Zum Bildungssystem in Deutschland (Veranstaltungsbericht)

Letzte Woche fand im WZB in Berlin eine Veranstaltung mit Vernor Muñoz, UN-Menschenrechtsbeauftragter für das Bildungswesen, statt. Dieser hatte im letzten Jahr im Auftrag der UN Deutschland besucht und das hiesige Bildungssystem begutachtet. Nach den Debatten um die PISA-Studien, war dieser Besuch letztlich auch ein weiterer Aufhänger für die Kritiken, die von verschiedener Seite am deutschen Bildungssystem vorgebracht wurden. Allerdings reagierten gerade "konservative" Kritikerinnen und Kritiker, bzw. – was in Deutschland oft zusammenfällt – solche, die eine Verbesserung des Bildungswesens gerade in einer Art Elitenförderung sehen, überhaupt nicht positiv auf diesen Besuch. Das war bei den Debatten um die PISA-Studien noch anders. Aber vielleicht war es schwieriger auf die Aussagen von Muñoz mit der Forderung nach besseren Ausstattungen für Gymnasien zu reagieren; vielleicht war es auch – so wurde auf der Veranstaltung vermutet – eine eingenommene Reaktion auf einen "Professor aus der Dritten Welt" [Costa Rica], der das deutsche Bildungssystem unter dem Blickwinkel von Menschenrechten und sozialer Gerechtigkeit untersuchen sollte.

Zumindest kam der bisher von der Bundesregierung nicht beantwortete Bericht zum deutschen Bildungswesen zu einem differenzierteren Ergebnis, als dies nach einigen Debattenbeiträgen zu erwarten war. Dabei ist der Ansatz von Muñoz, wenn auch nicht innovativ, so doch ungewöhnlich im Rahmen der aktuellen Debatten um Bildung in Deutschland. Er insistiert nicht auf die wirtschaftlichen Erfolge von Bildung oder die messbaren Kompetenzwerte, er fragt danach, ob das Recht auf Bildung, dass immerhin Teil der von Deutschland ratifizierten Menschenrechte ist, in Deutschland umgesetzt wurde. Seine Antwort ist, gerade aufgrund seiner Erfahrungen in anderen Staaten, differenziert: "Im Prinzip ja, aber…"

Er kritisiert das mehrfach geteilte Schulsystem, den offensichtlichen Zusammenhang von Migrationshintergrund und schulische Erfolg, die Ausgrenzung von "Behinderten". Er regt beispielsweise als besonderes Thema an, darüber nachzudenken, ob es nötig ist, Eltern, die ihre Kinder unbedingt zu Hause unterrichten wollen, unbedingt mit Strafandrohungen davon abzuhalten. [Wobei anzumerken ist, dass es sich in Deutschland bei den meisten dieser Eltern um fundamentalistische Christinnen und Christen handelt, welche in der relativ gleichen Bildung, die durch die Schulpflicht hergestellt werden soll, eine säkuläre Bedrohung sehen.] Gleichzeitig vertritt er selber die Position, dass stattlich finanzierte Bildung für alle notwendig ist. Insoweit gäbe der Bericht einiges zum Diskutieren auf. Nicht zuletzt da Muñoz selber mehrfach darauf hinwies, dass die Debatte um das Bildungssystem nicht von ihm geführt werden kann, sondern in den jeweiligen Staaten, hier also Deutschland, selber geführt werden muss.

Diese Diskussion findet allerdings nicht statt, die Gründe werden unterschiedlich sein. Stattdessen gaben im Mai 2007 Bernd Overwien und Annedore Prengel den Band Recht auf Bildung. Zum Besuch des Sonderberichterstatters der Vereinten Nationen in Deutschland heraus, in dem Kritikerinnen und Kritiker des deutsche Bildungssystems sich zu eben diesem äußerten. Dieser Band war letztlich der Grund für die Veranstaltung im WZB.

Nur Schulen

Auffällig war, dass einzig von Schulen und ganz kurz von Kindergärten gesprochen wurde. Nur in der Diskussion gab es einige kurze Hinweise auf die Bildung von Berufstätigen. Auch hier spiegelte sich die in der deutschen Debatte oft eingenommene Haltung wieder, dass Bildungssystem auf die Schulen oder die Erstausbildung zu reduzieren. Andere Lernorte – wie beispielsweise Bibliotheken – kamen nicht vor. Dennoch sind die getroffenen Aussagen nicht falsch, sie treffen halt nur auf einen Teil der Bevölkerung direkt zu.

Interessant wäre aber, einmal darüber nachzudenken, warum fast immer von Schulen gesprochen wird, und auf andere Lernorte bestenfalls mit dem Hinweis auf lebenslanges Lernen verwiesen wird. Eigentlich ist ersichtlich, dass Schülerinnen und Schüler, die auf lebenslanges Lernen vorbereitet werden sollen, mit dieser Fähigkeit wenig werden anfangen können, wenn sie sie tatsächlich erwerben – was zur Zeit eher bestritten wird – und es gleichzeitigt keine Infrastruktur gäbe, die dieses Lernen unterstützen könnte. Obwohl es gute Gründe gibt, sich bei Debatten um das Bildungssystem auf Schulen und jetzt auch stärker auf Kindertagesstätten zu konzentrieren, scheint es doch sympthomatisch, dass andere Lernort gar nicht vorkommen.

PISA

Den Auftakt der Veranstaltung gestaltet Jutta Allmendinger, ihres Zeichens Präsidentin des WZB und zuvor beispielsweise Direktorin des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit, fraglos eine der Expertinnen für Bildungsforschung in Deutschland. Sie stellte Ergebnisse der PISA-Studie 2003 dar, welche Muñoz‘ Bericht empirsch untermauern sollten.

Dabei schränkte sie die Aussagekraft der PISA-Studien ein. Im Gegensatz zur öffentlichen Wahrnehmung können deren Daten wenig über das Bildungssystem und dessen Auswirkungen aussagen. Mit den Daten der PISA-Studien lassen sich die kognitiven Kompetenzen von 15-Jährigen erfassen, sowie deren Zusammenhang zu einigen sozio-ökonomischen Sachverhalten. Weniger oder mehr nicht. Soziale Kompetenzen werden so beispielsweise nicht bestimmbar.

Dennoch sind die Ergebnisse nach Allmendinger eindeutig. Wir leben, so verortete sie die Ergebnisse, in einer Zeit der Bildungsstagnation, nicht mehr der Bildungsexpansion. Und dies auf einem international relativ niedrigen Niveau. Chancengleichheit ist im Bereich der Bildung nicht gegeben. Insbesondere für Menschen mit Migrationshintergrund nicht. Deutschland ist das einzige der PISA-Staaten, in der die zweite Generation dieser Menschen geringere Kompetenzen aufweisen, als Menschen mit Migrationshintergrund der ersten Generation.

Zudem wies Allmendinger darauf hin, dass entgegen dem politisch gewünschten Trend, die Weiterbildung in Deutschland in den letzten Jahren – zumindest die organisierte – massiv zurückgegangen ist.

Muñoz

In seinem Redebeitrag wies Vernor Muñoz zuerst darauf hin, dass er nur eine Momentaufnahme des deutschen Bildungssystems erfassen konnte. Die historische Entwicklung nachzuzeichnen sei nicht seine Aufgabe gewesen. Er habe darauf zu achten gehabt, ob das Recht auf Bildung für alle in der deutschen Gesellschaft gegeben sei.

Menschenrechte sind, so seine Überzeugung, für die Entwicklung der menschlichen Würde notwendig, egal ob ihre Umsetzung beispielsweise ökonomisch sinnvoll sei oder nicht. Und diese Rechte beträfen nicht nur armen Länder. Dabei stellte Muñoz heraus, dass er der Bundesrepublik nicht die absichtliche Missachtung von Menschenrechten vorwerfen würde oder ein vollständiges Versagen bei der Umsetzung derselben – auch wenn er mehrfach an die deutsche Einwanderungsgesetzgebung und die Behandlung der UN-Kinderrechtskonvention durch die BRD anspielte. Nicht zuletzt sei die Angst der Illegalisierten, also der Menschen ohne legalen Aufhaltsstatus, ihre Kinder in Deutschland zu Schule zu schicken, letztlich eine nicht-intendierte Form der Bildungsverweigerung, die in anderen Staaten in dieser Form nicht vorkommt.

Er betonte mehrfach, dass es Aufgabe der deutschen Gesellschaft wäre, sich Gedanken über sein Bildungssystem zu machen. Dabei konstatiert er einen Unwillen, dass "komplizierte Schulsystem" zu analysieren. Eine solche Analyse sei aber notwendig, da etwas, dass eventuell einmal richtig und fortschrittlich war, es im Bezug auf die Menschenrechte nicht mehr sein muss. Eine Diskussion muss allerdings nicht gleich zur Abschaffung führen.

Er fragte, ob die Konzentration auf die deutsche Sprache im Unterricht der richtige Weg sei oder ob nicht vielleicht, wie in anderen Staaten, der Unterricht in der jeweiligen Erstsprache der Schülerinnen und Schüler einen größeren Platz erhalten sollte. Den Förderalismus, gerade im Bildungsbereich, beschrieb er als überdenkenswert. Zudem regte er an, das pädagogische Niveau der Lehrerinnen und Lehrer zu verbessern.

Diskussion

Annedore Prengel stellte in der Diskussion die These auf, dass es im deutschen Bildungssystem mehr und mehr zu einer Spaltung in gute vs. schlechte Schulen gekommen sei. Und dies nicht nur im Bezug auf die vermittelten Kompetenzen, sondern auch im Bezug auf den alltäglichen Umgang miteinander in diesen Schulen. Dabei würde in einer Schule, in der weder zwischen den Lernenden untereinander, noch zwischen Lehrenden und Lernenden ein guter Umgang herrsche, dass Lernen nahezu unmöglich sein.

Marianne Demmer, stellvertretende Vorsitzende der GEW, stellte die pädagogischen Ausbildung im Bezug auf die Einwanderungsgesellschaft Deutschland in den Mittelpunkt. Ihrer Meinung nach gibt es keine Vorbereitung auf die Mehrsprachigkeit, die heute in Klassenräumen herrscht. Dies kollodiert mit dem von Demmer vertretenen Recht auf die eigene Sprache der Kinder, sowohl im Bezug auf das Herkommen der Sprache als auch der spezifischen Form der Kinder- und Jugendsprachen. Die Ausbildung für deutsche Lehranstalten finde immer noch für eine nach Herkunft, Sprache und Kultur einheitliche Gesellschaft statt, die sich einzig in der erreichenbaren Kompetenzstufe differenzieren würde, was dann wieder im gegliederten Schulsystem und der Ausbildung für dieses niederschlüge. Dieses Vorgehen sei allerdings nicht nur inhaltlich falsch, es führe auch ungesehen zu einer Chanchenungleichheit. Recht auf Bildung wird, so Demmer, als Recht auf den Zugang zu Bildungseinrichtungen für alle wahrgenommen, nicht als inhaltliches Recht, die selbstbestimmte beste Bildung anzustreben und zu erhalten.

Hierzu ergänzte Vernor Muñoz einen eigentlich bekannten, aber doch in der deutschen Debatte doch oft unterschlagenen Fakt: In 40 Jahren wird die demographische Zusammensetzung gänzlich anders sein, als heute. Wie genau, ist schwierig zu sagen, aber sie wird zumindest mit der heutigen wenig gemeinsam haben.

Marianne Krüger-Potratz von der Universität Münster forderte klare Zielsetzungen der Bildungspolitik. Bisher sei diese vorallem ein planloses Aneinanderreihen von Versuchen ohne erkennbare – und dann eventuell auch zu kritisierende – Strategie. Hierzu ergänzte Jutta Allmendinger, dass es in Deutschland "Tausende von Projekten" im Bildungsbereich, aber keine Evaluationen oder Dokumentationen gäbe.

Weiter forderte Krüger-Potratz, überhaupt einmal umfassende Daten über die Schülerinnen und Schüler in deutschen Schulen zu erheben. Bisher rede man zum Beispiel bei den Sprachfähigkeiten nur von Annahmen. Außerdem stellte sie die These auf, dass sich die deutsche Einwanderungspolitik bis in die 1970er in den Umgang mit den Nachkommen der damaligen Einwandernden durchgeschlagen hätte. Man hätte damals Einwandernde für unqualifizierte Jobs gesucht und letztlich die Menschen, die kamen, als Menschen wahrgenommen, die genau für die Jobs ausgebildet wäre. Das war damals schon falsch. Dennoch würde man auch heute von Kindern und Jugendlichen mit einen sichtbaren Migrationshintergrund ähnlich annehmen, dass sie kaum für mehr als die Grundbildung aufnahmefähig seien. Was auch heute noch falsch ist, sich aber auf den Umgang mit ihnen im Bildungssystem niederschlagen würde.

Schlusswort

In seinem Schlusswort vor der ausufernden offenen Debatte, erinnerte Vernor Muñoz noch einmal daran, dass Bildung ein Menschenrecht und als solches in sich selbst begründet sei. Bildung könne vieles, aber sie könne beispielsweise nicht die Probleme der Wirtschaft lösen. Dies sei, wie auch die Verteilung von Reichtum, die in Deutschland so offensichtlich mit der genossenen Bildung und der Möglichkeit, Bildung zu erlangen, zusammenhänge, ein gesellschaftlich zu verhandelndes Thema.

Thema Bibliotheken

Über Bibliotheken, auch und gerade verstanden als Bildungseinrichtungen, wurde in dieser Veranstaltung kein Wort verlohren. Wie schon angedeutet, wurde das Bildungssystem nahezu vollständig auf Schulen reduziert. Dennoch haben sich Bibliotheken als Lern- und Lehrorte im Rahmen dieses Bildungssystems und innerhalb derselben Gesellschaft zu verorten.

Zudem sich viele Anfragen an und Kritiken des Bildungssystems, die in der Veranstaltung und dem Bericht Vernor Muñoz‚ vorkamen, auf Bibliotheken übertragen lassen.

  • Auch bei Bibliotheken stellt sich Frage, was genau Bildung bedeuten soll, bzw. was sie nützen soll. Ist sie da, um Kompetenzen zu vermitteln? Wenn ja, welche? Ist sie ein Mittel zur "Nachbildung" für den Arbeitsmarkt? Ist sie ein Menschenrecht?
  • Auch Bibliotheken haben mit einer multisprachigen Gesellschaft zu tun. Sind sie darauf eingerichtet? Was ist mit der pädagogischen und multikulturellen Ausbildung des Bibliothekspersonals?
  • So wie das Bildungssystem nicht nur aus Schulen besteht, besteht es auch nicht nur aus Bibliotheken. Der Zusammenhang zu anderen Bildungseinrichtungen müsste geklärt werden. Gerade unter der Prämisse, dass einige von ihnen ebenso oft "vergessen" werden, wenn um Bildung diskutiert wird.
  • Die Feststellung von Marianne Demmer, dass das Recht auf Bildung vorrangig als Recht auf den gleichen Zugang zu Bildungseinrichtungen verstanden wird und nicht als Recht auf Chancengleichheit, trifft auf Bibliotheken in weiten Bereichen zu.
  • Ebenso trifft die Feststellung von Jutta Allmendinger, dass es im Bildungsbereich zwar "Tausende von Projekten", aber kaum Evaluationen dieser Projekte gäbe, auf Bibliotheken ebenso zu. Interessanterweise bezog Allmendinger diese Aussage nicht so sehr auf Schulen, als auf die Bildungsprojekte, die von der Bundesanstalt für Arbeit getragen wurden. Eventuell ist diese Eigenheit, Projekte zu machen, aber wenig darüber verlautbaren zu lassen, mehr ein deutsches Phänomen, als eines von Bibliotheken alleine.
  • Und nicht zuletzt ist das "komplizierte" System des Förderalismus im Bildungsbereich, dass Vernor Muñoz ansprach, auch für Bibliotheken relevant.

Nachtrag: Ein anderer Bericht zur Veranstaltung findet sich in Mandy Schiefners Blog education & media.

(Tagebuchfunktion V): Polemik

Why should it be called a public library – a library that serves the general public, somewhere that ist everything to everyone – when libraries only serve a small section of the population? In this situation [das vorrangig die gebildete, weisse Mittelklasse in Brasilien die Bibliotheken benutzt] there are two alternatives: either the community should be segmented and high quality work should be done for the benefit of a specific section of the public, or we should be modest and change the name from public library to library for a small group of students who wish to photocopy encyclopaedias. [Suaiden, Emir José / The social impact of public libraries. – In: Library Review, 52 (8) 2003, pp. 379-387] [In Spanisch bei E-LIS]

Bildung vs. Spaß

Ed D’Angelo hat eine Polemik zum Zustand US-amerikanischer Public Libraries geschrieben: Barbarians at the Gates of the Public Library. [D’Angelo, Ed (2006) / Barbarians at the Gates of the Public Library : How Postmodern Consumer Capitalism Threatens Democracy, Civil Education and the Public Good. Duluth, Minnesota : Library Juice Press, LJP, 2006] Eine Polemik halt; vieles ist überzeichnet, fast alles undifferenziert, einiges falsch und den Sinn, dem man zustimmen könnte, muss man lange suchen. Dafür gibt es hier und da treffende Beobachtungen.
Grundthese D’Angelos ist, dass die moderne Form des Kapitalismus, die er – warum auch immer – als postmodernen Kapitalismus beschreibt und für die er die cultural studies zur ideologischen Untermauerung erklärt, die Funktion der Öffentlichen Bibliotheken zerstören würde. Genauer versteht er den postmoderne Kapitalismus als radikale Unterordnung unter den subjektiven Willen der consumer. Er meint damit nicht unbedingt Marktforschung. Er meint die Ersetzung von citizen, also selbstbewussten, gebildeten und demokratisch engagierten Bürgerinnen und Bürger durch consumer, deren Lebensziel in der Befriedigung ihrer direkten Bedürfnisse liegt. Öffentliche Bibliotheken nun, dies sich diesem Trend anpassen und sich beispielsweise mehr an „large bookstores“ und weniger an Bildungseinrichtungen orientieren, die Coffeeshops einrichten, die sich auf beim Bestandsaufbau darauf versteifen, „gut gehende“ Medien einzuwerben und nicht solche, die nach gesellschaftlichen Interessen „gut“ sind oder zur Bildung beitragen, folgen seiner Meinung nach diesem Trend und verzichten auf diese Weise auf die Funktion einer public library als kultureller und demokratisierender Institution.

For example, circulation mirrors sales. Both circulation and sales can be easily measured in quantitative terms. But if democracy and an enlightened citizenry were the goals of the public library, then we would measure success not merely by how many items we circulate, but by how many readers we have helped to become better citizens. That in turn depends on the quality and diversity of material we circulate as well as their number and highlights the need for professional judgement in collection development. In fact, the decline of qualitative measures of success at the national level reflects the rise of consumer capitalism during the postwar years and the decline of the ideal of the democratic nation state. As we will see later this decline culminates in the 1990s with the rise of neoliberalism and the notion of a market democracy in which the consumer replaces the citizen as the primary agent of “democracy” or of what is being called democracy. [9]

Ganz so gradlinig macht er’s nicht, wie in seiner Antwort auf eine Review bei seinem Verlag Library Juice nachzulesen ist. Aber ungefähr. Einen Hang zum Kulturpessimismus kann er nicht unterdrücken. Und der war schon immer relativ blind für mögliche positive oder zumindest ambivalente Wirkungen von gesellschaftlichen Entwicklungen.
Dennoch, eine Anmerkung ist wichtig im Bezug auf die Bildungseffekte von Öffentlichen Bibliotheken. Sie richtet sich auf ein Missverständnis, dass D’Angelo für relativ bezeichnend hält:die Gleichsetzung von Informationsvermittlung, bzw. der Medienausleihe und Bildung.

Education and edification do not necessarily exclude pleasure. Pleasure is necessarily a part of education insofar as education makes higher levels of pleasure and the pleasureable consumption of information possible. We consume education and we are pleasured by it. But it is possible to consume information without being educated or edified. [27]

Das Menschenrecht auf Bildung in Deutschland

Vernor Muñoz, Sonderberichterstatter der UN-Menschenrechtskommission für Bildung, kommt am 24.07. zu einer Veranstaltung nach Berlin ins WZB. Unter dem Motto „Recht auf Bildung“ wird er seinen Bericht über die Bildung in Deutschland vorstellen. Dieser Bericht, den er im Auftrag der UN vefasste, hatte Anfang 2006 in Deutschland zu relativ ablehnenden Äußerungen aus der Politik geführt, während sich gleichzeitig Stimmen fanden, die ihm zustimmten.
Mehr zur Veranstaltung hier (Anmeldungen bis 18.07.)

Was können Bibliotheken tun? (II)

McNicol, Sarah (2002) / Learning in libraries : lessons for staff. – In: New Library World 103 (2002) Nr. 1178/1179, S. 251-258

„Librarians need to engage in all types of learning situations; they may assist learners by providing an information service about educational opportunities; an advisory service to discuss learning goals; and a referral service to learning opportunities outside the library of inside the library to independent study materials, to give just a few examples.“ [252]

„More effective advocacy is clearly needed to combat the inferior status of librarians as key agents in the learning process. On a day-to-day basis, all staff working in any library environment must attempt to meet the learning needs of individual users. It is therefore vital that library staff are provided with opportunities to develop the appropriate knowledge and skills to assist learners in using their services, through both their initial education and continuing professional development. Factors motivating learning and barriers that prevent effective learning are frequently extremly complex and difficult to ascertain accuratley from the brief contact that often occurs between a librarian and a learner. However, an understanding of the basic ideas and principles used by both formal and informal educators may assist librarians to meet the learning needs of their users more effectively.“ [257]

Methoden und Ansätze

Eine (sehr vorläufige) tabellarische Übersicht der in der Literatur dokumentierten Forschungsansätze im Bereich „Bibliotheken und Bildung“ habe ich hier hochgeladen. Wird selbstverständlich ergänzt.
Die qualitativen Ansätze überwiegen, was wenig überraschend ist. Aber insgesamt zeigt sich doch eine ziemliche Breite der Ansätze. (Allerdings: nicht in Deutschland, sondern fast nur anderswo.)

Methodenmix, sortiert

Die Beantwortung der Frage, welche Bildungseffekte Öffentliche Bibliotheken haben, ist nur durch einen Methodenmix möglich. Nicht zuletzt, wenn gleichzeitig ein Modell geliefert werden soll, welches diese Ergebnisse für die Bibliothekspraxis nutzbar macht.

Evidence Based Library Practice -Internationaler Ansatz
Dabei gibt es – wenn auch nicht in Deutschland, sondern vorrangig in der englischsprachigen Bibliothekspraxis und hier vor allem der in Großbritannien – Arbeiten und Forschungstendenzen, die ähnliches versuchen. Zum einen hat sich in den 1990ern das Paradigma einer Evidence Based Library Practice etabliert, zuletzt 2006 mit einer eigenständigen Open Access Zeitschrift (Evidence Based Library and Information Practice).
Durch dieses Paradigma wird eine Erdung von Bibliothekspraxis durch wissenschaftliche Methoden angestrebt. Primär soll die Planung und der Betrieb von Öffentlichen Bibliotheken und ihrer Services nicht (mehr) normativen Vorstellungen und Einzelentscheidungen von Bibliothekarinnen und Bibliothekaren überlassen werden. Die angewandten Methoden sollen einerseits die Realität abbilden und wissenschaftlichen Standards genügen, anderseits relativ einfach und praktikabel sein. Insoweit experimentieren die meisten Studien damit

  1. oft schon vorhandene oder leicht im Bibliotheksalltag zu gewinnende Daten für neue Aussagen zu verwenden.
  2. Arbeiten und Ansätze so zu dokumentieren, dass diese auch von anderen Bibliothekspraktikerinnen und -praktikern einfach reproduziert werden können.
  3. die Grenzen der jeweiligen Studien zu reflektieren und für Teilfragen auf schon veröffentliche Studien zurückzugreifen.

Es hat sich unter dem Paradigma der Evidence Based Practice eine, wenn auch nicht unumstrittene, Richtung der von Bibliothekarinnen und Bibliothekaren selber durchgeführten Applied Science etabliert, auf deren Überlegungen auch im deutschen Kontext zurückgegriffen werden kann.

inspiring learning for all – Britischer Ansatz
Eine zweite Grundlage bieten die Überlegungen, welche im Rahmen des Umbaus der öffentlichen Dienste in Großbritannien unter der New Labour Regierung für Bibliotheken in dem Framework inspiring learning for all kumulierten [Vollständiger Framework hier]. New Labour verband in seiner Bildungspolitik mehrere Ansprüche an die steuerfinanzierten Einrichtungen. Einerseits tragen diese Einrichtungen seit Mitte der 1990er Jahre mehr und mehr Eigenverantwortung für die Qualität ihrer Angebote, deren Auswahl und Gestaltung, ihrer Effizienz und deren Nachweis; anderseits wurden bisher eher marginale politische und gesellschaftswissenschaftliche Diskurse zum Thema social exclusion durch die Regierung aufgegriffen und ein pro-aktive Politik der social inclusion zur Pflicht gemacht. Dies heißt, dass öffentliche Einrichtungen nicht mehr einfach diskriminierungsfrei zu sein haben, sondern aktiv daran arbeiten müssen, nur diffus erfahrbare, aber doch vorhandene Barrieren zu identifizieren und abzubauen.
[Im Rahmen von Bibliotheken heißt dass zum Beispiel, nicht einfach einen formal gleichen Zugang für alle zu schaffen, sondern zu bestimmen, welche Bevölkerungsgruppe zu den strukturellen Nicht-Nutzenden gehören, warum sie dies sind und letztlich mit ihnen zusammen daran zu arbeiten, die offenbar vorhandenen strukturellen Hindernisse abzubauen – auch wenn dass manchmal gerade nicht durch eine Spezialbestand mehr für diese oder jene Gruppe zu machen ist. Siehe dazu den grundlegenden Bericht „Open to all? The Public Library and Social Exclusion„]
Der Framework inspiring learning for all liefert nun in diesem Zusammenhang eine relativ tief gehende Gliederung, die es Bibliotheken (und Museen und Archiven) ermöglichen soll, diese eher unpräzisen Anforderungen sowohl zu erfüllen als auch den Erfolg dieser Anstrengungen zu evaluieren. Ein Grundprinzip dieses Frameworks ist eine kreislaufförmig angelegte Selbstevaluation durch Teams in den Bibliotheken, die auf einer größeren – und zumindest dem Ansatz nach – immer wieder erneuerten wissenschaftlichen Grundlage, die gesellschaftliche Ansprüche in der Bibliothekspraxis umzusetzen helfen und gleichzeitig Erfolge messbar machen sollen.

Arbeitsmodell
Im Folgenden möchte ich den ersten Arbeitsentwurf eines ähnlichen Frameworks, bezogen auf Bildungseffekte von Öffentlichen Bibliotheken in Deutschland, vorschlagen. Dieser ergab sich als Ergebnis der Durchsicht von relevanten Forschungsansätzen im Bibliotheks- und Bildungsbereich. Wie gesagt: ein Arbeitsentwurf und Vorschlag, welcher erst noch vervollständigt werden und anschließend erprobt werden muss.


[als pdf]

Der Framework ist in vier Phasen unterteilt, welche wiederum in zwei Kreisläufen organisiert sind. Kreislauf eins umfasst alle vier Phasen von der Begriffsbestimmung von Bildung bis zur Projektimplementierung und ist als längerfristige, eher wissenschaftliche Arbeit angelegt, welche im besten Fall in größeren Abständen wiederholt werden sollte. Kreislauf zwei umfasst die Phasen III (Datensammlung) und IV (Interpretation und Umsetzung) und wird hier als praktische Anwendung im Bibliotheksalltag verstanden, die einerseits auf den Phasen I und II aufbaut, andererseits eher auf die einzelne Institution orientiert ist und nicht jedes mal erneut den verwendeten Bildungsbegriff bestimmt.
Folgende eine kurze Charakterisierung der vier Phasen.

Phase I. Bildungsvorstellungen
In der ersten Phase werden die Bildungsvorstellungen, welche im Bereich Öffentlicher Bibliotheken verwendet werden, bestimmt. Hierbei sind unterschiedliche Gruppen und deren
Bildungsvorstellung zu beachten:

  1. die Bibliotheken, bzw. Bibliothekarinnen und Bibliothekare
  2. die Nutzerinnen und Nutzer
  3. die Gesellschaft, das hießt die allgemein akzeptierten Bildungsvorstellungen und hier auch die der Personen, welche keine Öffentlichen Bibliotheken benutzen
  4. die Träger der Bibliotheken, in Deutschland zumeist die lokale und die Landespolitik

Dabei bieten sich insbesondere für die Gesellschaft und Politik Diskursanalysen an, während die Bildungsvorstellungen von Bibliotheken und Nutzenden wohl eher durch qualitative Methoden, vorrangig die der grounded theory gewonnen werden können. Dabei ist – gerade bei den Diskursanalysen – darauf zu achten, dass es im Rahmen dieses Frameworks darauf ankommt, in irgendeiner Form quantifizierbare Vorstellungen und Kategorien zu gewinnen.

Phase II. Operationalisieren
Ausgehend von den Ergebnissen der ersten Phase müssen die Bildungsvorstellungen operationalisiert, also in messbare Kategorien und Codierungen umgesetzt werden. Hierzu liegen zwei Modelle vor: Entweder die Codierung anhand der in den meisten Studien, die einem grounded theory-Ansatz folgen, als Forschungsergebnis entwickelten Kategorien. Oder aber das Fassen der Ergebnisse in einen Checklist-ähnlichen Framework, wie dies bei inspiring learning for all getan wurde.

Phase III. Status Quo und Zielbestimmung
In dieser und der nächsten Phase geht es hauptsächlich um die einzelne Bibliothek. Mithilfe des erarbeiteten Frameworks oder der Kategorienliste – oder, was eher zu erwarten ist, einem Mix beider Ansätze – wird einerseits der Status Quo bestimmt, anderseits das Framework, wenn nötig, modifiziert und Ziele bestimmt, die sich aus dem Status Quo und den Bildungsvorstellungen für einen überschaubaren Zeitraum für die einzelne Bibliothek ergeben.
Etwas weniger abstrakt: Es könnte sich zeigen, dass eine Bildungsvorstellung lautet, dass rund die Hälfte aller Erwachsenen im Einzugsbereich einer Bibliothek mindestens alle fünf Jahre mithilfe von Medien aus der Bibliothek ihre Fremdsprachenkenntnisse auffrische oder eine neue Sprache lernen. Das könnte so im Framework aus der Phase II stehen. Bei den Daten, die dazu in einer Bibliothek zu erfassen sind, muss man zwar einigermaßen herum rechnen – schließlich will man ja nicht über fünf Jahre die Bestandsnutzung der Sprachlernmedien erfassen, um zu einer Aussage zu kommen. Letztlich könnte dann aber die Feststellung der Bibliothek lauten, dass eine solche Nutzung nicht stattfindet. Hier könnte dann das Ziel formuliert werden, dass die Medien tatsächlich in der geforderten Quantität und in der geforderten Weise genutzt werden. Eine Justierung des Frameworks könnte dann nötig sein, wenn die Bibliothek ihr Umfeld betrachtet und – wieder als Beispiel – feststellt, dass in ihrem Umfeld eine akademisch geprägte Elite wohnt, alle potentiellen Nutzerinnen und Nutzer mindestens ein Abitur erhalten haben oder dieses anstreben. In diesem Fall müsste die angestrebt Nutzungshäufigkeit angepasst, also erhöht werden.
Es geht also letztlich um die Anpassung des gegebenen Frameworks an die Gegebenheiten der Bibliothek und um eine sinnvolle Auswahl von erreichbaren Zielen.

Phase IV. Projekte, Dokumentation und Fortschreibung
In der letzten Phase geht es darum, aus den gewonnenen Erkenntnissen über den Status Quo und den Zielen, die sich aus den Bildungsvorstellungen ergeben, umsetzbare Projekte und Organisationsveränderungen zu formulieren, zu implementieren und – wenn sie erfolgreich sind – fortzuführen.
Im Gegensatz zu heute durchgeführten Projekten ergäbe sich der Vorteil, dass eine Dokumentation und Evaluation dieser Projekte durch den gegebenen Framework leichter möglich wäre. Die Ergebnisse wären einfacher anzugeben, von anderen nachzuvollziehen und einmal durchgeführte Projekte auch für andere nutzbar. (Das wäre ein Vorteil gegenüber den eher oberflächlichen Beschreibungen heutiger Beispielsammlungen. Ein allgemeiner Framework würde beispielsweise aus Best-Practice-Sammlungen auch tatsächliche Best-Practice-Sammlungen machen, weil die Bewertungsgrundlage für die jeweilige Auswahl und eine nachvollziehbare Evaluationsgrundlage angegeben werden könnte.)
Hierzu müsste sich allerdings eine Kultur etablieren, die erstens Projekte, Veränderungsbemühungen und Erfahrungen auch als solche nachvollziehbar dokumentiert und gleichzeitig auf solche Dokumentationen wieder zurückgreift. Dies wäre im Rahmen eines Frameworks allerdings eher zu erwarten, als bei der Fortschreibung der heutigen unsystematischen Herangehensweise.