http://www.golem.de/1010/78718.html] Wer immer das Projekt verlassen würde, wäre ersetzbar. Noch im März 2011 ließ der Pharao verkünden, dass die Personalverluste praktisch ausgeglichen worden seien. [http://www.golem.de/1103/81816.html]

I’ve Been to the Mountaintop

Doch alles dies half nichts. Die Document Foundation hatte auf dem Berg gestanden und im Tal das gelobte Land der Freiheit und Selbstbestimmung gesehen. Es gab kein Zurück. LibreOffice bekam ein neues, helleres Aussehen – den Engeln gleich in weiß – und es erschienen nach und nach Release Candidates für das erste richtig LibreOffice. [http://www.golem.de/1012/79901.html] Oracle hielt im Dezember 2010 der Veröffentlichung der Version 3.3 von OpenOffice.org dagegen. [http://www.golem.de/1012/80148.html] Aber gerade dort, wo sich die meisten Entwicklerinnen und Entwickler tummeln, die zur Weiterentwicklung des Programms hätten beitragen sollen, reagierte man negativ auf Oracle: in der Open Source Bewegung selber. Beispielsweise entschieden quasi all die Linux-Distributionen, die bislang OpenOffice.org als Standard-Office-Suite benutzten, zu LibreOffice zu wechseln, nachdem im Januar 2011 die erste stabile Version erschienen war [http://www.golem.de/1101/80947.html]. Ubuntu tat es [http://www.golem.de/1101/80502.html], OpenSuse tat es [http://www.heise.de/open/meldungen/Dritter-Milestone-von-OpenSuse-11-4-mit-LibreOffice-1135736.html], Fedora tat es [http://www.netzwerk.de/news/85874-fedora-core-15-neue-linux-distribution-gnome-3-libreoffice.html] – und dies ging immer so weiter, wenn eine Distribution in den letzten Monaten grundlegend geupdatet wurde.

Die Hoffnung von Oracle, OpenOffice.org unter Kontrolle halten und damit Geld machen zu können, schwand immer mehr. Ende März 2011 veröffentlichte die Document Foundation ihren ersten Halbjahresbericht und konnte fast nur Positives berichten. [http://www.golem.de/1103/82413.html] Alles sah danach aus, als würden sich aus dem alten OpenOffice.org zwei unterschiedliche Office Suite entwickeln. Eine betreut von der Stiftung, eine von Oracle. Doch dann geschah das – etwas verführte – Pessachwunder: Oracle gestand praktisch ein, dass die Kommerzialisierungs-Strategie bei OpenOffice.org nicht aufgegangen war. LibreOffice im gelobten Land prosperierte, während OpenOffice.org am Leben erhalten werden musste. Am 16.04. kündigte das Unternehmen an, OpenOffice.org einer freien Community zu übergeben. Keine kommerzielle Version mehr, so eine – jetzt schon nicht mehr zu erreichende – Meldung. [http://www.heise.de/newsticker/meldung/Oracle-stellt-kommerzielle-OpenOffice-Version-ein-1227944.html] Genau das, was die Firma vor einigen Monaten noch explizit abwehrte, will sie jetzt einführen. Doch die freie Community kam nicht einfach zurück. Vielmehr lud sie Oracle ein, der Document Foundation beizutreten. [http://www.heise.de/newsticker/meldung/LibreOffice-Projekt-macht-weiter-wie-geplant-1230066.html] Ansonsten würde sie einfach weiter machen wie geplant. Schließlich entwickelt sich LibreOffice ganz prächtig. Es wurde verschont vor dem Untergang.

Wie die Freie Software Bewegung einmal aus dem Oracle auszog ins gelobte Land der Freiheit. Eine Pessachgeschichte (quasi).

Zur Pessachzeit passt eine aktuelle Geschichte, die erzählt zu werden lohnt, denn sie zeigt, dass man sich nicht immer den Vorstellungen anderer unterordnen muss, um erfolgreich zu sein. Es ist eine Geschichte davon, wie ein wichtiges Projekt der Freien Software Bewegung einmal zu einem finanziellen Zugpferd einer großen Software-Firma werden sollte, sich aber von diesem Schicksal befreite und am Ende richtig gewann.
Die ganze Geschichte begann mit einigen Gerüchten im Frühjahr 2009. Oracle, eine Firma, die mit Datenbanksystemen und Bürosoftware groß geworden ist, hätte vor, Sun Mircosystems zu kaufen.
Sun war vor allem eine Hardwarefirma, die aber auch Software verkaufte. Seit Längerem folgte Sun einer Open Source Strategie: Freie Software wurde teilweise massiv gefördert, Entwickler für diese Software wurden extra angestellt. Dabei profitierte Sun von der Verbreitung dieser Software, aber auch von den Entwicklerfähigkeiten, die in den Open Source Communities vorhanden waren. Bekannt war das Betriebssystem OpenSolaris, welches eine freie Version der jeweils aktuellen Entwicklungsversion des von Sun vertriebenen Betriebssystems Solaris darstellte. Hier wurden Neuigkeiten getestet und – so zumindest die Theorie – Verbesserungen integriert, die dann dem kommerziellen Produkt Solaris eingegliedert wurden.
Den guten Ruf von Sun in der Freien Software Bewegung etablierte allerdings ein anderes Produkt: OpenOffice.org. 1999 hatte Sun den Hersteller der Office-Suite StarOffice gekauft, 2000 wurde – obgleich StarOffice weiter verkauft wurde – mit OpenOffice.org eine Open Source Variante veröffentlicht. Diese hatte besonders am Anfang ihre Probleme, aber durch die massive Förderung von Sun, die Entwickler – und bestimmt auch Entwicklerinnen – einstellte, eine Community organisierte und OpenOffice.org massiv bewarb, wurde das Programm zu einem der Vorzeigeprogramme der Freien Software Bewegung. Für die breite Öffentlichkeit gab es in der zweiten Hälfte des letzten Jahrzehnts neben Firefox wohl kein anderes Programm, dass die Potentiale Freier Software besser repräsentierte, als OpenOffice.org. (Das hat sich durch Google, genauer Chrome und Android, etwas geändert. Aber die erschienen beide erst 2008 das erste Mal.)
Selbstverständlich gab es auch immer Bedenken. War es gut, dass die Community direkt bei einer Firma angesiedelt war, auch wenn die Firma offensichtlich ein sehr großes Interesse an Freier Software hatte? War OpenOffice.org tatsächlich die bestmögliche Office Suite? (Es gab und gibt daneben auch immer andere freie Office Suites wie Abiword. [http://www.abisource.com] Die Alternativen beschränkten sich nie auf Word oder OpenOffice.org, auch wenn manchmal dieser Eindruck entstand.) Aber alles in allem war OpenOffice.org eine sehr gute Werbung für Freie Software und das dahinter stehende Modell: Eine sinnvolle und nutzbare Office Suite und ein Firma, die trotz der massiven Förderung von Freier Software Geld verdiente. Eine Symbiose.

Die dunklen Wolken ziehen auf am Sommerhimmel
Allerdings verdiente Sun nicht genug Geld (was nicht unbedingt an der Freien Software lag). Zumindest gab es länger anhaltende Probleme mit der Firma und im Januar 2010 kaufte Oracle – nachdem auch andere Bieter im Gespräch waren – Sun. Nun hatte Oracle in der Freien Software Bewegung nicht den guten Ruf, den Sun hatte, aber auch nicht den schlechtesten. Oracle ist nicht Mircosoft. Es war also nicht so richtig klar, was mit der OpenSource-Strategie von Sun geschehen würde, zumal Sun nicht vollständig in Oracle eingegliedert, sondern als Tochterunternehmen weitergeführt werden sollte.
Im Januar 2010 verkündete Oracle noch, dass weiterhin Geld in Open Source Projekte investiert werden sollte. Aber es wurde sehr schnell klar, dass die Firma eine andere Strategie hatte. Den Anfang macht OpenSolaris. Im August 2010 wurde klar, dass es nicht weitergeführt würde, im August löste sich das OpenSolaris Governing Board auf, nachdem Oracle quasi jede weitere Kommunikation verweigert hatte. Es wurden mit Illumos und OpenIndiana Projekte gestartet, um OpenSolaris außerhalb von Sun/Oracle am Leben zu halten. Die Frage drängte aber: was wird mit OpenOffice.org geschehen?
Im Sommer 2010 sah es noch relativ gut aus. Die erste neue Version mit Oracle aus Hauptsponsor der Community (Version 3.2.1) wurde veröffentlicht. Auch wurde der nächste größere Versionssprung auf die Version 3.3 angekündigt.
Doch zu dieser Zeit gab es schon intern große Spannungen zwischen Oracle und Community, die auch an die interessierte Öffentlichkeit drangen. Oracle hatte klar gemacht, dass sie die Oberhand über OpenOffice.org verstärkt ausüben wollten. Es ging darum, aus OpenOffice.org ein kommerziell erfolgreiches Produkt zu machen, bei dem eine bezahlte Version weit vor einer jeweils freien Version erscheinen sollte. Das ist kein ungewöhnliches Modell und Oracle wollte offenbar von dem guten Namen OpenOffice.org profitieren. Allerdings: die Community wollte dies nicht. Sie hatte nicht an der Suite gearbeitet, damit jetzt eine Firma, die noch nicht einmal richtig in diese investiert hatte, aus ihr Profit schlagen konnte.

Let my people go
Das Unbehagen mit Oracle zog sich eine Weile hin, dann entschloss sich ein großer Teil der Community zum nächsten Schritt: Sie gründeten eine Stiftung, die Document Foundation. Diese Stiftung sollte die Arbeit an OpenOffice.org weiterführen. Auch das ist kein neues Modell: die Linux Foundation und die Free Software Foundation sind nur die zwei größten Stiftungen der Freien Software Bewegung. Es gibt hunderte andere, die sich damit beschäftigen, einzelne Software zu entwickeln und zu verbreitetn. Allerdings ist der Schritt, eine Community quasi auszugründen immer ein gewagter. Die Stiftung hoffte darauf, dass Oracle auf diesen Schritt positiv reagieren würde und lud die Firma ein, der Stiftung beizutreten und die Rechte am Namen OpenOffice.org mit einzubringen. (Die Software selber stand und steht unter einer freien Lizenz, so dass es ohne Probleme möglich war, diese weiter zu pflegen beziehungsweise zu forken.) Oracle allerdings lehnte ganz offen ab und verkündete, OpenOffice.org künftig selber herausgeben zu wollen.
Daraufhin begann der Exodus. Die Entwickler und Entwicklerinnen verließen Oracle und wechselten zur Stiftung. 40 Tage und 40 Nächte berieten sie und kamen mit dem Plan hernieder, die Office Suite unter einem neuen Namen weiter zu betreiben: LibreOffice wurde geboren. Firmen aus dem Open Source Bereich traten sehr schnell der Stiftung bei. Es war eine Wüste, durch die die Open Source Community schritt, aber dann brannte ein Busch und veröffentlichte im September 2010 die ersten Zahlen und es teilte sich das Wasser vor ihnen: 80.000 mal wurde die erste Beta-Version des ersten LibreOffice allein in der ersten Woche heruntergeladen.
Der Pharao Oracle spie Gift und Galle: Wer sich an der Document Foundation beteilige, könne sich nicht gleichzeitig an der OpenOffice.org-Community beteiligen. Wer immer das Projekt verlassen würde, wäre ersetzbar. Noch im März 2011 ließ der Pharao verkünden, dass die Personalverluste praktisch ausgeglichen worden seien.

I’ve Been to the Mountaintop
Doch alles dies half nichts. Die Document Foundation hatte auf dem Berg gestanden und im Tal das gelobte Land der Freiheit und Selbstbestimmung gesehen. Es gab kein Zurück. LibreOffice bekam ein neues, helleres Aussehen – den Engeln gleich in weiß – und es erschienen nach und nach Release Candidates für das erste richtig LibreOffice. Oracle hielt im Dezember 2010 der Veröffentlichung der Version 3.3 von OpenOffice.org dagegen. Aber gerade dort, wo sich die meisten Entwicklerinnen und Entwickler tummeln, die zur Weiterentwicklung des Programms hätten beitragen sollen, reagierte man negativ auf Oracle: in der Open Source Bewegung selber. Beispielsweise entschieden quasi all die Linux-Distributionen, die bislang OpenOffice.org als Standard-Office-Suite benutzten, zu LibreOffice zu wechseln, nachdem im Januar 2011 die erste stabile Version erschienen war. Ubuntu tat es, OpenSuse tat es, Fedora tat es – und dies ging immer so weiter, wenn eine Distribution in den letzten Monaten grundlegend geupdatet wurde.
Die Hoffnung von Oracle, OpenOffice.org unter Kontrolle halten und damit Geld machen zu können, schwand immer mehr. Ende März 2011 veröffentlichte die Document Foundation ihren ersten Halbjahresbericht und konnte fast nur Positives berichten. Alles sah danach aus, als würden sich aus dem alten OpenOffice.org zwei unterschiedliche Office Suite entwickeln. Eine betreut von der Stiftung, eine von Oracle. Doch dann geschah das – etwas verführte – Pessachwunder: Oracle gestand praktisch ein, dass die Kommerzialisierungs-Strategie bei OpenOffice.org nicht aufgegangen war. LibreOffice im gelobten Land prosperierte, während OpenOffice.org am Leben erhalten werden musste. Am 16.04. kündigte das Unternehmen an, OpenOffice.org einer freien Community zu übergeben. Keine kommerzielle Version mehr, so eine – jetzt schon nicht mehr zu erreichende – Meldung. Genau das, was die Firma vor einigen Monaten noch explizit abwehrte, will sie jetzt einführen. Doch die freie Community kam nicht einfach zurück. Vielmehr lud sie Oracle ein, der Document Foundation beizutreten. Ansonsten würde sie einfach weiter machen wie geplant. Schließlich entwickelt sich LibreOffice ganz prächtig. Es wurde verschont von dem Untergang.

Netzaktivismus ja, aber fehlende Forschungspraxis

Der Netzaktivismus – als Sammelbegriff der gesamten quasi-politischen Aktivitäten im Internet – ist aktuell zu Recht oft Thema der Berichterstattung. Einerseits ist das alles immer noch neu und in bestimmten Zusammenhängen offenbar erfolgreich, andererseits ist auch schon wieder alt genug, um über die Realität des Netzaktivismus zu reflektieren. Der Medienkongress, den vor allem die taz letztes Wochenende in Berlin veranstaltete [http://www.heise.de/newsticker/meldung/Die-Blogger-Revolution-spricht-1224939.html], war dafür ein ganz gutes Beispiel: Da finden in der arabischen Welt Revolutionen statt, die mit dem dortigen Netzaktivismus eng zusammenhängen, gleichzeitig werden in Demokratien wie Deutschland Bewegungen wie die Anti-Stuttgart-21-Kampagne sehr einflussreich, auch weil sie auf den Aktivismus im Netz basiert und zahllose Menschen sind von alldem begeistert – und dann macht eine Zeitung, die einst als Medium einer Gegenöffentlichkeit angetreten war, aber über die Jahre ihr kritisches Potential praktisch auf Bioladentipps und Gutmenschentum reduziert hat [1] und bis heute noch nicht mal weiß, ob sie diese arabischen Revolutionen gut finden soll oder nicht, einen Kongress darüber, der selbstverständlich mit der Haltung: „Ist ja alles ganz schön und gut, am Anfang viel zu wollen, dass wollten wir auch mal, aber irgendwie ist dann auch mal gut“ einhergeht. Wie gesagt: dass passte.

Eines der großen Probleme bei allem Netzaktivismus ist ja, dass es bei allen Erfolgen immer auch zahlreiche Bedenkenträgerinnen und -träger gibt, die fragen, was das jetzt eigentlich bringt und was daran neu sein soll. Die taz ist da halt eine der besten Beispiele, weil sie dieses Bedenkentragen schön selbstironisch verpacken und trotzdem mit einigem Recht sagen kann, dass sie selber ein gutes Beispiel dafür ist, warum es halt nicht nur Gemecker, sondern ein sinnvolles Fragen ist, das quasi aus der historischen Erfahrung hergeleitet werden kann.

Selbstverständlich: alles ist komplex. (Außerdem: Remember McLuhan.)

Ganz so einfach ist es selbstverständlich nicht. Der Netzaktivismus ist keine Kopie des Aktivismus in Alternativmedien, auf der Straße, den Vereinen und Parlamenten. Zudem sind sich die Aktivistinnen und Aktivisten im Netz bewusst, was es für andere Formen de Aktivismus gab und gibt, welche nicht gehaltenen Versprechen, aber auch – dafür steht die Freie Software beispielsweise als Erfolg ja auch – welche Möglichkeiten tatsächlich im Netzaktivismus stecken. Sie reflektieren die Erfahrungen des vorhergehenden Aktivismus. Insbesondere erheben sie kaum noch den Anspruch, die einzig sinnvolle und funktionierende Form des gesellschaftlichen Aktivismus zu sein.

Zumal in dem Jahr, in welchem Marshall McLuhan 100. Jahre alt geworden wäre, kann man daran erinnern: The content of a medium is always another medium. Das gilt beim Netzaktivismus mit erschreckender Genauigkeit. Wir reden vom einem explizit neuen Medium, dass aber als Inhalt die alten Medien aufgenommen und in quasi dialektischer Weise transformiert hat.

Henrik Serup Christensen hat in der Februar-Ausgabe der First Monday zu diesem Thema eine zusammenfassenden Text geschrieben: Political activities on the Internet: Slacktivism or political participaton by other means? (In: First Monday 16 (2011) 2, http://www.uic.edu/htbin/cgiwrap/bin/ojs/index.php/fm/article/view/3336/2767) fragt danach, was einerseits das neue am Netzaktivismus ist, gleichzeitig aber auch, was an welchen Vorwürfen, die dem Netzaktivismus gemacht werden, berechtigt ist. Es fehlt dem Text in gewisser Weise ein eigenständiges Ergebnis, aber ansonsten ist er als sehr tiefgehender Überblicktext unbedingt zur Lektüre zu empfehlen.

Christensen bemerkt, dass sich die Forschungen zum Netzaktivismus auf die westlichen Demokratien beschränken. Das ist einsichtig, nicht nur, weil der Text wohl vor den arabischen Revolutionen geschrieben wurde, sondern weil sich auch die Fragen anders stellen. In einer etablierten Demokratie, in welcher – bei allen realen Einschränkungen – die Teilhabe an der Gesellschaft durch Alle als positives Merkmal angesehen und direkt gefördert wird, wo teilweise sogar die Politik sich über zu wenig politische Teilhabe beschwert, meint beim Netzaktivismus immer auch etwas anderes, als Bewegungen, die sich einen freien Diskussions- und Meinungsraum in Diktaturen erst erkämpfen müssen.

Netzaktivismus: Was ist das? Ist das schecht?

Im Text selber stellt Christensen fest, dass sich die Bedeutung von politischem Engagement durch das Netz geändert hat. Zum einen heißt „sich engagieren“ etwas anderes, als zuvor. Zum anderen ist aber auch die Bedeutung des Politischen für die Einzelnen anders geworden. Gesellschaftlicher Aktivismus war immer eingelassen in soziale Praxen, historisch kann man aber eine Fortbewegung von den geschlossenen politischen Milieus (beispielsweise das sozialdemokratische Milieu: Sozialdemokratische Partei, sozialdemokratische Gewerkschaft, sozialdemokratische Baugenossenschaft, sozialdemokratischer Singe- und Turnverein, sozialdemokratische Kneipe et cetera) am Anfang des 20. Jahrhunderts über die politische Gesamtidentität eines Individuums in den 1970er Jahren („er ist ein Sozialdemokrat durch und durch“) bis hin zum gesellschaftlichen Engagement als Teil der Individualität („Sie ist Chefin, im Sportverein aktiv, Mutter sowie aktives Mitglied im Naturschutzbund und der SPD“) feststellen. Aus dieser Position heraus ist es immer einfach, mit einem älteren Politikverständnis dem jeweils Jüngeren vorzuwerfen, dass das eigentlich alles kein ernsthaftes gesellschaftliches Engagement darstellt, was von diesen jungen Menschen gemacht wird. Und genau dieser Vorwurf wird auch aus Richtung der etablierten gesellschaftlichen Initiativen und Forschenden, die ein älteres Politikverständnis haben, gegen den Netzaktivismus erhoben. Nicht ungebrochen, nicht unreflektiert, aber doch relativ kontinuierlich.

Christensen stellt dabei zwei zentrale Kritikpunkte heraus: Erstens wird behauptet, das Netzaktivismus weniger effektiv wäre als herkömmlicher Aktivismus; zweitens wird behauptet, dass der Netzaktivismus allgemein zu einem geringen Level von Partizipation führen würde – sowohl was die Anzahl der Aktiven angeht als auch die Form des Engagement. Es wird postuliert, dass die Menschen eher die Formen gesellschaftlichen Engagements wählen würden, die weniger Aufwand, persönlichen Einsatz und langfristige Mitarbeit erfordern würden. Also eher auf einen „I like“-Button drücken, als an einer Demonstration teilnehmen, lieber ein Blog aufsetzen und drei Monate lang betreiben als über Jahre in Plena und Planungsgremien zu verbringen.

Aber stimmt das überhaupt? Selbstverständlich ist die Antwort nicht einfach und eindeutig zu geben. Aber letztlich, dass auch das Ergebnis der Zusammenfassung von Forschungen bei Christensen, lautet die Antwort: Nein. Richtig ist, dass sich die Formen des Aktivismus durch das Netz transformiert haben. „Alte“ Formen – wie Petitionen, Unterschriftensammlungen, Informationssammlungen, Publikationen – und „neue“ Formen wurden zusammengeführt. Dabei muss betont werden, dass das eine das andere nicht ersetzt hat. Das Internet hat Vereine und Parteien, Aktive auf der Straße, in autonomen Zusammenhängen und Stiftungen et cetera nicht verdrängt, sondern deren Aktivitäten mit neuen Formen der Partizipation ergänzt. Was bei Christensen anklingt, aber nicht weiter ausgeführt wird, ist das Phänomen, dass zahlreiche Bewegungen im Netz über kurz oder lang auch Offline-Strukturen ausbilden. Die Freie Software Szene mit ihren zahllosen Stiftungen (Linux Foundation, KDE e.v., GNOME Foundation, Free Software Foundation et cetera) ist dafür ein anschauliches Beispiel.

Get involved, have fun.

Christensen konstatiert, dass eines der Hauptkritierien für den Großteil des Netzaktivismus sei, Aktivitäten zu ermöglichen, die (auch) dazu beitragen, das die Partizipierenden sich besser fühlen. Dies allerdings ließe sich auch auf zahlreiche gesellschaftliche Aktivitäten außerhalb des Netzes beziehen. Nicht umsonst gibt es das verbreitete Negativbild von den „Gutmenschen im Prenzlauer Berg“, die Bionade trinken und sich deshalb gesellschaftlich verantwortlich fühlen, obgleich sie es nicht sind. Allerdings konstatiert der Artikel, dass solche Arten des Engagements im Netz einfacher geworden sind. Christensen zählt zum Beispiel Onlinepetitonen dazu und bemerkt berechtigt, dass auch Offline das Unterschreiben einer Petition keiner großen Anstrengung bedarf (wir reden hier wie gesagt immer von Demokratien, nicht von Diktaturen), aber durch das Netz die Möglichkeit der Verbreitung von Informationen zu einer Petition leichter geworden ist.

Weiterhin verweist Christensen darauf, dass Netzaktivismus oft mit einer gewissen Politiklosigkeit einhergeht. Der Aktivismus selber steht teilweise im Vordergrund, ohne das die Ziele unbedingt politisch sein müssten. Das ist schon richtig: Raids (Demos/Besetzung von Foren, Boards und so weiter), Pranks (Streiche, eher heftige), Lulz (quasi die Währung für Lacher: je lustiger eine Aktion ist, je mehr Lulz werden eingesammelt) sind Bestandteil der Netzkultur, zumindest bestimmter, allerdings sehr aktiver Teile (beispielsweise der Szene um die Imageboards), die allerdings große Teile der Internetszene beeinflussen. Unter sehr bestimmten Umständen entstehen aus diesen Teilen der Internetszene auch direkte politische Bewegungen, die dann allerdings sehr schnell als Fremdkörper ausgelagert werden. (Die bekanntesten waren beziehungsweise sind die gegen Scientology und die für Wikileaks.) Die Frage, die Christensen aus der Forschung ableitet, ist nun, wann diese Bewegungen zu gesellschaftlichen relevantem Aktivismus werden (nicht beachtet wird bei ihm, dass sie auch Einfluss auf die Gesellschaft nehmen, beispielsweise als Geburtsort von Internetmemes, ohne direkt Aktivismus sein zu müssen.) Der umgekehrte Vorwurf an diese Szene ist nämlich der, dass ihre Aktivitäten keinen realen gesellschaftsverändernden Einfluss hätten.

Allerdings lässt sich fragen, ob das ein gerechtfertigter Vorwurf ist. Wer glaubt, dass in aktivistischen Strukturen „alter Art“ ernsthaft die ganze Zeit über versucht würde, gesellschaftlich einflussreich zu sein oder nur Aktionen zu planen, die Einfluss haben, steckte offenbar nie in solchen Strukturen. Auch sie haben immer „Müll“ produziert, Müll im Sinne von zielloser Aktivität, Streichen, Witzen und – zumindest in den Strukturen, die ich kannte und kenne – einen grundständig immer vorhandenen Zynismus. Nicht vergessen werden darf, dass die „alten“ Strukturen selbstverständlich immer auch Sozialbeziehungen herstellten. Das alles ist im Netzaktivismus nicht anders: Freundschaften, Beziehungen, Hassbeziehungen, an denen man sich abarbeiten kann ent- und bestehen in beiden Formen des Aktivismus. Es ist vielleicht heute sichtbarer. Aber der Besuch jeder Vereins- oder Parteisitzung, jedes Antifa-Soli-Konzerts und jeder Anti-Atomkraft-Demo wird sichtbar machen, dass genau solche Pranks und Sozialbeziehungen, wie sie im Netzaktivismus verbreitet sind, auch wichtiger Bestandteil „alter“ Strukturen des Aktivismus sind. Dies wird bei Christensen nicht erwähnt, was einigermaßen überrascht. Vielleicht hat es damit zu tun, das die Analysen des Netzaktivismus ebenso wie des gesamten politischen Aktivismus eher die Oberfläche der Strukturen analysieren und nicht das reale Handeln in ihnen.

Die Hände dreckig machen.

Eine weitere Kritik am Netzaktivismus, die Christensen anführt, ist die, dass die Netzaktivistinnen und -aktivisten sich eher hinter ihren Bildschirmen verstecken und versuchen würden, „sich nicht die Hände dreckig zu machen“. Insbesondere würden sie sich nicht auf die Mühen der Bürokratie und der parlamentarischen Wege einlassen, sondern – wieder – vielmehr auf schnell und einfach zu unterstützende Kampagnen (Emails schicken, I like-Buttons drücken et cetera) beschränken. Dabei würden sie auch keine richtige Lobbyarbeit betreiben. Christensen drückt sich um eine klare Aussage in diesem Punkt, aber beachtet werden sollte hier – wie richtig bemerkt –, dass auch der „alte“ Aktivismus gerne solche Mittel eingesetzt hat, beispielsweise bei Unterschriftenkampagnen. Allerdings erwähnt Christensen, wie schon angemerkt wurde, nicht den Fakt, dass sehr viele Netzkampagnen, wenn sie nur länger existieren, auch anfangen, Offline-Strukturen zu organisieren, die sich dann – halt nach einer gewissen Vorlaufzeit – sehr wohl die Hände dreckig machen. Neben den schon erwähnten Vereinen und Stiftungen kann da auf die „Freiheit statt Angst“-Demonstrationen verwiesen werden.

Allerdings bleibt, wie Christensen auch erwähnt, die Frage bestehen, welchen Effekt der Netzaktivismus eigentlich für die reale Welt hat. [2] Hier stehen sich zwei Annahmen gegenüber: 1.) Der Netzaktivismus hat keine Einfluss oder hält die Leute sogar davon ab, sich weiter mit einem Thema zu beschäftigen, weil sie sich mit einem Klick schon sich als aktiv begreifen können. 2.) Der Netzaktivismus mobilisiert mehr Menschen, die dann immerhin die Chance haben, sich mehr mit einem Thema zu befassen. Untersucht sind, so Christensen, allerdings hauptsächlich explizite Kampagnen und Kampagnenseiten (wo beispielsweise die Mailadressen von Verantwortlichen für ein Thema gesammelt und Standardmails vorgeschlagen werden). Ob und wenn ja, wie der Netzaktivismus neben diesen doch sehr traditionellen Kampagnen einen Effekt auf die politischen Entscheidungsprozesse hat, ist laut Christensen noch nicht untersucht. Dies ist ein bedeutsames Forschungsdesiderat: Wir haben eine verbreitet soziale Praxis, wissen aber nicht, was genau sie hervorbringt.

In der Gesamtschau bemerkt Christensen, dass es zwar keine richtigen Aussagen über den tatsächlichen Effekt des Netzaktivismus gäbe, dass aber jetzt schon klar wäre, dass es keinen negativen Effekt – auch nicht für den „herkömmlichen“ Aktivismus – gäbe. Im schlimmsten Fall würde der Aktivismus im Netz einfach keine gesellschaftlichen Effekt haben. Es scheint aber eher – wie das bei Debatten darum, wer eigentlich Musik kauft, wenn man Musik auch runterladen kann, schon als Argument verwendet wurde –, dass diejenigen, die sich aktiv online betätigen mit höherer Wahrscheinlichkeit auch offline betätigen.

Was allerdings der Artikel von Christensen sehr klar macht, ist, dass wir es beim Thema Netzaktivismus mit einer relevanten Forschungsthema zu tun haben, zu dem es noch lange keine ausreichende Forschungspraxis gibt. Die wenige, die vorhanden ist, scheint immer nur sehr eingeschränkte und oft auch am „herkömmlichen“ Aktivismus orientierte Forschungsfragen zu bearbeiten. Auch wenn es Christensen nicht so sagt, wird klar: Wir brauchen eine Forschung auf dem Gebiet des Netzaktivismus. Diese wird sich dann auch in die Tiefen des Netzaktivismus und der Internetkulturen eintauchen müssen.

Fußnote

[1] Meine Lieblingsgeschichte aus der taz-Redaktion ist immer noch die, wie vor einigen Jahren jemand dort Praktikum machte, Terminhinweise zusammenstellte (wie es seine Aufgabe war) und dann ein ziemlich großes „Konzert gegen Rechts“, dass späterhin in den Feuilletons einiger Hauptstadtblätter auftauchte und auch in mehreren Radiostationen explizit angekündigt wurde, von der verantwortlichen Redakteurin mit den Worten gestrichen wurde: „Wir machen doch hier keine Werbung für die Szene.“ – Und das bei einer Zeitung, die auf dem Tunix-Kongress 1978, der als Initialveranstaltung der alternativen Bewegung der 1980er in West-Berlin gilt, quasi begründet wurde. (So wurde es zumindest berichtet und ehrlich gesagt kann ich mir das nachdem, was ich von der taz-Redaktion mitbekomme, auch vorstellen.)

[2] Auch hier könnte man es sich einfach machen und auf den mobilsierenden Effekt des Netzaktivismus in der arabischen Welt verweisen, der ja über Demoankündigungen hinausging und vielmehr erst den sozialen Zusammenhang und -diskursraum herstellte, aus dem heraus erst die Protestbewegungen organisiert wurden. Nur reden wir dann wieder von Diktaturen, nicht von Demokratien.

20 Jahre Linux

Ab kommenden Sonntag feiert die Linux Foundation den 20. Jahrestag von Linux. Das ist vielleicht etwas verfrüht (die berühmte „What would you like to see most in minix?“-Nachricht wurde am 26.08.1991 von Linus Torvalds geschrieben), aber auch nicht ganz falsch. Betriebssysteme brauchen ihre Zeit. Die Geschichte von dem finnischen Studenten, der in den Ferien seinen Computer besser verstehen wollte und deshalb eine Terminal-Simulation schrieb, die sich zum Kernel anwuchs, die dann mit der Userland-Software aus dem GNU-Projekt verbunden und damit zum vollwertigen Betriebssystem wurde, ist oft genug erzählt worden. Das muss man eigentlich nicht nochmal wiederholen.
Seit diesen Experimenten ist Linux einen weiten Weg gekommen. Nicht nur im Umfeld der Nerds und der Informatik. Wer heute nicht zumindest einmal eine Distribution aufgesetzt und ausprobiert hat, sollte das Wort „Informationskompetenz“ nicht in den Mund nehmen, so einfach und selbsterklärend ist der Betrieb von Linuxsystemen geworden. (Und auch, wer nicht begründen kann, warum er oder sie das Betriebssystem benutzt, was er oder sie gerade benutzt.) Aber das ist ein anderes Thema.
Interessant und auch anziehend finde ich neben der hohen Funktionalität und der theoretischen Möglichkeit, alles am Betriebssystem und Userland untersuchen, verstehen und verändern zu können, dass der Streit zwischen technischer Machbarkeit (repräsentiert durch Linus Torvalds) und politischem Anspruch (repräsentiert durch Richard Stallman) in der Linux-Community immer noch nicht beendet wurde, sondern – durchaus intellektuell anregend – immer weiter ausgetragen wird. Das war vor 20 Jahren so, das wird hoffentlich auch so weitergehen. Hinzugekommen ist der beständige Streit darum, ob man Nutzerinnen und Nutzer erziehen sollte oder möglichst frei entscheiden lassen sollte. Die aktuellen Diskussionen um Gnome 3.0 und die Gnome-Shell sind da ein gutes Beispiel für. Linux ist halt nicht nur ein (meist, aber nicht immer, besseres) Betriebssytem, sondern ebenso die Grundlage einer äußert aktiven Community, in der auch über die Freiheit der Mediennutzung der Zukunft verhandelt wird. Deswegen bin ich ehrlich gesagt immer wieder einmal erstaunt, wie selten Linux (oder die anderen freien Betriebssysteme) und die mit dieser Software zusammenhängenden Debatten im bibliothekarischen Rahmen wahrgenommen werden. Vielleicht ist der Geburtstag ja ein Grund, dass zu ändern.

Die Überblicksseite zu den Feierlichkeiten mit vielen Pinguinen und Informationsmaterialien findt sich hier: www.linuxfoundation.org/20th

Schulbibliotheken in Berlin 2011. Mehr Grundschulen als Gesamtschulen und Gymnasien haben Schulbibliotheken.

Jeden April seit 2008 zähle ich einmal auf den Homepages der Schulen in Berlin die Schulbibliotheken (egal, wie sie genannt werden). Diese Sammlung soll zum einen ermöglichen, an einem eingegrenzten Beispiel die Entwicklung von Schulbibliotheken in Deutschland nachzuvollziehen. Zum anderen kann diese Datensammlung auch für andere Zwecke sinnvoll sein. Ich denke da eher an Forschungsfragen, die sich stellen und beantworten lassen, andere denken eher daran, ob man solche Daten politisch oder für die bibliothekarische Arbeit nutzen kann. (Was vollkommen berechtigt ist.) Weitere Überlegungen, auch dazu, was die Grenzen dieser Methode der Datensammlung sind, sind in der Arbeit „Schulbibliotheken in Berlin 2008-2010“ dargestellt, die ich im letzten Jahr in den Berliner Handreichungen zu Bibliotheks- und Informationswissenschaft veröffentlichen konnte. Insoweit ist Folgendes ein Update.

Veränderungen durch die Berliner Schulstrukturreform
Im letzten Jahr haben sich die Schulbibliotheken in Berlin weiter verändert, wenn sie dabei auch vor allem den Trends der letzten Jahre gefolgt sind. Zu erwähnen ist selbstverständlich die Berliner Schulstrukturreform, die im laufenden Schuljahr zum Tragen gekommen ist. Es existiert nun die Schulform „Intergrierte Sekundarschule“ (an der alle drei Schulabschlüsse angeboten werden und die von der siebenten bis zur dreizehnten Klasse geführt werden), Gesamtschulen und Gymnasien (die auf zwölf Jahre verkürzt wurden) sowie einige Schulen mit besonderen Förderschwerpunkten. Angestrebt ist, die Schulen mit besonderem Förderschwerpunkten (die ehemaligen Sonderschulen) abzubauen und stattdessen den integrativen Unterricht zu fördern. Real- und Hauptschulen gibt es (eigentlich) nur noch als Auslaufmodelle. Dass heißt das diese Schulen zu Sekundarschulen umgebaut wurden, die existierenden Klassenstufen aber noch bis zum Ende der Schulzeit der schon eingeschulten Schülerinnen und Schüler geführt werden.
Hinzugekommen sind auch Gemeinschaftsschulen, die als Gesamtheit die Kinder und Jugendlichen von der ersten Klasse bis zum Ende ihrer jeweils besuchten Sekundarstufe führen sollen. Es soll in diesen Einrichtungen keine richtige Trennung zwischen Grund- und anderen Schulen geben. Wie dies intern gehandhabt wird, scheint sehr unterschiedlich zu sein. Im Schulverzeichis des Berliner Senats (auf der meine Datensammlung basiert) werden die Schulen getrennt aufgeführt (also zum Beispiel als Grundschulen und als Sekundarschule). Für Schulbibliotheken stellen sich selbstverständlich bei solchen Schulen Fragen, die sich zumindest in Berlin bislang noch nicht gestellt haben: Wenn Schülerinnen und Schüler von der ersten bis zur letzten Klasse betreut werden, sollen sich die Schulbibliotheken dann auf alle Kinder und Jugendliche einer Schule konzentrieren oder nicht? Sollen sie die älteren Schülerinnen und Schüler in die Arbeit für jüngere Schülerinnen und Schüler einbinden? [1]

Die einzelnen Daten
Zu den einzelnen Daten. Die erste Tabelle ist eine Darstellung der gefundenen Schulbibliotheken in Berlin, auf den Homepages der Schulen gesammelt vom 01. bis zum 05. April 2011. Genauso, wie es Schulbibliotheken geben kann, die nicht auf dem Schulhomepages aufgeführt wurden (wobei sich immer noch die Fage stellt, welche Bedeutung sie dann in den Schulen haben), kann es auch sein, dass Schulbibliotheken auf den Homepages als existent aufgeführt werden, obgleich sie (wieder) geschlossen sind. Insoweit sind die Daten im Vorsicht zu behandeln, wir haben aber auch keine anderen.

Auswertungstabelle Schulbibliotheken in Berlin 2011
(Grafik in größerer Darstellung)

Die Haupt- und Realschulen in der Tabelle sind mit Vorsicht zu sehen. Es handelt sich um auslaufende Haupt- und Realschulgänge in Integrierten Sekundarschulen. Sichtbar ist allerdings an den Daten, dass wir es weiterhin mit der Situation zu tun haben, dass Schulbibliotheken in Berlin in Schulen immer weniger eine Seltenheit darstellen, dass aber weiterhin die Schulen überwiegen, die – trotz zahlreicher Neugründungen in den letzten Jahren – keine Schulbibliothek unterhalten.
Weiterhin ist Nutzung, Bennenung, das Personal, die Einbindung in die Schule und so weiter sehr unterschiedlich, wobei beim Personal immer noch das ehrenamtlich beschäftigte Personal zu überwiegen scheint.
Die interessante Entwicklung läßt sich in den nächsten zwei Tabellen, welche die Daten von 2008 bis 2011 zusammen darstellen, ablesen.

Auswertungstabellen Schulbibliotheken in Berlin 2008-2011
(Grafik in größerer Darstellung)

Hier ist ersichtlich, dass die Grundschulen und die Gesamtschulen prozentuell mehr Schulbibliotheken anbieten als die Gymnasien. Bei den Gesamtschulen ist dies ein sehr knapper, eigentlich irrelevanter Vorsprung. Eventuell wird sich dies mit der Etablierung der Intergrierten Sekundrschulen ändern, aber bislang war die Chance, als Schülerin und Schüler auf eine Schulbibliothek zurückgreifen können, größer, wenn man auf eine Schule mit der Möglichkeit, ein Abitur zu machen, ging. Allerdings bieten jetzt in Berlin alle Schulen der Sekundarstufe I und II die Möglichkeit an, einen solchen Abschluss zu machen.
Relevant ist die Verschiebung bei den Grundschulen. Bislang gab es in Berlin die Ungleichzeitigkeit, dass die Gymnasien und Gesamtschulen prozentual mehr Schulbibliotheken anboten als die Grundschulen, obgleich gerade in der pädagogischen Literatur und im öffentlichen Diskurs die Schulbibliothek mit der Leseförderung, die in der Grundschule stattfinden soll, verbunden wurde. Sicherlich gab es auch immer andere Argumentationen. Das Projekt auf der letzten Leipiziger Buchmesse oder auch Günter Schlamp in seinem Weblog haben die Schulbibliothek immer (auch) als Raum für Unterricht in allen Schulfächern entworfen. Dennoch galt die Schulbibliothek in den meisten Fällen als Ort für Kinder und jüngere Schülerinnen und Schüler. Real allerdings waren diese Einrichtungen vor allem für die älteren Schülerinnen und Schüler und hier zumeist den sozial besser gestellten zugänglich.
Dies hat sich offenbar im letzten Jahr verändert. Vielmehr: während in Grundschulen ein Wachstum der Schulbibliotheken zu beobachten ist, scheint die Anzahl der Schulbibliotheken in Gymnasien in Berlin eher zu stagnieren. Einer Anzahl von neu geöffneten Schulbibliotheken in Gymnasien stehen auch einige gegenüber, die im Gegensatz zu den letzten Jahren nicht mehr nachzuweisen sind.

Man kann diese Daten auch, wie es gerne gemacht wird, in Diagrammen darstellen. Allerdings sind diese mit noch mehr Vorsicht zu interpretieren, als die Daten selber. Die durchgezogenen Linien sind wegen der Darstellung genutzt worden. Sie suggerieren ein Kontinuität, die nicht unbedingt gegeben ist. Interessanter ist dabei das zweite Diagramm. Allerdings zeigt sich bei aller Vorsicht, dass man von einem Wachstum der Schulbibliotheken in Berlin (obgleich es immer wieder auch geschlossene Schulbibliotheken gibt) ausgehen kann.

Schulbibliotheken in Berlin, 2008-2011, Anzahl, Diagramm
(Grafik in größerer Darstellung)


(Grafik in größerer Darstellung)

Die Daten zur Sammlung:

Fußnote
[1] In der Besprechung des DDR-Schulbibliotheksbuches „Aufgaben der Schülerbüchereien an den zehnklassigen Oberschulen“ hatte ich schon einmal darauf hingewiesen, dass dort vorgeschlagen wurde, dass die älteren Jugendlichen an den zehnklassigen Schulen für die jüngeren Kinder Vorlesestungen anbieten sollen. Vgl. http://bildungundgutesleben.blogsome.com/2011/02/26/ein-schulbibliotheksbuch-aus-der-ddr-zur-geschichte-der-schulbibliotheken-ii/