Spiele, Geräte und Musik

Letztens argumentierte ich, dass Bibliotheken mit Nutzerinnen und Nutzern umzugehen lernen müssen, deren Mediennutzung immer unterschiedlicher sein wird – egal, ob das gefällt oder nicht. Dies auch, weil Menschen, die mit Computern und Spielekonsolen aufgewachsen sind, langsam die 30 überschritten haben. (Gleichzeitig sind die ersten Jugendlichen, die schon immer Handys hatten, auch schon mit der Schule fertig. Und bis die ersten Jugendlichen, für die das Internet eine Selbstverständlichkeit ist, die sie schon immer kannten, die Schule abschließen, dauert es auch nur noch wenige Jahre.) Diese Medienerfahrung schlägt sich selbstverständlich im Umgang zu diesen Medien nieder.
Bis Donnerstag (21.08.2008) kann man bei Pitchfork.tv in dem lehrreichen und sehr unterhaltsamen Dokumentarfilm „Reformat the Planet“ über die 8Bit-Music/Chiptune-Scene sehen, wohin dieser selbstbewusste Umgang mit den Leitmedien der eigenen Jugend führen kann. Die Chiptune-Szene setzt 8Bit-Konsolen, hauptsächlich Gameboys und das Nintendo Entertainment System als Instrumente ein. Die Spielekonsolen der 80er und 90er werden dabei umgenutzt, um eine relativ eigenständige Musik zu komponieren. Selbstverständlich ist es dazu notwendig, sich mit den Geräten selber intensiv auseinander zusetzen, sie aufzuschrauben und umzuprogrammieren. Das ist kein einfaches Rumgeklicke, vielmehr wird dem Gerät abverlangt, kontrollierbar zu sein. Auch wenn davon berichtet wird, dass diese Szene an einigen Orten (vor allem New York, Tokyo und etwas kleiner in einigen europäischen Städten wie Stockholm, London und offenbar auch Moskau) schon einige Jahre pulsieren würde, ist sie international vernetzt erst in den letzten 3-4 Jahren richtig aufgetreten.
Interessant scheint mir – abgesehen von der Musik -, dass diese Szene zeigt, wie kreativ und virtuos Medien von Menschen genutzt werden können, die diese zu ihrem Alltag zählen. Offensichtlich wird an den dargestellten Musikerinnen und Musikern, dass der massive Konsum von Videospielen in der Vergangenheit entgegen aller Befürchtungen nicht dazu geführt hat, dass sie zu Medienzombis wurden. Vielmehr haben sie diese Erfahrungen erfolgreich in ihr Leben integriert.

Außerdem würde ich gerne in diesem Zusammenhang auf den relativ neuen Podcast Games in Libraries hinweisen. In diesem diskutieren Bibliothekarinnen und Bibliothekare seit April diesen Jahres monatlich das titelgebende Thema, äußern sich zum Sinn von Brett- und Konsolenspielen im Bestand, zu Gameevents in Bibliotheken und stellen aktuelle Spiele unter dem Fokus, wie sie in Bibliotheken verwendet werden können, vor. Besonders gelungen ist die Mai-Ausgabe, in welcher die sinnvolle Bestandsentwicklung bei Spielen diskutiert und die Studie „Grand Theft Childhood: The Surprising Truth About Violent Video Games“ besprochen wird.
Der Podcast ist auf die US-amerikanische Bibliotheken zugeschnitten. Interessant ist allerdings, wie konsequent in diesem Spiele, Freizeit, Bildung und gesellschaftloche Aktivitäten thematisch verbunden werden.
Verantwortlich zeichnet für den Podcast Scott Nicholson vom Library Game Lab of Syracuse an der Syracuse University, NY. Auf der Homepage des relativ neuen Library Game Lab finden sich auch die Publikationen dieser Einrichtungen, die sich erwartungsgemäß mit dem Thema Bibliotheken und Spiele befassen.

Nächster Bibliothekstag / Erfurt

Sagte ich schon, dass laut dem aktuellen Call for Paper für den nächsten Bibliothekstag (offenbar aus Versehen auf der Homepage immer noch nur für männliche Bibliothekare ausgeschrieben, und das im Jahr 2008) die erste Schwerpunktveranstaltung fast so heißen wird, wie dieses Blog hier: „Bibliotheken sind Bildungseinrichtungen…“ – Bibliotheken im Visier der Politik? Nein? Na, dann habe ich es jetzt gesagt.

Selbstverständlich wird es dort um etwas ganz anderes gehen, als hier bzw. in meiner Promotion. Während bei mir die zwei Fragen im Vordergrund stehen, ob Bibliotheken tatsächlich so sehr Bildungseinrichtungen sind, wie gerne behauptet wird und wie dies überhaupt nachgewiesen werden könnte, geht es auf dem Bibliothekstag – wenn ich das richtig verstehe – darum, wie dieses Bild von Bibliotheken als Bildungseinrichtungen möglichst gut an die Politik verkauft werden kann. Nicht darum, ob dieses Bild so richtig ist; nicht darum, welche Art von Bildungseinrichtung eine Bibliothek eigentlich sein soll; nicht darum, ob einige Bibliotheken lieber etwas anderes wären, als Bildungseinrichtungen – beispielsweise Support-Infrastruktur für Bildungseinrichtungen oder Freizeiteinrichtung oder Forschungsstätte oder auch einfach nur in Ruhe gelassen mit diesen ständigen Leitbildern. Nein, es wird wohl darum gehen, wie Politikerinnen und Politiker dazu gebracht werden können, zu glauben, dass Bibliotheken quasi genau das darstellen, was Schulen und Kindertagesstätten (theoretisch) darstellen.
Ich würde mir wünschen, wenn diese fast zwanghafte Fixierung auf diese eine wichtige, aber wirklich auch sehr ausgewählte und gerade für Öffentliche Bibliotheken sehr schwer zu evaluierende Aufgabe von Bibliotheken (Bildung) in dieser Schwerpunktveranstaltung kritisiert würde. Realistischer und praktikabler fände ich, wenn klar würde, dass Bibliotheken Einrichtungen mit unterschiedlichen Aufgaben darstellen, die unter diversen Fokusen betrachtet, bewertet und genutzt werden können und deshalb auch als Einrichtungen politisch vertreten werden könnten/müssten, deren Vorteil in der Verbindung verschiedener Aufgabebereiche besteht.
Aber ich weiß schon: Wünschen alleine hilft nicht, da muss man schon selber hinfahren.

Naja, Kulturkritik

Das Verbrechen der Vernunft von Robert B. Laughlin [Laughlin, Robert B. / Das Verbrechen der Vernuft : Betrug an der Wissensgesellschaft. – Frankfurt am Main : Suhrkamp, 2008 (edition unseld ; 2)] ist eher eine Dystopie als eine Analyse. Grundthese ist, dass es im Gegensatz zum Verständnis der Überzeugung, dass wir in einer Wissensgesellschaft leben würden, eine verstärkte Abschließung von Wissen gäbe. Laughlin weist dabei zuerst auf „gefährliches Wissen“, bei dem die Gesellschaft offenbar der Meinung ist, dass es geschützt werden müsse, hin. Als paradigmatisch gilt ihm dabei das Wissen um den Bau von Atombomben, aber auch um biologische und chemische Waffen. Das scheint noch nachvollziehbar, auch wenn Laughlin von absurden Situationen zu berichten weiß, die sich aus dem Verschluss dieses Wissens ergeben. Anschließend stellt er allerdings dar, dass Wissen seiner Meinung nach auch als ökonomisches Gut nur verwertet werden kann, wenn es beschränkt und versteckt wird. Die Argumente für ein schwaches Copyright – wie es im deutschen Sprachraum ja vor allem Kuhlen vroschlägt – oder der gesamten Open Access Bewegung ignoriert Laughlin gänzlich. Nur Wissen, das eingeschränkt werden kann, gilt ihm als ökonomisch sinnvoll, deshalb wird es auch eingeschränkt.
(Interessant ist, dass er dabei nicht nur von Patenten spricht, sondern von dem Phänomen, das über bestimmtes Wissen einfach nicht mehr geredet wird, was aber nicht auffällt, weil es zahlreiche andere Informationen zum gleichen Thema gibt – so gäbe es zum Beispiel zwar zahllose Informationen über bestimmte technische Apparate, die im Alltag verbreitet ist, aber ohne dass es Informationen darüber gäbe, wie genau diese funktionierten. Das würde aber nicht auffallen, bis gezielt nach diesen Informationen gesucht wird, zum Beispiel um diese Geräte nachzubauen oder ihre Funktion zu verstehen. Die hergestellten Wissenslücken gehen dieser These nach im Rauschen unter. Sie erschienen auch oft als nicht so gravierend, da man davon ausgeht, sie würden schon irgendwo zu finden sein, wenn sie benötigt würden.)
Das Problem bei diesem Text ist allerdings, das nicht klar wird, ob Laughlin die gesamten Entwicklungen (beispielsweise im Patentbereich) zwar teilweise absurd, aber doch okay findet, ob er davon ausgeht, dass dies alles nichts bringt, weil alle Wissensbeschränkungen doch beständig umgegangen werden – durch Kopieren, neue Forschungen oder Lücken im System. Oder aber – was auch möglich wäre – er möchte die Situation nur sarkastisch beschreiben, geht aber davon aus, dass es eh nicht mehr geändert werden kann. (Immerhin ist Laughlin Physiker und hat am MIT studiert – es wäre also nicht überraschend, wenn er selber diese Art von Geek-Humor teil, den sonst nur andere Geeks verstehen. Aber wenn das alles ein Witz ist: muss man daraus gleich ein ganzes Buch machen?) Oder er will dazu aufrufen, dass alles zu ändern oder zumindest drüber nachzudenken. Das bleibt einfach vollkommen unklar. Zumal, wie schon angedeutet, der Text zwar nicht unbedingt die neuesten Entwicklungen ignoriert, aber Laughlin doch viele Debatten und Entwicklungen, die seiner Beschreibung entgegenstehen, einfach nicht wahrzunehmen scheint. Und dann endet er auch noch in dem seit der Postmoderne eigentlich obsoleten Bild der grundsätzlich neuen Gesellschaft irgendwo da draußen, welche die jetzige Menschheit und deren Grundprobleme einfach zurücklässt. (Hier sind es junge Menschen, die auf den Mond auswandern.)
Letztlich hinterlässt das Buch den gleichen Eindruck, wie zeitgenössische kulturkritische Besinnungsaufsätze: An einigen Stellen nickt man, an vielen will man einfach widersprechen, weil die Vorraussetzungen der Behauptungen, die gemacht werden, einfach falsch sind. Aber letztlich weiß man am Ende nicht, wozu dieser Text da ist, wem genau er was sagen will.

Dennoch, eine großartige Stelle gibt es, die ich gerne zitieren will. Deshalb das Posting:

Die mit dieser [beschriebenen] Entwicklung einhergehende Einstellungen zum Wissen werfen äußerst beunruhigende Fragen nach dem Grundrecht des Menschen auf, Fragen zu stellen und nach Erkenntnis zu streben. Mehr und mehr erscheint der „Geistesblitz“, die plötzliche Einsicht in eine Sache und deren Folgen, die wir bei Galilei und Newton bewundern, als Verletzung von Patentrechten oder als Gefahr für die Staatssicherheit. Mehr und mehr erweist sich selbständiges Denken als potentiell kriminelle Handlung. [Laughlin (2008), S.10]