Letztes Wochende (11.-12.10.2008) fand im Erwin-Schrödinger-Zentrum der Humboldt-Universität Berlin das zweite Educamp statt. Das Educamp ist – wie im Mai das Bibcamp – ein Barcamp, dass heißt thematisch geht es um moderne Kommunikationstechnologien, Software und die dazugehörige Kultur, beim Educamp ausgerichtet auf das Thema Bildung. Organisatorisch setzt diese Veranstaltungsform darauf, dass alle Anwesenden Expertinnen und Experten auf ihrem Gebiet sind und etwas zur Veranstaltung beitragen können und wollen. Es werden nur die Räume, die Verpflegung und ein ungefährer Zeitrahmen organisiert, der Rest ergibt sich aus den Interessen der Teilnehmenden. Nach einer obligatorischen Vorstellungsrunde besprechen die Anwesenden gemeinsam, welche Themen sie in Veranstaltungen bearbeiten wollen. Die Veranstaltungen werden dann relativ ad-hoc gehalten, wobei darauf geachtet wird, dass sie vor allem eine gemeinsame Veranstaltung aller Anwesenden sind. Zwar gibt es manchmal kurze Input-Referate, aber eigentlich sollen die Menschen in den Veranstaltungen miteinander reden.
(Das bedeutet im Umkehrschluss auch die Verantwortung für die Teilnehmenden, aktiv an der Veranstaltung teilzunehmen und nicht nur zu konsumieren. Ein Barcamp ist da wie eine demokratische Gesellschaft im Kleinen: wenn sich genügend Leute mit den Aufgaben identifizieren klappt’s; wenn nicht, dann nicht.)
Gelerntes
Das Educamp war erfolgreich, genauso wie das erste Educamp im April 2008 in Ilmenau und das Bibcamp im Mai 2008 in Potsdam und Berlin. Die Teilnehmenden partizipierten an gemeinsam gewählten Themen, die Stimmung war gut, obwohl oder gerade weil im Gegensatz zu straff organisierten Konferenzen vieles improvisiert und selbst gemacht werden musste.
Ein Gesprächsthema am Rande begann mit der Feststellung, dass das „original“ Barcamp zu groß geworden sei. Im Barcamp wird allgemein über das Web2.0 gesprochen, dass dritte Berliner wird dieses Wochende (18.-19.10.08) stattfinden. Aktuell sind dort 1110 Menschen angemeldet und die Liste für Neuanmeldungen aus Deutschland geschlossen worden. Gleichzeitig gingen Gerüchte über immense Summen an Sponsorengeldern herum, die dafür eingesetzt würden, aus dem Barcamp eine Konsumveranstaltung zu machen. Dafür würden andere Sachen – die Partizipation der Teilnehmenden oder das WLAN für alle – tendenziell unter den Tisch fallen. Es ist noch nicht klar, ob sich das bewahrheiten wird. Aber allgemein war die Stimmung eher so, dass das „originale“ Barcamp durch seine jetzige Größe seine Bestimmung verfehlt hätte. Offenbar funktionieren solche Veranstaltungen immer nur bis zu einer bestimmten Anzahl von Teilnehmenden. Die rund 80 Anwesenden beim Educamp waren eine gute Zahl. Vielleicht muss man beim Organisieren weiterer Barcamps darauf achten, diese thematisch oder regional so einzugrenzen, dass nicht zu viele, aber auch nicht zu wenige Menschen kommen und es trotzdem noch thematisch ein Raum zur Diskussion offen bleibt
Eine andere interessante Sache war, dass das Team des ersten Educamp am Ende, genau wie das Team des ersten Bibcamp, feststellte, dass die Veranstaltung selber interessant gewesen sei, aber leider am Ende wenig Greifbares herausgekommen war. Es fehlten die konkreten Projekte, die Arbeitsgruppen, die nach der Veranstaltung weiter machten etc. Man kann gespannt sein, wie die Organisatorinnen und Organisatoren des zweiten Bibcamp, dass 2009 in Stuttgart stattfinden soll, auf diese Feststellung reagieren werden. Beim zweiten Educamp wurde dies gelöst, indem am zweiten Tag der Veranstaltung der Ansatz des Open Space eingesetzt wurde. Beim Open Space erklärt sich eine Person oder ein Team bereit, ein Thema intensiv für den gesamten Tag zu betreuen und eine ergebnissorientierte Veranstaltung zu leiten. Die anderen Teilnehmenden können weiterhin beständig die Räume wechseln, wenn sie bei einer Veranstaltung nichts mehr lernen oder beitragen können. Dies ist beim Open Space erwünscht und gilt gerade nicht als unhöflich. Aufgabe für die jeweiligen Teams ist aber, am Ende des Tages zumindest Ziwschenergebnisse präsentieren zu können. Im Idealfall ist dann diese Veranstaltung die Keimzelle eines weiteren Projektes. Das funktioniert zwar nicht immer, aber es ist zumindest ein Versuch.
Beim zweiten Educamp wurde beispielsweise das Projekt „neuron“, welches beim ersten Camp gestartet wurde, weiter geführt. neuron gilt als Bezeichnung – grob gefasst – für öffentlich arbeitende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Web2.0. Nun, nach dem zweiten Educamp, gibt es zu diesem auch ein eigenes Netzwerk.
Forderungen für eine zeitgemäße Lehre
Ein Ergebnis des Educamp war die Ausarbeitung von 7 Forderungen für eine zeitgemäße Lehre. Diese sind grundsätzlich von einer Mehrheit der Anwesenden gut geheißen worden, sollen aber noch weiter thematisiert werden. Interessant für Bibliotheken sollte sein, dass sich die Menschen, die sich auf dem Educamp mit der Bildung im Web2.0-Zeitalter auseinandersetzten, auf die gleichen Dokumente berufen, wie die Bibliothek2.0-Kreise, insbesondere der Berliner Erklärung über den offenen Zugang zu wissenschaftlichen Wissen.
Die Forderung lauten in ihrer Kurzform:
- Größere Autonomie der Schulen
- Medienkompetenz als verpflichtender Inhalt jeder Schul-, Aus- und Weiterbildung
- Volle Transparenz von Lehre und Forschung
- Anerkennung der Öffentlichkeitsarbeit als Teil der Forschung- und Lehrarbeit
- Effizienter, ergebnisorientierter Umgang mit Lehr- und Forschungsgeldern
- Zugängliche Ausstattung mit zeitgemäßen technischen Produktionsmitteln
- Entwicklung eines sicheren Rechtsrahmens für den Umgang mit neuen digitalen Lehrmedien
Bibliotheken?
Auffällig war, dass sich ein Großteil der Debatten auf dem Educamp um Hochschulen drehte. Es gab auch andere Themen, aber die standen am Rand. Einzig die Schulen wurden manchmal angesprochen, andere Lernorte und Bereiche kaum. Das war bei Bibcamp ähnlich, dort standen hauptsächlich Hochschulbibliotheken im Mittelpunkt der Debatten, während die Öffentliche Bibliotheken kaum beachtet wurden.
Dieser Fokus lässt sich gut mit den Arbeitsfeldern der jeweils Anwesenden erklären. Aber gerade hierin liegt auch das Problem: wenn die Vertreterinnen und Vertreter von bestimmten Institutionen nicht zu solchen Veranstaltungen kommen und sich äußern, kann es gut passieren – ohne böse Absicht -, dass sie in den Debatten und den eventuell darauf folgenden Entwicklungen vergessen werden.
Insoweit kann aus es auch nicht überraschen, dass Bibliotheken kein Thema dieser Veranstaltung waren. (Außer wenn ich mich zu ihnen äußerte.) Obwohl sie sich oft und gerne selber als Bildungseinrichtungen bezeichnen und von der Politik so wahrgenommen werden wollen, waren sie nicht dort, wo über die mögliche Zukunft des Bildungswesens debattiert wurde.
Lernbaum-Wiki
Ein tatsächlich auch für Bibliotheken interessantes Projekt, welches auf dem Educamp vorgestellt wurde, war das Lernbaum-Wiki des Vereins open-learning.net e.V. aus Detmold. Das Wiki geht ein eigentlich offensichtliches Problem an: Einerseits wird in politischen und pädagogischen Debatten beständig davon ausgegangen, dass die informellen Lerntätigkeiten – also die von den einzelnen Individuen außerhalb von Bildungseinrichtungen selbstständig geplanten und durchgeführten – in ihrer Bedeutung und Zahl zunehmen würden. In einer lernenden Gesellschaft, die gerade von der EU aktuell als positives Ziel angeben wird, würde solche Bildungsaktivitäten zum Alltag aller Menschen gehören. Andererseits ist dies für viele Menschen nicht so einfach möglich, da sie nicht selber Lernaktivitäten planen und sich die Mittel und Hilfe suchen können, diese Aktivitäten auch durchzuführen. Deshalb geht die Politik eigentlich davon aus, dass die Bedeutung der Lernberatung zunehmen müsste, also das Orte und Einrichtungen geschaffen werden müssten, die Menschen dabei helfen würden, ihre Lernprojekte zu planen und durchzuführen. Außer dieser Feststellung und einigen wenigen Lernläden, die allerdings mehr auf schon bestehende Weiterbildungsangebote verweisen, als das sie Lernberatungen durchführen würden, ist auf diesem Gebiet bislang praktisch nichts passiert.
Dies könnte, wenn Bibliotheken diese Aufgabe ernst nehmen und sich die dazu notwendigen Kompetenzen aneignen würden (die sie bislang nicht haben), unter Umständen eine sinnvolle Tätigkeit von Bibliotheken in einer lernenden Gesellschaft darstellen. (Mit einem sehr großen „könnte“.)
Das Lernbaum-Wiki versucht dieses Problem anders zu lösen, nämlich in Anlehnung an die Prinzipien der Erstellung Freier Software. Im Wiki selber können Menschen, angeleitet oder nicht, Seiten zu eigenen Lernprojekten anlegen. Wichtig ist dabei, dass sie jeweils das Ziel ihrer Aktivitäten definieren. Darauf folgen – dem Vorschlag im Wiki nach – vier weitere Punkte:
- Die Definition von Bausteinen, die man benötigt, um das Ziel zu erreichen. Beispielsweise könnte jemand definieren, er wolle lernen, wie man ein Betriebssystem schreibt, dafür müsste man dann als Baustein Ahnung vom Aufbau moderner Rechner und spezielle Programmierkenntnisse besitzen.(Es geht auch einige Nummern kleiner. Der Verein hinter dem Wiki will vor allem für bildungsferne Personen tätig werden.)
- Lernmethoden, die eingesetzt werden können, um dass selbst gesteckte Lernziel zu erreichen. Beispielsweise beim Sprachenlernen: VHS-Kurs, Lernen aus Büchern, Lernen im Tandemverfahren
- Ressourcen, die man für das Erreichen des Lernzieles einsetzen kann, beispielsweise spezifische Lehrbücher, Expertinnen und Experten, die man kennt.
- Bausteininhalte, d.h. das Gelernte. Hier kann am Ende der Lernaktivität das jeweils Gelernte mehr oder minder konkret dargestellt werden.
Die Grundidee – dafür ist es ja ein Wiki – besteht nun darin, dass dieses nicht nur zur Strukturierung und – durch ständige Ergänzungen auch einer aktiven Reflexion – der Lernaktivität dienen kann, sondern auch zur Zusammenarbeit. So kann ich, wenn ich welche weiß, fehlende Lernmethoden oder Ressourcen eintragen. Wenn also jemand nur ein Lernziel hat, sonst aber nichts, kann die gesamte Community ihr oder ihm helfen, indem sie ihr Wissen über ein Lerngebiet zusammen trägt. Insbesondere, wenn jemand etwas gelernt hat und dies im letzten Punkt (Bausteininhalte) zusammen trägt, kann dies für andere Menschen hilfreich sein. Die Menschen, die mit Hilfe des Wikis lernen, sollen ihr Gelerntes auch wieder einbringen können.
Die Frage ist selbstverständlich, ob das funktioniert. Wird die Community so aktiv dabei helfen, dass Menschen ihre Bildungsprojekte durchführen können? Werden Menschen das einmal Gelernte zur Verfügung stellen oder einfach weiter lernen und nichts zurück geben? Der Verein verweist darauf, dass Freie Software ähnlich funktioniert – und zwar recht gut. (Obwohl ich anmerken würde, dass auch bei Freier Software jemand organisiert, plant und teilweise auch bezahlt. Das ist alles keine reine Selbstorganisiation, aber weit freier als andere Produktionsformen von Software.)
Zukünftige Bildungseinrichtungen könnten allerdings gerade mit der Unterstützung solcher offenen Lernplattformen beauftragt werden, so wie heute Bibliotheken mit dem Verleihen von Medien. Sie könnten – nicht exklusiv – Recherchen über Ressourcen anstellen, die für das Erreichen von Lernzielen notwendig sind.; sie könnten für stark nachgefragte Themen auch strukturierte Veranstaltungen organisieren. Das scheint ebenfalls Zukunftsmusik, zumal es Bildungseinrichtungen bedürfen würde, die sich direkt an den Anforderungen potentieller Lernender orientieren würden und nicht unbedingt an politischen Vorgaben oder dem Paradigma der vorrangigen Verwertung von erworbener Bildung auf dem Arbeitsmarkt.
Siehe auch: Weitere Berichterstattung von Educamp II